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Altersdiskriminierung nach BAT-Ost aufgrund Lebensaltersstufen mit großer dynamischer Verweisungsklausel als Gleichsstellungsabrede; Beseitigung der Ungleichbehandlung durch Anpassung nach oben


Metadaten

Gericht ArbG Cottbus 2. Kammer Entscheidungsdatum 04.04.2012
Aktenzeichen 2 Ca 1842/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 612 BGB, Art 2 EGRL 78/2000, Art 6 EGRL 78/2000

Leitsatz

Die Beseitigung der Altersdiskriminierung kann auch bei einem Betriebsübergang, bei dem die dynamische Verweisung auf den BAT als Gleichstellungsabrede wirkt, nur durch Anpassung nach oben erfolgen.

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.363,61 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
aus 139,78 Euro jeweils seit dem
01.07.2008, 01.08.2008, 01.09.2008, 01.10.2008, 01.11.2008, 01.12.2008, 01.01.2009, 01.02.2009, 01.03.2009, 01.04.2009, 01.05.2009, 01.06.2009, 01.07,2009, 01.08.2009, 01.09.2009, 01.10.2009, 01.11.2009, 01.12.2009, 01.01.2010, 01.02.2010, 01.03.2010, 01.04.2010, 01.05.2010 sowie
aus 93,21 Euro jeweils seit dem
01.06.2010, 01.07.2010, 01.08.2010 sowie
aus 98,47 Euro jeweils ab dem
01.09.2010, 01.10.2010, 01.11.2010, 01.12.2010, 01.01.2011, 01.02.2011, 01.03.2011, 01.04.2011, 01.05.2011, 01.06.2011, 01.07.2011, 01.08.2011, 01.09.2011, 01.10.2011, 01.11.2011, 01.12.2011 sowie
aus 86,10 Euro jeweils seit dem
01.12.2008 und 01.12.2009 sowie
aus 60,66 Euro seit dem
01.12.2010 und 01.12.2011
zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger seit Dezember 2011 nach der Vergütungsgruppe KR V a Anlage 1 b zum BAT-Ost Lebensaltersstufe 9 zu vergüten.

3. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

4. Der Streitwert wird festgesetzt auf 8.908,53 €.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, welche Lebensaltersstufe der Berechnung der tariflichen Vergütung des Klägers zugrunde zu legen ist. Für die Vergangenheit begehrt der Kläger entsprechende Vergütung und für die Zukunft die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, nach der höchsten Lebensaltersstufe zu vergüten.

Der im Jahre 1978 geborene Kläger war seit dem Datum bei der Beklagten als Krankenpfleger in der Klinik in Axx beschäftigt. Die Beklagte übernahm die Klinik vom Land Brandenburg im Wege des Betriebsübergangs am 15. Oktober 2006.

Entsprechend § 2 des Arbeitsvertrages vom 15. März 1999 bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem BAT-O und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Länder jeweils geltenden Fassung. Der Kläger erhält Vergütung nach der Vergütungsgruppe KR V a Anlage 1 b BAT-O mit der derzeitigen Lebensaltersstufe 7.

Mit Schreiben vom 23. Dezember 2008 machte der Kläger rückwirkend für die Zeit seit Juni 2008 und für die Zukunft die Vergütung nach der höchsten Lebensaltersstufe des BAT–O geltend. Er wiederholte seine Geltendmachung mit Schreiben vom 29. November 2011.

Der Kläger ist der Auffassung, die Bezahlung nach der Lebensaltersstufe sei für jüngere Beschäftigte altersdiskriminierend und verweist auf die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs vom 8. September 2011, Hennigs, C-297/10, Juris und die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 10. November 2011 – 6 AZR 148/09, Juris.

Der Kläger ist weiter der Ansicht, eine Anpassung könne nur nach oben erfolgen, so dass er einen Anspruch auf Vergütung nach der höchsten Lebensaltersstufe habe.

Der Kläger beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.363,61 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
aus 139,78 Euro jeweils seit dem
01.07.2008, 01.08.2008, 01.09.2008, 01.10.2008, 01.11.2008, 01.12.2008, 01.01.2009, 01.02.2009, 01.03.2009, 01.04.2009, 01.05.2009, 01.06.2009, 01.07,2009, 01.08.2009, 01.09.2009, 01.10.2009, 01.11.2009, 01.12.2009, 01.01.2010, 01.02.2010, 01.03.2010, 01.04.2010, 01.05.2010 sowie
aus 93,21 Euro jeweils seit dem
01.06.2010, 01.07.2010, 01.08.2010 sowie
aus 98,47 Euro jeweils ab dem
01.09.2010, 01.10.2010, 01.11.2010, 01.12.2010, 01.01.2011, 01.02.2011, 01.03.2011, 01.04.2011, 01.05.2011, 01.06.2011, 01.07.2011, 01.08.2011, 01.09.2011, 01.10.2011, 01.11.2011, 01.12.2011 sowie
aus 86,10 Euro jeweils seit dem
01.12.2008 und 01.12.2009 sowie
aus 60,66 Euro seit dem
01.12.2010 und 01.12.2011
zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger seit Dezember 2011 nach der Vergütungsgruppe KR V a Anlage 1 b zum BAT-O Lebensaltersstufe 9 zu vergüten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, aus dem Verstoß gegen die Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes würden sich andere Rechtsfolgen ergeben. Es sei europarechtlich und auch nach bundesdeutschem Recht nicht zwingend, eine Anpassung nach oben vorzunehmen. Die Altersdiskriminierung könne auch dadurch beseitigt werden, dass im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung die jeweils geltende Lebensaltersstufe wie eine Betriebszugehörigkeit gewertet würde. Mit jedem Zwei-Jahres–Turnus steige dann die Vergütung entsprechend der Tabelle, bis der Arbeitnehmer die höchste Stufe der Tabelle als Berufserfahrung erreicht habe.

Die Beklagte verweist darauf, dass der Entscheidung des BAG ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen hätte. Die Beklagte dieses Prozesses habe – anders als bei der Entscheidung des BAG – keinerlei Einfluss auf den Abschluss des Tarifvertrages gehabt und sei an den BAT-Ost bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebunden.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist in vollem Umfang begründet.

I. Dem Kläger steht für die Monate Juni 2008 bis November 2011 die beanspruchte Vergütung nach der Vergütungsgruppe V a Lebensaltersstufe 9 der Anlage 1b zum BAT-O zu.

1. Dem Kläger stehen die Vergütungsansprüche für die oben genannten Zeiträume aus seinem Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 612 BGB zu.

2. Nach § 2 des Arbeitsvertrages bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem BAT-O und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Länder jeweils geltenden Fassung.

Aufgrund des Betriebsübergangs am 15. Oktober 2010 sind die Regelungen des BAT-Ost auf dem Stand zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs statisch in das Arbeitsverhältnis übertragen worden. Auch wenn die Bezugnahmeklausel des Klägers im Arbeitsvertrag nach ihrem Wortlaut nach eine große, dynamische Verweisungsklausel darstellt, ist diese Bezugnahmeklausel aufgrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts lediglich als Gleichstellungsabrede zu behandeln, so dass die Tarifvertragsbedingungen mit Betriebsübergang im Jahre 2006 statisch geworden sind. Die Beklagte war und ist nicht tarifgebunden.

3. Mit der Entscheidung der Zweiten Kammer des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 8. September 2011 (-C-297/10 und C-298/10-NZA 2011,1100) ist geklärt, dass die in § 27 Abschn. A BAT angeordnete Bemessung der Grundvergütungen in den Vergütungsgruppen des BAT nach Lebensaltersstufen gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, das in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) vom 12. Dezember 2007 verankert und durch die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78) konkretisiert worden ist, verstößt und eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters im Sinne von Art. 2 RL 2000/78 darstellt, die nicht nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78 gerechtfertigt ist. Damit ist nur noch darüber zu entscheiden, auf welche Art und Weise der Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot zu beseitigen ist.

4. Die Ungleichbehandlung kann nur durch eine Anpassung „nach oben“ beseitigt werden. Dies folgt der allgemeinen Systematik, vergleiche Henssler/Tillmanns FS Rolf Birk S. 179, 187; Meine/Heyn/Herms AGG 2. Aufl. § 10 Rn 45 c; Schleusener/Suckow/Voigt AGG-Schleusener 3. Aufl. § 7 Rn 52 mit weiteren Nachweisen und BAG vom 10. November 2011, 6 AZR 148/09, Juris.

a) Anders als die Beklagte meint, wirkt sich in diesem Fall nicht aus, dass die Beklagte die Klinik im Wege des Betriebsübergangs erworben hat und aufgrund der Gleichstellungsabrede an die Regelungen des BAT –O gebunden ist. Des gleichen ist nicht von rechtlicher Bedeutung, dass die Beklagte den Tarifvertrag nicht neu verhandeln kann, weil sie arbeitsvertraglich gegenüber dem Kläger gebunden ist. Denn nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts findet unabhängig von den weiteren in der Entscheidung getroffenen Erwägungen, die für die Beklagte in diesem Fall nicht zutreffen, eine Angleichung „nach oben“ statt, um die Diskriminierung zu beseitigen. Es stehen dem Arbeitnehmer deshalb Vergütungen nach der höchsten Lebensaltersstufe zu.

b) Denn das BAG führt dazu aus, auch soweit die tarifliche Ausschlussfrist nicht entgegenstehe, müsse die Beseitigung von in der Vergangenheit liegenden Folgen der Benachteiligung das Vertrauen der älteren Angestellten auf die Wirksamkeit des Vergütungssystems des BAT schützen, vergleiche BAG vom 10.11.2011, 6 AZR 148/09, Juris mit Verweis auf Schlachter FS Schaub, S. 651, 662.

Die Normunterworfenen und damit auch die älteren Angestellten dürfen grundsätzlich auf den Fortbestand der tariflichen Ordnung vertrauen. Nur so kann der Tarifvertrag seiner Aufgabe gerecht werden und den Individualparteien beiderseits Planungssicherheit gewähren (Däubler/Deinert TVG 2. Aufl. § 4 Rn. 35). In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist deshalb anerkannt, dass die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien zur rückwirkenden Änderung tarifvertraglicher Regelungen durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes der Normunterworfenen begrenzt ist (BAG 23. November 1994 – 4 AZR 879/93 – BAGE 78, 309; 18. März 2010 – 6 AZR 434/07 – Rn. 58, AP GG Art. 3 Nr. 321 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Diskriminierung sexuelle Orientierung Nr. 1). Jedenfalls vor Bekanntwerden des Vorlagebeschlusses des Senats mussten ältere Angestellte nicht davon ausgehen, dass ihre Grundvergütung rückwirkend neu berechnet wird und sie eine niedrigere Vergütung erhalten.

Deshalb hilft der Beklagten auch ihr Hinweis nicht weiter, die nachträgliche Regelungslücke sei im Rahmen einer ergänzenden Auslegung in Anlehnung an die entsprechenden Regelungen im TV-L und TVöD durch eine pauschalierte Berücksichtigung der Berufserfahrung in Form von Dienstaltersstufen zu schließen.

c) Schließlich führt das Bundesarbeitsgericht in seiner oben zitierten Entscheidung weiter aus, dass nur eine Anpassung „nach oben“ in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Benachteiligung beim Entgelt im Einklang stehe.

Nach der bisherigen Entscheidungspraxis des Gerichtshofes der Europäischen Union kann man davon ausgehen, dass sich im Falle einer Diskriminierung die Unwirksamkeit nur auf die benachteiligenden Regelungen bezieht (vgl. Henssler/Tillmanns FS Rolf Birk S. 179, 188). Im Urteil vom 7. Februar 1991 (-C-184/89-[Nimz]Slg.1991, I-297) hat der Gerichtshof der Europäischen Union angenommen, dass im Falle einer mittelbaren Diskriminierung durch eine Bestimmung eines Tarifvertrags das nationale Gericht verpflichtet ist, diese Bestimmung – ohne dass es ihre vorherige Beseitigung durch Tarifverhandlungen oder auf anderen Wegen beantragen oder abwarten müsste – außer Acht zu lassen und auf die Angehörigen der durch diese Diskriminierung benachteiligten Gruppe die gleiche Regelung wie auf die übrigen Arbeitnehmer anzuwenden, wobei diese Regelung „solange Art. 119 EWG-Vertrag im nationalen Recht nicht ordnungsgemäß durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt“ (vgl. dazu Wiedemann NZA 2007, 950, 951). An diesem Grundsatz hat der Gerichtshof der Europäischen Union u. a. im Urteil vom 26. Januar 1999 (-C-18/95-[Terhoeve] Slg. 1999, I-345) ausdrücklich festgehalten und er hat jüngst im Urteil vom 22. Juni 2011 (-C-399/09-[Landtová]nochmals wiederholt, dass die Regelung für die nicht benachteiligten Arbeitnehmer das einzige gültige Bezugssystem bleibt, solange das Gemeinschaftsrecht nicht richtig durchgeführt ist. Damit betrifft die Anforderung des Unionsrechts, die Diskriminierung durch eine Anpassung „nach oben“ zu beseitigen, nicht nur die Vergangenheit, sondern sogar die Zukunft, weil sie das höhere Entgelt auch zukunftsbezogen solange zugesteht, bis eine unionsrechtskonforme Neuregelung getroffen ist.

Die Vorgabe des Europäischen Gerichtshofs einer Anpassung „nach oben“ ist zwar anhand von Fällen entwickelt worden, in denen eine kleinere Beschäftigtengruppe von einer begünstigenden Norm herausgenommen worden ist. Es kann jedoch keinen Unterschied zu Fällen machen, in denen eine tarifliche Vergütungsregelung insgesamt wegen diskriminierender Regelungen unwirksam ist. Denn auch in diesen Fällen wirkt der Vertrauensschutz der älteren Arbeitnehmer in den Bestand der Regelungen.

d) Auch der weitere Einwand der Beklagten, dass eine Anpassung „nach oben“ finanziell für die Beklagte nicht zu tragen sei, kann rechtlich nicht erheblich sein. Die Beklagte hat nicht einmal vorgetragen, dass der Kostenrahmen zu einer möglichen Insolvenz führen könnte. Sie hat auch nicht dargelegt, wie groß ihr jährlicher Umsatz und Gewinn ist und um wie viel Prozentpunkte sich die Regelung auf den Gewinn auswirkt.

II. Die Feststellungsklage ist zulässig. Das erforderliche Feststellungsinteresse liegt nach § 256 Absatz 1 ZPO vor. Das angestrebte Feststellungsurteil ist geeignet, den Konflikt der Parteien endgültig beizulegen und weitere Prozesse zwischen ihnen zu vermeiden.

Der Feststellungsantrag führt aus denselben Gründen wie unter I. ausgeführt zum Erfolg.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Beklagte hat als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 61 Absatz 1 ArbGG, § 3 ZPO, § 23 Absatz 3 RVG und berücksichtigt für den Antrag zu 1) die geltend gemachten Beträge. Für den Antrag zu 2) hat das Gericht pauschal das 36-fache von 98,47 Euro (Differenz pro Monat) zugrunde gelegt.