Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung 12 Sa 418/23


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 12. Kammer Entscheidungsdatum 17.11.2023
Aktenzeichen 12 Sa 418/23 ECLI ECLI:DE:LAGBEBB:2023:1117.12SA418.23.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 4 S 1 KSchG, § 613a Abs 4 BGB

Leitsatz

1. Der Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG erstreckt sich regelmäßig auf das Bestehen des Arbeitsverhältnisses noch im vorgesehenen Auflösungszeitpunkt.

Deshalb kann im Rahmen einer Kündigungsschutzklage gegen eine erste Kündigung die Beendigungswirkung einer zweiten Kündigung geprüft werden, die nach Betriebsübergang von dem aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitgeber ausgesprochen worden ist, wenn sie das Arbeitsverhältnis bis zu dem Auflösungszeitpunkt der mit der Kündigungsschutzklage angegriffenen ersten Kündigung beenden soll.

Eine erfolgreiche gesonderte Kündigungsschutzklage gegen die vom Betriebsveräußerer ausgesprochene zweite Kündigung scheidet in einem solchen Fall aus, weil die Kündigung des Betriebsveräußerers nicht von dem aktuellen Vertragsarbeitgeber erklärt worden ist.

2. Kann der Arbeitnehmer aus dem zeitlichen und funktionellen Zusammenhang zwischen Kündigung und Betriebsübergang Tatsachen nachweisen, die die Kausalität mit genügender Wahrscheinlichkeit darstellen, so ist eine tatsächliche Vermutung für eine unwirksame Kündigung wegen des Betriebsübergangs im Sinne von § 613a Absatz 4 BGB zu bejahen, die der Arbeitgeber entkräften muss.

Dazu genügt eine nachvollziehbare Begründung für die Kündigung, die den Verdacht einer Kündigung wegen des Betriebsübergangs ausschließt, weil sie einen sachlichen Grund dafür enthält, dass die Kündigung nur äußerlich formal mit dem Betriebsübergang verbunden, nicht aber materiell wegen des Betriebsübergangs erfolgt ist.

Tenor

I. Die Berufung wird kostenpflichtig zurückgewiesen unter Klarstellung des Urteilsausspruchs:

Es wird festgestellt, dass die Kündigung mit Schreiben vom 13. Dezember 2021 das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht zum 30. April 2022 aufgelöst hat und das Arbeitsverhältnis auch nicht aufgrund eines anderen Umstandes, etwa der Kündigung mit Schreiben vom 30. November 2021, bis zu diesem Zeitpunkt geendet hat.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Die im Dezember 1957 geborene Klägerin war seit Dezember 2010 bei der vor dem Arbeitsgericht zunächst als Beklagte zu 2 mitverklagten S. Software GmbH (im Folgenden: Vorarbeitgeberin) in deren Betrieb in Berlin mit regelmäßig weniger als zehn Mitarbeitern beschäftigt. Dort war die Klägerin als Key-Account-Managerin tätig.

Die Beklagte, die mindestens 240 Mitarbeiter beschäftigt, übernahm zum 1. April 2020 die Gesellschaftsanteile an der Vorarbeitgeberin. Der Vorstandsvorsitzende der Beklagten, Herr T., wurde zum weiteren Geschäftsführer der Vorarbeitgeberin bestellt.

Am 24. September 2021 schlossen die Beklagte und die Vorarbeitgeberin einen notariell beurkundeten Vertrag über eine Verschmelzung. Mit Schreiben vom 27. September 2021 informierten sie die Klägerin über die beabsichtigte Verschmelzung und den damit zum Zeitpunkt der Eintragung der Verschmelzung voraussichtlich im Dezember 2021 eintretenden Betriebsübergang und Übergang des Arbeitsverhältnisses.

Ab dem 8. November 2021 nahm die Klägerin an einer bei der Beklagten an deren Betriebsstätte in Wiesbaden durchgeführten Trainee-Maßnahme teil.

Am 9. Dezember 2021 ging der Klägerin ein auf den 13. Dezember 2021 datiertes Schreiben der Vorarbeitgeberin zu, mit dem diese die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. April 2022 erklärte (im Folgenden: erste Kündigung).

Am 15. Dezember 2021 erfolgte die Eintragung der Verschmelzung.

Am 23. Dezember 2021 erhielt die Klägerin ein weiteres Schreiben der Vorarbeitgeberin, datiert auf den 30. November 2021, in dem diese die ordentliche Kündigung zum 31. März 2022 erklärte (im Folgenden: zweite Kündigung).

Mit der am 23. Dezember 2021 eingereichten und der Beklagten am 31. Dezember 2021 zugestellten Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der ersten Kündigung geltend gemacht, mit am 4. Januar 2021 eingereichtem und am 14. Januar 2022 zugestelltem Schriftsatz die der zweiten Kündigung. Vor dem Arbeitsgericht hat sie vorgetragen, es werde davon ausgegangen, dass der Betriebsübergang bereits vor dem 13. Dezember 2021 erfolgt sei. Sie hat die Auffassung vertreten, beide Kündigungen seien unwirksam, weil sie wegen des Betriebsübergangs ausgesprochen worden seien. Sie sei der Beklagten als Mitarbeiterin schlichtweg zu teuer gewesen und eine Schulung auf die komplexe Software zu kostenintensiv. Die Beklagte benötige aufgrund der Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes einen wichtigen Grund für eine ordentliche Kündigung.

Sie hat beantragt, festzustellen,

dass das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten … nicht durch die Kündigungen der S. Software GmbH vom 30. November und vom 13. Dezember 2021 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat die Klageabweisung beantragt.

Sie hat zu Inhalten und Ablauf des Trainee-Programm und der Teilnahme der Klägerin daran vorgetragen und ausgeführt, die hierzu geschilderten Umstände (wegen der Einzelheiten Schriftsatz der Beklagten vom 25. März 2022, dort Seiten 6-10, Bl. 68-72 der Akte) hätten bei ihr im weiteren Verlauf des Novembers 2021 zu dem Schluss geführt, dass die Klägerin fachlich und technisch nicht ausreichend qualifiziert sei und nicht zuverlässig genug, um das bestehende Arbeitsverhältnis erfolgreich fortzusetzen zu können. Ein Zusammenhang zu dem am 15. Dezember 2021 stattgefundenen Betriebsübergang bestehe somit nicht, so dass die Kündigung nicht gegen das Kündigungsverbot bei Betriebsübergang verstoßen könne. Überdies finde die Vorschrift keine Anwendung, weil die Kündigung ausgesprochen worden sei, bevor der Zeitpunkt des Betriebsübergangs festgestanden habe. Die Kündigung sei durch den richtigen Arbeitgeber erklärt, da sie vor dem Betriebsübergang erklärt worden sei und deshalb der kündigende Vorarbeitgeber noch Vertragsarbeitgeber gewesen sei. Da die Klägerin im Hinblick auf die dortige Betriebsgröße nicht dem Schutz des § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) unterlegen habe, habe die Vorarbeitgeberin bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit jeden – also schlicht auch keinen – Grund zum Anlass für die Kündigung nehmen können.

Mit Urteil vom 3. März 2023 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben: Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Klage sei zulässig gegen die Beklagte zu richten gewesen. Das Arbeitsverhältnis sei zum Zeitpunkt der Klageeinreichung bereits von der Vorarbeitgeberin auf die Beklagte übergegangen und die Vorarbeitgeberin zu diesem Zeitpunkt infolge der Verschmelzung erloschen gewesen. Die Kündigungen der Vorarbeitgeberin hätten das Arbeitsverhältnis nicht beendet. Sie seien unwirksam, weil sie wegen des Betriebsübergangs erfolgt seien. Die unmittelbare zeitliche Nähe zwischen Kündigungen und dem zum 15. Dezember 2021 erfolgten Übergang des Arbeitsverhältnisses indiziere, dass die Kündigungen wegen des Betriebsübergangs ausgesprochen worden seien. Die von der Beklagten vorgebrachten Kündigungsgründe widerlegten nicht den Eindruck, dass das Motiv der Kündigung wesentlich durch den Betriebsinhaberwechsel bestimmt gewesen sei. Die aus dem Traineeprogramm gezogenen Schlussfolgerungen überzeugten nicht. Nach dem einschlägigen Maßstab eines verständigen Arbeitgebers hätten sie allein aufgrund des Ergebnisses der ersten Trainee-Woche nicht nachvollziehbar gezogen werden können. Die Beklagte lege schon nicht dar, welchen künftigen Anforderungen die Klägerin unterlegen hätte. Zu berücksichtigen sei, dass die Klägerin zu diesem Zeitpunkt als Projektleiterin bereits die Überleitung der Entgeltabrechnungen von der Software der Vorarbeitgeberin zu der Software der Beklagten umgesetzt habe. Im Übrigen sei das Trainee-Programm nach dem Vortrag der Beklagten überhaupt nicht darauf ausgerichtet gewesen, die fachliche Eignung der Mitarbeiter festzustellen.

Gegen das ihr am 16. März 2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14. April 2023 Berufung eingelegt und am 15. Mai 2023 begründet. Sie verfolgt die Klageabweisung weiter und führt aus: Die streitgegenständlichen Kündigungen seien wirksam und beendeten das Arbeitsverhältnis. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei der Betriebsübergang kein Beweggrund für die Kündigung gewesen. Zusammenfassend zu dem diesbezüglich erstinstanzlich gehaltenen Vortrag ergäbe es sich, dass die Klägerin in der ersten Woche des Trainee-Programms einen komplizierten und unfreundlichen Eindruck gemacht habe. Außerdem sei sie ihr gestellten Aufgaben mehrfach nicht nachgekommen, weil sie entweder technisch zur Umsetzung der Aufgaben nicht in der Lage gewesen sei oder die Anweisung nicht gelesen habe. Hieraufhin habe für die Vorarbeitgeberin deren Geschäftsführer T. die Entscheidung getroffen, nicht weiter mit der Klägerin zusammenarbeiten zu wollen. Dabei spiele es aus rechtlicher Sicht keine Rolle, ob dies für objektive Dritte nachvollziehbar sei. Im Rahmen des Schutzes vor einer Kündigung wegen Betriebsübergang dürfe kein strengerer Maßstab angelegt werden als sonst bei einer Kündigung in einem Kleinbetrieb, der nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterliege. Bei der Entscheidung habe die Vorarbeitgeberin außerdem berücksichtigt, dass sie damals beginnend die Produkte der Beklagten zu vertreiben hatte und deshalb andere Vorgehensweisen und Standards einzuhalten gewesen seien. Sie ist der Auffassung, beide Kündigungen beendeten das Arbeitsverhältnis. Sie beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 3. März 2023 - 6 Ca 12993/21 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat die Zurückweisung der Berufung beantragt.

Sie hat im Berufungsverfahren die Entscheidung des Arbeitsgerichts verteidigt. In der Berufungsbeantwortung hat sie daran festgehalten, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Kündigung längst die Leitungsmacht über die Vorarbeitgeberin übernommen gehabt habe. Das Berliner Büro der Vorarbeitgeberin sei bereits seit der Übernahme der Anteile an der Gesellschaft kein eigenständiger Betrieb mehr gewesen. Die Beklagte sei im Hinblick auf die Beschäftigtenanzahl bei ihr an das Kündigungsschutzgesetz gebunden.

Mit Schreiben vom 15. November 2023 hat das Gericht die Parteien darauf hingewiesen, dass bei einem Betriebsübergang die Kündigungsschutzklage gegen eine Kündigung des Vorarbeitgebers zur Erfolgsvoraussetzung habe, dass im Zeitpunkt des Kündigungszugangs noch ein Arbeitsverhältnis zu diesem bestehe. Der Streit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses trotz nach dem Übergang zugegangener Kündigung seitens des Vorarbeitgebers könne durch eine allgemeine Feststellungsklage einer gerichtlichen Klärung zugeführt werden.

Hierauf Bezug nehmend hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung über die Berufung erklärt, sie greife vorrangig die erste Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage an, deren Streitgegenstand die Nichtbeendigung des Arbeitsverhältnisses bis zum 30. April 2022 umfasse. Hilfsweise mache sie gestützt auf das Vorbringen zu einem Betriebsübergang vor Zugang der ersten Kündigung mit der allgemeinen Feststellungsklage geltend, dass ein Arbeitsverhältnis zur Beklagten bestehe.

Die Beklagte hat hierzu erklärt, einer in der Erklärung enthaltenen Klageerweiterung nicht zuzustimmen. Zu berücksichtigen sei, dass die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren einen allgemeinen Feststellungsantrag angekündigt, diesen letztlich aber nicht gestellt habe. Es müsse über beide Kündigungen entschieden werden.

Entscheidungsgründe

Die Berufung bleibt ohne Erfolg. Sie ist zulässig aber nicht begründet. Weder beruht die Entscheidung des Arbeitsgerichts, dass die Kündigungen nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien geführt haben, auf einem Rechtsfehler, noch rechtfertigt das Vorbringen im Berufungsverfahren eine hiervon abweichende Entscheidung. Allerdings ist der Urteilsausspruch klarzustellen, da im Ergebnis der Auslegung der Klageanträge und im Hinblick auf die klarstellenden Erklärungen der Klägerin im Berufungsverfahren nur der vorrangig gestellte Kündigungsschutzantrag gegen die erste Kündigung zu bescheiden ist.

I.

Die Berufung ist zulässig.

Ihre Statthaftigkeit folgt aus § 64 Absatz 2 Buchstabe c Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG). Die Parteien führen eine Rechtsstreitigkeit über die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses. Die Beklagte hat die Berufung innerhalb der Monatsfrist aus § 66 Absatz 1 Satz 1 ArbGG eingelegt und innerhalb der an gleicher Stelle geregelten Zweimonatsfrist begründet. Einlegung und Begründung der Berufung genügen den formalen und inhaltlichen Anforderungen aus § 64 Absätze 6 und 7, § 46c, § 46g ArbGG, §§ 519f Zivilprozessordnung (ZPO). Insbesondere genügt die Einlegung der Berufung durch qualifiziert signierten Schriftsatz den Anforderungen aus § 46c Absatz 3 Satz 1 1. Alternative ArbGG. Außerdem hat sich die Beklagte mit der ebenfalls formgerecht eingereichten Berufungsbegründung in Gestalt des Vorbringens zu einer fehlerhaften Rechtsanwendung seitens des Arbeitsgerichts hinreichend mit dessen Entscheidungsgründen auseinandergesetzt.

II.

Die Berufung ist unbegründet.

Auf die als Kündigungsschutzklage gegen die erste Kündigung auszulegende Klage, die unter Beachtung der dreiwöchigen Klagefrist ab Kündigungszugang aus § 4 Satz 1 (KSchG) eingereicht und alsbald danach zugestellt ist (vgl. § 167 ZPO), ist in Klarstellung zum erstinstanzlichen Tenor die Nichtauflösung des Arbeitsverhältnisses zum 30. April 2022 als dem vorgesehenem Auflösungszeitpunkt festzustellen. Die erste Kündigung hat, weil sie wegen des Betriebsübergangs ausgesprochen worden ist, das im Zeitpunkt ihres Zugangs noch zur Vorarbeitgeberin bestehende Arbeitsverhältnis nicht beendet, so dass es mit der Eintragung der Verschmelzung am 15. Dezember 2021 infolge Betriebsübergang auf die Beklagte übergegangen ist. Vor dem 30. April 2022 hat das Arbeitsverhältnis nicht infolge der zweiten Kündigung geendet. Vor deren Zugang am 23. Dezember 2021 war der Übergang des Arbeitsverhältnisses bereits erfolgt, so dass die Vorarbeitgeberin das Arbeitsverhältnis nicht mehr wirksam kündigen konnte. Im Einzelnen.

1. Die Klage ist als Kündigungsschutzklage allein gegen die erste Kündigung auszulegen.

a. Klageanträge einschließlich Kündigungsschutzanträgen sind der Auslegung zugänglich. Bei der Auslegung prozessualer Willenserklärungen ist entsprechend der für die Auslegung von rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen geltenden Regelung des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht am buchstäblichen Sinn einzelner Bezeichnungen zu haften, sondern unter Berücksichtigung der Klagebegründung sowie sonstiger Erklärungen im Verfahren der wirkliche Wille zu ermitteln (BAG, 11. Juni 2013 - 9 AZR 668/11, juris Rn 9). Das Gericht hat den erklärten Willen zu erforschen, wie er sich aus der Klagebegründung, dem Prozessziel und der Interessenlage ergibt (BAG, 26. März 2015 - 2 AZR 783/13, juris Rn 14). Im Zweifel sind Prozesserklärungen dahin auszulegen, dass das gewollt ist, was aus Sicht der Prozesspartei nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht. Dabei sind die schutzwürdigen Belange des Prozessgegners zu berücksichtigen (BAG, 26. Juli 2012 - 6 AZR 221/11, juris Rn 29; BAG, 14. Oktober 2021 - 8 AZR 96/20, juris Rn 12; BAG, 24. Mai 2023 - 7 AZR 169/22, Rn 16).

b. In Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend – der Erklärung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung über die Berufung entsprechend – allein die Nichtauflösung des Arbeitsverhältnisses durch die erste Kündigung zum 30. April 2022 und damit ein Kündigungsschutzantrag gegen die erste Kündigung Gegenstand des von der Klägerin unbedingt gestellten Antrags. Der Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG erstreckt sich regelmäßig auf das Bestehen des Arbeitsverhältnisses noch im vorgesehenen Auflösungszeitpunkt. Deshalb kann im Rahmen einer Kündigungsschutzklage gegen eine erste Kündigung die Beendigungswirkung einer zweiten Kündigung geprüft werden, die nach Betriebsübergang von dem aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitgeber ausgesprochen worden ist, wenn sie das Arbeitsverhältnis bis zu dem Auflösungszeitpunkt der mit der Kündigungsschutzklage angegriffenen Kündigung beenden soll. Eine erfolgreiche gesonderte Kündigungsschutzklage gegen die vom Betriebsveräußerer ausgesprochene zweite Kündigung scheidet in einem solchen Fall aus, weil die Kündigung des Betriebsveräußerers nicht von dem aktuellen Vertragsarbeitgeber erklärt worden ist.

(1) Der von der Klägerin gestellte Antrag ist als Kündigungsschutzantrag gegen die erste Kündigung auszulegen. Dies entspricht dem Antragswortlaut. Die Klägerin hat insoweit eine Formulierung gewählt, wie sie der gesetzlichen Bestimmung zur Kündigungsschutzklage in § 4 Satz 1 KSchG entspricht. Die Auslegung wird von der Klagebegründung getragen, wie sie sie die Klägerin zuletzt klargestellt hat. Mit dem Verbot der Kündigung wegen Betriebsübergang und dem Erfordernis der sozialen Rechtfertigung macht die Klägerin Unwirksamkeitsgründe in Bezug auf die erste Kündigung geltend, deren Durchgreifen im Rahmen einer Kündigungsschutzklage zu prüfen ist. Außerdem geht sie gemäß ihrer Erklärung in der mündlichen Verhandlung über die Berufung nunmehr vorrangig von einem Übergang des Arbeitsverhältnisses erst am 15. Dezember 2021 aus. Dementsprechend würde im Zeitpunkt des Kündigungszugangs noch ein Arbeitsverhältnis zu der kündigenden Vorarbeitgeberin bestanden haben, wie es Schlüssigkeitsvoraussetzung der Kündigungsschutzklage ist (vgl. BAG, 15. Dezember 2011 - 8 AZR 692/10, juris Rn 20; BAG 20. März 2014 - 8 AZR 1/13, juris Rn 27). Einen Zugang der Kündigung nach Übergang des Arbeitsverhältnisses, wie er gegenüber dem den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abstreitenden Betriebsübernehmer interessengerecht mit einer allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 Absatz 1 ZPO zu verfolgen sein würde, macht die Klägerin nunmehr nur noch hilfsweise geltend.

(2) Dagegen hat die Klägerin ungeachtet der diesbezüglichen Formulierung im erstinstanzlichen Klageantrag einen Kündigungsschutzantrag gegen die zweite Kündigung nicht gestellt. Eine Auslegung als selbständiger Kündigungsschutzantrag würde ihrer Interessenlage widersprechen. Zwar bringt sie gegen die zweite Kündigung dieselben Unwirksamkeitsgründe vor, allerdings kann die zweite Kündigung wegen des jedenfalls spätestens am 15. Dezember 2021 eingetretenen Betriebsübergangs, der das Arbeitsverhältnis auf die Beklagte hat übergehen lassen, nicht der Beklagten als Vertragsarbeitgeberin zugerechnet werden. Dementsprechend würde nach der oben zitierten Rechtsprechung die Kündigungsschutzklage nicht schlüssig sein. Eine von vornherein unschlüssige Klage, die nicht zur Prüfung der geltend gemachten Angriffsmittel führen kann, entspricht aber nicht der Interessenlage der Partei.

(3) Außerdem spricht gegen die Annahme einer Kündigungsschutzklage gegen die zweite Kündigung, dass es insoweit eines gesonderten Klageangriffs nicht bedarf, weder in Form eines Kündigungsschutzantrags noch einer Feststellungsklage. Vielmehr erstreckt sich bereits der Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage gegen die erste Kündigung auch auf das Eintreten oder Ausbleiben der Beendigungswirkung der zweiten Kündigung. Ein entsprechender Angriff ist auch nicht zur Wahrung der Klagefrist erforderlich.

(a) Der Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage erstreckt sich regelmäßig auf das Bestehen des Arbeitsverhältnisses noch im vorgesehenen Auflösungszeitpunkt. Zwar ist Gegenstand und Ziel der Beendigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die bestimmte, mit der Klage angegriffene Kündigung zu dem vom Arbeitgeber vorgesehenen Termin nicht aufgelöst worden ist. Falls der Klage stattgegeben wird, steht aber zugleich fest, dass das Arbeitsverhältnis vor oder bis zu diesem Termin auch nicht aufgrund irgendeines anderen Umstands geendet hat. Die einem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG stattgebende Entscheidung enthält zugleich die Feststellung, dass zum angestrebten Auflösungszeitpunkt ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien noch bestanden hat (BAG, 18. Dezember 2014 - 2 AZR 163/14, juris Rn 22; BAG, 24. Mai 2018 - 2 AZR 67/18, juris Rn 20; vgl. BAG, 5. Oktober 1995 - 2 AZR 909/94, juris Rn 31).

(b) Dementsprechend fiele eine mögliche Beendigungswirkung der zweiten Kündigung in den von dem Kündigungsschutzantrag gegen die erste Kündigung abgedeckten Zeitraum, für den der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses festzustellen ist. Mit der Antragsstattgabe würde festgestellt sein, dass das Arbeitsverhältnis jedenfalls bis einschließlich dem 30. April 2022 bestanden hat und somit die zweite, zum 30. März 2022 ausgesprochene Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet haben kann.

(c) Eine Kündigungsschutzklage ist vorliegend nicht deshalb zur Interessenwahrung erforderlich, weil ansonsten wegen der zweiten Kündigung die Klagefrist aus § 4 Satz 1 KSchG nicht gewahrt sein würde. Die dreiwöchige Klagefrist findet nur bei einer dem Arbeitgeber zurechenbaren Kündigung Anwendung (BAG, 26. März 2009 - 2 AZR 403/07, juris Rn 19). Die zweite Kündigung ist der Beklagten nicht zurechenbar. Die Kündigung muss durch die zur Kündigungserklärung berechtigte Person erfolgen. Das sind grundsätzlich die Parteien des Arbeitsverhältnisses (APS-Preis, 6. Auflage 2021, 1. Teil D Rechtsgeschäftliche Grundlagen, Rn 61). Die zweite Kündigung ist aber von der Vorarbeitgeberin erklärt, die nach dem jedenfalls im Zeitpunkt der Eintragung der Verschmelzung und einem damit verbundenen Übergang der Leitungsmacht über den Betrieb am 15. Dezember 2021 eingetretenen Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte (vgl. §§ 20, 35a Umwandlungsgesetz (UmwG), § 613a BGB) im Zeitpunkt des Kündigungszugangs am 23. Dezember 2021 nicht mehr Arbeitgeberin der Klägerin war. Ein Tatbestand, aus dem sonst eine Zurechnung der von der Vorarbeitgeberin erklärten zweiten Kündigung zur Beklagten folgen könnte, ist weder geltend gemacht noch ersichtlich.

(4) Die vorgenommene Auslegung wahrt die Interessen der Beklagten. Durch die vorgenommene Auslegung wird die Klage nicht erweitert. Vielmehr war die Nichtauflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum 30. April 2023 bereits erstinstanzlich Thema des Rechtsstreits. Bereits durch die Kündigungsschutzklage gegen die erste Kündigung war der Fortbestand bis zum 30. April 2022 streitig gestellt. In einer Beendigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG liegt zugleich der Angriff gegen solche Kündigungen, die dem Arbeitnehmer noch während des Laufs der von der ersten Kündigung ausgelösten Auflösungsfrist zugehen und innerhalb dieser Frist Wirkung entfalten sollen. Ergibt sich weder aus der Klagebegründung noch aus sonstigen Erklärungen des Arbeitnehmers oder in den Rechtsstreit eingeführten Umständen, dass er den Gegenstand der Beendigungsschutzklage auf die Wirksamkeit der konkret angegriffenen Kündigung beschränken will, muss der Arbeitgeber davon ausgehen, der Arbeitnehmer wende sich mit seiner Klage zugleich gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch mögliche andere Tatbestände bis zu dem in der angegriffenen Kündigung vorgesehenen Auflösungstermin (BAG 18. Dezember 2014 - 2 AZR 163/14, juris Rn 23; BAG, 24. Mai 2018 - 2 AZR 67/18, juris Rn 21).

(5) Eine Klageerweiterung liegt mit der allgemeinen Feststellungsklage vor, insoweit diese den Bestand des Arbeitsverhältnisses über den 30. April 2022 hinaus bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung über die Berufung am 17. November 2023 zur gerichtlichen Feststellung stellt. Insoweit bedarf es aber keiner Prüfung der Zulässigkeit. Dieser Antrag fällt infolge des Obsiegens der Klägerin mit dem Kündigungsschutzantrag gegen die erste Kündigung nicht zur Entscheidung an. Dementsprechend bedarf es keiner abschließenden Prüfung, ob – wie es die Beklagte geltend macht – eine Auslegung als allgemeine Feststellungsklage im Hinblick darauf ausscheidet, dass die Klägerin erstinstanzlich eine Feststellungsklage angekündigt, dann aber nicht gestellt habe.

2. Auf die von der Klägerin gegen die passiv legitimierte Beklagte erhobene Kündigungsschutzklage hin ist die Unwirksamkeit der ersten Kündigung festzustellen. Die erste Kündigung ist unwirksam, weil sie wegen des Betriebsübergangs erklärt ist.

a. Die Beklagte ist, wie es das Arbeitsgericht angenommen hat, für die Kündigungsschutzklage passiv legitimiert. Dies folgt jedenfalls daraus, dass sie in Anwendung von § 20 Absatz 1 Nummer 1 Umwandlungsgesetz (UmwG) infolge der Verschmelzung Gesamtrechtsnachfolgerin der Vorarbeitgeberin geworden ist. Deshalb ist sie an die Stelle der Vorarbeitgeberin als die ansonsten für den Kündigungsrechtsstreit passiv legitimierte Arbeitgeberpartei (vgl. BAG, 13. April 2000 - 2 AZR 215/99, juris Rn 14) getreten (vgl. zu im Zeitpunkt der Verschmelzung schwebenden Prozessen: Grunewald in: Lutter, Umwandlungsgesetz, 7. Auflage 2024, § 20 Rn 44).

b. Ein Arbeitsverhältnis mit der kündigenden Arbeitgeberpartei im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung, wie es nach der unter II 1 b 2 dargestellten Rechtsprechung Erfolgsvoraussetzung der Kündigungsschutzklage ist, kann vorliegend festgestellt werden. Die Beklagte und die Klägerin mit ihrem Hauptvorbringen machen einen Übergang des Arbeitsverhältnisses von der Vorarbeitgeberin auf die Beklagte infolge Verschmelzung zum 15. Dezember 2021 geltend. Danach bestand das Arbeitsverhältnis am 9. Dezember 2021, als die erste Kündigung zuging, noch zur kündigenden Vorarbeitgeberin.

c. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Kündigung nicht bereits deshalb unwirksam, weil eine soziale Rechtfertigung im Sinne von § 1 KSchG erforderlich sein würde. Diese Vorschrift war im Zeitpunkt des Kündigungszugangs nicht auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin anzuwenden. Anwendungsvoraussetzung von § 1 KSchG ist nach § 23 Absatz 1 KSchG, dass entweder regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt sind, oder dass die klagende Partei einer von fünf ArbeitnehmerInnen ist, deren Beschäftigung vor dem 1. Januar 2004 begann. Beides hat die Klägerin für die Betriebsstätte in Berlin nicht behauptet. Von der Anzahl der Beschäftigten bei der Beklagten kann für die Beurteilung der ersten Kündigung nicht ausgegangen werden. Maßgebend sind die Verhältnisse im Zeitpunkt des Kündigungszugangs. Damals waren die Vorarbeitgeberin und die Beklagte noch zwei gesonderte Unternehmen.

d. Die Kündigung ist unwirksam, weil sie wegen des Betriebsübergangs erklärt ist.

aa. Nach § 613a Absatz 4 BGB ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils unwirksam. Das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen bleibt unberührt. Die Vorschrift beruht auf Art. 4 Absatz 1 Betriebsübergang-RL (RL 2001/23/EG). Danach stellt der Übergang eines Unternehmens, Betriebs oder Unternehmens- bzw. Betriebsteils als solcher für den Veräußerer oder den Erwerber keinen Grund zur Kündigung dar. Diese Bestimmung steht etwaigen Kündigungen aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich bringen, nicht entgegen.

bb. Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts enthält § 613a Absatz 4 BGB ein eigenständiges Kündigungsverbot (BAG, 18. Juli 1996 - 8 AZR 127/94, juris Rn 13) als ein vom Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes gerade unabhängiges Kündigungsverbot im Sinne von § 13 Absatz 3 KSchG, § 134 BGB (BAG, 20. Juli 2023 - 6 AZR 228/22, juris Rn 42). Eine Kündigung erfolgt wegen des Betriebsübergangs, wenn dieser der tragende Grund, nicht nur der äußere Anlass für die Kündigung ist. § 613 a Absatz 4 BGB hat gegenüber § 613 a Absatz 1 BGB Komplementärfunktion. Die Norm soll als spezialgesetzliche Regelung des allgemeinen Umgehungsverbots verhindern, dass der in § 613 a Absatz 1 BGB angeordnete Bestandsschutz durch eine Kündigung unterlaufen wird. Das Kündigungsverbot ist dann nicht einschlägig, wenn es neben dem Betriebsübergang einen sachlichen Grund gibt, der "aus sich heraus" die Kündigung zu rechtfertigen vermag. Es schützt nicht vor Risiken, die sich jederzeit unabhängig vom Betriebsübergang aktualisieren können (BAG, 18. Juli 1996 - 8 AZR 127/94, juris, Rn 14).

Wegen eines Betriebsübergangs wird die Kündigung nur dann ausgesprochen, wenn der Betriebsübergang die überwiegende Ursache der Kündigung bildet. Der Betriebsübergang muss Beweggrund für die Kündigung gewesen sein. Dabei ist ausschließlich auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung, also bei Zugang der Kündigung abzustellen (BAG, 26. August 1999 - 8 AZR 827/98, juris Rn 11).

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des EuGHs zur Betriebsübergang-RL. Danach sind, um zu bestimmen, ob die Kündigung unter Verstoß gegen deren Art. 4 Absatz 1 allein durch den Übergang begründet war, die objektiven Umstände zu berücksichtigen, unter denen die Kündigung erfolgt ist (EuGH 7. August 2016, C-472/16, Colino Sigüenza, Rn 53).

Es ist Sache des Arbeitnehmers darzulegen und ggf. zu beweisen, dass die Kündigung wegen eines Betriebsübergangs ausgesprochen wurde (BAG, 18. Oktober 2012 - 6 AZR 41/11, juris Rn 39). Wenn die Unwirksamkeit der Kündigung nur davon abhängt, ob das Kündigungsverbot des § 613 a Absatz 4 Satz 1 BGB eingreift, muss der Arbeitnehmer die Voraussetzungen dieser Vorschrift darlegen und beweisen (BAG, 5. Dezember 1985 - 2 AZR 3/85, juris Rn 27). Dabei ist aber nicht die Bezeichnung des Kündigungsgrundes durch den Arbeitgeber maßgebend, sondern ob tatsächlich der Betriebsübergang der tragende Grund für die Kündigung gewesen ist (BAG, 28. April 1988 - 2 AZR 623/87, juris Rn 52).

cc. Auf die Kündigung im Kleinbetrieb außerhalb der Anwendbarkeit von § 1 KSchG angewandt bedeutet dies, dass der Arbeitgeber dann kündigen kann, ohne gegen § 613a Absatz 4 BGB zu verstoßen, wenn er dafür eine nachvollziehbare Begründung hat, die den Verdacht einer Kündigung wegen des Betriebsübergangs ausschließt (LAG Köln, 3. März 1997 - 3 Sa 1063/96, LAGE § 613a BGB Nummer 59). Hat der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit nach § 613a Abs. 4 BGB zu beweisen, so genügt als erstes Indiz der Hinweis auf den zeitlichen Zusammenhang mit dem Betriebsübergang. Zur Widerlegung des Indizes reicht jede nachvollziehbare Begründung, die einen sachlichen Grund dafür enthält, dass die Kündigung nur äußerlich formal mit dem Betriebsübergang verbunden, nicht aber materiell wegen des Betriebsübergangs erfolgt ist (KR-Treber/Schlünder, 13. Auflage 2022, § 613a BGB, Rn 110). Kann der Arbeitnehmer aus dem zeitlichen und funktionellen Zusammenhang im Einzelfall Tatsachen nachweisen, die die Kausalität mit genügender Wahrscheinlichkeit darstellen, so ist eine tatsächliche Vermutung für eine Kündigung wegen des Betriebsübergangs zu bejahen, die der Arbeitgeber entkräften muss. Die Vermutung kann jedoch durch eine „nachvollziehbare“ Begründung widerlegt werden (APS/Steffan, 6. Auflage 2021, BGB § 613a Rn. 260; Preis, NZA 1997, 1256, 1263). Angenommen wird, es könne dem Arbeitnehmer der Beweis des ersten Anscheins zur Seite stehen, sofern der zeitliche und funktionelle Zusammenhang zwischen Kündigung und Betriebsübergang die notwendige Kausalität mit genügender Wahrscheinlichkeit belege; sodann müsse der Arbeitgeber einen atypischen Kausalverlauf (andere Kündigungsgründe, tragende Erwägungen) beweisen (Wemheuer, in: Gallner/Mestwerdt/ Nägele, Kündigungsschutzrecht, 7. Auflage 2021, BGB § 613a Rn 132; ähnlich: AR-Bayreuther, 10. Auflage 2021, § 613a BGB, Rn 169; insoweit ablehnend: Willemsen/Müller-Bonanni in: HWK, 10. Auflage 2022, § 613a BGB, Rn 374).

dd. In Anwendung dieser Grundsätze ist, wie es das Arbeitsgericht angenommen hat, von einer unwirksamen Kündigung wegen des Betriebsübergangs auszugehen.

(1) Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Kündigung und Betriebsübergang besteht.

(a) Das Vorliegen eines Betriebsübergangs ist unstreitig. Der Ausspruch der Kündigung, auf den nach den allgemeinen Grundsätzen abzustellen ist, erfolgte am 9. Dezember 2021 und damit in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Betriebsübergang am 15. Dezember 2021. Zu diesem Zeitpunkt stand aufgrund des Verschmelzungsvertrags und der Anmeldung der Verschmelzung zur Eintragung fest, dass ein Betriebsübergang zeitnah erfolgen sollte. Das Unterrichtungsschreiben aus September 2021 zeigt, dass die Vorarbeitgeberin in ihrer Planung von einem Betriebsübergang im Dezember 2021 ausging.

(b) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist für die Feststellung des zeitlichen Zusammenhangs nicht der Eintritt der Beendigungswirkung mit Ablauf der Kündigungsfrist maßgebend. Dieser hängt nicht unmittelbar vom Betriebsübergang ab, sondern von der zu beachtenden Kündigungsfrist, wie sie durch vom Betriebsübergang unabhängige Umstände, nämlich der Beschäftigungsdauer, maßgeblich bestimmt wird. Nach dem Verständnis der Kammer missversteht die Beklagte die Literaturmeinung, die sie zur Stützung ihrer Auffassung heranzieht. Dort wird ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Kündigung und dem Übergang des Betriebs als gewichtiger Anhaltspunkt für eine entsprechende Motivation des Arbeitgebers als Bezugspunkt anerkannt. Soweit auf den Ablauf der Kündigungsfrist als zeitlicher Rahmen abgestellt wird, dürfte damit der Zusammenhang für den Fall verneint werden, dass Fristablauf und Beendigungswirkung bereits vor dem Betriebsübergang eingetreten sind (Richter, in: MHdB ArbR, 5. Aufl. 2021, § 143 Rn. 63f).

(2) Eine nachvollziehbare Begründung für die Kündigung, die den Verdacht einer Kündigung wegen des Betriebsübergangs ausschließt, weil sie einen sachlichen Grund dafür enthält, dass die Kündigung nur äußerlich formal mit dem Betriebsübergang verbunden, nicht aber materiell wegen des Betriebsübergangs erfolgt ist, hat die Beklagte nicht gegeben.

(a) Die Beanstandungen der Beklagten, die sie aus dem Verhalten der Klägerin bei dem Trainee-Programm herleitet, bestehen im Kern darin, dass die Klägerin nicht bereits mit einem bestimmten Computer-Programm für Präsentationen vertraut war und eine Fristsetzung durch E-Mail 1,5 Stunden vor Fristablauf nicht beachtet hat. Dies ist weit von einem Verhalten entfernt, die einen auf objektive Tatsachen abstellenden Arbeitgeber nachvollziehbar zu einer Kündigung bewegen könnten. Der Vortrag zu einem unfreundlichen und komplizierten Eindruck, den die Klägerin auf für die Durchführung des Trainee-Programm verantwortliche MitarbeiterInnen der Beklagten gemacht habe, ist vage und ebenfalls kein objektivierter sachlicher Grund, der den Verdacht eine Kündigung wegen Betriebsübergang ausschließen könnte.

(b) Die weitere Beanstandung, die Klägerin habe sich nicht im Vorfeld des Trainee-Programms Zugang zu einem von der Beklagten genutzten Computer-Programm verschafft, begründet ebenfalls keine Pflichtwidrigkeit der Klägerin, die objektiver Grund für die Kündigung sein könnte. Die Beklagte behauptet, die Vorarbeitgeberin habe im Vorfeld eine Möglichkeit geschaffen, den Zugang zu erlangen. Sie behauptet nicht, es sei eine entsprechende Anweisung erteilt worden.

(c) Auch aus dem Vorbringen zur Komplexität der von der Beklagten vertriebenen Software folgt kein objektiver Grund für die Kündigung. Die Beklagte hat nicht dargelegt, weshalb konkret diese Anforderungen eine Weiterbeschäftigung der Klägerin ausschließen sollen.

ee. Die von der Beklagten gegen die Anwendung des dargestellten Maßstabs vorgebrachten Argumente überzeugen nicht.

(1) Entgegen der Berufung kann nicht auf die vom Entscheidungsträger subjektiv angestellten Überlegungen abgestellt werden. Nach den dargestellten Grundsätzen geht es darum, ob ein anderer sachlicher Grund "aus sich heraus" die Kündigung zu begründen vermag. Abzustellen ist auf die objektiven Umstände, unter denen die Kündigung erfolgt ist. Dies sind gerade nicht von einer Person nach ihren eigenen Zweckmäßigkeitserwägungen angestellte Überlegungen. Vielmehr ist eine Rechtfertigung verlangt, die sachlich und objektiv den Betriebsübergang als Kündigungsgrund ausschließen.

(2) Der Hinweis auf die im Kleinbetrieb bestehende Kündigungsfreiheit überzeugt ebenfalls nicht. Das Kündigungsverbot aus § 613a Absatz 4 BGB beansprucht Geltung auch für Kleinbetriebe. Von der in Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 2 Betriebsübergangs-RL eingeräumten Möglichkeit, im bundesdeutschem Recht von Kündigungsschutz ausgenommene Personengruppen auch vom Kündigungsschutz wegen Betriebsübergang auszunehmen, hat der Umsetzungsgesetzgeber gerade keinen Gebrauch gemacht. Ein Eingriff in die durch die Geltungsvoraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes belassene Kündigungsfreiheit ist also notwendig mit § 613a Absatz 4 BGB verbunden. Maßgebend für dessen Reichweite ist, ob andere Umstände ein Recht zur Kündigung begründen können, vgl. § 613a Absatz 4 Satz 2 BGB, etwa wirtschaftliche, technische oder organisatorische Gründe, infolge derer der Betriebsübergang Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich bringt, vgl. Artikel 4 Absatz 1 Unterabsatz 1 Satz 2 Betriebsübergang-RL. Wie dargestellt, sind vorliegend entsprechende Gründe aber nicht feststellbar.

3. Das Arbeitsverhältnis hat nicht aufgrund anderer Umstände bis einschließlich des 30. April 2022 als dem vorgesehenen Auflösungszeitpunkt geendet. In Betracht kommt insoweit die zweite Kündigung. Diese kann aber das Arbeitsverhältnis nicht beenden. Wie unter II 1b 3 (c) ausgeführt hätte die Kündigung der Klägerin durch den aktuellen Arbeitgeber als zur Kündigungserklärung berechtigte Person erfolgen müssen. Die kündigende Vorarbeitgeberin war aber in dem maßgebenden Zeitpunkt des Zugangs der zweiten Kündigung am 23. Dezember 2021 infolge des jedenfalls zum 15. Dezember 2021 stattgefundenen Übergang des Arbeitsverhältnisses nicht mehr Arbeitgeberin der Klägerin.

4. Da die Klägerin mit der Kündigungsschutzklage obsiegt, ist der gemäß der Erklärung in der mündlichen Verhandlung nur hilfsweise aus ihrem erstinstanzlichen Antrag herzuleitende allgemeine Feststellungsantrag der Klägerin der Kammer nicht zur Entscheidung angefallen.

III.

Von den Nebenentscheidungen beruht die Entscheidung zur Kostentragungspflicht der mit ihrer Berufung erfolglosen Beklagten auf § 97 Absatz 1 ZPO.

Veranlassung, in Anwendung von § 72 Absatz 2 ArbGG die Revision zuzulassen, bestand nicht.

Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben.

Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird hingewiesen.