Gericht | OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 11.01.2024 | |
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Aktenzeichen | 13 UF 51/23 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2024:0111.13UF51.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 15.02.2023 - 28 F 147/22 - wird zurückgewiesen.
2. Der Beteiligte zu 2) hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 2.000 Euro festgesetzt.
4. Der Antrag des Beteiligten zu 2) auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die Rechtsverfolgung im zweiten Rechtszug wird abgewiesen.
I.
Der Beteilige zu 2) wendet sich gegen die Feststellung, nicht der Vater des betroffenen Kindes J… zu sein.
Der nicht mit J…s Mutter verheiratete Beteiligte zu 2) hat die Vaterschaft zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor dem 05.07.2018 anerkannt (Bl. 4, 8). J... lebt seit seiner Geburt in einer Pflegefamilie. Seinen zunächst gemeinsam sorgeberechtigten Eltern wurde die elterliche Sorge durch Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 05.07.2018 - 146 F 6666/18 - entzogen und Vormundschaft des zuständigen Jugendamts Lichtenberg von Berlin angeordnet (Bl. 4).
Mit verfahrenseinleitendem Antrag vom 27.05.2022 (Bl. 2) hat J..., vertreten durch seinen Vormund, beantragt, festzustellen, dass er nicht das Kind des Beteiligten zu 2) ist. Seine Mutter habe in einem Gespräch im Jugendamt Lichtenberg von Berlin am 20.01.2022 erklärt, mit dem Beteiligten zu 2) während der Empfängniszeit vom 24.11.2016 bis zum 23.03.2017 keinen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Der Vormund habe hiervon erstmals am 20.01.2022 Kenntnis erlangt.
Das antragstellende Kind hat beantragt (Bl. 81, 2),
festzustellen, dass es nicht von dem Beteiligten zu 2) abstammt.
Der Beteiligte zu 2) hat beantragt (Bl. 81, 15),
den Antrag abzuweisen.
Er hat sich auf den Ablauf der Anfechtungsfrist nach § 1600b BGB berufen. Die Mutter habe offenbar bereits zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes Kenntnis vom angeblichen Nichtbestehen der Vaterschaft gehabt. Außerdem diene die Anfechtung der Vaterschaft nicht dem Wohl des Kindes, da er mit J... seit dessen Geburt sozial-familiär verbunden sei, für ihn Verantwortung trage und regelmäßig Umgang pflege.
Das Amtsgericht hat durch Beweisbeschluss vom 23.08.2022 (Bl. 39) die Einholung eines Abstammungsgutachtens beschlossen, woraufhin das schriftliche Gutachten vom 03.11.2022 (Bl. 50) vorgelegt worden ist, auf dessen Inhalt der Senat verweist. Die Begutachtung kommt zum Ergebnis, dass eine Vaterschaft des Beteiligten zu 2) ausgeschlossen ist.
Durch die angefochtene Entscheidung vom 15.02.2023 (Bl. 89) hat das Amtsgericht nach Durchführung eines Erörterungstermins (Bl. 80), zu dem die Beteiligte zu 1) nicht erschienen ist, festgestellt, dass dieser nicht der Vater des Antragstellers ist. Für den Lauf der Anfechtungsfrist des § 1600 Abs. 1 BGB hat das Amtsgericht auf die Kenntniserlangung des Vormunds zu dem von diesem dargelegten Zeitpunkt abgestellt.
Mit seiner Beschwerde vom 17.02.2023 (Bl. 95) verfolgt der Beteiligte zu 2) sein Ziel einer Abweisung des Feststellungsantrags weiter. Die Anfechtungsfrist des § 1600 b Abs. 1 BGB sei mit der Geburt des Kindes in Gang gesetzt worden und daher seit dem 20.09.2019 verstrichen, jedenfalls aber mindestens seit Ablauf von zwei Jahren seit Übernahme der Vormundschaft des Jugendamts Lichtenberg von Berlin. Der Vormund habe möglicherweise bereits zu jenem Zeitpunkt Kenntnis vom angeblichen Nichtbestehen der Vaterschaft erlangen können. Es sei fernliegend, dass die Beteiligte zu 1) dies dem Vormund nicht bereits früher mitgeteilt habe. Hierzu sei die Beteiligte zu 1) persönlich anzuhören. Weiter diene die Anfechtung nicht dem Wohl des Kindes, da er seine Vaterrolle bislang ausgefüllt habe und dies auch weiterhin zu tun gedenke.
Der Senat hat durch Beschluss vom 13.09.2023 (Bl. 37 OLG-Akte, im Folgenden: OLG) die öffentliche Zustellung der angefochtenen Entscheidung sowie des weiteren Schriftwechsels im zweiten Rechtszug an die Beteiligte zu 1) angeordnet, nachdem er deren Aufenthalt und ladungsfähige Anschrift nicht ermitteln konnte.
Er entscheidet, wie angekündigt (Bl. 19, 43), über die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung, § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG, von der aufgrund des umfangreichen Schriftwechsels der Beteiligten im zweiten Rechtszug ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten war. Die Beteiligte zu 1) ist unbekannten Aufenthalts; eine Nachholung ihrer erstinstanzlich unterbliebenen persönlichen Anhörung konnte deshalb mangels ladungsfähiger Anschrift nicht erfolgen.
II.
Die nach §§ 58 ff. FamFG statthafte und zulässige Beschwerde des Beteiligten zu 2) ist in der Sache nicht begründet.
Die Feststellung des Amtsgerichts, wonach der Beteiligte zu 2) nicht der Vater des Antragstellers ist, trifft zu. Ausweislich des Sachverständigengutachtens vom 03.11.2022, an dessen auch vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellter methodischer und inhaltlicher Zuverlässigkeit zur Feststellung der Abstammungsverhältnisse zwischen dem Antragsteller und dem Beteiligten zu 2) der Senat keinen Anlass zu Zweifel sieht, ist eine leibliche Vaterschaft des Beteiligten zu 2) ausgeschlossen.
Der gerichtlichen Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft steht ein Ablauf etwaiger Anfechtungsfristen nach § 1600 b Abs. 1 BGB nicht entgegen. Vorliegend kommt es nicht auf die Kenntniserlangung der Mutter, der Beteiligten zu 1), über das Nichtbestehen der Vaterschaft, sondern des Vormunds des betroffenen Kindes an. An dessen Kenntniserlangung am 20.01.2022 bestehen keine vernünftigen Zweifel, so dass die Frist des § 1600 b Abs. 1 BGB zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht abgelaufen war.
Der Lauf der Anfechtungsfrist des § 1600 b beginnt mit dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung der gegen die Vaterschaft sprechenden Umstände des Berechtigten, § 1600 Abs. 1 Satz 2 BGB; in den Fällen, in denen die Anfechtung durch einen gesetzlichen Vertreter zu erfolgen hat, wie etwa im Fall der Anfechtung der Vaterschaft durch ein minderjähriges Kind (§ 1600 a Abs. 2 BGB) kommt es auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung desjenigen gesetzlichen Vertreters an, der das Kind im Anfechtungsverfahren zu vertreten befugt ist (OLG Köln NJW-RR 2000, 1459; BeckOK BGB/Hahn, 68. Ed. 1.11.2023, § 1600 b Rn. 6). Gesetzliche Vertreterin von J... war zwar die bis zu der Sorgerechtsentziehung durch das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg mit Beschluss vom 05.07.2018 mit dem Vater gemeinsam sorgeberechtigte Mutter. Indes war sie zur Vertretung ihres Sohns betreffend eine durch diesen geltend gemachte Vaterschaftsanfechtung wegen Vorliegens einer Kollision mit den Interessen des mitsorgeberechtigten Vaters nicht berechtigt, §§ 1629 Abs. 1, 181 BGB. Auf eine Kenntnis der Mutter von den gegen eine Vaterschaft sprechenden Umständen kommt es daher vorliegend nicht an. Die Existenz einer die Vertretung des Kindes ausschließenden Interessenkollision hindert den Lauf der Anfechtungsfrist des § 1600 b Abs. 1 BGB im Fall der Vaterschaftsanfechtung durch ein minderjähriges Kind (OLG Koblenz BeckRS 2015, 11727; OLG Brandenburg, 2. Senat für Familiensachen, BeckRS 2008, 14343). Eine gesetzliche Vertretung des Kindes, die auch die Befugnis zur Anfechtung der Vaterschaft umfasst, besteht daher erst seit der Übernahme der Vormundschaft durch das Bezirksamt Lichtenberg von Berlin. Für den Beginn des Laufs der Anfechtungsfrist des § 1600 b Abs. 1 BGB kommt es daher auf den Zeitpunkt an, zu dem J...s Vormund Kenntnis von den gegen eine Vaterschaft sprechenden Umständen erlangt hat.
Zureichende Anhaltspunkte zu Zweifeln an der Einhaltung der Anfechtungsfrist des § 1600 b Abs. 1 BGB betreffend die Kenntniserlangung durch den Vormund trägt der Beteiligte zu 2) nicht vor, und dafür ist auch ansonsten nichts ersichtlich. Die Einhaltung der Anfechtungsfrist des § 1600 Abs. 1 BGB unterliegt der uneingeschränkten Amtsermittlung durch den Senat, §§ 26, 177 Abs. 1 BGB. Das durch den Vormund vertretene Kind legt den Anfangsverdacht einer bestehenden Scheinvaterschaft des Beteiligten zu 2) durch die Vorlage des von der Mutter am 05.05.2022 unterschriebenen Schriftstücks, in dem diese gegenüber dem Jugendamt des Bezirksamts Lichtenberg erklärt, in der gesetzlichen Empfängniszeit keinen Intimkontakt mit dem Beteiligten zu 2) gehabt zu haben (Bl. 9), schlüssig dar.
Der Beteiligte zu 2) zieht mit seiner Beschwerde die Behauptung des Vormunds, erstmals am 20.01.2022 Kenntnis von den die Vaterschaft infragestellenden Umständen erlangt zu haben, nicht auf eine weitere amtswegige Ermittlungen erforderlich machende Weise in Zweifel. Insbesondere bietet der pauschale Einwand des Beteiligten zu 2), anstelle des vom Vormund genannten Zeitpunkts seiner Kenntniserlangung könne auch ein früherer Zeitpunkt in Betracht zu ziehen sein, keinen Anlass für eine persönliche Anhörung der Beteiligten zu 1). Anders als der Beteiligte zu 2) meint, sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beteiligte zu 1) den Vormund bereits bei dessen Einsetzung über die Scheinvaterschaft informiert haben könnte, zumal davon auszugehen ist, dass die Mutter ihre Zustimmung zur Anerkennung der (Schein-)Vaterschaft (§ 1595 Abs. 1 BGB) in Kenntnis des Nichtbestehens intimer Kontakte zu dem rechtlichen Vater während der Empfängniszeit erteilt hat. Auch der Beteiligte zu 2) geht, indem er auf einen Fristbeginn bei J...s Geburt abstellt, offensichtlich davon aus, dass der Mutter bereits zu diesem Zeitpunkt klar war, mit ihm im Empfängniszeitraum nicht intim gewesen zu sein. Im Hinblick darauf entspricht es gerade nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die Mutter den Vormund bereits bei Übernahme der Vormundschaft über das Bestehen einer Scheinvaterschaft in Kenntnis gesetzt haben müsste. Naheliegender ist insoweit, dass die Mutter zunächst auch weiterhin ihr Stillschweigen über die Scheinvaterschaft bewahrt hat.
Letztlich kann dies aber dahinstehen. Der Beteiligte zu 2) hat greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Vormund zu einem früheren als dem von ihm dargelegten Zeitpunkt Kenntnis von den hier maßgeblichen Umständen erlangt habe, bereits weder vorgetragen noch ist hierfür sonst etwas ersichtlich. Der bloße Hinweis darauf, dass die Beteiligte zu 1) hypothetisch auch schon zu einem früheren Zeitpunkt Gelegenheit gesehen haben könnte, die Scheinvaterschaft gegenüber dem Vormund zu offenbaren, beinhaltet keine zu weiteren amtswegigen Ermittlungen drängenden konkreten Anknüpfungspunkte, die geeignet wären, den glaubhaften Vortrag des Vormunds in Zweifel zu ziehen. Der Amtsermittlungsgrundsatz verpflichtet das Gericht, im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens alle zur Aufklärung des Sachverhalts dienlichen Ermittlungen anzustellen. Dabei muss allerdings nicht jeder nur denkbaren Möglichkeit nachgegangen werden, sondern nur insoweit, als das Vorbringen der Beteiligten und der Sachverhalt als solcher bei sorgfältiger Prüfung hierzu Anlass geben (BGH NJW 2010, 1351). Eine Amtsermittlungspflicht ins Blaue hinein besteht nicht (BGH NJW 2021, 2975; Sternal/Sternal, 21. Aufl. 2023, § 26 FamFG Rn. 17; BeckOK FamFG/Burschel/Perleberg-Kölbel, 48. Ed. 1.11.2023, § 26 FamFG Rn. 9).
Weiter hat das Amtsgericht zutreffend eine erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft durch das hier antragstellende Kind nicht von dem Nichtbestehen einer sozial-familiären Beziehung zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater abhängig gemacht. § 1600 Abs. 2 BGB stellt eine materiell-rechtliche Tatbestandsvoraussetzung nur für eine erfolgreiche Anfechtung durch den von § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB erfassten Personenkreis, nicht für eine erfolgreiche Anfechtung durch das betroffene Kind dar (vgl. BeckOGK/Reuß, 1.11.2023, § 1600 BGB Rn. 8). Auf eine vom Beteiligten zu 2) auch im zweiten Rechtszug hervorgehobene Vaterrolle, die er gegenüber dem betroffenen Kind einnehme, kommt es daher nicht an.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Wertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 FamGKG.
IV.
Die vom Beteiligten zu 2) mit Schriftsatz vom 17.02.2023 beantragte Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren kam nicht in Betracht. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hatte aus den unter Ziffer II. dieser Entscheidung aufgeführten Gründen von Anfang an keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114, 119 Abs. 1 ZPO.
Anlass die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht, § 70 Abs. 2 FamFG, §§ 76 Abs. 2 FamFG, 574 Abs. 2, 3 ZPO.