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Entscheidung VG 5 K 1020/23.A


Metadaten

Gericht VG Cottbus 5. Kammer Entscheidungsdatum 13.12.2023
Aktenzeichen VG 5 K 1020/23.A ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2023:1213.VG5K1020.23.A.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 227 Abs 1 ZPO

Leitsatz

Zur Beurteilung der Verhandlungsunfähigkeit wegen PTBS-bedingter Dekompensation können die Kriterien für die Kontraindikation für traumabearbeitende Verfahren herangezogen werden.

Tenor

Das Gesuch vom 13. Dezember 2023, den Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. Dezember 2023 zu verlegen, wird zurückgewiesen.

Gründe

Eine Terminsverlegung ist nur dann gerechtfertigt, wenn ein erheblicher Grund im Sinne des § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorliegt. An einem solchen erheblichen Grund fehlt es. Erhebliche Gründe im Sinne des § 227 ZPO sind nur solche, die zur Gewährung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebotes erfordern, weil der Beteiligte sich trotz aller zumutbaren eigenen Bemühungen nicht in hinreichender Weise rechtliches Gehör verschaffen könnte. Dabei ist zunächst das Gewicht derjenigen Gründe zu berücksichtigen, die für die Terminsverlegung sprechen.

Der Verlegungsantrag vom 13. Dezember 2023 ist schon nicht unverzüglich gestellt worden, nachdem die Verhinderung bekannt geworden war (vgl. zu diesem Erfordernis stRspr. vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. April 2017 – 2 B 69.16 – Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 8; BVerwG, Beschluss vom 29. April 2004 – 3 B 119.03 – Buchholz 428.8 § 2 BerRehaG Nr. 1; BVerwG, Beschluss vom 5. Dezember 1994 – 8 B 179.94 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 259; BVerwG, Beschluss vom 28. August 1992 – 5 B 159.91 – Buchholz 310 310 § 108 VwGO Nr. 252), was hier mit dem Erhalt der Ladung am 27. Oktober 2023 zusammenfällt.

Zwar ist bei einer Erkrankung eines Beteiligten in der Regel davon auszugehen, dass die Verhinderung unverschuldet und damit ein "erheblicher Grund" im Sinne von § 227 Abs. 1 ZPO ist; eine andere Beurteilung ist aber dann geboten, wenn es sich nicht um eine plötzliche, nicht vorhersehbare, sondern um eine chronische, wiederholt in gleicher Weise auftretende Erkrankung handelt, die den Betroffenen außerstande setzt, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen (vgl. zum Prozessbevollmächtigten BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 2001 – 8 B 69.01 – Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 30). So liegt der Fall hier. Die Klägerin macht eine psychische Erkrankung geltend, die sie wegen befürchteter Dekompensation verhandlungsunfähig werden lasse. Zum Beleg legt sie einen ärztlich–psychologischen Bericht des „Psychosozialen Zentrums für Geflüchtete“ vom 12. Dezember 2023 vor. Von dieser psychischen Erkrankung hat die Klägerin jedoch bereits bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 5. Mai 2023 berichtet. In der ärztlichen Stellungnahme wird fremdanamnestisch davon gesprochen, dass sie bereits im August 2023 niedergeschlagen gewirkt habe und im Oktober 2023 einen Schwächeanfall erlitten habe. Eine Anbindung an das „Psychosoziale Zentrum für Geflüchtete“ besteht seit dem 28. November 2023. Dem ärztlich-psychologischen Bericht vom 12. Dezember ist nicht ansatzweise zu entnehmen zu entnehmen, dass die psychische Konstitution der Klägerin erst vor kurzem eine gravierende Verschlechterung erfahren hat, so dass erst unmittelbar vor der seit dem 27. Oktober 2023 feststehenden Verhandlung eine Verhandlungsunfähigkeit aufgetreten ist.

Unabhängig davon hat die Klägerin ihre Verhandlungsunfähigkeit nicht glaubhaft gemacht. Ein ausreichender Grund für eine Terminsverlegung kann unter anderem darin liegen, dass ein Beteiligter oder sein Prozessbevollmächtigter erkrankt sind. Jedoch ist nicht jegliche Erkrankung ein ausreichender Grund für eine Terminsverlegung; eine solche ist vielmehr nur dann geboten, wenn die Erkrankung so schwer ist, dass die Wahrnehmung des Termins nicht erwartet werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.1.1999 - 8 B 186.98 -, NVwZ-RR 1999, 408 f.; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. Februar 2018 – 4 A 10/18.A – Juris Rn. 22 - 23). Grundsätzlich ist die Verhandlungsunfähigkeit durch Vorlage eines ärztlichen Attestes nachzuweisen, aus dem sich die Unmöglichkeit der Teilnahme an der Verhandlung ergibt. Wird eine Terminsverlegung erst unmittelbar vor der anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt und mit einer Erkrankung begründet, so muss der Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungs- bzw. Reiseunfähigkeit besteht. Dies erfordert, dass das Gericht aus den Unterlagen Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung entnehmen und so die Frage der Verhandlungsunfähigkeit selbst beurteilen kann. Gerade bei kurzfristig gestellten Anträgen auf Terminsverlegung bestehen hohe Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Verhandlungsunfähigkeit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.4.2017 - 2 B 69.16 - Juris, Rn. 9; OVG NRW, Beschluss vom 5.6.2012 - 17 E 196/12 -, juris, Rn. 17 f.; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. Februar 2018 – 4 A 10/18.A – Juris Rn. 24 - 25). Zum Nachweis einer behaupteten PTBS und grundsätzlich entsprechend bei anderen psychischen Erkrankungen, wenn die Unschärfen des jeweiligen Krankheitsbildes und seine vielfältigen Symptome es - wie bei der vorliegend behaupteten "depressiven Episode" - in vergleichbarer Weise rechtfertigen, verlangt die Rechtsprechung regelmäßig ein gewissen Mindestanforderungen genügendes fachärztliches Attest, aus dem sich nachvollziehbar ergeben muss, auf welcher Grundlage der Arzt zu seiner Diagnose gelangt ist und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt, mit Angaben zum Behandlungsverlauf, zur Befunderhebung, zur Schwere der Krankheit und zur Behandlungsbedürftigkeit (zur PTBS BVerwG, Beschluss vom 26.07.2012 - 10 B 21.12 - Juris Rn. 7; VG Aachen, Urteil vom 30. November 2018 – 7 K 14/18.A – Juris Rn. 32 - 33).

Diesen Anforderungen wird der vorgelegte ärztlich-psychologische Bericht nicht gerecht. Dies gilt schon in formaler Hinsicht, weil zur Diagnose psychischer Erkrankungen, wie der PTBS, ein fachärztlicher Attest verlangt wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Juli 2012 – 10 B 21.12 – Juris Rn. 7), woran es hier gebricht, weil die Unterzeichner eine Psychologin und eine Ärztin sind. Letztere gerade ohne die Fachbezeichnung einer Fachärztin. Ein Attest muss des Weiteren Angaben darüber enthalten, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat

(BVerwG, Beschluss vom 26. Juli 2012 – 10 B 21.12 – Juris Rn. 7). Der Bericht beschränkt sich auf die Schilderung einer einzigen anamnestischen Sitzung. Ferner unterliegt er methodischen Zweifeln. Zunächst schweigt der Bericht zu der Methodik der Diagnose, insbesondere ob der Diagnose ein strukturiertes klinisches Interview zu Grunde liegt (vgl. S3-Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung ICD-10: F43.1, Seite 16). Soweit eine Diagnose von PTBS gestellt wird, unterbleibt eine Differentialdiagnostik gegenüber akuten Belastungsreaktionen, Anpassungsstörungen und relevanten psychischen Vorerkrankungen, wie sie im Rahmen der S3-Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung ICD-10: F43.1 gefordert wird. Ebenso wenig setzt sich der Bericht damit auseinander, dass als absolute Kontraindikationen für traumabearbeitende Verfahren nach der vorgenannten Leitlinie abschließend „akutes psychotische Erleben, akute Suizidalität oder Täterkontakt mit Traumatisierungsrisiko“ genannt werden. Keines dieser Kriterien wird der Klägerin attestiert. Soweit von einem Suizidversuch die Rede ist, soll dieser bereits im Jahre 2020, also noch in Äthiopien, stattgefunden haben. Schließlich zeigt der Bericht nicht ansatzweise auf, dass kontraindikatorische Symptomatik im Zusammenhang mit der Befragung vor dem Bundesamt am 5. Mai 2023, mit dem Anwaltsgespräch oder der dem Bericht zu Grunde liegenden Anamnese aufgetreten sind.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.