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Entscheidung 9 UF 233/20


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 02.02.2021
Aktenzeichen 9 UF 233/20 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2021:0202.9UF233.20.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Beschwerde des Kindesvaters vom 10. Dezember 2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Cottbus - Familiengericht - vom 29. Oktober 2020 – Az. 53 F 142/20 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

Der Antrag des Kindesvaters vom 4. Januar 2021 auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die Durchführung seiner Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der Vater der drei betroffenen Kinder hat am ... Mai 2020 die Mutter der Kinder, seine Ehefrau, durch Messerstiche und weitere massive Gewalteinwirkung (zunächst in der Wohnung und sodann nach einem Sturz der Ehefrau durch das Fenster auf dem Gehweg vor dem Haus) getötet. Die Kinder waren jedenfalls in der Wohnung anwesend und sollen die Tat beobachtet haben. Der Vater ist unmittelbar inhaftiert worden und inzwischen wegen Mordes angeklagt. Das Strafverfahren ist beim Landgericht Cottbus eröffnet worden und derzeit in der Beweisaufnahme. Der Vater hat die Tat eingeräumt, verweist aber auf eingeschränkte Schuldfähigkeit wegen anhaltender Depression und Schwächung infolge längeren Fastens. Außerdem bestreitet er den ihm vorgeworfenen Hintergrund der Tat.

Die Kinder sind noch am Tattag durch das Jugendamt in Obhut genommen worden. Die beiden Mädchen sind altersgerecht entwickelt und haben eine trauma-psychologische Behandlung begonnen. Der jüngste Sohn ist stark entwicklungsverzögert und verhaltensgestört. Ob dies möglicherweise auf eine Autismus-Erkrankung zurückzuführen ist, wie der Vater meint, ist bisher ungeklärt.

Das Amtsgericht hat dem Vater im Verfahren zum Az: 53 F 116/20 aufgrund einstweiliger Anordnung das Sorgerecht entzogen und Amtsvormundschaft angeordnet. In der Folgezeit brach ein massiver Streit zwischen Angehörigen der väterlichen bzw. der mütterlichen Familie um die Betreuung bzw. Vormundschaft der Kinder aus. Die Töchter haben sich wiederholt dahin erklärt, nur mit den Onkeln mütterlicherseits und deren Familien Kontakt haben zu wollen. Auch mit dem Vater wollten sie nichts mehr zu tun haben. Dieser solle auch keine Informationen mehr über sie erhalten. Der Vater gibt an, stets ein treusorgender Vater gewesen zu sein. Die Ablehnung der Töchter führt er allein auf massive Beeinflussung durch die Brüder der Mutter zurück.

Er beantragt im vorliegenden Verfahren, den Umgang zu regeln (und in einem weiteren Verfahren zum hiesigen Az. 9 UF 232/20 ihm das Sorgerecht zurück zu übertragen). Das Jugendamt hat angeregt, den Umgang auszuschließen.

Das Amtsgericht hat den Vater und die beiden Töchter sowie die Verfahrensbeiständin und den Vormund persönlich angehört und mit Beschluss vom 29. Oktober 2020 den Umgangsregelungsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, dass das Umgangsrecht auszuschließen sei.

Der Vater hat Beschwerde mit dem Ziel einer Umgangsregelung eingelegt. Er sei durchaus zur Zusammenarbeit mit dem Jugendamt bereit. Mindestens ein Recht auf monatliche schriftliche Information über die Kinder und Zusendung von Fotos stünde ihm zu. Außerdem hat er für das Verfahren um Verfahrenskostenhilfe nachgesucht.

Die Verfahrensbeiständin, das Jugendamt und der Amtsvormund meinen, es bestünde eine erhebliche Gefahr der Retraumatisierung der Kinder bei jeglichem Kontakt – auch indirektem – mit dem Vater. Die Ablehnung seitens der Kinder müsse dringend respektiert werden.

II.

Die form- und fristgerecht, mithin zulässig eingelegte Beschwerde ist unbegründet.

Der angefochtene Beschluss ist zunächst dahin auszulegen, dass das Amtsgericht den Umgang des Vaters mit seinen Kindern unbefristet ausgeschlossen hat. Zwar ist dies im Tenor unberücksichtigt geblieben, ausweislich der Gründe war aber eindeutig ein Ausschluss beabsichtigt.

Die Entscheidung des Amtsgerichts ist im Ergebnis zutreffend, auch wenn sie sehr knapp begründet ist, weil es allein darauf ankommt, ob die Entscheidung auf der Grundlage eines ordnungsgemäßen Verfahrens zutreffend ist. Das ist der Fall.

Das Amtsgericht hat in einem nicht zu beanstandenden Verfahren auf der Basis persönlicher Anhörungen im Einklang mit den Empfehlungen der Verfahrensbeiständin und des Jugendamtes den Antrag des Vaters auf Regelung des Umgangs zurückgewiesen und den Umgang ausgeschlossen, weil dies zum Wohl der drei betroffenen Kinder notwendig ist (§ 1684 Abs. 4 BGB).

Mit seiner Beschwerde bringt der Vater keine beachtlichen Gründe gegen die Bewertung des Amtsgerichts vor.

Das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil und jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt (§ 1684 Abs.1 BGB). Das Umgangsrecht eines Elternteils folgt unmittelbar aus dem Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und steht gegebenenfalls in Konkurrenz zum Sorgerecht des anderen Elternteils und zu den Rechten des Kindes als selbständigem Grundrechtsträger. Aufgabe der gerichtlichen Umgangsregelung ist deshalb, die gleichermaßen mit Verfassungsrang ausgestatteten Positionen der Beteiligten in eine verfassungskonforme Konkordanz zu bringen. Hierbei ist insbesondere zu beachten, dass die verfassungsmäßigen Elternrechte dadurch relativiert sind, dass sie nur im Interesse des Kindes bestehen. Die in Art. 6 GG zum Ausdruck kommende Pflichtbindung der Elternrechte ist mit der Subjektstellung des Kindes nur in Einklang zu bringen, wenn das Elternrecht als ein dem Kindeswohl dienendes Recht verstanden wird. Somit besteht auch das Umgangsrecht eines Elternteils nur im Interesse des Kindes und ist seinem Umfang nach unmittelbar durch das Kindeswohl begrenzt (vgl. OLG Hamburg FamRZ 2017, 277; erkennender Senat, Beschluss vom 5. Dezember 2018, Az. 9 UF 217/18; Obermann, Normative Strukturen des Umgangs, FamRZ 2016, 1031 ff m.w.N.).

Daraus folgt, dass allein der Umstand einer Inhaftierung nicht automatisch das Recht auf Umgang mit dem eigenen Kind ausschließt. Ob in der besonderen Situation der Inhaftierung (Untersuchungshaft) die konkret bestehende Möglichkeit zur Ausübung des Umgangs dem Kindeswohl am besten entspricht oder ob unter Kindeswohlaspekten ein Umgang zu unterbleiben hat, ist im Einzelfall zu prüfen (OLG Hamburg a.a.O.; erkennender Senat, a.a.O.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 7. Juni 2011, Az. 4 UF 123/08; Staudinger/Dürbeck, 2019, BGB, § 1684 Rdnr. 318).

Abgesehen davon, ob hier unter den Umständen der Inhaftierung (derzeit Untersuchungshaft; voraussichtlich deutlich länger fortbestehende Haft/Unterbringung) überhaupt grundsätzlich ein mit dem Kindeswohl vereinbarer Umgang praktisch ermöglicht werden könnte, ist dies angesichts des hochgradig traumatisierten Zustands der Töchter und der Entwicklungsstörung des Sohnes völlig ausgeschlossen. Wie sich der Vater einen Umgang unter den gegenwärtigen Umständen vorstellt, bleibt im Dunkeln. Gerade im Hinblick auf den schwer verhaltensauffälligen M…, der durch den Verlust der Mutter und seines bisherigen Lebensumfeldes erhebliche Anpassungsleistungen zu erbringen hat, ist ein Umgang in der JVA ausgeschlossen.

Aber auch ungeachtet der Haftsituation kommt ein Umgang in näherer Zukunft nicht in Betracht. Der Vater hat vor den Augen mindestens der Töchter, möglicherweise auch des Sohnes, in einem brutalen Gewaltakt von längerer Dauer nicht nur seine Frau getötet, sondern lässt auch jetzt die notwendige Empathie und Feinfühligkeit in Bezug auf seine Kinder völlig vermissen. Es scheint ihm nicht einmal im Ansatz verständlich zu sein, dass er die Kinder ihrer Mutter und ihres bisherigen Lebens beraubt hat und dass mindestens die Töchter ein schweres Trauma erlitten haben, dessen Bewältigung neben der völligen Umstellung ihres Lebens ihrer ganzen Kraft bedarf. Wenn er meint, mit einer Bitte um Entschuldigung seinerseits das Nötige getan zu haben und die durch die Töchter massiv und anhaltend geäußerte Ablehnung könne nur auf böswilliger Hetze der Brüder der Mutter beruhen, so offenbart dies ein erschreckendes Unvermögen, sich auch nur ein wenig in die Lebenswirklichkeit der Kinder hineinzuversetzen und eine komplette Fokussierung auf die eigene Person. Angesichts des andauernden Strafverfahrens mag es nachvollziehbar sein, dass er sich auf seine Verteidigung konzentriert; für die Kinder ist es – anders als für die Strafverfolgung des Vaters – aber jedenfalls derzeit völlig belanglos, inwieweit der Vater schuldfähig war und was seine Beweggründe gewesen sein mögen.

Dass bei den Töchtern weitere Schäden in ihrer emotionalen und sozialen Entwicklung unmittelbar mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind, wenn sie persönlichen oder auch nur indirekten Kontakt mit dem Vater treten müssen, liegt auf der Hand. Es besteht die ernste Gefahr der Störung des gerade erst begonnenen Prozesses der Traumabewältigung. Der von den Töchtern gewünschte größtmögliche körperliche und emotionale Abstand zum Vater als dem Täter ist aus sich heraus völlig verständlich. Die beiden Mädchen haben sich bereits über einen längeren Zeitraum gegenüber verschiedenen Personen klar dahin geäußert, dass sie mit dem Vater nichts mehr zu tun haben wollen und er in ihrem Leben keine Rolle spielen soll. Auch möchten sie nicht, dass er über den Vormund Mitteilungen oder Fotos erhält. Sollte Mo… sich an ihrer älteren Schwester ausrichten und die mütterliche Familie die den Vater ablehnende Einstellung bestärken, wäre das nicht verwunderlich, aber gleichwohl im Interesse der Kinder zu respektieren. Die Konfrontation mit dem Täter in einer sehr frühen Phase der Traumatherapie ist strikt zu vermeiden, weil sie die erhebliche Gefahr einer Retraumatisierung beinhaltet. Dies ist dem Senat aus verschiedenen Verfahren bekannt und bedarf keiner Einholung eines Gutachtens.

Auch eine Störung der Annäherung der Töchter an die mütterliche Familie (die der Vater unbedingt verhindern will) wäre schädlich für ihre weitere seelische Entwicklung. Sie haben familiären Anschluss gefunden und fühlen sich geborgen und angenommen. Das kann im Interesse der Bewältigung ihres Verlustes nur von Vorteil sein. Dass der Vater befürchtet, durch diesen Einfluss seine Töchter vollends zu verlieren ist zwar nachvollziehbar, berechtigt ihn jedoch nicht dazu, auf Kosten der seelischen Gesundheit seiner Kinder seine eigenen Interessen voranzustellen. Das Amtsgericht hat zudem bewusst einen Amtsvormund eingesetzt, der besser als ein Angehöriger der einen oder anderen Familienseite darauf achten kann, dass den Kindern je nach Fortschreiten des therapeutischen Prozesses zu gegebener Zeit eine begleitete verantwortungsvolle Kontaktaufnahme zum Vater ermöglicht wird. Ein „üblicher“ begleiteter Umgang kann keinen ausreichenden Schutz der Kinder bieten. Es bedarf speziellen psychologischen/psychotherapeutischen Sachverstands, weit über das Maß der Moderierung und Begleitung in gestörten Familienverhältnissen hinaus und insbesondere der engen Abstimmung mit den behandelnden Fachkräften. Jedenfalls lässt sich mit Sicherheit feststellen, dass gegenwärtig ein wie auch immer gearteter Kontakt schädlich für die seelische Gesundheit der Kinder wäre, so dass die Anordnung eines begleiteten Umgangs ausscheidet.

Die Ansicht des Vaters, der Vormund müsste ihm wenigstens regelmäßig über die Kinder berichten und ihm Fotos übersenden, ist nachvollziehbar, wenn auch in der geforderten Frequenz (monatlich) deutlich überzogen und für den Vormund mit unzumutbarem Aufwand verbunden. (Hier fordert der Vater eher Rechenschaft als Informationen). Allerdings haben sich die Töchter deutlich gegen entsprechende Forderungen gewandt. Sie machen damit ihre Rechte auf Selbstbestimmung geltend, was angesichts der bereits dargestellten Umstände unbedingt respektiert werden sollte. Das Elternrecht des Vaters muss auch insoweit hinter die Rechte der besonders schutzbedürftigen Kinder zurücktreten.

Der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe war mangels Erfolgsaussicht gemäß § 76 Abs. 1 FamFG in Verbindung mit §§ 119 Abs. 1 Satz 1, 114 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG; die Wertfestsetzung auf §§ 40 Abs. 1; 45 Abs. 2 Nr. 1 FamGKG.