Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 10. Senat | Entscheidungsdatum | 21.05.2012 | |
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Aktenzeichen | L 10 AS 423/12 B | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 106 Abs 3 Nr 7 SGG, § 202 SGG, § 141 Abs 3 ZPO |
Auf die Beschwerde des Klägers und Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 31. Januar 2012 aufgehoben.
Die Staatskasse hat dem Kläger die ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen ein Ordnungsgeld in Höhe von 300,00 Euro, das das Sozialgericht (SG) Potsdam ihm wegen seines Ausbleibens an dem Erörterungstermin am 13. Januar 2012 in dem Klageverfahren S 41 AS 2346/10 auferlegt hat.
Die Beschwerde, die angesichts dessen, dass das einen Ordnungsgeldbeschluss betreffende Beschwerdeverfahren nicht kontradiktorisch ausgestaltet ist, keinen Beschwerdegegner kennt (so für den Fall einer Beschwerde gegen eines Ordnungsgeldbeschluss gegenüber einem säumigen Sachverständigen schon Landessozialgericht <LSG> Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Mai 2011 – L 11 SB 285/09 B, juris), ist gemäß §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und begründet. Der Ordnungsgeldbeschluss des SG Potsdam vom 31. Januar 2012 ist aufzuheben, denn das SG hätte kein Ordnungsgeld festsetzen dürfen.
Nach § 106 Abs 3 Nr 7 SGG kann der Vorsitzende das persönliche Erscheinen eines Beteiligten zu einem Erörterungstermin anordnen. Nach § 111 Abs 1 Satz 2 SGG, der insoweit entsprechende Anwendung findet, ist auf die Folgen des Ausbleibens hinzuweisen. Diese bestimmen sich nach § 202 SGG in Verbindung mit § 141 Abs 3 der Zivilprozessordnung (ZPO). Danach kann gegen einen Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet ist, der aber im Termin ausbleibt, ein Ordnungsgeld wie gegen einen nicht erschienenen Zeugen gemäß § 380 Abs 1 Satz 1 ZPO festgesetzt werden. Nach § 381 Abs 1 Satz 1 ZPO unterbleibt die Festsetzung eines Ordnungsgeldes, wenn sein Ausbleiben rechtzeitig genügend entschuldigt wird. Erfolgt die Entschuldigung nicht rechtzeitig, so unterbleibt nach Maßgabe des Satzes 2 die Festsetzung eines Ordnungsgeldes nur dann, wenn glaubhaft gemacht wird, dass dem Beteiligten an der Verspätung der Entschuldigung kein Verschulden trifft. Erfolgt die genügende Entschuldigung nachträglich, so werden die gegen den Beteiligten getroffenen Anordnungen nach § 381 Abs 1 Satz 3 ZPO wieder aufgehoben.
Ob die Festsetzung eines Ordnungsgeldes als Folge des Nichterscheinens eines Beteiligten trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens bereits auf der Tatbestandsebene nur in denjenigen Fällen in Betracht kommt, in denen die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Sachverhaltsaufklärung dient (so mit Hinweis auf § 141 Abs 1 Satz 1 ZPO LSG Berlin, Beschluss vom 10. Juni 2004 – L 3 B 14/04 U, zitiert nach juris; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02. August 1993 – L 3 B 62/93, zitiert nach juris; Knittel in Henning, SGG § 111 Rn 9; aA LSG Hamburg, 06. März 2006 – L 5 B 159/04 AL, zitiert nach juris; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl, § 111 Rn 6a, Peters/Sautter/Wolff, SGG, 4. Aufl, § 111 Rn 74, Roller in Lüdtke, SGG, 3. Aufl, § 111 Rn 9), kann hier dahin stehen.
Jedenfalls war im vorliegenden Fall die Festsetzung eines Ordnungsgeldes ermessensfehlerhaft. Ein auf § 141 Abs 3 ZPO gestütztes Ordnungsgeld kann im sozialgerichtlichen Verfahren nur festgesetzt werden, wenn das unentschuldigte Ausbleiben der Partei die Sachaufklärung erschwert und dadurch den Prozess verzögert, da Zweck des über § 202 SGG anwendbaren § 141 Abs 1 ZPO nicht ist, eine vermeintliche Missachtung des Gerichts zu ahnden, sondern die Aufklärung des Sachverhalts zu fördern (Bundesgerichtshof <BGH> NJW-RR 2011, 1363; Bundesverfassungsgericht <BVerfG> NJW 1998, 892,893; Bundesarbeitsgericht <BAG> NJW 2008, 252; MünchKomm, ZPO, 3. Aufl, § 141 Rn 2).
Im hierfür maßgeblichen Zeitpunkt der Durchführung des Erörterungstermins ist der Vorsitzende nicht von der Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung ausgegangen. Vielmehr ergibt sich aus dem dokumentierten Hinweis des Vorsitzenden auf die mögliche Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung und auf die Anhörung zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid, dass die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers zur Aufklärung des für eine gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts nach Auffassung des Gerichts zu diesem Zeitpunkt nicht (mehr) für erforderlich gehalten wurde.
Aus dem Umstand, dass das SG in dem angefochtenen Beschluss vom 31. Januar 2012 davon ausgeht, dass eine Klärung des Zuganges des Überprüfungsbescheides vom 28. Januar 2010 doch erforderlich ist, um die Zulässigkeit des Verfahrens (gemeint ist offenbar die Zulässigkeit des Widerspruchsverfahrens, die – im Falle ihres Fehlens – zur Unbegründetheit der Klage führt, da der Widerspruchsbescheid diese Begründung heranzieht <zur Zugangsfiktion BSG, Urteil vom 28. November 2006 – B 2 U 33/05 R, Urteil vom 06. Mai 2010 – B 14 AS 12/09 R, beide zitiert nach juris>) klären zu können, folgt nichts anderes. Denn der Zweck eines Termins ist eine seine Vorbereitung und Durchführung bestimmende Eigenschaft, die als tatsächliches Moment nachträglich nicht geändert werden kann; ändern kann man nur die Auffassung davon, was der Termin sachgerechter Weise hätte bezwecken sollen.
Da der Ordnungsgeldbeschluss aufzuheben war, kann weiter dahin stehen, ob die Dauer zwischen dem Ausbleiben im Erörterungstermin am 13. Januar 2012 und der Festsetzung eines Ordnungsgeldes mit Beschluss vom 31. Januar 2012 die Rechtswidrigkeit bedingen kann. Für den Fall eines säumigen Zeugen kann ein Ordnungsgeld nach § 380 Abs 1 ZPO nur im unmittelbaren Anschluss an den Termin festgesetzt werden (LSG Berlin, Beschluss vom 05. Mai 2000 – L 6 B 23/00 RJ, unveröffentlicht).
Eine Kostenentscheidung war zu treffen. Unter Zugrundelegung der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 01. April 2009 - B 14 SF 1/08 R - jurisPR-SozR 11/2010 Anm. 5, Münker), wonach grundsätzlich in jedem Beschwerdeverfahren, das zu einem gesonderten Gebührenanfall nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) führt, eine Kostenentscheidung zu ergehen hat (vgl. dazu auch Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl 2010, § 18 RVG Rn. 10, 12 mwN), ergibt sich vorliegend zunächst in Ansehung der §§ 3 Abs 1 Satz 1, 18 Abs 1 Nr. 3 Variante 1 RVG iVm Gebührenziffer 3501 der Anlage 1 zum RVG (Vergütungsverzeichnis), dass die Kostenentscheidung im Verfahren nach § 183 SGG nicht der Schlussentscheidung überlassen werden darf (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08. März 2010 – L 5 AS 1114/09 B, aA LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Dezember 2008 - L 19 B 1829/08 AS, zitiert nach juris).
Die Kosten sind nicht dem am Beschwerdeverfahren nicht beteiligten Beklagten aufzuerlegen. Aufgrund des in § 21 Abs 1 GKG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, dass Kosten, die durch fehlerhaftes Verhalten des Gerichts verursacht werden, den Parteien nicht zur Last fallen dürfen, sind diese vielmehr der Staatskasse aufzuerlegen. Im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (etwa Beschluss vom 07. März 2007 - X B 76/06) und anderer Obergerichte (z.B. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08. März 2010 – L 5 AS 1114/09 B, LSG Hessen, Beschluss vom 07. September 2010 - L 8 KR 231/09 B, zitiert nach juris) richtet sich die Kostenentscheidung nach § 46 Abs 1 Ordnungswidrigkeitengesetz in Verbindung mit § 467 Abs 1 Strafprozessordnung analog.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.