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Entscheidung 4 U 58/23


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Zivilsenat Entscheidungsdatum 21.02.2024
Aktenzeichen 4 U 58/23 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2024:0221.4U58.23.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 22.03.2023, Az. 6 O 234/20, aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht zurückverwiesen.

2. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zum 230.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Abrechnung nach einem gekündigten VOB/B-Bauvertrag. Die Klägerin verlangt Rückzahlung von ihrer Ansicht nach überzahltem Werklohn; der beklagte Werkunternehmer verlangt mit seiner Widerklage restlichen Werklohn.

Der Bauvertrag vom 27.06.2018 betrifft die vollständige Sanierung eines vierstöckigen Mehrfamilienhauses mit Gründerzeitfassade in der L…straße .. in P…. Dem Vertrag liegt eine Leistungsbeschreibung der Klägerin vom 29.11.2016 sowie ein Angebot des Beklagten vom 28.02.2018 zugrunde, in dem ein „Pauschalfestpreis“ über 1.302.100 € (netto) genannt wird, der sich in 26 einzelne Pauschalpreise für die dort näher beschriebenen Gewerke aufteilt.

Der Beklagte begann im Juni 2018 mit den Arbeiten und erhielt in der Folgezeit Abschläge über mindestens 339.796,53 € (netto). Mit Schreiben vom 31.01.2020 erklärte der Beklagte die Kündigung wegen nicht gestellter Sicherheit. Am 20.02.2020 kündigte ihrerseits die Klägerin außerordentlich und sprach ein Baustellenverbot aus.

Am 10.03.2020 erstellten die Parteien ein Bautenstandsprotokoll, in dem die erbrachten Werkleistungen aufgeführt sind.

Die Klägerin behauptet, sie habe Abschläge von insgesamt 357.943,60 € (netto) gezahlt; die erbrachten Teilleistungen seien mit 147.475,18 € (netto) zu bewerten, so dass der Beklagte mit 210.468,42 € (netto) = 250.457,42 € (brutto) überzahlt sei. Diesen Betrag verlangt sie mit der Klage.

Der Beklagte stellte am 06.10.2020 eine Schlussrechnung, in der er die erbachten Leistungen mit 380.871,00 € (netto) bewertete, davon Abschläge von 339.796,53 € (netto) abzog und noch eine Restvergütung von 41.074,47 € (netto) = 48.878,62 € (brutto) beansprucht. Die Vergütung für nicht erbrachte Leistung beziffert der Beklagte mit 192.215,59 € (netto). Mit seiner Widerklage verlangt der Beklagte insgesamt 241.094,21 €.

Im Termin am 01.03.2023 hat der Beklagte zur Widerklage keinen Antrag gestellt. Das Landgericht hat daraufhin ein „Versäumnisteil- und Schlussurteil“ erlassen, mit dem es der Klage in Höhe von 228.862,41 € stattgegeben und die Widerklage wegen Säumnis abgewiesen hat. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Schlussrechnung des Beklagten genüge den Darlegungsanforderungen nicht. Da es sich um einen gestuften Pauschalpreisvertrag handele, hätte der Beklagte für jede der 26 Einzelpositionen die erbrachten und die nicht erbrachten Leistungen benennen müssen. Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Nachfolgend hat der Beklagte Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt, so dass das Verfahren über die Widerklage am Landgericht fortgeführt wird.

Mit der Berufung wendet sich der Beklagte gegen die Verurteilung. Er meint, bei dem angefochtenen Urteil handele es sich um ein Teilurteil, für das die Voraussetzungen des § 301 ZPO nicht vorgelegen hätten. Klage und Widerklage beträfen denselben Streitgegenstand. Mit dem Urteil sei das Verfahren - nachdem gegen das Versäumnisurteil fristgerecht Einspruch eingelegt worden sei - in zwei Teile aufgeteilt worden, so dass die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen bestehe. In der Sache habe das Landgericht die Anforderungen an die Schlussrechnung überspannt und insbesondere die Bautenstandsfeststellung (Anlage B3) unberücksichtigt gelassen, aus der im Einzelnen hervorgehe, welche Leistungen erbracht und welche noch nicht erbracht worden seien. Im Übrigen sei jedenfalls die mit der Berufungsbegründung vorgelegte Schlussrechnung prüffähig, so dass die entsprechende Begründung des Landgerichts nicht mehr greife. Der Beklagte erläutert hierzu seine Berechnung im Einzelnen. Gemäß Ziffer 11.7 des Bauvertrages könne die Klägerin zudem lediglich Nettobeträge vom Beklagten zurückverlangen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 22.03.2023 aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hält das Teilurteil für zulässig und die in der Berufungsinstanz vorgelegte Schlussrechnung für verspätet. Im Übrigen verteidigt sie das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige Berufung führt zur Aufhebung und Zurückverweisung des angefochtenen Urteils, da es sich als ein entgegen § 301 ZPO erlassenes Urteil darstellt. Der Senat macht - mit Blick auf den noch beim Landgericht verbliebenen Teil des Rechtsstreits - von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 7 ZPO unter Aufhebung des Urteils an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverweisen.

1.

Klage und Widerklage, die sich auf einen Rückzahlungsanspruch bzw. Werklohnanspruch aus demselben Vertragsverhältnis beziehen, betreffen denselben Streitgegenstand (vgl. BGH Urteil vom 16.06.1992, IX ZR 302/90). Bei Trennung der beiden Klagen besteht die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen, da sich die gegensätzlichen Anträge materiell-rechtlich gegenseitig ausschließen. Die Klageforderung kann nur bestehen, wenn zugleich feststeht, dass die mit der Widerklage geltend gemachte Forderung nicht besteht - und umgekehrt, vgl. § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO. Über die Widerklage ist nur durch Versäumnisurteil entschieden worden; nachdem dagegen fristgerecht Einspruch erhoben wurde, wird das Verfahren vor dem Landgericht fortgesetzt, während über den Klageanspruch nunmehr durch den Senat zu entscheiden ist. Wenn das Erstgericht - wie hier - über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs durch streitiges Urteil und über einen anderen Teil desselben Anspruchs durch Versäumnisurteil entscheiden müsste, sind die Grundsätze des § 301 ZPO anzuwenden. Denn das streitige Urteil kann nur mit der Berufung, das Teilversäumnisurteil mit dem Einspruch gemäß § 338 ZPO angefochten werden, was zu einer (vom Gesetz nicht gewollten) Aufspaltung der Entscheidung über einen einheitlichen Streitgegenstand führt. In solchen Fällen ist daher auch der Erlass eines Teilversäumnis- und Teilurteils unzulässig (vgl. BGH, Urteil vom 24.02.1999, XII ZR 155/97, Rn. 17, juris).

Der Erlass des Teilurteils stellt damit einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 538 Abs. 2 ZPO dar. Dies macht hier die Aufhebung des angefochtenen Urteils erforderlich. Eine nur ausnahmsweise gerechtfertigte Entscheidung des gesamten Rechtsstreits durch das Berufungsgericht (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl. § 538 Rn. 55) erscheint hier nicht geboten. Die Höhe der geltend gemachten gegenseitigen Ansprüche ist weiterhin streitig, so dass eine Entscheidung durch das Berufungsgericht nicht sachdienlich ist. Dies hätte nämlich zur Folge, dass ohne sachlich gerechtfertigten Grund praktisch der gesamte nach dem ersten Teilurteil anhängig gebliebene Prozess erst in zweiter Instanz begonnen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 12.01.1994 – XII ZR 167/92 –, Rn. 25, juris).

2.

Lediglich vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass jedenfalls die (neue) Schlussrechnung des Klägers vom 18.07.2023 mit Blick auf die detaillierte Berechnung in „AnlageAbrechnungBK1“ (Bl. 1 ff. AHB) prüffähig sein dürfte.

3.

Die Kostenentscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, bleibt dem erstinstanzlichen Schlussurteil vorbehalten.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO. Auch im Falle einer Aufhebung und Zurückverweisung ist im Hinblick auf die §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit geboten (vgl. OLG München, Urteil vom 09.10.2009 – 10 U 2309/09 und 2343/09, Rn. 35 m.w.N., juris).

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.