Gericht | OLG Brandenburg 1. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 15.02.2024 | |
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Aktenzeichen | 1 AR 2/24 (SA Z) | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2024:0215.1AR2.24SA.Z.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Zuständig ist das Amtsgericht Mitte.
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf die Zahlung von 1.644,90 € als Entgelt für erbrachte Hausmeisterleistungen und auf die Zahlung von 235,80 € für vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, jeweils nebst Zinsen, in Anspruch.
Sie hat mit anwaltlichem Schriftsatz vom 25.5.2023 die Klage beim Amtsgericht Potsdam erhoben, wobei sie für die Beklagte eine Postanschrift in („Ort 01“) angegeben hat. Dort ist die Klage am 19.7.2023 zugestellt worden.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 18.9.2023 hat die Beklagte die fehlende Zuständigkeit des Amtsgerichts Potsdam gerügt und unter Vorlage eines Handelsregisterauszugs vorgetragen, dass sich ihre Geschäftsadresse in („Ort 02“) befinde.
Daraufhin hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 25.9.2023 die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Mitte beantragt unter Hinweis darauf, dass ihr die nach dem Inhalt des Handelsregisterauszugs bereits am 4.5.2023 vorgenommene Änderung des Geschäftssitzes bislang nicht bekannt gewesen sei. Das Amtsgericht Potsdam hat den Schriftsatz der Beklagten zur Stellungnahme zugeleitet. Die Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 4.10.2023 mit der Verweisung einverstanden erklärt.
Durch Beschluss vom 5.10.2023 hat sich das Amtsgericht Potsdam für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Mitte verwiesen.
Das Amtsgericht Mitte hat sich durch Beschluss vom 14.12.2023 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt, die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und die Sache dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
II.
Auf die Vorlage durch das Amtsgericht Mitte ist dessen Zuständigkeit für den vorliegenden Rechtsstreit auszusprechen.
1. Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO durch das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden, weil das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof ist und das zu seinem Bezirk gehörende Amtsgericht Potsdam mit der Sache zuerst befasst gewesen ist.
2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Potsdam als auch das Amtsgericht Mitte haben sich im Sinne dieser Vorschrift rechtskräftig für unzuständig erklärt, und zwar Ersteres durch den Verweisungsbeschluss vom 5.10.2023 und Letzteres durch den Vorlagebeschluss vom 14.12.2023. Beide Entscheidungen genügen den Anforderungen, die an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es dafür allein darauf ankommt, dass eine den Parteien bekanntgemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (statt vieler: Senat, NJW 2004, 780; Zöller/Schultzky, ZPO, 35. Aufl., § 36, Rn. 34 f.).
3. Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Mitte.
Seine Zuständigkeit folgt aus der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Potsdam vom 5.10.2023 nach § 281 Abs. 2 ZPO. Aufgrund dieser klaren gesetzlichen Regelung kann die Bindungswirkung nur ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-)Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfallen. Im Interesse einer baldigen Klärung und Vermeidung wechselseitiger (Rück-)Verweisungen ist die Willkürschwelle dabei hoch anzusetzen. Einfache Rechtsfehler, wie etwa das Übersehen einer die Zuständigkeit begründenden Rechtsnorm, rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung grundsätzlich nicht. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzwidrig oder grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (BGH, Beschluss vom 17.5.2011, X ARZ 109/11, zitiert nach juris; Senat JMBl. 2007, 65, 66; NJW 2006, 3444, 3445; 2004, 780; eingehend ferner: Tombrink, NJW 2003, 2364 f.; jeweils m. w. N.).
Denn derart zu konkretisierenden Einschränkungen der Bindungswirkung hält der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 5.10.2023 stand.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist beachtet worden, nachdem das Amtsgericht Potsdam den Verweisungsantrag vom 25.9.2023 der Beklagten zur Stellungnahme übersandt und erst im Anschluss an deren Einverständniserklärung vom 4.10.2023 den Verweisungsbeschluss vom 5.10.2023 gefasst hat.
Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Potsdam entbehrt auch nicht jeglicher gesetzlichen Grundlage. Er steht im Einklang mit der gesetzlichen Regelung in §§ 12, 13, 17 ZPO, wonach der allgemeine Gerichtsstand einer Person durch deren Wohn- oder Geschäftssitz bestimmt wird.
Es führt demgegenüber nicht zu einer Willkür des Verweisungsbeschlusses, dass, wie vom Amtsgericht Mitte in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen gestellt, daneben der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO beim Amtsgericht Potsdam bestehen mag. Denn ein Übergehen des besonderen Gerichtsstandes nach § 29 ZPO stellt jedenfalls in Fällen, in denen – wie hier bis zum Vorlagebeschluss des Amtsgerichts Mitte vom 14.12.2023 – weder die Frage des Erfüllungsorts thematisiert noch zum Sitz der beklagten Partei im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgetragen wird, lediglich eine einfache und die Bindungswirkung nicht berührende Fehlerhaftigkeit dar, da sich in solchen Fallgestaltungen eine Befassung des verweisenden Gerichts mit dieser Frage nicht unmittelbar aufgedrängt hat (BGH, Beschluss vom 17.5.2011, X ARZ 109/11, zitiert nach juris; Senat, Beschluss vom 15.11.2013, 1 (Z) SA 62/13).
Eine zum Entfallen der Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO führende Verkennung der Unwiderruflichkeit der Wahlrechtsausübung nach § 35 ZPO (vgl. BGH NJW 2002, 3634, 3635; 1999, 1723; Senat, Beschluss vom 23.10.2023, 1 AR 32/23 (SA Z); Beschluss vom 7.8.2019, 1 AR 32/19 (SA Z)) liegt nicht vor. Denn die Klägerin hat mit der Anrufung des Amtsgerichts Potsdam nicht ein Wahlrecht nach § 35 ZPO ausüben können, da ihr – wie sie im Verweisungsantrag vom 25.9.2023 ausgeführt hat – die Verlegung des Geschäftssitzes der Beklagten nach („Ort 02“) bis zu deren Vortrag im Schriftsatz vom 18.9.2023 nicht bekannt gewesen ist.