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Gemeindevertretung; Mandat; Inkompatibilität; Erzieherin in gemeindeeigener Kindertagesstätte


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 12. Senat Entscheidungsdatum 05.12.2019
Aktenzeichen OVG 12 S 49.19 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2019:1205.OVG12S49.19.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Art 137 Abs 1 GG, § 12 Abs 1 Nr 1 KomWG BB, § 12 Abs 4 Nr 1 KomWG BB

Leitsatz

Die Inkompatibilitätsregelung des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG erstreckt sich nicht auf solche Arbeitnehmer der Gemeinde (hier: Erzieherin in einer gemeindeeigenen Kindertagesstätte), die keine Möglichkeit haben, inhaltlich auf die Verwaltungsführung der Gemeinde Einfluss zu nehmen (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2017 - 10 C 2.16 - BVerwGE 159, 113).

Tenor

In der Verwaltungsstreitsache hat der 12. Senat am 5. Dezember 2019 beschlossen:

Die Beschwerde des Antragsgegners zu 2 gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 21. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsgegner zu 2.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, rechtfertigt keine Änderung oder Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses.

Das Verwaltungsgericht hat das Eilrechtsschutzbegehren der Antragstellerin, die bei der Kommunalwahl am 26. Mai 2019 als Mitglied der Gemeindevertretung G… gewählt worden ist, in analoger Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO für zulässig erachtet. Bei der gegen eine Wahlprüfungsentscheidung in der Hauptsache zu erhebenden Klage handele es sich um eine Gestaltungsklage eigener Art, die eine der Anfechtungskonstellation vergleichbare Verfahrenslage aufweise. Die Antragstellerin habe die Feststellung des Wahlleiters, es liege gemäß § 12 BbgKWahlG ein Fall der Inkompatibilität vor und ihr Sitz in der Gemeindevertretung sei auf die nächste Ersatzperson des Wahlvorschlags übergegangen, rechtzeitig mit ihrem Wahleinspruch angefochten. Der Eilantrag sei auch begründet. Die angegriffene Entscheidung des Wahlleiters sei rechtswidrig, da die Antragstellerin keine Arbeitnehmerin im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG sei. Als Erzieherin in einer Kindertagesstätte der Gemeinde G… stehe sie zwar als Arbeitnehmerin im Dienst der Körperschaft, deren Vertretung sie angehören wolle. Sie könne sich auch nicht mit Erfolg auf die Ausnahmeregelung des § 12 Abs. 4 Nr. 1 BbgKWahlG berufen, da sie nicht überwiegend körperliche Arbeit verrichte. In Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht sei jedoch davon auszugehen, dass es über dieses Merkmal hinaus einer weitergehenden Einschränkung des § 12 Abs. 1 BbgKWahlG bedürfe, die sich an Sinn und Zweck der verfassungsrechtlichen Ermächtigungsgrundlage, der Gefahr von Interessenkollisionen zu begegnen, ausrichten müsse. Danach dürften jedenfalls bei kommunalen Vertretungsorganen nicht unterschiedslos alle Arbeitnehmer der Kommune, die nicht überwiegend körperliche Arbeit verrichteten, von der Wählbarkeit ausgeschlossen werden. Der Ausschluss dürfe nicht auf solche Arbeitnehmer erstreckt werden, die keine Möglichkeit hätten, inhaltlich auf die Verwaltungsführung der Kommune Einfluss zu nehmen. So liege der Fall hier; die Antragstellerin habe als Erzieherin einer gemeindeeigenen Kindertagestätte keine Möglichkeit, auf die Verwaltungsführung der Kita selbst Einfluss zu nehmen. Dass mit dem Mandat als Gemeindevertreterin auch Entscheidungen einhergehen könnten, die ihre Tätigkeit als Erzieherin beträfen, sei nicht zu bestreiten. Diesem Konflikt sei indes jeder Arbeitnehmer der Gemeinde ausgesetzt, auch derjenige, der überwiegend körperliche Arbeit verrichte.

Zu den erstinstanzlichen Gründen, aus denen das Verwaltungsgericht die Gewährung von Eilrechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO analog als zulässig angesehen hat, verhält sich die Beschwerde nicht. Die in der Sache erhobenen Einwände greifen nicht durch.

Ohne Erfolg macht der Antragsgegner zu 2. geltend, das Verwaltungsgericht habe die angeführte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Einschränkungen der Wählbarkeit im kommunalen Bereich (Urteil vom 14. Juni 2017 - 10 C 2.16 - BVerwGE 159, 113, juris) zu Unrecht auf den vorliegenden Fall übertragen und den Anwendungsbereich des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG damit in rechtswidriger Weise reduziert. Anhaltspunkte dafür, dass sich die hier einschlägige Inkompatibilitätsvorschrift entscheidungserheblich von der Regelung unterscheidet, die Gegenstand der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts war, lassen sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen. Der bloße Hinweis auf den Wortlaut des § 12 Abs. 4 Nr. 1 BbgKWahlG, der - anders als in dem höchstrichterlich entschiedenen Fall - nicht nur Arbeitnehmer, die überwiegend körperliche Arbeit verrichten, von der Inkompatibilität ausnimmt, sondern auch Arbeiter im herkömmlichen Sinne, gibt dafür nichts her. Er lässt nicht erkennen, dass der Ausnahmevorschrift damit ein anderer Anwendungsbereich zukommt, als die überkommene Gruppe der Arbeiter von der Gruppe der Angestellten zu unterscheiden, für die Art. 137 Abs. 1 GG zum Erlass einer Unvertretbarkeitsregelung ermächtigt (BVerwG, a.a.O., Rn. 22, 29 zu § 24 Abs. 1 Satz 2 der Landkreisordnung Baden-Württemberg; zu § 12 Abs. 4 Nr. 1 BbgKWahlG idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Brandenburgischen Kommunalwahlgesetzes: Amtl. Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung, LT-Drs. 4/7053, S. 41).

Das Verwaltungsgericht hat auch nicht die Tätigkeit als Erzieherin in einer gemeindeeigenen Kindertagesstätte ohne nähere Begründung der im Fall des Bundesverwaltungsgerichts in Rede stehenden Tätigkeit eines Pförtners in einem kommunalen Krankenhaus gleichgesetzt. Vielmehr ist es den grundsätzlichen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zu den verfassungsrechtlichen Grenzen einer Beschränkung der Wählbarkeit kommunaler Arbeitnehmer gefolgt und in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass sich die Regelung des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG nach Sinn und Zweck der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG, der Gefahr von Interessenkollisionen zu begegnen, nicht auf solche Arbeitnehmer erstrecken dürfe, die keine Möglichkeit haben, inhaltlich auf die Verwaltungsführung der Kommune Einfluss zu nehmen (BVerwG, a.a.O., Rn. 26, 30). Dagegen ist nichts zu erinnern; insbesondere kann angesichts der Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts, denen der Senat nach eigener Prüfung folgt, keine Rede davon sein, dass das Verwaltungsgericht den Anwendungsbereich der landesrechtlichen Inkompatibilitätsvorschrift in rechtswidriger Weise eingeschränkt hätte.

Ebenso wenig begegnet die einzelfallbezogene Subsumtion des Verwaltungsgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die Antragstellerin nach ihrem dienstlichen Tätigkeitsbereich keine Möglichkeit besitzt, inhaltlich auf die Verwaltungsführung der Gemeinde Einfluss zu nehmen und daher keine Arbeitnehmerin im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG sei. Tragfähige Anhaltspunkte für eine abweichende Würdigung zeigt die Beschwerde mit dem Hinweis auf eine „sachbearbeitende“ Tätigkeit der Antragstellerin nicht auf. Dass ihre Aufgabe als Erzieherin in einer gemeindeeigenen Kindertagesstätte auch die Dokumentation der Fortschritte der von ihr betreuten Kinder in Art einer „Personalakte“ umfasst, vermag eine tatsächliche Möglichkeit der Einflussnahme nicht zu belegen. Inwieweit sich aus derartigen Unterlagen für die Antragstellerin die Möglichkeit ergeben soll, die Verwaltungsführung der Gemeinde oder auch nur der Kindertagesstätte selbst inhaltlich zu beeinflussen, ist auch nicht ansatzweise dargetan. Nichts anderes gilt, soweit mit der Beschwerde auf das fehlende „fachliche Gefälle“ der in einer Kindestagesstätte Beschäftigten verwiesen und geltend gemacht wird, dass für die Antragstellerin bereits durch die Diskussion mit der Leitung der Einrichtung die Möglichkeit bestehe, auf die Verwaltung der Kindertagesstätte Einfluss zu nehmen. Abgesehen davon, dass eine solche Möglichkeit spekulativ bleibt, fehlt es auch insoweit an substantiierten Anhaltspunkten, dass typischerweise ein von § 12 Abs. 1 Nr. 1 BbgKWahlG erfasster Interessenkonflikt zwischen dem Mandat in der Gemeindevertretung und der Tätigkeit als Erzieherin droht. Namentlich ist nicht erkennbar, dass die Antragstellerin aufgrund ihrer dienstlichen Tätigkeit über die Kita-Verwaltung inhaltlich Einfluss auf die Verwaltungsführung der Gemeinde nehmen könnte.

Ohne Erfolg bleibt schließlich auch der Einwand, das Verwaltungsgericht habe das Verhältnis zwischen der Inkompatibilitätsregelung des § 12 BbgKWahlG und dem Mitwirkungsverbot nach § 22 BbgKVerf verkannt. Der Einwand trifft nicht zu; das Verwaltungsgericht hat lediglich darauf verwiesen, dass mit dem Mandat der Antragstellerin als Gemeindevertreterin auch Entscheidungen einhergehen könnten, die ihre Tätigkeit als Erzieherin betreffen. Damit hat es ersichtlich darauf abgestellt, dass der im Einzelfall bestehenden Möglichkeit einer persönlichen Betroffenheit der Antragstellerin nicht über § 12 BbgKWahlG, sondern im Rahmen des § 22 BbgKVerf zu begegnen wäre. Das ist nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).