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Straßenplanung; Gemeindestraße; Grundstückseigentümerin; Einwirkungen auf das Grundstück; Bau ohne planerische Abwägung; nicht-förmliche Planung; nachträgliche Einbeziehung in B-Planverfahren; Unwirksamkeit des B-Plans; formeller Fehler; keine Angaben zu umweltbezogenen Informationen; Folgenbeseitigungsanspruch; keine Klärung der Zulässigkeit der materiell-rechtlichen Beeinträchtigung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 1. Senat Entscheidungsdatum 23.08.2012
Aktenzeichen OVG 1 N 67.12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Art 14 Abs 1 GG, § 86 Abs 1 VwGO, § 3 Abs 2 S 2 Halbs 1 BauGB, § 214 Abs 1 S 1 BauGB, § 38 Abs 1 S 1 StrG BB, § 38 Abs 1 S 2 StrG BB, § 38 Abs 5 StrG BB

Leitsatz

Erweist sich ein zur nachträglichen Rechtfertigung einer ohne planerische Abwägung geschaffenen Gemeindestraße erlassener B-Plan wegen eines beachtlichen formellen Fehlers als unwirksam, kann ein durch die Auswirkungen der Straße in der Nutzung seines Grundstücks beeinträchtigter Eigentümer die Sperrung der Straße im Wege der Folgenbeseitigung verlangen, ohne dass es darauf ankäme, ob und inwieweit er diese Auswirkungen bei Vorliegen einer rechtmäßigen planerischen Abwägung hinzunehmen hätte. Die Frage, ob die gebotene planerische Abwägung auch in einem nicht-förmlichen Verfahren hätte vorgenommen werden können, stellt sich nicht, wenn ein solches Verfahren nicht stattgefunden hat.

Tenor

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 28. März 2012 wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Berufung kann auf den Antrag der Beklagten nicht zugelassen werden. Die von ihr geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht der Klägerin einen Folgenbeseitigungsanspruch aus ihrer Position als Grundstückseigentümerin, deren Belange beim Bau der im Streit stehenden Gemeindestraße zu berücksichtigen sind, zuerkannt, weil der die Rechtsgrundlage für die Hinnahme vermehrten Straßenlärms darstellende Bebauungsplan an einem formellen Mangel leide, der gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 BauGB beachtlich sei und zur Unwirksamkeit führe. Die im Rahmen der förmlichen Bürgerbeteiligung erfolgten ortsüblichen Bekanntmachungen seien fehlerhaft, weil darin die Angaben im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BauGB dazu, welche Arten umweltbezogener Informationen verfügbar sind, vollständig gefehlt hätten, obwohl solche Informationen in Gestalt eines schalltechnischen Gutachtens und späterhin eines Gutachtens zum Immissionsschutz (beinhaltend Teile zum Verkehrslärm und zur Lufthygiene) vorgelegen hätten.

Das Verwaltungsgericht hat bei seiner Entscheidung nicht verkannt, dass ein Planfeststellungsverfahren gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 des Brandenburgischen Straßengesetzes – BbgStrG – nur für den Bau oder die wesentliche Änderung von Landesstraßen vorgeschrieben ist und § 38 Abs. 1 Satz 2 BbgStrG lediglich die Möglichkeit zur Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens für andere Straßen, die in der Baulast des Kreises oder – wie hier – der Gemeinde stehen, eröffnet (vgl. S. 9 des Urteils). Allerdings geht das Verwaltungsgericht ersichtlich und zu Recht davon aus, dass die Position betroffener Grundstückseigentümer aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG auch bei einer nicht-förmlichen Planung einer Gemeindestraße in die Abwägung der für und wider das Vorhaben streitenden Belange einzustellen ist. In tatsächlicher Hinsicht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die hier interessierende Zufahrtstraße zum Industrie- und Gewerbegebiet „Sonne-Süd“ von der Beklagten zunächst ohne jede planerische Abwägung, also ohne Durchführung einer eine solche Abwägung beinhaltenden internen Planung, errichtet worden sei und deshalb gegenwärtig auch keine Grundlage in einem nicht-förmlichen Verfahren gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 BbgStrG finden könne. Ferner hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrundegelegt, dass sich die Beklagte nach ihrem städtebaulichen Ermessen dafür entschieden habe, der in Rede stehenden Straße die für eine Berücksichtigung der Belange betroffener Eigentümer erforderliche Rechtsgrundlage durch die Einbeziehung der Straße in den Bebauungsplan Nr. 3 zu geben. Dagegen ist straßenrechtlich nichts einzuwenden, weil ein Bebauungsplan eine Planfeststellung gemäß § 38 Abs. 5 Satz 1 BbgStrG ersetzt.

Hiernach liegt das Zulassungsbegehren im Wesentlichen neben der Sache. Die Beklagte muss sich an ihrer Entscheidung, der ohne hinreichende nicht-förmliche Planung errichteten Straße eine Rechtsgrundlage in Bezug auf die Rechte der Grundstückseigentümer durch einen Bebauungsplan zu verschaffen, festhalten lassen. Jedenfalls ist nicht erkennbar, dass die Beklagte davon inzwischen wieder abgerückt wäre. Vielmehr hat sie die erneute Auslegung des Entwurfs des Bebauungsplans Nr. 3 in einer Fassung vom Mai 2012 im Amtsblatt für die Stadt Großräschen vom 28. Juni 2012 öffentlich bekannt gemacht, was erkennbar auf die Heilung des vom Verwaltungsgericht gerügten Fehlers zielt. Insofern weicht die Entscheidung nicht von derjenigen des VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 24. Juli 2003 – 5 S 1399/02 –, veröffentlicht in juris) ab, sondern betrifft eine davon abweichende Fallgestaltung. Das Zulassungsvorbringen vermag insoweit keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) aufzuzeigen; solche weist die Sache auch sonst nicht auf, weil die Fragen eines Folgebeseitigungsanspruchs bei beachtlich fehlerhafter Straßenplanung durch Bebauungsplan in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. August 1993 (- 4 C 24.91 –, BVerwGE 94,100, nachf. zit. nach juris) rechtsgrundsätzlich geklärt sind.

Aus dieser Entscheidung ergibt sich im Übrigen deutlich, dass ein – weshalb auch immer – unwirksamer Bebauungsplan keine Rechtsgrundlage dafür bietet, die Belange betroffener Grundstückseigentümer zurückzustellen. Insoweit vermag die Beklagte auch den Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) nicht unter Hinweis darauf darzulegen, dass das Verwaltungsgericht den Folgenbeseitigungsanspruch nur unter Hinweis auf die formelle Rechtswidrigkeit des Bebauungsplans und ohne jede Prüfung der materiell-rechtlichen Beeinträchtigung der Klägerin, deren Grundstück noch nicht einmal direkt an die fraglichen Straße grenze, zuerkannt habe. Es kennzeichnet gerade die aus dem Grundeigentum erwachsende Rechtsposition, dass sie nur durch eine gültige Rechtsgrundlage – sei es ein Planfeststellungsbeschluss, ein Bebauungsplan oder auch eine den aus dieser Position erwachsenden Anforderungen hinsichtlich der planerischen Abwägung gerecht werdende nicht-förmliche Planung – zurückgedrängt werden kann. Auch hat das Verwaltungsgericht deutlich gemacht, dass es für die Betroffenheit des Grundstückseigentümers nicht auf das unmittelbare Anliegen des Grundstücks an der Straße ankomme, sondern der hoheitliche Eingriff in dem tatsächlichen Schaffen der Straße und den dadurch ermöglichten Auswirkungen auf die tatsächliche Nutzbarkeit des hiervon betroffenen Grundstücks liege. Hierzu hat es ausgeführt, dass auch die Beklagte nicht in Abrede stelle, dass die neu gebaute Zufahrtstraße zum Industrie- und Gewerbegebiet „Sonne-Süd“ nachteilige Auswirkungen auf das Grundstück der Klägerin und insbesondere auf dessen Gartenbereich habe. Danach kann keine Rede davon sein, dass das Verwaltungsgericht die materiell-rechtliche Beeinträchtigung der Klägerin im Rahmen dessen, worauf es für die Entscheidung ankam, vernachlässigt hätte.

Das Urteil unterliegt insoweit auch keinen ernstlichen Zweifeln hinsichtlich seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Nachdem sich die Beklagte für die Einbeziehung der Straße in den Bebauungsplan Nr. 3 entschieden hatte, war es ausschließlich ihre Verwaltungsangelegenheit, das Verfahren entsprechend den dafür geltenden formellen und materiellen Anforderungen durchzuführen. Ein Rückgriff auf das nicht-förmliche Verfahren kommt aus den bereits dargestellten Gründen nicht in Betracht. Abgesehen davon verkennt die Beklagte offensichtlich, dass sich die Aufgabe der Verwaltungsgerichte auch bei einer nicht-förmlichen Planung auf die Kontrolle beschränken würde, ob sich die Behörde mit den Eigentümerinteressen hinreichend auseinandergesetzt hat, dies also nur anhand der von der Behörde vorgenommen Abwägung und des ihr zugrundeliegenden Tatsachenmaterials zu prüfen wäre, keinesfalls aber angesichts einer fehlenden Abwägung vom Gericht von Amts wegen aufzuklären wäre, inwieweit Eigentümerinteressen gegenüber dem geplanten Vorhaben zurückzustehen haben. Inwiefern der Anspruch der Klägerin einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen gewesen sein sollte, erläutert das Zulassungsvorbringen nicht. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt für das Verwaltungshandeln, nicht ohne Weiteres für die Abwehr rechtswidriger Eingriffe und die Beseitigung eines dadurch herbeigeführten rechtswidrigen Zustandes. Insofern hätte es näherer Ausführungen bedurft, woraus die vermeintliche Einschränkung des Folgenbeseitigungsanspruchs folgen soll und warum die tatsächlichen Voraussetzungen für ihr Eingreifen gegeben sein sollen. Dafür reicht der Hinweis auf eine „gebotene“ Abwägung nicht aus; denn diese ist – wie ausgeführt – behördlicherseits geboten, nicht Sache des nur zur Kontrolle des Verwaltungshandelns berufenen Gerichts (vgl. auch dazu BVerwG, a.a.O., juris Rn. 53) oder gar der Klägerin, wie das Zulassungsbegehren möglicherweise annimmt. Eine schlüssige Gegenargumentation, was die zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führenden Gründe angeht, kann der Begründungsschrift nicht entnommen werden; sie beschränkt sich auf das Äußern von Zweifeln („angebliche Unwirksamkeit“) ohne zu erläutern, weshalb der Bebauungsplan entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts wirksam ist.

Ein zur Zulassung der Berufung führender Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegt danach ebenfalls nicht vor. In der gegebenen Situation bedurfte es keiner weiteren Aufklärung der materiell-rechtlichen Beeinträchtigung der Klägerin als sie in dem Urteil geleistet wird.

Schließlich fehlt es auch an einer Divergenz oder jedenfalls die grundsätzliche Bedeutung begründenden Abweichung von dem Beschluss des Senats im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vom 9. April 2010 (OVG 1 S 192.09). Dort ging es nämlich um die Frage, ob die Klägerin eine hinreichende materiell-rechtliche Beeinträchtigung ihres Eigentums glaubhaft gemacht hatte, so dass ihr eine Hinnahme der Nutzung der Straße bis zur rechtskräftigen Entscheidung über ihre Klage vorübergehend nicht zuzumuten war. Diese Frage ist – wie ausgeführt – davon zu unterscheiden, ob der mit der Straße einhergehende – unbestrittene – Eingriff in das Eigentum der Klägerin auf eine wirksame Rechtsgrundlage gestützt werden kann. Sollte es der Beklagten künftig gelingen, eine solche Rechtsgrundlage zu schaffen, steht ihr der Weg der Vollstreckungsgegenklage offen (vgl. BVerwG, a.a.O., juris Rn. 42).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG; zur näheren Begründung wird auf die Entscheidung des Senats über die Streitwertbeschwerde gegen die erstinstanzliche Wertfestsetzung Bezug genommen (Beschluss vom 16. August 2012 – OVG 1 L 72.12 –).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).