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Entscheidung 2 W 2/24


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Zivilsenat Entscheidungsdatum 01.03.2024
Aktenzeichen 2 W 2/24 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2024:0301.2W2.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 25. Oktober 2023, Az. 4 O 1/23, aufgehoben. Das Verfahren wird zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Landgericht mit der Maßgabe zurückverwiesen, dass von einer hinreichenden Erfolgsaussicht des Antrags aus dem Schriftsatz vom 11. März 2023 in einem Umfang von 5.000 € nebst Rechtshängigkeitszinsen auszugehen ist. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Schadensersatz. Sie hält das Land haftbar aus Amts- bzw. Staatshaftung wegen eines fehlerhaften Eintrags im Schengener Informationssystem, der zudem nicht rechtzeitig gelöscht worden sei. Sie sei deswegen in („Land 01“) bei einer Grenzkontrolle zu Unrecht angehalten und in ein Kinderheim verbracht worden, das sie erst nach 25 Tagen habe verlassen können. Der Vorfall habe bei ihr eine behandlungsbedürftige posttraumatische Belastungsstörung ausgelöst.

Die im März 2004 geborene Antragstellerin ist („Land 02“) Staatsangehörige. Sie verfügte im Jahr 2019 über eine aufenthaltsrechtliche Duldung für das Inland. Sie beabsichtigte im Einvernehmen mit ihrer sich damals in („Land 02“) aufhaltenden, allein sorgeberechtigten Mutter, zu dieser nach („Land 02“) zu fahren. Der durch die Mutter bestellte inländische Erziehungsbevollmächtigte informierte das Jugendamt. Nach einer Woche war die Antragstellerin weder bei ihrer Mutter angekommen noch sonst ihr Aufenthalt dem Erziehungsbevollmächtigten bekannt. Das Jugendamt informierte den Erziehungsbevollmächtigten und die Polizei. Diese trug die Antragstellerin als Person in das Schengener Informationssystem zur Fahndung ein, die „im Falle des Auffindens an der Weiterreise zu hindern“ sei. Nachdem der Erziehungsbevollmächtigte die Antragstellerin in („Stadt 01“) ausfindig machen konnte und die örtliche Polizei informierte, initiierte diese die Löschung des Eintrags.

Tatsächlich wurde der Eintrag nicht gelöscht. Die Antragstellerin wurde am 14. September 2019 beim Versuch des Grenzübertritts nach („Land 02“), für die sie über alle konsularisch erforderlichen Papiere verfügte, durch („Land 01“) Grenzbeamte festgehalten. Sie wurde in ein Kinderheim bei („Stadt 02“) verbracht, das sie erst am 9. Oktober 2019 verlassen konnte.

Die Antragstellerin begehrt Schmerzensgeld von wenigstens 25.000 €. Sie meldete den Anspruch am 2. Januar 2020 beim Polizeipräsidenten an, der zunächst Nachweise zum behaupteten Schaden erbat und im Folgenden wiederholt versicherte, auf die Angelegenheit später zurückzukommen, zuletzt am 2. Januar 2023. An diesem Tag ging der Antrag der Antragstellerin auf Prozesskostenhilfe ein.

Sie ist der Auffassung, schon die Ausschreibung im Schengener Informationssystem sei nicht zulässig gewesen, da sie nicht zu den damit zu suchenden Personen gehört habe. Darüber hinaus habe die Ausschreibung unmittelbar gelöscht – und die Löschung sichergestellt – werden müssen, als ihr inländischer Aufenthalt wieder bekannt war. Ihre Festnahme an der Grenze zu („Land 02“) und ihre zeitweise Unterbringung in dem Kinderheim seien ebenso zurechenbare Folge des polizeilichen Fehlverhaltens wie die posttraumatische Belastungsstörung, die daraus erwachsen sei. Rechtsgrundlage für die sie betreffende Ausschreibung im Schengener Informationssystem sei der Ratsbeschluss (EU) 2007/533/JI und noch nicht die Verordnung (EU) 2018/1862. Er fordere eine verschuldensunabhängige Haftung für unrechtmäßige Ausschreibungen, wie sie auch das Staatshaftungsgesetz für rechtswidriges staatliches Verhalten vorsehe. Gleiches ergebe sich aus allgemeinem Datenschutzrecht, namentlich der Datenschutzgrundverordnung und dem brandenburgischen Datenschutzgesetz sowie dem Brandenburgisches Polizei-, Justizvollzugs- und Maßregelvollzugsdatenschutzgesetz. Das System müsse technisch fehlerhaft gewesen sein, wenn es den behaupteten Löschauftrag nicht verarbeitet hat; dies aufzuklären könne nur Sache eines Hauptsacheverfahrens sein, für das sie die Prozesskostenhilfe beantragt.

Der Antragsgegner ist dem entgegengetreten. Er habe nicht für das fehlerfreie Funktionieren des Informationssystems zu garantieren. Ein Fehler des Systems sei nicht festzustellen gewesen, so dass seine Bediensteten schon keine drittbezogene Amtspflicht verletzt hätten, und noch weniger schuldhaft gehandelt. Die Ausschreibung als solche sei rechtmäßig erfolgt, das Fehlschlagen der Löschung nicht erkennbar gewesen. In keinem Fall seien die geltend gemachten Schäden kausal auf die fehlende Löschung zurückzuführen. Die Antragstellerin wäre als unbegleitete Minderjährige ohne schriftliche Einverständniserklärung ihrer Mutter ohnehin an der Grenze angehalten worden. Die Antragstellerin habe nur unsubstantiiert behauptet, aufgrund des Heimaufenthaltes an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt zu sein. Die Antragstellerin habe schon ab dem 18. September 2019 aus dem Kinderheim abgeholt werden können; dass dies der Familie aus finanziellen Gründen nicht möglich gewesen sei, sei nicht ihm, dem Antragsgegner anzulasten. Ohnehin seien die Ansprüche verjährt, über die er nie verhandelt habe.

Das Landgericht hat mit dem angegriffenen Beschluss den Antrag auf Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für materielle Schäden zurückgewiesen. Zwar sei Verjährung nicht eingetreten, nachdem der Mahnantrag am 2. Januar 2023 und damit rechtzeitig eingereicht wurde. Der Antragstellerin komme aber kein Anspruch aus Amtshaftung in Verbindung mit den Vorschriften der Verordnung (EU) 2018/1962 zu. Die Ausschreibung der vermissten minderjährigen Antragstellerin im SIS sei rechtmäßig gewesen, die Verordnung erlaube insbesondere die Ausschreibung vermisster Minderjähriger. Hinsichtlich der fehlgeschlagenen Löschung habe der zuständige Bedienstete weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt. Er habe sofort mit dem Wegfall des Fahndungsgrundes die Löschung veranlasst und weder eine Störungs- oder sonstige Fehlermeldung erhalten, so dass das Fehlschlagen der Löschung für ihn nicht erkennbar gewesen sei. Zudem bestünden Zweifel an der Kausalität für den behaupteten Schaden. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Antragstellerin als unbegleitete Minderjährige ohnehin festgehalten worden wäre. Einen materiellen Schaden habe die Antragstellerin nicht dargetan. Die durch sie vorgelegten Atteste zur posttraumatischen Belastungsstörung genügten nicht.

Der Beschluss ist der Antragstellerin am 8. November 2023 zugestellt worden. Sie hat am 1. Dezember 2023 Beschwerde erhoben. Sie ist der Auffassung, das Landgericht verkenne die für das Prozesskostenhilfeverfahren geltenden verfassungsrechtlich geprägten Maßstäbe und überspanne daher die Anforderungen an ihren Vortrag. Andere Anspruchsgrundlagen als Amtshaftungsansprüche prüfe es gar nicht, die europarechtlichen Fragen thematisiere es ebenso wenig wie das Datenschutzrecht. Der die Suchmeldung eingebende Kriminalbeamte sei schon funktional nicht zuständig gewesen. Er müsse das angeblich fehlerfrei arbeitende System falsch bedient haben und damit wenigstens fahrlässig gehandelt. Ihr Vortrag zur Kausalität sei offenbar gar nicht berücksichtigt worden. Die Höhe ihrer – geringen – materiellen Schäden werde sie im Rahmen der Klageschrift beziffern. Der Nachweis ihrer kausal auf das Geschehen zurückzuführende Erkrankung sei Sache des Hauptsacheverfahrens.

Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 29. Dezember 2023 nicht abgeholfen.

II.

Die zulässige, insbesondere rechtzeitig im Sinne des § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO eingelegte Beschwerde ist begründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

1.

Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO wird Prozesskostenhilfe gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Das ist verfassungsrechtlich unbedenklich, solange und soweit die Anforderungen an das Vorbringen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht überspannt werden. Die grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässige Prüfung der Erfolgsaussicht darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Prozesskostenhilfeverfahren zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (BVerfG, Beschluss vom 11. März 2010 – 1 BvR 365/09, NJW 2010, 1657). Höchstrichterlich noch nicht geklärte und umstrittene Rechtsfragen dürfen nicht im Bewilligungsverfahren „durchentschieden“ werden (VerfG Bbg, Beschluss vom 24. März 2017 – VfGBbg 48/16, BeckRS 2017, 105824). In tatsächlicher Hinsicht ist Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen würde (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 30. September 2003 – 1 BvR 2072/02 –, Rdnr. 10 bei juris). Die notwendige „summarische“ Prüfung ist dagegen keine nur oberflächliche Prüfung der Klage und ihrer Erfolgsaussichten. Im Gegenteil ist eine sorgfältige Prüfung der Erfolgsaussicht nicht nur verfassungsrechtlich zulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. September 2003 – 1 BvR 2072/02, NJW-RR 2004, 61), sondern sowohl aus fiskalischen Gründen als auch im Interesse beider Parteien geboten, insbesondere für den Antrag auf Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage: Für den Kläger bedeutet die Bewilligung der Prozesskostenhilfe, dass er die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu tragen hat, wenn er unterliegt (§ 123 ZPO), während ihm die gegnerischen Kosten nicht aufzuerlegen sind, wenn schon sein Antrag auf Prozesskostenhilfe zurückgewiesen wird. Der Beklagte hingegen muss im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Kläger fürchten, im Obsiegensfall seinen prozessualen Kostenerstattungsanspruch gegen den Kläger nicht durchsetzen zu können (Senat, Beschluss vom 16. März 2021 – 2 W 2/21 –, Rdnr. 10; Wache, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 114 ZPO Rdnr. 52).

2.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann der beabsichtigten Klage jedenfalls in einem Umfang von 5.000 € nicht die hinreichende Erfolgsaussicht abgesprochen werden. Der Antragstellerin kann insoweit ein Anspruch auf Amtshaftung (§ 839 BGB, Art. 34 GG) zukommen. In Betracht kommt weiter ein Anspruch aus Datenschutzrecht. Ob auch ein Anspruch aus Staatshaftung besteht, kann angesichts dessen vorliegend dahinstehen.

a)

Der Antragstellerin kann ein Anspruch aus Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 BGB, Art. 34 GG) zustehen.

Voraussetzung der auf die Körperschaft übergeleiteten Haftung ist, dass ein Beamter im haftungsrechtlichen Sinne in Ausübung eines ihm von dem Antragsgegner anvertrauten Amtes schuldhaft eine den Klägern gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt und so den Klägern einen Schaden verursacht hat, für den – bei nur fahrlässigem Handeln des Beamten – die Kläger nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermögen.

(1)

Es ist die grundlegende Amtspflicht des Beamten, die Aufgaben und Befugnisse des Staates oder der Körperschaft, für die er tätig wird, im Einklang mit dem objektiven Recht wahrzunehmen und auszuüben. Die öffentlich-rechtlichen Rechtspflichten, die die öffentliche Hand dem Bürger gegenüber hat, bestimmen zugleich die persönlichen Amtspflichten, die dem Amtswalter obliegen. Er ist deswegen verpflichtet, sich an Recht und Gesetz zu halten, also die Verfassung, die förmlichen Gesetze, Rechtsverordnungen, Satzungen und sonstige Rechtsvorschriften, auch des Rechts der Europäischen Union, zu beachten. Da die Gerichte letztlich über die Auslegung und Anwendung von Normen zu befinden haben, hat der Beamte auch die Pflicht, die für seine Amtsausübung einschlägige Rechtsprechung zu berücksichtigen (Thomas, in: BeckOnline-Großkommentar mit Stand 1. Dezember 2023, § 839 BGB Rdnr. 146; Papier/Shirvani ebd., § 839 BGB Rdnr. 257). Hierzu gehört die Pflicht, Vorschriften über die Zuständigkeit, die Form und das Verfahren einzuhalten (Papier/Shirvani ebd. Rdnr. 271; Thomas ebd. Rdnr. 151 f). Darüber hinaus fordert der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass bei hoheitlichen Eingriffen in die Rechtssphäre eines Betroffenen Art und Schwere des Eingriffs in einem angemessenen Verhältnis zu dem erstrebten Zweck stehen. Die Behörden haben daher einen Eingriff von vornherein in seinem Umfang und gegebenenfalls in seiner Dauer auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken (Thomas ebd. Rdnr. 156).

(2)

Rechtsgrundlagen der Ausschreibung der Antragstellerin zur Fahndung in den polizeilichen Informationssystemen INPOL und SIS sind §§ 42 Abs. 1 Satz 1 und 43 Abs. 1 BbgPolG. Diese Vorschriften erlauben die Übermittlung personenbezogener Daten zwischen inländischen Polizeibehörden (§ 42 Abs. 1 Satz 1 BbgPolG) bzw. an ausländische öffentliche und an über- und zwischenstaatliche Stellen (§ 43 Abs. 1 BbgPolG), soweit dies zur Erfüllung einer polizeilichen Aufgabe erforderlich ist.

Die Personenfahndung als die planmäßige Suche nach Personen im Rahmen der Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr ist eine klassische Polizeiaufgabe, die auf die ermittlungsrechtliche oder auf die polizeiliche Generalklausel zu stützen ist. Zur Gefahrenabwehr zählt etwa die Suche nach schutzbedürftigen vermissten Personen, in erster Linie Minderjähriger (Arzt, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Auflage 2021, G. Rdnr. 1222 f; Barczak, in: Nomos-Kommentar BKA-Gesetz, 1. Aufl. 2023, § 2 BKAG Rdnr. 58; Roll, in: Wirth, Kriminalistik-Lexikon, 5. Auflage 2021, Stichwort „Personenfahndung“). Denn Minderjährige dürfen ohne Zustimmung der Sorgeberechtigten ihren Aufenthaltsort nicht selbst bestimmen. Sie gelten daher als vermisst, wenn sie ihren gewohnten Lebenskreis verlassen haben und ihr Aufenthalt nicht bekannt ist. Das kann darauf beruhen, dass sie den Eltern oder einem Elternteil entzogen wurden, entführt wurden oder sich selbst der Obhut entzogen haben (Balloff, Kinder vor dem Familiengericht, Teil 4.10.1; Möllers, Wörterbuch der Polizei, 3. Auflage 2018, Stichwort „Vermisstenanzeige“). Zum Schutz des Jugendlichen, vorrangig aber zur Gewährleistung des elterlichen Aufenthaltsbestimmungsrechts, ermächtigt § 17 Abs. 2 BbgPolG die Polizei, Minderjährige, die sich der Obhut der Personensorgeberechtigten entzogen haben, in Gewahrsam zu nehmen, um sie den Personensorgeberechtigten oder dem Jugendamt zuzuführen (sog. Zuführungsgewahrsam, vgl. Hofrichter/Fickenscher, in: Möstl/Fickenscher, Beck’scher Online-Kommentar zum Polizei- und Ordnungsrecht Brandenburg, 2. Edition mit Stand 1. Januar 2024, § 17 BbgPolG Rdnr. 68 ff; Rachor/Graulich, in: Lisken/Denninger ebd., 6. Auflage 2018, Rdnr. 511).

Hauptsächliches Mittel insbesondere der länderübergreifenden Personenfahndung ist die Aufnahme von Daten der zu suchenden Person in den entsprechenden Datenbestand des nach § 2 Abs. 3 BKAG durch das Bundeskriminalamt als Zentralstelle unterhaltenen polizeilichen Informationsverbundes INPOL als zentrale Einrichtungen für die Fahndung nach Personen und Sachen (vgl. Arzt ebd. Rdnr. 1223; Barczak ebd. Rdnr. 59). Für internationale Fahndungen unterhielten im hier maßgeblichen Jahr 2019 die den Schengener Abkommen beigetretenen Länder das so genannte Schengener Informationssystem auf der Basis des Beschlusses 2007/533/JI des Rates vom 12. Juni 2007 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II) (ABl. EG 2007 L 205/63; BGBl. I 2009 S. 1226). Nationale Kopfstelle („SIRENE-Büro“) ist das Bundeskriminalamt, das Ausschreibungen in diesem System nach § 29 Abs. 1 Satz 3 BKAG in der Fassung vom 1. Juni 2017 über den polizeilichen Informationsverbund und das Zentrale System des SIS („CS-SIS“) an die anderen teilnehmenden Länder vermittelte (vgl. Arzt, NJW 2011, 352 f; Graulich, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Auflage 2019, § 29 BKAG Rdnr. 2 und 12; siehe auch Aden, in: Lisken/Denninger ebd., Teil M Rdnr. 209). Seit dem 7. März 2023 ist das Bundeskriminalamt Zentrale nationale Stelle für den Betrieb des nationalen Teils des Schengener Informationssystems III auf der Grundlage der Verordnung (EU) 2018/1862 (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 BKAG; zur Betriebsaufnahme vgl. DIE Feststellung der Kommission im Durchführungsbeschluss (EU) 2023/201 vom 30. Januar 2023, ABl. EU vom 31. Januar 2023, L27/29).

Das Schengener Informationssystem II ermöglichte die Ausschreibung von Personen zu verschiedenen Zwecken, darunter auch die Suche nach Vermissten, insbesondere von Minderjährigen. Gemäß Art. 32 Abs. 2 und 3 des Rahmenbeschlusses konnten (lit. a) Vermisste in das System eingegeben werden, die im Interesse ihres eigenen Schutzes oder zur Gefahrenabwehr in Gewahrsam genommen werden müssen, sowie (lit. b) Vermisste, die nicht in Gewahrsam genommen werden müssen. Ersteres war nur zulässig für Vermisste, die aufgrund einer Anordnung einer zuständigen Stelle zwangsweise untergebracht werden müssen.

Die Verantwortlichkeit für die Richtigkeit, Aktualität und Rechtmäßigkeit der Eingabe in das Schengener Informationssystem lag (Art. 49 Abs. 1 des Ratsbeschlusses) und liegt (Art. 59 Abs. 1 der Verordnung) bei den Mitgliedsstaaten. Auf nationaler Ebene obliegt die datenschutzrechtliche Verantwortung für die im INPOL-System gespeicherten Daten, namentlich für die Rechtmäßigkeit der Erhebung, die Zulässigkeit der Eingabe sowie die Richtigkeit oder Aktualität der Daten, den Stellen, die die Daten unmittelbar eingeben (§ 31 Abs. 2 BKAG; vgl. auch Arzt, NJW 2011, 352 f; Graulich ebd., § 29 BKAG Rdnr. 15). Sie sind insbesondere verpflichtet, personenbezogene Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind, und sie unverzüglich zu löschen, wenn ihre Verarbeitung unzulässig ist, sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung gelöscht werden müssen oder ihre Kenntnis für seine Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist, § 77 Abs. 6 Satz 1 BKAG und § 75 Abs. 1 und 2 BDSG (Barczak ebd. § 31 BKAG Rdnr. 8; Graulich ebd. § 31 BKAG Rdnr. 4). Landesrecht bestimmt entsprechendes entsprechend der allgemeinen Regelung des § 37 Satz 1 BbgPolG in § 47 Abs. 1 und 2 BbgPolG.

(3)

Vor diesem Hintergrund liegt eine Amtspflichtverletzung durch die Bediensteten des Antragsgegners nahe.

Die ursprüngliche Ausschreibung der Antragstellerin zur Fahndung war allerdings rechtmäßig. Die Antragstellerin war eine vermisste Minderjährige im erläuterten Sinn. Ihr Aufenthalt war sowohl ihrer sorgeberechtigten Mutter wie dem von dieser beauftragten Erziehungsbevollmächtigten unbekannt. Damit war nicht nur ihr Aufenthaltsbestimmungsrecht gefährdet. Es bestand auch eine nicht auszuschließende Gefahr für die Person der Antragstellerin, die sich außerhalb ihrer gewohnten Umgebung bewegte. Da sie zudem allein auf dem Landweg über mehrere Nationalgrenzen reisen wollte, war auch die internationale Ausschreibung im Schengener Informationssystem angezeigt. Sie wahrte damit nicht nur die nationale, sondern auch die nach Art. 21 Abs. 1 des Ratsbeschlusses erforderliche europarechtliche Verhältnismäßigkeit. Die Ausschreibung zur Ingewahrsamnahme im Sinne von Art. 32 Abs. 2 lit. a des Ratsbeschlusses („im Falle des Auffindens an der Weiterreise zu hindern“) war zulässig auch nach europarechtlichen Maßstäben, da die Antragstellerin sich der Obhut ihrer Erziehungsberechtigten entzogen hatte und daher durch die Polizei in Zuführungsgewahrsam genommen werden durfte, § 17 Abs. 2 BbgPolG, das heißt aufgrund einer Anordnung einer zuständigen Stelle zwangsweise unterzubringen war im Sinne von Art. 32 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses.

Diese Voraussetzungen lagen freilich nicht mehr vor, nachdem die Antragstellerin am 9. September 2019 wieder Kontakt zu dem Erziehungsbevollmächtigten hatte und sie ihre Reise – mit seinem Einvernehmen – nach („Land 02“) von („Stadt 01“) aus fortsetzte. Weder war sie vermisst noch hatte sie sich seiner Obhut entzogen. Es bestand keine Gefahr für sie noch für die Verwirklichung des elterlichen Aufenthaltsbestimmungsrechts mehr. Ihre Ingewahrsamnahme war nicht mehr zulässig, und damit weder ihre Ausschreibung als solche noch – besonders – als eine in Gewahrsam zu nehmende Person. Der Eintrag in INPOL und dem SIS war zu löschen. Dieser Pflicht kam die Polizei nicht nach. Nach der Darstellung des Antragsgegners haben seine Bediensteten zwar „die Löschung veranlasst“. Tatsächlich erfolgte sie jedoch nicht. Der rechtswidrig gewordene Zustand dauerte damit objektiv an.

(4)

Die Bediensteten des Antragsgegners handelten fahrlässig.

Nach dem im Rahmen des § 839 BGB geltenden objektivierten Sorgfaltsmaßstab, kommt es für die Beurteilung des Verschuldens auf die Kenntnisse und Fähigkeiten an, die für die Führung des übernommenen Amtes im Durchschnitt erforderlich sind. Die Anforderungen an amtspflichtgemäßes Verhalten sind am Maßstab des pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten zu messen. Jeder staatliche (oder kommunale) Amtsträger muss die zur Führung seines Amtes notwendigen Rechts- und Verwaltungskenntnisse besitzen oder sich verschaffen (Senat, Urteil vom 11. Dezember 2023 – 2 U 33/22 –, Rdnr. 55; Urteil vom 4. Oktober 2022 – 2 U 11/22 –, Rdnr. 33). Die Bediensteten des Antragsgegners hätten nicht allein die Löschung „veranlassen“ und blind darauf vertrauen dürfen, dass diese auch tatsächlich erfolgt. Ihre Amtspflicht bestand darin, die nicht mehr erforderliche und damit nicht mehr zulässige Verwendung der personenbezogenen Daten zu beenden und damit die Daten in der Fahndungsdatei zu löschen. Sie waren damit zur Herbeiführung eines Erfolges verpflichtet und nicht nur zum Tätigwerden. Sie mussten den Eintritt des Erfolges sicherstellen, das heißt überprüfen, ob die Löschung tatsächlich erfolgte. Das hätten die Bediensteten des Antragsgegners als pflichtgetreue Beamte, die zu Eingaben in INPOL und das SIS befugt waren, erkennen können und müssen.

(5)

Die Amtspflichtverletzung hat die Freiheitsentziehung der Antragstellerin verursacht. Im Amtshaftungsrecht gilt – wie im übrigen Schadensersatzrecht – das Erfordernis des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen Amtspflichtverletzung und Schaden. Ein adäquater Zusammenhang besteht, wenn die Amtspflichtverletzung im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen oder nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung des Schadens geeignet war (BGH, Urteil vom 21. Oktober 1993 – III ZR 68/92 –, NVwZ 1994, 825/826 f). Liegt die Amtspflichtverletzung in einem Unterlassen, kann der Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden grundsätzlich nur bejaht werden, wenn der Schadenseintritt bei pflichtgemäßem Handeln mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre. Der Geschädigte hat insoweit darzulegen und zu beweisen, in welcher für ihn günstigen Weise das Geschehen bei Vornahme der gebotenen Amtshandlung verlaufen wäre. Beruht ein Schaden haftungsrechtlich auf mehreren Ursachen, die von verschiedenen Personen gesetzt worden sind, so haften diese grundsätzlich als Gesamtschuldner. Zivilrechtlich wird in diesen Fällen nicht danach unterschieden, ob einzelne Ursachen wesentlicher sind als andere. Dies gilt in der Regel auch dann, wenn eine Ursache für sich allein den Schaden nicht herbeigeführt hätte, es dazu vielmehr des Hinzutretens weiterer Umstände im Sinne einer kumulativen Gesamtkausalität bedurfte. Demgemäß ist grundsätzlich auch der Schaden zu ersetzen, der letztlich erst durch das Eingreifen eines Dritten eintritt. Die Zurechenbarkeit fehlt in derartigen Fällen erst dann, wenn das Eingreifen des Dritten den Kausalverlauf so verändert, dass der Schaden bei wertender Betrachtung in keinem inneren Zusammenhang mit dem von dem Anspruchsgegner zu vertretenden Fehler steht, dieser also ganz hinter die weitere Ursache zurücktritt und letztlich nur noch in einem äußeren rein zufälligen Zusammenhang mit der durch die erste Ursache geschaffenen Gefahrenlage steht. Dies ist etwa bei einem völlig ungewöhnlichen und unsachgemäßen Eingreifen eines Dritten in den schadensträchtigen Geschehensablauf der Fall. Eine solche wertende Betrachtung erfordert eine Güter- und Interessenabwägung. Dabei kommt es für die Zurechnung darauf an, inwieweit der Erstverursacher eine Gefahrerhöhung herbeigeführt hat, ob sein Verhalten gewissermaßen Aufforderungscharakter hatte, inwieweit dem Eingreifen des Dritten Dringlichkeit und Vernünftigkeit zuzusprechen ist oder ob sein Verhalten mit Blick auf das von ihm verfolgte Ziel der Verhältnismäßigkeit entspricht. Wirken in dem Schaden die besonderen Gefahren fort, die durch die erste Ursache gesetzt wurden, kann der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang nicht verneint werden (BGH, Urteil vom 21. Januar 2021 – III ZR 70/19 –, NVwZ-RR 2021, 620 = MDR 2021, 359, Rdnr. 24 f; siehe auch Papier/Shirvani ebd., § 839 BGB Rdnr. 350).

Nach diesen Maßstäben war die Pflichtverletzung der Bediensteten des Antragsgegners ursächlich für den Eingriff in das Freiheitsrecht der Antragstellerin. Das Nichtlöschen der Fahndungsausschreibung nach Wegfall ihrer Voraussetzungen stellt sich dabei nicht als bloßes Unterlassen dar, sondern vielmehr als fortwirkender Eingriff in die Rechtssphäre der Antragstellerin. Die Bediensteten des Antragsgegners unterließen es nicht, einen von Dritter Seite drohenden Schaden von der Antragstellerin abzuwenden, sondern beendeten pflichtwidrig nicht die mit der ursprünglichen Eintragung in Gang gesetzte Verletzung. Das Anhalten der Antragstellerin durch die ungarischen Grenzbeamten und ihr Festhalten ist die adäquate, mit dem Zusatz „an der Weiterreise zu hindern“ intendierte Folge der Fahndungsausschreibung. Entsprechendes gilt letztlich für die Unterbringung der Antragstellerin in dem Kinderheim für fast einen Monat gegen den Willen der Antragstellerin und ihrer sorgeberechtigten Mutter. Die („Land 01“) Behörden haben den durch die Fahndungsausschreibung in Gang gesetzten Kausalverlauf nicht derart verändert, dass die Freiheitsentziehung bei wertender Betrachtung in keinem inneren Zusammenhang mit dem von dem Antragsgegner zu vertretenden Fehler steht. Das Festhalten der auch in diesen Wochen noch unbegleiteten Minderjährigen steht keinesfalls nur noch in einem äußeren, rein zufälligen Zusammenhang mit der Ausschreibung. Es kann nicht als völlig ungewöhnlich und unsachgemäßes Eingreifen eines Dritten in den schadensträchtigen Geschehensablauf bezeichnet werden, sondern liegt vielmehr ohne weiteres noch in dem Rahmen des nach der Ausschreibung zu Erwartenden.

Die Kausalität der Ausschreibung für das Anhalten und nachfolgende Festhalten kann schließlich nicht deshalb von vornherein verneint werden, weil die Antragstellerin, wie durch den Antragsgegner geltend gemacht, als unbegleitete Minderjährige ohnehin an der Grenze festgehalten und im Anschluss festgesetzt worden wäre. In diesem Fall wäre zwar tatsächlich die (aufrechterhaltene) Ausschreibung zur Fahndung nicht einmal notwendige Bedingung für die Freiheitsentziehung im Sinne einer conditio sine qua non. Die Antragstellerin, die diesen Umstand vorzutragen und zu beweisen hat, hat aber behauptet, sie sei in der Vergangenheit bereits mehrfach unbehelligt als unbegleitete Minderjährige von („Land 01“) nach („Land 02“) ausgereist. Der Antragsgegner hat dies bestritten, weshalb hierüber Beweis zu erheben sein wird wenigstens in Form einer Anhörung der Antragstellerin (vgl. Kockentiedt/Windau, Parteianhörung und richterliche Überzeugungsbildung, NJW 2019, 3348). Den durch den Antragsgegner hierzu vorgelegten Angaben der ("Land 2") Botschaft dürfte hierbei nur geringe Aussagekraft zukommen, da sie sich auf die Einreise nach („Land 01“) und nicht auf die Ausreise eines Fremdstaatsangehörigen beziehen.

(6)

Die beabsichtigte Klage hat aber nur in einem Umfang von 5.000 € hinreichend Aussicht auf Erfolg.

(a)

Das von der Antragstellerin in erster Linie begehrte „Schmerzensgeld“, das heißt die billige Entschädigung in Geld für den erlittenen Nichtvermögensschaden im Sinne des § 253 Abs. 2 BGB, übersteigt absehbar nicht den Betrag von 5.000 €.

Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falles, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Diese hat der Tatrichter zunächst sämtlich in den Blick zu nehmen, dann die fallprägenden Umstände zu bestimmen und diese im Verhältnis zueinander zu gewichten. Dabei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen; hier liegt das Schwergewicht. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt (BGH, Urteil vom 15. Februar 2022 – VI ZR 937/20 –, NJW 2022, 1953 = VersR 2022, 712 m. Anm. Jaeger, Rdnr. 13 m. w. N.).

Vorliegend ist einerseits die Dauer der zwangsweisen Unterbringung der Antragstellerin in dem Kinderheim in („Land 01“) zu berücksichtigen, und andererseits die von ihr behauptete, hierauf zurückzuführende Gesundheitsschädigung in Form einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung. Für die unberechtigte zwangsweise Unterbringung einer 16-jährigen in einem Kinderheim kann nach Überzeugung des Senates ohne weitere Angaben zu besonders belastenden Umständen kein höheres Schmerzensgeld angebracht sein als für eine unrechtmäßige Inhaftierung. Für derartige Fälle ist in der Rechtsprechung eine Entschädigung als billig anerkannt, deren Rahmen sich an einem Betrag von 100 € für jeden erlittenen Tag der Freiheitsentziehung orientiert. Das berücksichtigt zum einen die Entscheidungen des EGMR zu notwendigen Entschädigungen in solchen Haftfällen, und zum anderen den Entschädigungssatz des § 7 Abs.3 StrEG (OLG Hamm, Beschluss vom 16. Dezember 2020 – I-11 W 67/20 –, NJW-RR 2021, 535 = MDR 2021, 620; vgl. auch Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 23. November 2017 – 4 U 26/15 –, FamRZ 2018, 796, Rdnr. 214 bei juris, sowie Jaeger, VersR 2022, 712/716 m. w. N.). Besonders belastende Umstände, die ein Abweichen nach oben erforderlich machten, sind vorliegend nicht zu erkennen. Zwar ist zu beachten, dass die Antragstellerin im fraglichen Zeitraum erst 16 Jahre alt war. Hinzu kommt, dass sie auf sich allein gestellt war und die im Heim gesprochene Sprache nicht verstand. Die Unterbringung war allerdings anders als eine Haft mit keinem besonderen Schuldvorwurf oder einem sonstigen sozialen Unwerturteil verbunden.

Erhöhend kann hier freilich, sollte sich der Vortrag der Antragstellerin als wahr erweisen lassen, die von ihr angegebene Gesundheitsbeeinträchtigung zu berücksichtigen sein. Die Antragstellerin gibt eine tiefgreifende psychische und soziale Beeinträchtigung an, die noch nach Jahren behandlungsbedürftig sei.

Weitere Angaben zu den Folgen der Unterbringung enthält die Antragsschrift aber nicht, so dass der Senat in der Gesamtschau keine höhere Entschädigung als 5.000 € für angemessen erachten kann.

(b)

Die von der Antragstellerin nur angedeuteten Vermögensschäden sind nicht in einer § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO genügenden Tiefe dargetan. Nach dieser Vorschrift ist in dem Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen. Das erfordert die Festlegung des Streitgegenstands. Eine Antragstellerin muss einen bestimmten Anspruch geltend machen. Sie sollte den beabsichtigten Klagantrag formulieren und ihn im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO in tatsächlicher Hinsicht so begründen, dass das Gericht die beabsichtige Klage in ihren wesentlichen Umrissen erkennen kann (vgl. Dunkhase, in: Anders/Gehle, Zivilprozessordnung, 82. Auflage 2024, § 117 ZPO Rdnr. 24; Reichling, in: Beck’scher Online-Kommentar zur ZPO, 51. Edition mit Stand 1. Dezember 2023, § 117 ZPO Rdnr. 30; Wache, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 114 ZPO Rdnr. 59 und § 117 ZPO Rdnr. 17).

Daran fehlt es hinsichtlich materieller Schäden. Die Antragstellerin deutet solche zwar in ihrem Antrag vom 2. Januar 2023 an, soweit sie darin neben „Schmerzendgeld“ auch „Schadensersatz“ als Begehr anführt. Sie benennt allerdings nicht eine materielle Schadensposition. In ihrem weiteren Antrag vom 11. März 2023 erwähnt sie zwar „ihr entstandene Aufwendungen“, erläutert aber auch diese nicht.

(7)

Der Anspruch ist aus den vom Landgericht zutreffend dargestellten Gründen nicht verjährt (vgl. BGH, Urteil vom 5. August 2014 – XI ZR 172/13 –, Rdnr. 10; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11. März 2008 – 24 U 138/07 –, BeckRS 2008, 10563; Meller-Hannich, in: BeckOnline-Großkommentar mit Stand 15. September 2023, § 204 BGB Rdnr. 134).

b)

Ebenfalls in Betracht kommt eine Haftung aus Datenschutzrecht. Denkbar ist einerseits ein Anspruch aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO, und andererseits ein Anspruch aus § 43 Abs. 1 und 2 des Brandenburgischen Polizei-, Justizvollzugs- und Maßregelvollzugsdatenschutzgesetzes (BbgPJMDSG).

(1)

Art. 82 der unmittelbar anwendbaren Datenschutzgrundverordnung (EU) 679/2016 gewährt jeder Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, einen Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter. Nach Absatz 2, 4 und 5 haften alle an einer Verarbeitung beteiligten Verantwortlichen prinzipiell als Gesamtschuldner. Von der Haftung befreit ist, wer nachweist, dass er in keinerlei Hinsicht für den Umstand, durch den der Schaden eingetreten ist, verantwortlich ist. Die Verordnung findet Anwendung auf die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie auf die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen, mit Ausnahme unter anderem der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit (Art. 2 Abs. 2 lit. d DS-GVO).

Korrespondierend sehen nach Art. 56 der Richtlinie (EU) 2016/680 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr die Mitgliedstaaten vor, dass jede Person, der wegen einer rechtswidrigen Verarbeitung oder einer anderen Handlung, die gegen nach Maßgabe dieser Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften verstößt, ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Recht auf Schadenersatz seitens des Verantwortlichen oder jeder sonst nach dem Recht der Mitgliedstaaten zuständigen Stelle hat. Diese Richtlinie findet Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit. In Umsetzung dessen sieht § 43 des Brandenburgischen Polizei-, Justizvollzugs- und Maßregelvollzugsdatenschutzgesetzes (BbgPJMDSG) die Verpflichtung desjenigen zum Schadensersatz vor, der als Verantwortlicher einer Person durch eine Verarbeitung personenbezogener Daten, die nach den zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 erlassenen Rechtsvorschriften rechtswidrig war, einen Schaden zugefügt hat. Der Anspruch besteht nicht, wenn den Verantwortlichen kein Verschulden trifft. Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann die Person eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen.

(2)

Die Abgrenzung der durch den europäischen Gesetzgeber als einander ausschließend konzipierten Rechtsakte (vgl. einerseits Erwägungsgrund 19 zur Datenschutz-Grundverordnung (EU) 679/2016 und anderseits Erwägungsgründe 9 ff der Richtlinie (EU) 2016/680) kann vorliegend dahinstehen. Ein Anspruch erscheint aus beiden Anspruchsgrundlagen – Art. 82 DSGVO einerseits und § 43 BbgPJMDSG andererseits – denkbar.

Art. 82 DS-GVO gewährt Schadensersatz auch in Form einer billigen Entschädigung für Nichtvermögensschäden infolge einer nicht der Verordnung entsprechenden Datenverarbeitung. Die Zulässigkeit der Datenverarbeitung bestimmt sich, soweit es an einer – hier fehlenden – wirksamen Einwilligung der Betroffenen fehlt, unter anderem nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. e DS-GVO. Danach ist die Verarbeitung der Daten der Betroffenen nur rechtmäßig, wenn die Verarbeitung für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde. Ob eine Aufgabe im öffentlichen Interesse besteht, die eine Verarbeitung personenbezogene Daten erfordert, bestimmt dabei nicht der Verantwortliche. Die Vorschrift ist daher nur eine Scharniernorm für die Berücksichtigung des eigentlichen Erlaubnistatbestands in der Rechtsgrundlage für die Verarbeitung. Die Datenverarbeitung muss durch die gesetzliche Rechtsgrundlage erlaubt werden, die sie nur zulässt, wenn sie für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich, die im öffentlichen Interesse liegt (vgl. Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann, Datenschutzrecht, Art. 6 Abs. 1 DS-GVO Rdnr. 71). In vergleichbarer Weise stellt Art. 56 der Richtlinie und in ihrer Umsetzung § 43 BbgPJMDSG auf die Erforderlichkeit der Datenverarbeitung ab, und gewährt Schadensersatz auch in Form einer billigen Entschädigung in Geld, wenn die Datenverarbeitung diesen Voraussetzungen nicht genügte. Die (nicht gelöschte) Ausschreibung einer Person zur Fahndung in einem polizeilichen Informationssystem stellt nach Wegfall des Fahndungsgrundes eine nicht mehr erforderliche und damit rechtswidrige Datenverarbeitung dar. Nach beiden Rechtsakten wird das Verschulden bzw. die Verantwortlichkeit des Datenverarbeitenden vermutet, der sich aber entlasten kann.

In jedem Fall stellt schon die Abgrenzung der Anwendungsbereiche der beiden Rechtsakte eine schwierige und höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage im obigen Sinne dar, die nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden kann, sondern deretwegen der bedürftigen Partei das Hauptsacheverfahren offenstehen muss. Nach einer weit verbreiteten Ansicht in der Literatur unterfällt die Verarbeitung von Daten für andere Zwecke als die der Verhütung und Sanktionierung von Straftaten nicht der Richtlinie, sondern der Verordnung. Hierzu soll ausdrücklich auch die „Bearbeitung von Vermisstenanzeigen durch die Polizei“ gehören (vgl. Kühling/Raab, in: Kühling/Buchner, DS-GVO und BDSG, 4. Auflage 2024, Art. 2 DS-GVO Rdnr. 29, unter Verweis auf Roßnagel, in: Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann, Datenschutzrecht, 1. Auflage 2019, Art. 2 DSGVO Rn. 40). Nach Auffassung des Brandenburgischen Gesetzgebers dagegen bezwecke die Polizei mit ihrer datenverarbeitenden Tätigkeit auch im auf den ersten Blick präventiven Bereich nur dann nicht die Verhütung und Sanktionierung von Straftaten, wenn von Anfang an ein Zusammenhang zu einer Straftat auszuschließen sei. Er stützt sich hierfür auf Erwägungsgrund 12 zur Richtlinie, wonach die „Tätigkeiten der Polizei oder anderer Strafverfolgungsbehörden [...] hauptsächlich auf die Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten ausgerichtet“ seien. Hierzu aber „zählen auch polizeiliche Tätigkeiten in Fällen, in denen nicht von vornherein bekannt ist, ob es sich um Straftaten handelt oder nicht“ (vgl. LT-Drs. 6/10692 Begründung S. 6 f = S. 62 im PDF). In gleicher Weise ungeklärt ist die Auslegung der beiden Anspruchsgrundlagen.

(3)

Keine der beiden Vorschriften wird durch § 839 BGB verdrängt.

Zwar verdrängt § 839 BGB in seinem Anwendungsbereich konkurrierende Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB sowie Ansprüche außerhalb des BGB, die Verschulden oder vermutetes Verschulden voraussetzen. Der Grund hierfür ist aber in erster Linie in Art. 34 S. 1 GG zu sehen, wonach für den durch eine Amtspflichtverletzung eines Amtsträgers verursachten Schaden der Staat oder die Körperschaft haftet, in deren Dienst er steht, nicht aber der Amtsträger selbst (OLG Hamm, Urteil vom 20. Januar 2023 – I-11 U 88/22 –, MedR 2023, 560 = MDR 2023, 636, Rdnr. 72; BGH, Urteil vom 6. Juni 2019 – III ZR 124/18 –, NJW-RR 2019, 1163 = MDR 2019, 989, Rdnr. 10; Wöstmann, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2020, § 839 BGB Rdnr. 34).

Der Anspruch aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO ist aber auch dann, wenn er sich gegen eine Behörde richtet, kein Anspruch aus der Verletzung einer Amtspflicht im Sinne von Art. 34 S. 1 GG, da es sich hierbei nicht um eine auf die Anstellungskörperschaft übergeleitete Haftung eines Amtsträgers handelt, sondern um eine originäre Haftung der Behörde selbst. Denn durch Art. 34 S. 1 GG wird der Staat zwar zum Haftungssubjekt, nicht aber zum Zurechnungssubjekt. Der Anspruch aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO richtet sich aber gegen den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter und damit nicht gegen die Institution und nicht gegen den einzelnen Mitarbeiter oder Bediensteten. Zudem soll nach Unionsrecht der Schadensersatzanspruch unbeschadet von Schadensersatzforderungen aufgrund von Verstößen gegen andere Vorschriften des Unionsrechts oder des Rechts der Mitgliedstaaten gegeben sein (OLG Hamm, Urteil vom 20. Januar 2023 – I-11 U 88/22 –, MedR 2023, 560 = MDR 2023, 636, Rdnr. 72 ff m. u. N.). Für den Anspruch aus § 43 BbgPJMDSG gilt nichts anderes. Auch er richtet sich unmittelbar gegen den „Verantwortlichen“ im Sinne des § 2 Nr. 7 BbgPJMDSG, das heißt gegen die öffentliche Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten entscheidet. Das ist nicht der einzelne Bedienstete.

c)

Angesichts dessen kann jedenfalls vorliegend dahinstehen, ob der Antragstellerin auch ein Anspruch auf Staatshaftung aus § 1 StHG zukommen kann.

Der verschuldensunabhängige Anspruch auf Staatshaftung aus § 1 Abs. 1 StHG umfasst – anders als der ebenfalls verschuldensunabhängige Anspruch aus Polizeirecht (§ 70 PolG in Verbindung mit § 38 OBG sowie § 39 OBG, vgl. LT-Drs. 1/268 S. 79) – prinzipiell auch den Ersatz für Nichtvermögensschäden (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Juni 2021 – 2 U 9/21 –, Rdnr. 10 bei juris; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Auflage 2013, 14. Teil III. 7, S. 587). Es ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass Amtshaftungsansprüche und Ansprüche aus dem Staatshaftungsgesetz im Wesentlichen nach denselben Grundsätzen zu behandeln sind (BGH, Urteil vom 7. Februar 2008 – III ZR 76/07 –, NVwZ 2009, 132).

Es ist allerdings fraglich, ob das Staatshaftungsgesetz auch Anwendung auf Maßnahmen im Sinne des § 38 Abs. 1 OBG (gegebenenfalls in Verbindung mit § 70 PolG) findet. Sowohl die Vorschriften des Staatshaftungsgesetzes wie des § 38 Abs. 1 lit. b OBG mit §§ 39 ff OBG sind spezialgesetzliche Konkretisierungen des richterrechtlich ausgeformten enteignungsgleichen bzw. aufopferungsgleichen Eingriffs (BGH, Urteil vom 17. März 2022 – III ZR 79/21 –, BGHZ 233, 107 = NJW 2022, 2252, Rdnr. 66; Urteil vom 16. April 2015 – III ZR 333/13 –, NVwZ 2015, 1309; Urteil vom 12. Oktober 1978 – III ZR 162/76 –, NJW 1979, 34/36; Ossenbühl/Cornils ebd., 12. Teil I. 1, S. 486; Papier/Shirvani, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2024, § 839 BGB Rdnr. 71). Die Vorschriften des Polizei- und Ordnungsrechts stellen dabei die speziellere Anspruchsgrundlage dar und dürften daher denen des Staatshaftungsgesetzes vorgehen und sie verdrängen, auch ohne dass deren Nichtanwendbarkeit – anders als im Bauordnungsrecht (§ 57 Abs. 6 BbgBO) und im Straßenrecht (§ 10 Abs. 1 Satz 2 BbgStrG) – explizit ausgesprochen werden musste (vgl. Ossenbühl/Cornils ebd., 12. Teil VI, S. 527).

3.

Die Sache ist nach § 572 Abs. 3 ZPO dem Landgericht zur Prüfung der Bedürftigkeit der Antragstellerin und zur abschließenden Entscheidung über ihren Antrag zurückzuverweisen. Dem Senat ist diese Prüfung anhand der vorliegenden Unterlagen nicht möglich. Sie stammen vom Juli 2023, so dass die darin enthaltenen Angaben inzwischen überholt sein können.

4.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 127 Abs. 4 ZPO.