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Lohnsummenbescheid - Schätzung der Beitragshöhe


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 26.08.2014
Aktenzeichen L 9 KR 120/13 B ER ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 28f SGB 4

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 04. April 2013 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird für das gesamte Verfahren auf 248.388,69 € festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 04. April 2014 ist gemäß §§ 172 Abs.1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig aber unbegründet. Das Sozialgericht hat es rechtsfehlerfrei abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. November 2012 anzuordnen. Denn der Bescheid der Antragsgegnerin, mit dem diese im Rahmen eines (Lohn-)Summenbescheides von der Antragstellerin vorenthaltene Beiträge nebst Säumniszuschlägen i.H.v. insgesamt 496.777,38 € nachgefordert hat, erweist sich nicht als offensichtlich rechtswidrig; ebenso wenig droht der Antragstellerin durch die sofortige Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte. Deshalb kann das Begehren der Antragstellerin, dass der Senat die aufschiebende Wirkung ihrer Klage zum Aktenzeichen S 111 KR 793/14 anordnet, nachdem die Antragsgegnerin ihren Widerspruch gegen den (Lohn-) Summenbeitragsbescheid zurückgewiesen hat, keinen Erfolg haben.

1.) Der Senat nimmt zur Begründung seines Beschlusses auf die ausführlichen und rechtlich nicht zu beanstandenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Beschluss Bezug, denen er nach nochmaliger eigener Sachprüfung folgt und die er sich zu Eigen macht (vgl. zur Zulässigkeit dieses Vorgehens § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin steht dem nicht entgegen, weil sie damit im Wesentlichen ihre Einwände gegen das Vorgehen der Antragsgegnerin wiederholt und vertieft, die sie bereits im inzwischen abgeschlossenen Widerspruchsverfahren und im sozialgerichtlichen Eilverfahren vorgebracht hat. Ergänzend weist der Senat auf folgendes hin:

2.) Die Voraussetzungen für den Erlass eines (Lohn-)Summenbescheides gemäß § 28f Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Viertes Buch (SGB IV) liegen vor: Nach den bei Durchsuchungen bei der Antragstellerin sichergestellten Tageslohnzetteln und Zeugenvernehmungen durch das Hauptzollamt ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin neben gemeldeten Arbeitnehmern weitere, namentlich nicht genau identifizierbare Arbeitnehmer beschäftigt hat und gemeldete Arbeitnehmer für sie mehr Arbeitsstunden verrichtet haben, als gegenüber den Einzugsstellen abgerechnet wurden. Über die danach nicht gemeldeten Beschäftigten und die nicht gemeldete Arbeitszeit hat sie keine Aufzeichnungen vorgelegt, so dass deshalb sowohl die Versicherungs- und Beitragspflicht als auch die Beitragshöhe nicht versichertenbezogen ermittelt werden konnten und können. Da die Antragsgegnerin die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nicht ohne einen - bezogen auf den nach den maßgeblichen Vorschriften für die Beitragseinziehung als Verfahren der Massenverwaltung erforderlichen – unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln konnte, durfte sie diese schätzen. Dass die Antragsgegnerin sich zur Ermittlung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28f SGB IV auf den Schlussbericht des Hauptzollamtes Berlin in dem Ermittlungsverfahren gegen den Geschäftsführer der Antragstellerin vom 08. Mai 2012 gestützt hat, begegnet gemäß §§ 9, 20 Abs. 1, 21 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 3 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X) keinen rechtlichen Bedenken.

3.) Keinen durchgreifenden Bedenken ist schließlich auch die Schätzung der Beitragshöhe durch die Antragsgegnerin ausgesetzt, auf die sich die von der Antragstellerin erhobenen Einwände im Übrigen hauptsächlich beziehen. Die Antragsgegnerin ist hier wie folgt vorgegangen (vgl. Seite 6 des Ermittlungsberichts des Hauptzollamtes): Auf der Grundlage der bei den Ermittlungen des Hauptzollamtes aufgefundenen Ein- und Ausgangsrechnungen der Antragstellerin ermittelte das Hauptzollamt, wie viel Betonstahl und Betonstahlmatten die Arbeitnehmer der Antragstellerin in der streitigen Zeit zwischen 2007 und 2010 verlegt haben. Dann ermittelte das Hauptzollamt mit Hilfe eines Fachbuches zur Preisermittlung für Bauarbeiten die hierfür seiner Auffassung nach benötigte Arbeitszeit. Anschließend wurden die in den Ausgangsrechnungen extra ausgewiesenen „Regiestunden“ hinzugerechnet und die den Einzugsstellen gemeldeten Arbeitsstunden abgezogen. Die Differenz, die nicht gemeldeten Arbeitsstunden, wurden mit dem jeweils geltenden Mindestlohn der maßgeblichen Lohngruppe multipliziert, woraus sich die beitragspflichtige Lohnsumme ergab.

Dieses Vorgehen zur Ermittlung der Lohnsumme unterliegt keinen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren durchgreifenden rechtlichen oder tatsächlichen Bedenken. Insbesondere konnte die Antragstellerin die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln (§ 28f Abs. 2 Satz 3 SGB IV). Der Einwand der Antragstellerin, die aus den vorliegenden Ein- und Ausgangsrechnungen ermittelten Tonnagen verlegten Stahlbetons seien nicht zutreffend, diese müssten vielmehr von den Auftraggebern der Antragstellerin ermittelt werden, führt nicht zum Erfolg. Denn dieses Verfahren wäre für die Antragsgegnerin mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden. Sie müsste nicht nur die Auftraggeber veranlassen, die Rechnungen vorzulegen, sondern sie wäre im Falle abweichender Tonnage-/Rechnungsbeträge vor die zusätzliche Aufgabe gestellt zu ermitteln, welche Tonnage bzw. welcher Rechnungsbetrag als der zutreffende der Schätzung zu Grunde zu legen wäre. Dies spricht dafür, dass die Antragsgegnerin bei der Antragstellerin im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens vorgefundene Rechnungen für durchgeführte Arbeiten der Ermittlung der Höhe der Lohnsumme ohne weiteres so lange zu Grunde legen darf, wie sie nicht in den Besitz von Ermittlungsergebnissen gelangt, die die von der Antragstellerin tatsächlich gezahlten Arbeitsentgelte belegen. Es ist deshalb Sache der Antragstellerin geltend zu machen, dass die Schätzgrundlage nicht zutreffend ist, weil ein dafür wesentlicher Faktor – hier die Menge des verbauten Stahlbetons – mit einem anderen für sie günstigeren Wert anzusetzen sei und dies durch entsprechende Unterlagen zu belegen. Dies gilt auch, soweit die Antragstellerin geltend macht, dass die den Auftraggebern für die Berechnung des von diesen zu zahlenden Entgelts in Rechnung gestellte Tonnage nur ein fiktiver Wert sei, den sie durch die erbrachte Arbeitszeit, multipliziert mit dem maßgeblichen (Mindest-) Stundenlohn, im Wege einer Hochrechnung ermittelt habe. Warum es – die Richtigkeit dieses Vorbringens der Antragstellerin unterstellt – ihr dann nicht möglich war, die erbrachte Arbeitszeit anzugeben oder jedenfalls aus den abgerechneten Tonnagewerten zurückzurechnen, bleibt unerfindlich. Außerdem fehlt jeder Beleg für die Richtigkeit der Behauptung der Antragstellerin. In der Sache führt ihr Einwand dazu, dass sie von der Antragsgegnerin ein anderes Schätzverfahren fordert, das sie in ihrem Fall für das allein richtige hält. Dabei verkennt sie, dass der Antragsgegnerin für die Schätzung ein Ermessen zusteht, das nicht mit dem mutmaßlich „richtigen“ Ergebnis, sondern nur mit einem rechtlich vertretbaren Ergebnis enden muss: Bei der Ermittlung der Schätzgrundlagen musste die Antragsgegnerin deshalb keineswegs von den für die Antragstellerin günstigsten Werten ausgehen und durfte wissenschaftliche Fachliteratur verwenden, die zur Berechnung der maßgeblichen Parameter geeignet erschien, ohne dass es darauf ankommt, ob die Fachliteratur zu dem hier benötigten Zweck veröffentlicht wurde. Die Behauptung, Stahlbeton könne in erheblich kürzerer Zeit mängelfrei verbaut werden als in dem verwendeten Baufachbuch angegeben, hat die Antragstellerin weder quantifizieren noch belegen können.

4.) Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin ist auch nicht deswegen anzuordnen, weil der Antragstellerin die Tilgung der geforderten rückständigen Beiträge schon wegen ihrer Höhe unmöglich sein und ihre Insolvenz herbeiführen könnte. Darin mag eine Härte im Sinne des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG liegen. Diese ist aber nicht unbillig, sondern durch öffentliche Interessen geboten. Der Gesetzgeber hat in § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG zum Schutze der Finanzierungsfähigkeit der gesetzlichen Sozialversicherung bei Entscheidungen über die Versicherungs- und Beitragspflicht deren sofortige Vollziehbarkeit angeordnet. Stellt ein Versicherungsträger die Versicherungs- und Beitragspflicht eines Arbeitgebers sowie nachzuzahlende Beiträge - nach dem Ergebnis der rechtlichen Prüfung in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren rechtsfehlerfrei - fest, kommt eine vorübergehende Freistellung von der gesetzlich auferlegten Pflicht, die Beiträge sofort zahlen zu müssen, auch nach § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG grundsätzlich nicht in Betracht, weil die Versicherungsträger dann auf ihnen zur Erfüllung ihrer Aufgaben unzweifelhaft zustehende Beiträge möglicherweise auf Jahre verzichten müssten, ohne dass sich dafür aus dem Gesetz eine hinreichende Rechtfertigung erkennen ließe. In solchen Fällen wie dem vorliegenden muss ein Antragsteller versuchen, eine seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (zeitweise) übersteigende Zahlungspflicht durch eine (ggf. teilweise) Stundung oder einen Erlass der gegen ihn gerichteten Forderungen so zu gestalten, dass er den Beitragsforderungen nachkommen kann, ohne in die Insolvenz zu geraten. Erweist sich das als unmöglich und ist ein Unternehmen nicht imstande, seinen öffentlich-rechtlichen Pflichten nachzukommen, ist eine Insolvenz und nicht ein Aufschub der Beitragspflicht die angemessene rechtliche Konsequenz.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO; die Wertfestsetzung auf § 197 a SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 4, 63 Abs. 3 S. 1 Gerichtskostengesetz: Der Senat setzt in Verfahren der vorliegenden Art weiterhin die Hälfte der streitgegenständlichen Beiträge als Wert des Verfahrensgegenstandes an.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).