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Entscheidung 5 K 993/18


Metadaten

Gericht VG Cottbus 5. Kammer Entscheidungsdatum 07.12.2023
Aktenzeichen 5 K 993/18 ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2023:1207.5K993.18.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks im Gemeindegebiet der Beklagten. Das Grundstück ist mit einem ca. 200 Jahre alten Fachwerkhaus bebaut und dient Wohnzwecken. Das Grundstück grenzt an ein fließendes Gewässer. Dort errichtete die Beklagte im Jahr 2007 eine Schleuse. Die Schleuse wird insbesondere zu Tourismuszwecken von Paddlern, Kahnfährleuten u. Ä. genutzt. Die Klägerin moniert die Betriebsgeräusche der Schleuse. Sie erblickt in den Geräuschen eine wesentliche Beeinträchtigung. Zudem verweist die Klägerin auf zusätzliche Lärmlast durch die Schleusennutzer – insbesondere in Form von Verbalgeräuschen – sowie durch touristische Veranstaltungen im Ort. Die Klägerin legt zwei schalltechnische Gutachten vor und macht insoweit geltend, dass die Richtwerte der TA Freizeitlärm überschritten würden. Im Übrigen erachtet die Klägerin eine einzelfallbezogene Beurteilung der Lärmsituation für geboten. Zuletzt verwies die Klägerin auf Planungen zur Errichtung eines Anlegestegs mit Paddelbootverleih sowie eine neu in Betrieb genommene Außengastronomie in der Nachbarschaft.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, durch geeignete und nach Auffassung des Gerichts ihrem Umfang nach zumutbare Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass zu Gunsten der Klägerin die Lärmimmissionen der von der Beklagten betriebenen Hubtorschleuse an der D... auf das immissionsschutzrechtlich zulässige Maß verringert werden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen. Diese war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf lärmmindernde Maßnahmen.

Sie kann sich nicht mit Erfolg auf den als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden allgemeinen öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch berufen.

Der Nachbar einer von der öffentlichen Hand (schlicht-hoheitlich) betriebenen Anlage hat einen am Maßstab des § 22 BImSchG i.V.m. § 3 Abs. 1 BImSchG ausgerichteten öffentlich-rechtlichen Anspruch darauf, dass erhebliche Lärmbelästigungen aus dem Betrieb der Anlage unterbleiben oder auf ein Mindestmaß beschränkt werden (BVerwG, Urteile vom 24. April 1991 – 7 C 12.90 -, 29. April 1988 - 7 C 33.87 - sowie 19. Januar 1989 - 7 C 77.87 -).

Den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen (§ 3 Abs. 1 BImSchG) konkretisiert für anlagenbezogene Lärmimmissionen die TA Lärm. Die TA Lärm besitzt – anders als etwa die TA Freizeitlärm, die lediglich eine Entscheidungshilfe mit Indizcharakter ist (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2001 – 7 C 16.00 –, Rn. 12) - eine auch im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung (BVerwG, Beschluss vom 30. Dezember 2022 – 7 B 15.22 –, Rn. 7 sowie ausdrücklich auch für nicht genehmigungsbedürftige Anlagen: BVerwG, Urteil vom 12. November 2020 – 4 A 13.18 –, Rn. 46). Im Rahmen dieser Bindungswirkung scheidet eine ansonsten gebotene einzelfallbezogene Betrachtung aus (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2019 – 8 C 3.19 –, Rn. 29; Beschluss vom 17. Juli 2003 – 4 B 55.03 -, Rn. 8 „solange“).

Für den hier streitbefangenen Schleusenbetrieb ist die TA Lärm einschlägig. Die Schleuse ist eine nicht genehmigungsbedürftige Anlage im Sinn des § 22 Abs. 1 BImSchG, für welche die TA Lärm nach deren Ziffer 1. Satz 2 gilt. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Schleuse keine bloße Freizeitanlage und solchermaßen dem Anwendungsbereich der TA Lärm entzogen. Unter Freizeitanlagen sind etwa zu verstehen: in Zelten oder im Freien stattfindende Diskothekenveranstaltungen, LiveMusik-Darbietungen, Rockmusikdarbietungen, Volksfeste, Zirkusveranstaltungen, Rummelplätze, Freilichtbühnen, Autokinos, Freizeitparks, Vergnügungsparks, Sonderflächen für Freizeitaktivitäten ( z. B. Grillplätze, Badeplätze, Erlebnisbäder), Campingplätze, Anlagen zum Betrieb für Modellfahrzeuge, Wasserflächen für Schiffsmodelle, Sommerrodelbahnen, Abenteuerspielplätze (Feldhaus/Tegeler, TA Lärm, 2014, B, Kommentar Nr. 1, Ziff. 15). Zu alldem gehört die streitbefangene Schleusenanlage nicht. Die Schleuse reguliert öffentliche Gewässer. Ihr kommt schon mit Blick auf den Gemeingebrauch der Gewässer (§ 43 BbgWG) eine über bloße Freizeitzwecke hinausgehende öffentliche Bedeutung - etwa in verkehrlicher Hinsicht – zu. Vor Allem besitzt die Schleuse auch wasserrechtliche Relevanz, insbesondere in hydromorphologischer Hinsicht. Damit nimmt die Schleuse letztlich Teil an der gesamten wasserrechtlichen Zweckbestimmung des § 1 WHG, dient also einer nachhaltigen Gewässerbewirtschaftung als Bestandteil des Naturhaushalts, als Lebensgrundlage des Menschen sowie als Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Dies erhellen beispielsweise auch die präventiven gesetzlichen Nutzungs- und Beseitigungsverbote für Stauanlagen (§§ 8, 9 Abs. 1 Nr. 2 WHG sowie § 37 Abs. 1 BbgWG). Dass hier die Schleuse in erster Linie von Booten zu Freizeitzwecken genutzt wird und die Errichtung der Schleuse wasserrechtlich nicht geboten gewesen sein mag, rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Die Richtwerte der TA Lärm werden eingehalten.

Die von der Klägerin eingeholten schalltechnischen Gutachten gehen einvernehmlich davon aus, dass das Grundstück der Klägerin in einem Mischgebiet bzw. Kern-, Dorf-, Mischgebiet (jeweils Ziffer 6.1 Buchst. d) TA Lärm) liegt. Diese Einschätzung ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Das Gericht hat keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Insbesondere lässt sich angesichts der im fraglichen Gebiet stattfindenden umfangreichen gewerblich-touristischen Nutzung keine der Klägerin günstigere Einordnung als allgemeines oder gar reines Wohngebiet vornehmen.

Für Mischgebiete bzw. Kern-, Dorf-, Mischgebiete gelten nach der TA Lärm Richtwerte von 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts, wobei für einen Nachtbetrieb der Schleuse nichts ersichtlich oder vorgetragen ist.

Die Richtwerte werden ausgehend von den von der Klägerin eingeholten schalltechnischen Gutachten eingehalten. Durchgreifende inhaltliche Mängel weisen die Gutachten nicht auf.

Das schalltechnische Gutachten vom 10. Juni 2017 ermittelt einen Immissionswert von 60 db(A) tags. Dies liegt innerhalb des Richtwertes der TA Lärm. Das schalltechnische Gutachten vom 25. Juli 2022 weist Immissionswerte bezogen auf drei Messtage aus. An einem Tag werden 59 dB(A) erreicht. Auch dies liegt innerhalb des Richtwertes der TA Lärm. Lediglich an zwei Tagen ermittelt das (zweite) Gutachten leichte Richtwertüberschreitungen von jeweils 2 dB(A). Diese Werte sind allerdings im Hinblick auf rechtliche Maßstäbe zu reduzieren.

Ob eine solche Reduzierung schon deshalb vorzunehmen ist, weil in den Gutachten neben den Betriebsgeräuschen der Schleuse auch die Verbalgeräusche der Schleusennutzer – u.a. mit einem Zuschlag von 3 dB(A) für Informationshaltigkeit – mit berücksichtigt sind, kann offenbleiben.

Zurechenbar sind einer Anlage nach der TA Lärm (Ziff. 7.4 Satz 1) Fahrzeuggeräusche auf dem Betriebsgrundstück sowie bei der Ein- und Ausfahrt, die in Zusammenhang mit dem Betrieb der Anlage entstehen. Dazu gehören die Verbalgeräusche der Schleusennutzer nicht. Allerdings ist die TA Lärm insoweit nicht abschließend (BVerwG, Beschluss vom 9. April 2003 – 6 B 12.03 –, Rn. 10). Das Immissionsschutzrecht erfasst nicht nur solche Immissionen, die durch die Anlage oder ihre Teile selbst verursacht werden, sondern auch solche, die allgemein in einem betriebstechnischen oder funktionellen Zusammenhang mit ihr stehen (BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1996 – 1 C 10.95 –: Flaschenklirren auf dem Parkplatz eines Getränkemarktes; Be-, Entlade- Rangiervorgänge: BayVGH, Beschluss vom 5. Mai 2022 - 9 CS 22.3 – Juris, Rn. 26; allgemein auch Feldhaus/Tegeler, a.a.O., Kommentar Nr. 7, Rn. 36; Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand 2023, TA Lärm 7 Rn. 36-39, 42-44). Verbalgeräusche, die von Kunden einer Gaststätte ausgehen, sind dieser zuzurechnen, wenn sie Folgen der Betriebsführung sind. Dabei kann auch auf Verkehrsanschauung und Typik abzustellen sein (OVG Lüneburg, Beschluss vom 18. März 2020 – 12 ME 4.20 - Juris, Rn. 11). Ebenfalls kann von Bedeutung sein, ob der Gaststättenbetrieb konzeptionell erkennbar auf lärmintensive Verhaltensweisen angelegt ist (BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2019 – 8 C 3/19 –, Rn. 28). Entscheidend ist aber auch, ob die Emittenten als Nutzer gerade der fraglichen Anlage in Erscheinung treten und als solche erkennbar sind bzw. ob das Geschehen noch erkennbar als Ziel- und Quellverkehr gerade der fraglichen Anlage in Erscheinung tritt (BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2019 – 8 C 3.19 –, Rn. 28; Beschluss vom 9. April 2003 – 6 B 12.03 -, Rn. 10 sowie Urteil vom 7. Mai 1996 – 1 C 10.95 –).

Dies Alles kann aber letztlich auf sich beruhen. Denn die im zweiten Gutachten ermittelten überschießenden Immissionswerte von 2 dB(A) sind jedenfalls um den Messabschlag von 3 dB(A) nach Ziffer 6.9 TA Lärm zu reduzieren. Der Messabschlag wird u.a. bei – wie hier – Messungen nach A.3 des Anhangs der TA Lärm vorgenommen, soweit es – wie hier - (in Abgrenzung zu Genehmigungsmessungen) um Überwachungsmessungen geht. Ansonsten ist der Messabschlag voraussetzungslos. Der Messabschlag findet seine Rechtfertigung darin, im Hinblick auf die Beweislast der Behörde das Risiko eines rechtswidrigen Eingriffs zu vermeiden und den Anlagenbetreiber vor Umbauten und Betriebseinschränkungen zu schützen, nachdem er die Investitionen auf der Grundlage einer bestandskräftigen Genehmigung getätigt hat (BVerwG, Urteil vom 29. August 2007 – 4 C 2.07 -, Rn. 19). Die hier streitbefangene Schleuse ist genehmigt im vorgenannten Sinn. Sie unterliegt zwar nicht der Genehmigungspflicht des Ersten Abschnitts des Zweiten Teils des Bundesimmissionsschutzgesetzes. Allerdings ist ihr Betrieb wasserrechtlich erlaubt (Bescheid des Landrates des Landkreises Dahme-Spreewald vom 4. April 2007), und zwar gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 WHG mit Konzentrationswirkung im Hinblick auf das Immissionsschutzrecht. Im Übrigen gilt die TA Lärm nach ihrer Ziffer 1. auch für nicht nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftige Anlagen.

Beiläufig sei noch erwähnt, dass hier die Immissionswerte an den Pfingsttagen ermittelt wurden, also an Tagen mit besonders hoher touristischer Auslastung. Sie dürften damit kaum die typische Belastungssituation in voller Breite widerspiegeln, sondern einen der Klägerin günstigen Ausschnitt zeigen.

Auch die sonst von der Klägerin angesprochenen Geräusche (etwa Veranstaltungslärm, Außengastronomie) unterfallen mangels Anlagenbezugs nicht der TA Lärm. Hinsichtlich der Außengastronomie („Destillerie“) gilt der Ausnahmetatbestand „Freiluftgaststätte“ der TA Lärm, unter den auch – wie hier - gemischte Gasstätten fallen, die zusätzlich noch über einen Innenbetrieb verfügen (BVerwG, Urteil vom 3. August 2010 – 4 B 9.10 -). Auf die Größe des außenbewirtschafteten Teils der Gaststätte oder auf eine selbstständige Bewirtschaftung kommt es nicht an (Landmann/Rohmer, a.a.O., TA Lärm 1, Rn. 12-14).

Es ist auch kein Summenpegel zu bilden. Vielmehr sind Lärmbeiträge grundsätzlich (nur) nach den für sie jeweils einschlägigen Regelwerken zu beurteilen (BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2013 – 4 BN 21.13 –, Rn. 3 sowie Urteile vom 16. Mai 2001 – 7 C 16.00 –, Rn. 12 und 21. März 1996 - 4 C 9.95 -). Etwas Anderes gilt nur dann, wenn eine Gesamtlärmbelastung zu erwarten ist, die mit Gesundheitsgefahren oder einem Eingriff in die Substanz des Eigentums verbunden ist (BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2013 a.a.O. sowie Urteile vom 21. März 1999 a.a.O. und 9. November 2006 - 4 A 2001.06 -, Rn. 122). Dies ist erst bei einem Schwellenwert von mehr als 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts anzunehmen (BVerwG, Urteile vom 10. Oktober 2012 – 9 A 18.11 –, Rn. 20 und 13. Mai 2009 - 9 A 72.07 -, Rn. 69). Dafür, dass hier solche Werte erreicht werden, ist nichts ersichtlich oder vorgetragen. Hier stehen – wie ausgeführt – zunächst max. 60 dB(A) tags in Rede. Zu den sonst geltend gemachten Immissionen verbleibt der Vortrag der Klägerin weitgehend unsubstantiiert und vage. Mit ihrem Verweis auf eine zusätzliche Steganlage mit Paddelbootverleih bezieht sich die Klägerin lediglich auf ein Projekt in der Planungsphase. Anhaltspunkte dafür, dass emittierender Geschäftsbetrieb inzwischen stattfindet oder in absehbarer Zeit zu erwarten ist, fehlen. Auch zu dem monierten Veranstaltungslärm im Ort trägt die Klägerin nur allgemein und pauschal vor. Soweit es um die Außengastronomie („Destillerie“) geht, liegt schon fern, dass bei Vorliegen konkreter Gesundheitsgefahren für die Nachbarschaft eine gaststättenrechtliche Erlaubnis erteilt worden wäre (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG). Für einen „Schwarzbetrieb“ ist nichts ersichtlich oder vorgetragen. Auch ist die Außengastronomie räumlich beschränkt (87,5 qm, vgl. h…). Zudem war die Außengastronomie bei der Erstellung des jüngsten schalltechnischen Gutachtens bereits vorhanden.

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 154 Abs. 1 VwGO sowie § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 ZPO.