Gericht | LG Neuruppin 4. Zivilkammer | Entscheidungsdatum | 30.06.2023 | |
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Aktenzeichen | 4 T 38/23 | ECLI | ECLI:DE:LGNEURU:2023:0630.4T38.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 05.05.2023, Az. 20 C 240/22, abgeändert:
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger als Gesamtschuldner und der Beklagte zu je 1/2.
Die zulässige, insbesondere innerhalb der Frist der §§ 91a Abs. 2 S. 1, 569 Abs. 1 S. 1 ZPO eingelegte sofortige Beschwerde ist begründet.
Die Kosten des Rechtsstreits waren den Parteien zu je 1/2 aufzuerlegen, da die Entscheidung des Rechtsstreits von einer durchzuführenden Beweisaufnahme abhängig gewesen wäre.
Im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 91a ZPO findet eine Prognose statt, wie das Verfahren betreffend die Hauptsache ohne die übereinstimmende Erledigung - hier den Prozessvergleich - ausgegangen wäre und wer die Kosten des Verfahrens hätte tragen müssen. Dies erfordert eine Prognoseentscheidung betreffend die Zulässigkeit und Begründetheit der Klage im Zeitpunkt der Erledigung, für die § 91a ZPO als Entscheidungsparameter die „Billigkeit“ und den „bisherigen Sach- und Streitstand“ vorgibt. Es hat also eine summarische Prüfung zu erfolgen.
Da die Entscheidung des Rechtsstreits vorliegend von einer Beweisaufnahme abhängig ist, haben die Parteien die Kosten zu je 1/2 zu tragen (so auch Jaspersen in BeckOK ZPO, Vorwerk / Wolf, 48. Ed., Stand: 01.03.2023, § 91a, Rn. 31.1).
Die Kläger haben sich auf Eigenbedarf berufen. Dessen Vorliegen hätte im Rahmen einer Beweisaufnahme festgestellt werden müssen. Voraussetzung für eine Eigenbedarfskündigung ist, dass gem. § 573 Abs. 1 S. 1 BGB ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Beendigung des Mietverhältnisses besteht, das gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB dann vorliegt, wenn der Kläger die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt.
Bei der Auslegung und Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB haben die Gerichte die Interessenabwägung des Gesetzgebers zwischen dem Erlangungsinteresse des Vermieters und dem Bestandsinteresse des Mieters in einer Weise nachzuvollziehen, die dem Eigentumsschutz Rechnung trägt und die beiderseitigen Belange von Vermieter und Mieter in einen verhältnismäßigen Ausgleich bringt. Der Vermieter wird durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG in seiner Freiheit geschützt, die Wohnung bei Eigenbedarf selbst zu nutzen oder durch privilegierte Angehörige nutzen zu lassen. Die Gerichte sind daher nicht berechtigt, ihre Vorstellungen von angemessenem Wohnen verbindlich an die Stelle der Lebensplanung des Vermieters (oder seiner Angehörigen) zu setzen. Dem Erlangungswunsch des Vermieters sind allerdings zur Wahrung berechtigter Belange des Mieters Grenzen gesetzt. Zur Wirksamkeit der Eigenbedarfskündigung ist es deshalb erforderlich, dass der Vermieter den Eigenbedarfswunsch ernsthaft verfolgt und er vernünftige, nachvollziehbare Gründe anführt und der geltend gemachte Eigenbedarf nicht objektiv unsinnig oder missbräuchlich ist. Rechtsmissbrauch in diesem Sinne kann dabei angenommen werden, wenn der Vermieter weit überhöhten Wohnbedarf geltend macht, die Wohnung die Nutzungswünsche des Vermieters nicht erfüllen kann oder der Wohnbedarf des Vermieters in einer anderen Wohnung ohne wesentliche Abstriche befriedigt werden kann, was unter Abwägung der beiderseitigen Interessen anhand objektiver Kriterien unter konkreter Würdigung der Einzelfallumstände zu beurteilen ist (BGH NJW 2015, 1590, Rn. 15 f.).
Derartig vernünftige Gründe sind durch die Kläger substantiiert vorgetragen worden, indem sie behauptet haben, das Reihenhaus für sich und ihre Kinder als Wohnhaus nutzen zu wollen, insbesondere wegen des gestiegenen Platzbedarfs und wegen der Tätigkeit des Klägers in Heimarbeit. Zudem ist behauptet worden, der Umzug sei wegen der sodann gegebenen räumlichen Nähe zu anderen Familienmitgliedern erforderlich.
Ob diese Gründe vorliegen, kann allerdings nicht allein aus der Anhörung des Klägers gem. § 141 ZPO - um eine solche und nicht eine Parteivernehmung handelte es sich vorliegend - geschlossen werden. Anerkannt ist, dass jedenfalls in den Fällen, in denen die Partei keinen Zeugen zur Verfügung hat („Vier-Augen-Gespräch“), ihr Gelegenheit zu geben ist, ihre Darstellung in den Prozess persönlich im Wege der Anhörung nach § 141 ZPO einzubringen (BVerfG NJW 2017, 3218, Rn. 58). In allen anderen Fällen der Beweisnot einer Partei, bei denen es sich nicht um einen Fall des „Vier-Augen-Gesprächs“ handelt, kann über § 141 ZPO nicht der unmittelbare Beweis geführt werden, sondern dieser nur ergänzend zur Überzeugungsbildung beitragen (MükoZPO/Fritzsche, 6. Auflage 2020, § 141, Rn. 6 f. m.w.N.).
Insofern hätten die Kläger die Behauptung, es liege Eigenbedarf vor, im Prozess etwa durch Zeugen beweisen müssen, ein „Vier-Augen-Gespräch“ oder eine vergleichbare Situation lag nicht vor. Das Ergebnis einer derartigen Beweisaufnahme ist offen. Richtig ist, dass der Zeugenbeweis nur zu der in S. bestehenden familiären Unterstützung angeboten wurde, nicht ersichtlich ist aber, dass die Kläger - insbesondere nach Hinweis des Amtsgerichts, der sodann angezeigt gewesen wäre - nicht auch für die anderen den Eigenbedarf begründenden Umstände Zeugen hätten anbieten können. Selbst wenn Zeugen hinsichtlich der behaupteten Tatsachen nicht gestellt werden könnten und eine Beweisnot gegeben wäre, die eine (subsidiäre) Vernehmung der Kläger nach § 448 ZPO möglich werden ließe (MükoZPO/Schreiber, 6. Auflage 2020, § 448, Rn. 4), so käme es jedenfalls auf eine Beweisaufnahme durch Parteivernehmung nach § 448 ZPO an, deren Ergebnis - trotz der Äußerungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung - nur als offen gewertet werden kann.