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Bauplanungs , Bauordnungs und Städtebauförderungsrecht hier: gesetzliches Vorkaufsrecht (Stattgabe)


Metadaten

Gericht VG Frankfurt (Oder) 7. Kammer Entscheidungsdatum 23.12.2014
Aktenzeichen VG 7 K 956/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 217 Abs 1 BauGB, § 24 Abs 1 Nr 1 BauGB, § 28 Abs 4 S 1 BauGB, § 113 Abs 1 S 1 VwGO

Leitsatz

Die Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts nach §§ 24 Abs. 1 Nr. 1, 28 Abs. 4 S. 1 BauGB erfordert eine einheitliche Entscheidung der Gemeinde. Ist ein Fall des § 28 Abs. 4 S. 1 BauGB gegeben, steht der Gemeinde kein Wahlrecht zu, das Vorkaufsrecht nach Abs. 2 der Vorschrift auszuüben.

Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 19. Dezember 2011 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Ausübung eines gesetzlichen Vorkaufsrechts durch den Beklagten.

Die Klägerin veräußerte mit notariellem Grundstückskaufvertrag des Notars xxx, URNR. xxx, vom 24. Oktober 2011 die Grundstücke in der Gemarkung Bad Saarow, Flur xxx, Flurstücke xxx, xxx, xxx, xxx, xxx bis xxx an die PXX aus Berlin. Mit dem Zeugnis über das gesetzliche Vorkaufsrecht vom 4. November 2011 bestätigte der Beklagte gegenüber dem Notar, dass für die Flurstücke xxx, xxx, xxx und xxx das gesetzliche Vorkaufsrecht bestehe und ausgeübt werde. Die Klägerin erhob hiergegen am 5. Dezember 2011 Widerspruch.

Mit dem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 19. Dezember 2011, der Klägerin zugegangen am 24. Dezember 2011, beanspruchte der Beklagte für den Verkaufsfall das Eigentum an den öffentlichen Verkehrsflächen und übte insoweit gegenüber der Klägerin sein gesetzliches Vorkaufsrecht für die Flurstücke xxx, xxx, xxx und xxx der Flur xxx der Gemarkung Bad Saarow aus. Zugleich fragte er bei der Klägerin an, ob diese ihren diesbezüglichen Widerspruch vom 5. Dezember 2011 aufrecht erhalte.

Mit weiterem Bescheid vom 19. Januar 2012 setzte der Beklagte gemäß § 28 Abs. 4 S. 1 BauGB den Entschädigungsbetrag bezüglich der vom Vorkaufsrecht erfassten Flächen auf 3.201 Euro (4,13 Euro je qm) fest. Den dagegen gerichteten Widerspruch der Klägerin vom 1. Februar 2012 wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2012, zugestellt am 30. Juli 2012, als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat am 21. August 2012 Klage „wegen Festsetzung einer Entschädigung für die Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts“ erhoben. In der Klagebegründung macht sie geltend, dass sich die Klage sowohl gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts als auch gegen die Festsetzung der Entschädigung wende. Die Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts sei nach § 26 Nr. 4 BauGB unzulässig, weil die betreffenden Grundstücke bereits entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. xxx „xxx“ der Gemeinde Bad Saarow als öffentliche Verkehrsflächen (Uferwanderweg) genutzt würden. Ferner sei der Entschädigungsbetrag zu niedrig angesetzt. § 28 Abs. 4 BauGB sei nicht anwendbar, weil die Grundstückseigentümer von der Gemeinde nicht enteignet werden könnten. Damit sei nach § 28 Abs. 2 S. 2 BauGB i. V. m. § 464 Abs. 2 BGB der vereinbarte Preis maßgeblich.

Die Kammer hat das Verfahren betreffend den Bescheid vom 19. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2012 nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss vom 22. Dezember 2014 abgetrennt (neues Aktenzeichen: VG 7 K 1368/14) zwecks der gebotenen Verweisung an die zuständige Baulandkammer beim Landgericht Frankfurt (Oder).

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Bescheid des Beklagten vom 19. Dezember 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er tritt der Klage entgegen und macht insbesondere geltend, dass die betroffenen Grundstücke als öffentliche Verkehrsflächen noch nicht entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans genutzt würden. Zu beachten sei, dass die Gemeinde gemäß § 9 a Abs. 1 BbgStrG Straßenbaulastträger sei und als solcher gemäß § 13 Abs. 1 BbgStrG das Eigentum an den Verkehrsflächen erwerben solle. Weiter macht die Beklagte geltend, dass die Entschädigung mehr als angemessen festgesetzt sei. Zu beachten sei, dass die Nutzung als öffentliche Verkehrsfläche und die entsprechende Festsetzung im Bebauungsplan bereits vor dem Verkaufsfall bestanden hätten und die betreffenden Grundstücksflächen im Kaufvertrag auch als öffentliche Verkehrsflächen ausgewiesen seien, des Weiteren der Kaufpreis insoweit nicht gesondert bestimmt worden sei und außerdem insgesamt über 14.000 Euro für Anwaltskosten des Verkäufers enthalte.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO schriftlich einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Nach der gebotenen Auslegung aus Sicht eines verständigen Empfängers unter Berücksichtigung des Klagevorbringens richtet sich die Klage (ursprünglich) auch gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts im Bescheid vom 19. Dezember 2011. Die Ausübung ist auch nicht bereits mit dem Bescheid vom 4. November 2011 über das Negativzeugnis gegenüber dem Notar erfolgt. Diesbezüglich enthält der Bescheid vom 4. November 2011 lediglich die Ankündigung der beabsichtigten Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts, indem er diese Beanspruchung des Vorkaufsrechts „bestätigt“.

1. Bezüglich der Klage gegen die Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts ist auch der Rechtsweg zum Verwaltungsgericht gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO gegeben, insbesondere liegt insofern kein Fall der §§ 217 Abs. 1 S. 1 und 4, 219 Abs. 1 BauGB vor. Denn bei der gebotenen Auslegung des objektiven Erklärungsgehaltes des Bescheides kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Vorkaufsrecht gemäß den §§ 24 Abs. 1 Nr. 1, 28 Abs. 4 BauGB unter Festsetzung eines abweichenden Entschädigungsbetrages ausgeübt werden sollte. Diese Absicht der Beklagten Gemeinde trat erst durch den weiteren, nach Ablauf der Frist für die Ausübung des Vorkaufsrechts ergangenen Bescheid vom 19. Januar 2012 zu Tage. Insoweit wird außerdem auf die Ausführungen in dem gerichtlichen Hinweis vom 5. Dezember 2014, dort zu Punkt 2., Bezug genommen.

2. Die Klage ist zulässig. Zwar ist das an sich erforderliche Vorverfahren nicht durchgeführt worden. Insbesondere bezieht sich der erlassene Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2012 entgegen der Betreffzeile nicht auf einen Widerspruch der Klägerin gegen die Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts. Denn seinem gesamten sonstigen Inhalt zufolge bezieht sich dieser Widerspruchsbescheid allein auf den Widerspruch gegen den Bescheid vom 19. Januar 2012. Indes ist die Klage ausnahmsweise ohne das an sich gemäß § 68 Absatz ein S. 1 VwGO erforderliche Vorverfahren zulässig, weil sich der Beklagte vorbehaltlos auf die Klage eingelassen hat (vergleiche VGH Mannheim in NVwZ-RR 1992,185 m. w. N.; a. A. Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl., § 68 Rz. 28). Das gilt jedenfalls in einem Fall wie hier, in dem der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid die Klägerin gefragt hat, ob sie ihren vorfristig gegen den Bescheid vom 4. November 2011 erhobenen Widerspruch aufrechterhalten wolle, und sich dann rügelos auf die spätere Klage eingelassen hat. Zu diesem Zeitpunkt war der Bescheid auch noch nicht bestandskräftig geworden, weil die Widerspruchsfrist in Ermangelung einer Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 58 Abs. 2 VwGO ein Jahr betrug.

3. Die Klage ist auch begründet. Der angegriffene Bescheid vom 19. Januar 2012 über die Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.

Maßgeblich ist, dass entsprechend der vom Beklagten vertretenen Auffassung ein Fall des § 24 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 28 Abs. 4 S. 1 BauGB gegeben ist. In diesem Fall muss die Gemeinde dem Erfordernis einer einheitlichen Entscheidung über das Vorkaufsrecht und die Bestimmung des Entschädigungsbetrages innerhalb der für die Ausübung des Vorkaufsrechts geltenden Frist Rechnung tragen. Das Erfordernis einer einheitlichen Entscheidung rührt insoweit daher, dass § 28 Abs. 4 S. 1 BauGB an die Voraussetzungen für eine planakzessorische Enteignung anknüpft und in diesem Fall der Gemeinde anders als Abs. 3 der Vorschrift kein Wahlrecht einräumt. Vielmehr muss sie den Entschädigungsbetrag nach den Grundsätzen über die Enteignungsentschädigung festsetzen. Der Bescheid wäre insoweit unvollständig, wenn er sich auf die Ausübung des Vorkaufsrechts beschränken würde, wie ein Enteignungsbeschluss unvollständig wäre, der keine Bestimmung über die Art und Höhe der Entschädigung enthält (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 5. Juli 2001 - 1 BaulW 2/01 - juris Rz. 7). Diesem Erfordernis hat der Beklagte nicht Rechnung getragen.

Auch lagen die Voraussetzungen nach § 28 Abs. 4 S. 1 BauGB vor. Die Kammer geht insofern mangels gegenteiliger Anhaltspunkte mit den Beteiligten von der Gültigkeit der Festsetzungen im Bebauungsplan Nr. xxx für die betroffenen Grundstücksflächen als öffentliche Verkehrsfläche (Uferwanderweg) aus.

Die Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts ist auch nicht wegen einer den Festsetzungen entsprechenden Nutzung nach § 26 Nr. 4 BauGB ausgeschlossen. Denn es ist anerkannt, dass bezüglich von unbebauten Flächen mit öffentlicher Zweckbestimmung das Ziel der Festsetzung jedenfalls dann mit dem Eigentumserwerb durch den öffentlichen Bedarfsträger einhergeht, wenn dies aus der Festsetzung, der Begründung im Bebauungsplan oder wie hier aus einer sonstigen Norm, nämlich § 13 Abs. 1 BbgStrG hervorgeht (vgl. Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 114. EL 2014, § 26 Rz. 20).

Ferner ist aus diesem Grunde auch der Erwerb der Grundstücke für die Durchführung des Bebauungsplans erforderlich und könnten die Grundstücke nach dem festgesetzten Verwendungszweck auch enteignet werden, § 13 Abs. 2 S. 2 BbgStrG.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 709 S. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124 a Abs. 1 VwGO sind nicht gegeben.