Gericht | OLG Brandenburg 1. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 05.06.2023 | |
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Aktenzeichen | 1 Ws 55/23 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2023:0605.1WS55.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die Beschwerde der Angeklagten (Name 03), (Name 02) und (Name 01) wird der Haftbefehl des Amtsgerichts Potsdam vom 17. Mai 2022 (78 Gs 633/22) gegen die Angeklagten (Name 03), (Name 02) und (Name 01), neu gefasst durch den Haftbefehl der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 7. November 2022, der gemäß der Haftverschonungsbeschlüsse des Landgerichts Potsdam vom 11. April 2023 jeweils außer Vollzug gesetzt ist, aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die den Angeklagten (Name 03), (Name 02) und (Name 01) darin entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.
I.
Die Angeklagten (Name 03), (Name 02) und (Name 01) wenden sich mit ihren bei Gericht am 5. April 2023 ((Name 03), (Name 02)) bzw. 6. April 2023 ((Name 01)) eingegangenen Haftbeschwerden gegen den Haftbefehl der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 7. November 2022 (24 KLs 10/22), mit dem der voraufgegangene Haftbefehl des Amtsgerichts Potsdam vom 17. Mai 2022 (78 Gs 633/22) ersetzt wurde. Die Beschwerdeführer befanden sich zum Zeitpunkt der Einlegung der Haftbeschwerde jeweils seit über zehn Monaten ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Den eingelegten Rechtsmitteln liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
1. Das Amtsgericht Potsdam hat am 17. Mai 2022 (78 Gs 633/22) gegen die am 16. Mai 2022 vorläufig festgenommenen Angeklagten (Name 03), (Name 02) und (Name 01) wegen gemeinschaftlich begangenen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, 25 Abs. 2 StGB) Haftbefehl erlassen, infolge dessen sie am 17. Mai 2022 in die Untersuchungshaft überführt wurden.
Mit dem Haftbefehl des Amtsgerichts Potsdam vom 17. Mai 2022 wurde dem Angeklagten (Name 03) vorgeworfen, er habe sich gemeinsam mit dem Mitangeklagten (Name 04) am 16. Mai 2022 gegen 15:30 Uhr zu einem an der (Adresse 01) in (Ort 01) geparkten, aus (Land 01) kommenden Kleintransporter der Marke Mercedes Sprinter (amtliches Kennzeichen: …) begeben und diesen mit dem von ihm geführten Pkw Nissan Micra (amtliches Kennzeichen: …) des (Name 04) zu dem Gewerbegrundstück in der (Adresse 02) in (Ort 02) gelotst. Dort hätten sie gemeinsam mit den unbekannt gebliebenen Lieferanten unter freiem Himmel zwei Paletten entladen, auf denen sich, von einer Tarnladung Acrylglas umhüllt, insgesamt 68 kg Marihuana befunden hätten. Anschließend habe sich der Angeklagte (Name 03) mit dem Nissan Micra entfernt und die Angeklagten (Name 02) und (Name 01) zu dem Gewerbegrundstück gelotst, damit jene das Marihuana zwecks gewinnbringender Weiterveräußerung dort abholen. Alle vier Angeklagten hätten aufgrund vorab getroffener Absprachen gehandelt und seien nicht im Besitz einer Erlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte für den Erwerb von Betäubungsmitteln.
Die vier Angeklagten seien der ihnen vorgeworfenen Tat dringend verdächtig aufgrund der Angaben der Zeugen Kriminalkommissar (Name 05), Zollamtmann (Name 06), Zolloberamtsrat (Name 07), Zollinspektorin (Name 08), Zolloberinspektor (Name 10) sowie aufgrund der Auffindesituation bezüglich der Betäubungsmittel bei ihrer vorläufigen Festnahme.
Das Amtsgericht Potsdam hat den Haftbefehl vom 17. Mai 2022 auf den Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gestützt.
Unter dem Datum des 23. September 2022 hat die Staatsanwaltschaft Potsdam gegen die Angeklagten (Name 03), (Name 02) und (Name 01) sowie gegen den Angeklagten (Name 04) Anklage vor der großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam erhoben.
Darin wird der Tatvorwurf bezüglich der Angeklagten (Name 03), (Name 02) und (Name 01) unter Vornahme weiterer Konkretisierungen, insbesondere zur Menge und Qualität der vorgefundenen Betäubungsmittel, im Wesentlichen identisch geschildert wie im Haftbefehl vom 17. Mai 2022. Bei den sichergestellten Betäubungsmitteln aus dem Lieferwagen habe es sich um (netto) 60,017 Kilogramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 9,215 Kilogramm THC gehandelt.
Dem Mitangeklagten (Name 04) wurde abweichend vom Haftbefehl des Amtsgerichts Potsdam vom 17. Mai 2022 vorgeworfen, ein bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) begangen zu haben, indem er zeitgleich auch weitere 217,25 Gramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 35,83 Gramm THC in seiner Wohnung in (Ort 01) aufbewahrt habe mit dem Ziel, es gewinnbringend weiterzuverkaufen. In unmittelbarer Nähe zu den im Kinderzimmer der Wohnung in einem Schrank befindlichen Betäubungsmitteln habe er einen Baseballschläger und eine Machete in weiteren Schränken in demselben Zimmer aufbewahrt.
Nach Eingang der Akten bei dem Landgericht Potsdam und Zuweisung der Sache im Turnusverfahren an die 4. große Strafkammer hat die Kammervorsitzende am 30. September 2022 die Zustellung der Anklageschrift an die Angeklagten und ihre Verteidiger unter Einräumung einer Stellungnahmefrist von zwei Wochen verfügt. Am 27. Oktober 2022 hat die Vorsitzende den Verteidigern mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, in der kommenden Woche über die Eröffnung des Verfahrens zu entscheiden und im Fall der Eröffnung Hauptverhandlungstage zu bestimmen. Die Vorsitzende hat die Verteidiger gebeten mitzuteilen, an welchen Sitzungstagen der Kammer (Dienstag, Mittwoch, Freitag) im Dezember 2022 und Januar 2023 sie verfügbar seien. Die Terminabsprache hat sich allerdings im Folgenden schwierig gestaltet.
Mit Beschluss vom 07. November 2022 hat die 4. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam die Anklage der Staatsanwaltschaft Potsdam unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.
Mit Beschluss vom selben Tag hat die 4. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam den Haftbefehl des Amtsgerichts Potsdam vom 17. Mai 2022 aufgehoben und einen neuen Haftbefehl gegen die Angeklagten (Name 03), (Name 02) und (Name 01) sowie den Angeklagten (Name 04) mit dem Vorwurf aus der Anklageschrift vom 23. September 2022 erlassen und diesen jeweils auf den Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gestützt. Der neue Haftbefehl ist den Angeklagten am 15. November 2022 verkündet worden.
In einem Vermerk ebenfalls vom 7. November 2022 hat die Vorsitzende dargelegt, dass die Kammer bis Ende November mit Verhandlungen ausgelastet und eine Terminierung ab der 49. Kalenderwoche geplant sei. Die Akten sind dem Brandenburgischen Oberlandesgericht über die Generalstaatsanwaltschaft zur Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft gemäß §§ 121, 122 StPO am 11. November 2022 vorgelegt worden.
Am 14. November 2022 hat die Gemeinsame Ermittlungsgruppe Rauschgift der Staatsanwaltschaft Potsdam mitgeteilt, dass die polnischen Ermittlungsbehörden den Nutzer des aus (Land 01) kommenden Lieferfahrzeuges Mercedes Sprinter (amtliches Kennzeichen: …) für den Tatzeitraum identifizieren konnten und es sich dabei um den in (Land 02) amtlich gemeldeten ukrainischen Staatsangehörigen (Name 11) handelt.
Mit Schreiben vom 16. November 2022 hat die Kammervorsitzende dem Senat mitgeteilt, dass die Kammer nunmehr beabsichtige, mit der Hauptverhandlung ab dem 6. Februar 2023 zu beginnen, nachdem im Ergebnis der Terminabsprachen mit den Verteidigern ein Beginn der Hauptverhandlung im Dezember 2022 oder Januar 2023 nicht möglich sei.
Der Senat hat im Überprüfungsverfahren nach §§ 121, 122 StPO mit Beschluss vom 23. November 2022 (1 Ws 133/22) die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.
Mit Schreiben vom 29. November 2022 hat die Kammervorsitzende den Verteidigern der vier Angeklagten sieben Hauptverhandlungstage beginnend ab dem 13. Februar 2023 bis zum 14. März 2023 (Beginn jeweils 9:00 Uhr) verbindlich mitgeteilt und um entsprechende Reservierung der Termine seitens der Verteidiger gebeten.
Am 20. Dezember 2022 ist die richterliche Verfügung zur Ladung der Verfahrensbeteiligten für sechs Hauptverhandlungstermine erfolgt, und zwar für den 13., 22. und 28. Februar 2023 sowie den 6., 7. und 14. März 2023. Der Beginn der Hauptverhandlungstage wurde jeweils auf 9:00 Uhr festgesetzt. Nicht anberaumt wurde der ursprünglich für den 10. März 2023 avisierte Hauptverhandlungstermin, da die Kammer wegen einer zwischenzeitlich entstandenen anderweitigen Verpflichtung an diesem Tag nicht verhandeln konnte.
Am 21. Dezember 2022 ist der Zeuge (Name 11) von der Kammervorsitzenden unter seiner Anschrift in (Land 02) für den Hauptverhandlungstag am 22. Februar 2023 geladen worden. Nachdem der Zeuge (Name 11) am 18. Januar 2023 mitgeteilt hatte, dass er nicht erscheinen werde, ist von ihm das Einverständnis zu einer Videovernehmung eingeholt worden.
Unter dem 2. Januar 2023 hat die Gemeinsame Ermittlungsgruppe Rauschgift der Staatsanwaltschaft Potsdam den Auswertebericht der Digitalen Forensik des Zollfahndungsamts Berlin-Brandenburg bezüglich des iPHones 12 des Angeklagten (Name 04) übermittelt.
Am 13. Februar 2023 hat die Hauptverhandlung von der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam begonnen.
Von den Verteidigern ist am ersten Hauptverhandlungstag beantragt worden, sämtliche Auswerteberichte hinsichtlich aller bei den Angeklagten beschlagnahmten Mobiltelefone beizuziehen und den Verteidigern zur Einsicht zu übersenden. Die Kammer hat daraufhin die für den 22. Februar 2023, 6. März 2023 und 7. März 2023 anberaumten Hauptverhandlungstermine aufgehoben sowie die Beiziehung der fehlenden Auswerteberichte veranlasst. In der Sitzung am 13. Februar 2023 sind dann nach Rücksprache mit den Verfahrensbeteiligten weitere Hauptverhandlungstermine zunächst für den 24. März 2023, 12. April 2023, 2. Mai 2023 und 16. Mai 2023 anberaumt worden. Die Hauptverhandlung dauert gegenwärtig an, es sind zwischenzeitlich weitere Termine bis zum 13. Juli 2023 festgesetzt worden.
Am 13. Februar 2023 ist von der Kammer zudem ein förmliches Rechtshilfeersuchen an die polnischen Behörden zwecks Durchführung der Videovernehmung des Zeugen (Name 11) gestellt worden.
Unter dem 20. Februar 2023 sind acht weitere Auswerteberichte bezüglich der beschlagnahmten Mobiltelefone von den Ermittlungsbehörden zur Akte gereicht worden. Diese Auswerteberichte sind den Verteidigern am 2. März 2023 auf Datenträgern zwecks Einsichtnahme zur Verfügung gestellt worden.
Mit Verfügung vom 24. Februar 2023 hat die Kammervorsitzende den Beginn des Hauptverhandlungstermins am 28. Februar von 9:00 Uhr auf 13:00 Uhr verlegt, weil der Kammer an diesem Tag erst nachmittags ein ausreichend großer Saal zur Verfügung gestanden hat.
Am 14. März 2023 und am 24. März 2023 hat die Hauptverhandlung planmäßig um 9:00 Uhr begonnen.
Am 24. März 2023 ist die Videovernehmung des Zeugen (Name 11) durchgeführt worden. Die Verhandlung ist an diesem Tag auf den Vormittag beschränkt worden, da in einem anderen Verfahren der Kammer am Nachmittag verhandelt worden ist.
Die Hauptverhandlung dauerte am 13. Februar 2023 von 9:16 Uhr bis 12:15 Uhr, am 28. Februar von 13:14 Uhr bis 16:27 Uhr, am 14. März 2023 von 9:25 Uhr bis 14:22 Uhr und am 24. März 2023 von 9:00 Uhr bis 13:16 Uhr.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 28. Februar 2023, eingegangen bei Gericht am 3. März 2023, hat der Angeklagte (Name 04) durch Rechtsanwalt (Name 12) gegen den Haftbefehl des Landgerichts Potsdam vom 7. November 2022 (24 KLs 10/22) Haftbeschwerde erhoben und beantragt, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise den Haftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug zu setzen.
Die 4. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam hat mit Verfügung des stellvertretenden Kammervorsitzenden vom 10. März 2023 der Haftbeschwerde des Angeklagten (Name 04) nach Kammerberatung nicht abgeholfen.
Auf schriftliche Nachfrage des Senats vom 22. März 2023 hat die Kammervorsitzende am 27. März 2023 mitgeteilt, dass die anberaumten Termine am 24. März 2023, 12. April 2023, 2. und 16. Mai 2023 die einzigen Tage gewesen seien, an denen alle Kammermitglieder und jeweils mindestens ein Verteidiger pro Angeklagten teilnehmen konnten. Neben der hohen anderweitigen Auslastung der Verteidiger habe auch Rücksicht auf den bereits gebuchten Auslandsurlaub einer Schöffin vom 17. April 2023 bis zum 30. April 2023 und auf eine Fortbildungsveranstaltung eines Richters in (Ort 02) vom 27. März bis zum 31. März 2023 Rücksicht genommen werden müssen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 5. April 2023 (1 Ws 34/23) den Haftbefehl gegen den Angeklagten (Name 04) aufgehoben und dessen Entlassung aus der Untersuchungshaft angeordnet. Bezüglich der Begründung wird auf die Ausführungen im Senatsbeschluss vom 5. April 2023 (1 Ws 34/23) verwiesen.
Mit Anwaltsschriftsatz jeweils vom 5. April 2023, eingegangen bei Gericht am selben Tag, haben der Angeklagte (Name 03) durch Rechtsanwalt (Name 13) und der Angeklagte (Name 02) durch Rechtsanwalt (Name 14) gegen den Haftbefehl des Landgerichts Potsdam vom 7. November 2022 (24 KLs 10/22) Haftbeschwerde erhoben und beantragt, den Haftbefehl aufzuheben. Mit Anwaltsschriftsatz vom 6. April 2023, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat der Angeklagte (Name 01) durch Rechtsanwalt (Name 15) gegen den Haftbefehl des Landgerichts Potsdam vom 7. November 2022 (24 KLs 10/22) Haftbeschwerde erhoben und beantragt, den Haftbefehl aufzuheben.
Die 4. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam hat mit Beschluss vom 11. April 2023 den Haftbefehl gegen die Angeklagten (Name 03), (Name 02) und (Name 01) jeweils außer Vollzug gesetzt und den Haftbeschwerden im Übrigen nicht abgeholfen. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass „das Gewicht des vom Senat angenommenen möglichen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot sich als eher gering herausstellen dürfte, ein solcher am Ende nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann.“ Danach sei es geboten, den Haftbefehl jeweils unter Auflagen außer Vollzug zu setzen.
Die Kammer hat die Sache über die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg dem Senat zur Entscheidung vorgelegt, wo sie am 3. Mai 2023 eingegangen ist. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 28. April 2023 beantragt, die Haftbeschwerden der Angeklagten (Name 03), (Name 02) und (Name 01) als unbegründet zu verwerfen. Der Angeklagte (Name 02) hat mit Anwaltsschriftsatz vom 6. Mai 2023, der Angeklagte (Name 03) mit Anwaltsschriftsatz vom 23. Mai 2023 zum Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Stellung genommen.
II.
Die nach § 304 Abs. 1 StPO statthaften sowie form- und fristgerecht eingelegten Beschwerden sind zulässig und haben auch in der Sache Erfolg.
1. Die Angeklagten (Name 03), (Name 02) und (Name 01) sind allerdings weiterhin der dem Haftbefehl der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 7. November 2022 zugrunde liegenden Tat dringend verdächtig im Sinne von § 112 Abs. 1 StPO.
Der dringende Tatverdacht liegt weiterhin aufgrund der in der Anklageschrift vom 23. September 2022 aufgeführten Beweismittel vor. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Senats die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang durch das Beschwerdegericht überprüfbar ist. Allein das Tatgericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen, zu würdigen und auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme (vgl. nur Senatsbeschluss vom 25. März 2019, 1 Ws 44/19; BGH StV 1991, 525; OLG Karlsruhe, Justiz 2003, 475).
Das Beschwerdegericht kann nur dann in die Beurteilung des dringenden Tatverdachts durch das Tatgericht eingreifen und diese durch eine eigene Bewertung ersetzen, wenn sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Entscheidung fehlerhaft oder in tatsächlicher oder in rechtlicher Hinsicht nicht vertretbar ist (vgl. BGH StV 2004, 143; StV 1991, 525; OLG Karlsruhe a.a.O.; KG StV 2001, 689; KG StV 1993, 252; OLG Koblenz StV 1994, 316).
Ein solcher Fall liegt hier nicht vor; nach den oben aufgeführten Grundsätzen sind Anhaltspunkte, die gegen die Bejahung des dringenden Tatverdachts sprechen könnten, weder ersichtlich noch von den Beschwerden vorgetragen worden.
2. Es kann dahinstehen, ob hinsichtlich der Angeklagten (Name 03), (Name 02) und (Name 01) weiterhin jeweils der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO besteht.
3. Die Aufrechterhaltung der Haftbefehle erweist sich jedenfalls infolge vermeidbarer, den Angeklagten nicht zuzurechnender Verfahrensverzögerungen nach dem Haftfortdauerbeschluss des Senats vom 23. November 2023, die in einer Gesamtschau des Verfahrens mit dem Recht der Angeklagten auf Beachtung des im rechtsstaatlichen Verfahren verankerten Beschleunigungsgebots nicht mehr vereinbar sind, als unverhältnismäßig. Unabhängig von der Höhe der zu erwartenden Strafe ist ein - auch ein außer Vollzug gesetzter - Haftbefehl aufzuheben, wenn eine vom Beschuldigten nicht zu vertretende Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes eingetreten ist (vgl. BVerfG NJW 2006, 668).
a) Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist stets das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Grundsätzlich darf nur einem rechtskräftig Verurteilten die Freiheit entzogen werden. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist, nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt.
Die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte müssen daher alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch Verfahrensverzögerungen verursacht ist, die ihre Ursache nicht in dem konkreten Strafverfahren haben und daher von dem Beschuldigten nicht zu vertreten, sondern vermeidbar und sachlich nicht gerechtfertigt sind. Entsprechend dem Gewicht der zu ahndenden Straftat können zwar kleinere Verfahrensverzögerungen die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung können aber bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft dienen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2014, 2 BvR 1457/14, zitiert nach juris, Rn. 21, 22).
Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts kann vor diesem Hintergrund niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein. Vielmehr kann die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts selbst dann die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht rechtfertigen, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt. Die Überlastung eines Gerichts fällt – anders als unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse – in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Dem Beschuldigten darf nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 23).
Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben sind auch für einen außer Vollzug gesetzten Haftbefehl zu beachten (BVerfG NJW 1980, 1448). Allein die Existenz eines - außer Vollzug gesetzten - Haftbefehls stellt für den Beschuldigten eine erhebliche Belastung dar, weil sich mit ihm regelmäßig die Furcht vor einem erneuten Vollzug verbindet (BVerfG NJW 1980, 1448).
b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe verkennt der Senat nicht, dass das Ermittlungsverfahren zügig geführt wurde. Die Anklageerhebung gut vier Monate nach der Inhaftierung der Angeklagten (Name 03), (Name 02) und (Name 01) ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Auch hat die – gerichtsbekannt hochbelastete – 4. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam das Verfahren zunächst angemessen gefördert.
c) Im Anschluss an den Haftfortdauerbeschluss des Senats vom 23. November 2022 kam es jedoch zu erheblichen Verfahrensverzögerungen, die der Justiz zuzurechnen und mit dem Gebot der Verfahrensbeschleunigung in Haftsachen nicht mehr vereinbar sind. Die Strafkammer hätte angesichts des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen für eine effiziente Verfahrensplanung und Durchführung der Hauptverhandlung Sorge tragen müssen.
aa) Eine in Anbetracht der zu diesem Zeitpunkt bereits lang andauernden Untersuchungshaft der Angeklagten (Name 03), (Name 02) und (Name 01) erhebliche Verfahrensverzögerung ist bereits darin zu erkennen, dass das Landgericht Potsdam nicht schon am 29. November 2022 die mit den Verteidigern abgestimmten Termine für die Hauptverhandlung anberaumt und den Auslandszeugen (Name 11) geladen hat, dessen Anschrift bereits bekannt war. Die durch das erst am 13. Februar 2023 gestellte Rechtshilfeersuchen eingetretene Verzögerung, die dazu geführt hat, dass der Zeuge (Name 11) erst am 24. März 2023 vernommen werden konnte, wäre bei vorausschauender Planung der Hauptverhandlung zu vermeiden gewesen.
bb) Auch nach der richterlichen Verfügung zur Ladung der Verfahrensbeteiligten erst drei Wochen nach dem 29. November 2023, nämlich am 20. Dezember 2022, ist die Sache nicht mit dem gebotenen Nachdruck betrieben worden. Spätestens mit Eingang des Auswerteberichts der Digitalen Forensik des Zollfahndungsamts Berlin-Brandenburg bezüglich des iPHones 12 des Angeklagten (Name 04) Anfang Januar 2023 wäre es erforderlich gewesen, den Sachstand bezüglich der noch ausstehenden, ersichtlich für die Aufklärung relevanten Auswerteberichte zu erfragen. Gegebenenfalls wäre dafür Sorge zu tragen gewesen, dass die entsprechenden Berichte zumindest zu einem Zeitpunkt zur Verfügung gestanden hätten, der den Verteidigern noch vor Beginn der Hauptverhandlung eine entsprechende Akteneinsicht ermöglicht hätte. Soweit die Kammer in ihren Haftverschonungsbeschlüssen vom 11. April 2023 ausführt, sie habe bis zu den entsprechenden Anträgen der Verteidigung keinen Anlass gesehen, auf den Inhalt der Auswerteberichte zurückzugreifen, da diese nach vorläufiger Bewertung nicht relevant waren, erschließt sich dies dem Senat vor dem Hintergrund einer grundsätzlich durchaus wahrscheinlich festzustellenden Kommunikation zwischen den Angeklagten im tatrelevanten Zeitraum nicht. Dabei liegt auf der Hand, dass der Versuch der Feststellung tatrelevanter – oder auch entlastender - Kommunikation zwischen den Angeklagten, die sich bis zum Beginn der Hauptverhandlung zu den Tatvorwürfen noch nicht eingelassen hatten, zur Wahrheitsfindung – insbesondere auch zur Bewertung möglicher unterschiedlicher Tatbeiträge - unerlässlich gewesen ist.
Es ist vor diesem Hintergrund mit dem verfassungsrechtlich zu beachtenden Beschleunigungsgebot nicht vereinbar, dass die Hauptverhandlung nach gegenwärtigem Sachstand erst am 13. Juli 2023 beendet sein wird. Die Aufrechterhaltung der Haftbefehle gegen die Angeklagten (Name 03), (Name 02) und (Name 01) ist unverhältnismäßig.
Die verfassungsrechtliche Rechtsprechung verlangt, dass in umfangreicheren Haftsachen im Ergebnis einer effizienten Verfahrensplanung in ausreichendem Umfang Hauptverhandlungstage stattfinden. Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot regelmäßig vorliegt, wenn nicht mindestens an einem Tag in der Woche beziehungsweise an weniger als vier Tagen im Monat verhandelt wird (BVerfG, StV 2008, 198).
In den ersten sieben Wochen der Hauptverhandlung ist lediglich an vier Hauptverhandlungstagen verhandelt worden. Hinzu kommt, dass die geringe Anzahl an Hauptverhandlungsterminen nicht dadurch ausgeglichen wird, dass an diesen Tagen besonders aufwändige Verhandlungen durchgeführt worden sind. Insgesamt ist 15 Stunden und 25 Minuten verhandelt worden, was eine Verhandlungsdauer von im Schnitt lediglich weniger als vier Stunden bedeutet. Die Ursachen für die kurze Dauer der Hauptverhandlungstermine liegen dabei vorwiegend in der Sphäre der Justiz, etwa die beschränkte Möglichkeit der Saalnutzung am 28. Februar 2023 oder die weitere durchzuführende Hauptverhandlung am 24. März 2023. Durch die tatsächliche Unterschreitung der ursprünglich geplanten Hauptverhandlungsdauer wird die vorstehend bereits für die Hauptverhandlungsplanung festgestellte Verfahrensverzögerung weiter vertieft.
Der Wegfall der Hauptverhandlungstermine vom 22. Februar 2023, 6. und 7. März 2023 beruht auf einem der Justiz anzulastenden Fehler. Die Aufhebung der drei genannten Hauptverhandlungstermine ist nicht dem Verhalten der Verteidiger geschuldet, die lediglich ihr Recht auf vollständige Akteneinsicht geltend gemacht haben, sondern der oben geschilderten unzureichenden Vorbereitung der Hauptverhandlung seitens der Kammer.
In der Zeit von Ende März bis zum 16. Mai 2023 ist nur an drei Hauptverhandlungsterminen verhandelt worden (12. April 2023, 2. und 16. Mai 2023); im Monat April 2023 fand lediglich an einem Tag die Hauptverhandlung statt. Soweit die weiterhin sehr geringe Hauptverhandlungsdichte auf die Verhinderung der Verteidiger wegen anderweitiger Verpflichtungen zurückzuführen war, wird die Verantwortlichkeit der eintretenden Verfahrensverzögerung nicht maßgeblich in die Sphäre der Angeklagten (Name 03), (Name 02) und (Name 01) verlagert. Zwar ist grundsätzlich auch die Verteidigung gehalten, in ihrer Terminplanung ausreichenden Raum für die Wahrnehmung der Hauptverhandlung der Mandanten zu belassen. Von den Verteidigern konnte vorliegend jedoch nicht erwartet werden, dass sie sich mehrere Fortsetzungstermine freihalten, da die Fortsetzungstermine durch eine unzureichende Vorbereitung der Hauptverhandlung notwendig geworden waren. Die geringe Terminierungsdichte ist hier nicht vorwiegend auf Verhinderungen der Verteidiger zurückzuführen, die nicht bei effizienter Planung der Hauptverhandlung weitgehend hätten vermieden werden können.
Die Strafkammer wäre im Übrigen bei der gegebenen Sachlage nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehalten gewesen, bei der Terminierung Flexibilität zu zeigen, etwa durch Verschiebung von Terminen in anderen Verfahren (BVerfG, Beschluss vom 18.02.2020 – 2 BvR 2090/19 – BeckRS 2020, 2100).
Dahinstehen kann in diesem Zusammenhang, welchen Einfluss der Auslandsurlaub der Schöffin auf die Terminierung der Fortsetzungstermine gehabt hat. Denn es ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht hinnehmbar, dass die Strafkammer in der Zeit vom 13. Februar 2023 bis zum 16. Mai 2023 – mithin in einem Zeitraum von mehr als drei Monaten – nur an insgesamt sieben Tagen einen Hauptverhandlungstermin durchführt, wobei an den ersten vier Terminen die Dauer der Hauptverhandlung durchschnittlich nur weniger als vier Stunden betrug und - wie oben erwähnt - im April 2023 lediglich ein Hauptverhandlungstermin stattgefunden hat.
Die eingetretenen und bevorstehenden Verzögerungen können nicht mit der dem Senat bekannten sehr hohen Belastung der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam gerechtfertigt werden. Die Überlastung der Strafkammer ist allein der Sphäre des Gerichts und nicht der des Angeklagten zuzurechnen. Der hohe Geschäftsanfall ist nicht unvorhersehbar kurzfristig eingetreten und nur von vorübergehender Dauer. Die Sicherstellung einer beschleunigten Bearbeitung von Haftsachen hätte rechtzeitig durch geeignete gerichtsorganisatorische Maßnahmen der Justiz erfolgen müssen.
In der Gesamtschau liegt ein erheblicher Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot vor, bei dem – wie oben dargelegt – allein die Schwere der Taten und die sich daraus ergebende Straferwartung weder die Fortdauer einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft noch die Aufrechterhaltung eines Haftbefehls unter Außervollzugsetzung gegen Auflagen rechtfertigen können.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1, 2 StPO.