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Entscheidung 12 O 282/20


Metadaten

Gericht LG Potsdam 12. Zivilkammer Entscheidungsdatum 25.07.2023
Aktenzeichen 12 O 282/20 ECLI ECLI:DE:LGPOTSD:2023:0725.12O282.20.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf bis zu 37.000,00 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schadenersatzansprüche nach einem schweren Verkehrsunfall ihres Sohnes.

Am 31.08.2018 verunglückte der Sohn der Kläger, als Beifahrer auf dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Motorrad mit dem Kennzeichen TF…. auf der L 73 zwischen Luckenwalde und Jänickendorf, schwer.

Der Sohn war zum Unfallzeitpunkt 16 Jahre alt und Schüler der 11. Klasse. Bei dem Unfall verlor er das Bewusstsein, schwebte mehrere Tage in Lebensgefahr, musste mehrfach operiert werden und lag wochenlang im Koma. Es folgte eine über ein Jahr andauernde Frührehabilitationsbehandlung in einem Fachkrankenhaus. Im Anschluss konnte der Sohn der Kläger ins elterliche Haus entlassen werden. Die Rehabilitationsbehandlungen des Sohnes halten bis zum heutigen Tage an. Auf Grund seiner bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen und seiner Schwerbehinderung ist er 24 Stunden am Tag auf die Hilfe anderer angewiesen.

Die Kläger behaupten, sie haben auf Grund des Erhalts der Nachricht von dem schweren Unfall ihres Sohnes einen behandlungsbedürftigen schweren Schock, erlitten.

Die psychischen Folgen seien derart gravierend, dass sie das Leben der Kläger massiv negativ beeinflusst haben. Die Trauer der Kläger sei ihrer Art nach deutlich über das hinausgegangen, was Angehörige als mittelbar Betroffene in derartigen Fällen erfahrungsgemäß an Beeinträchtigung erleiden.

Die Kläger seien auf Grund der Unfallbedingten Belastungssituation ab dem Unfalltag längerfristig arbeitsunfähig gewesen und seien insgesamt physisch und psychisch schwerwiegend erkrankt.

Der Kläger zu 2 sei seit November 2018 in psychotherapeutischer Einzeltherapie.

Die Klägerin zu 1 leide unter Antriebslosigkeit, Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Bauchschmerzen und körperlicher Schwäche. Zudem habe sie in Folge des Unfalls des Sohnes schwere Schlafstörungen, depressive Verstimmungen und eine posttraumatische Belastungsstörung.

Die Kläger beantragen,

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger jeweils ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz der EZB ab Klagezustellung zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägern sämtlich weitere materiellen und immateriellen Schäden, welche diesen auf Grund der schweren Verletzungen ihres Sohnes bei dem Unfall vom 31.08.2018 entstanden sind und/oder noch entstehen werden, zu ersetzen, sowie die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden,

3. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.833,55 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz der EZB ab Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass ein Fall des sog. „Schockschadens“ vorliegend nicht anzunehmen sei. Dieser sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur dann als ersatzpflichtige Gesundheitsbeeinträchtigung anzusehen, wenn die Beeinträchtigungen pathologisch fassbar seien und über die Beeinträchtigungen hinausgingen, denen nahe Angehörige etwa bei der Mitteilung tödlicher Verletzungshandlungen erfahrungsgemäß ausgesetzt seien. Besondere Bedeutung sei dem Umstand beizumessen, ob die psychische Beeinträchtigung auf einer direkten Beteiligung oder des Miterlebens zurückzuführen sei oder nur durch den Erhalt einer Nachricht vom Schadensereignis ausgelöst werde.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Dr. med. Dipl.-Psych. Nikolaus L.. Hinsichtlich des Beweisthemas und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Beweisbeschluss vom 20.07.2021 und das schriftliche Sachverständigengutachten vom 24.05.2022 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Kläger haben gegen die Beklagte keinen Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 1 BGB.

Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Kläger aufgrund des schweren Unfalls und der Unfallfolgen ihres Sohnes keine pathologisch fassbare Gesundheitsbeeinträchtigung erlitten hat.

Es liegt keine den Anspruch begründende Rechtsgutsverletzung vor.

Nach ständiger Senatsrechtsprechung des BGH ( zuletzt:BGH, Urteil vom 6. Dezember 2022 – VI ZR 168/21 –, BGHZ 235, 239-254) können psychische Störungen von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. Urteile vom 8. Dezember 2020 - VI ZR 19/20, BGHZ 228, 264 Rn. 8; vom 21. Mai 2019 - VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125 Rn. 7; vom 27. Januar 2015 - VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451 Rn. 6; vom 20. Mai 2014 - VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 8; vom 22. Mai 2007 - VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 12; vom 16. Januar 2001 - VI ZR 381/99, NJW 2001, 1431, 1432, juris Rn. 13; vom 30. April 1996 - VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 344, juris Rn. 15; vom 4. April 1989 - VI ZR 97/88, NJW 1989, 2317 f., juris Rn. 9; vom 12. November 1985 - VI ZR 103/84, NJW 1986, 777, 778, juris Rn. 9). Dieser Grundsatz hat im Bereich der sogenannten "Schockschäden" allerdings eine gewisse Einschränkung erfahren. Diese Einschränkung hat der BGH in der oben genannten Entscheidung (BGHZ 235, 239-254) jedoch modifiziert. Bei sogenannten "Schockschäden" stellt - wie im Falle einer unmittelbaren Beeinträchtigung - eine psychische Störung von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB dar, auch wenn sie beim Geschädigten mittelbar durch die Verletzung eines Rechtsgutes bei einem Dritten verursacht wurde. Ist die psychische Beeinträchtigung pathologisch fassbar, hat sie also Krankheitswert, ist für die Bejahung einer Gesundheitsverletzung nicht erforderlich, dass die Störung über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene bei der Verletzung eines Rechtsgutes eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind.

Einer uferlosen Ausweitung der Haftung kann bei sorgfältiger Prüfung der haftungsbegründenden Merkmale des § 823 Abs. 1 BGB in anderer Weise als durch einschränkende Voraussetzungen hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Gesundheitsverletzung Rechnung getragen werden. So ist etwa im Blick zu behalten, dass eine Haftung für psychische Beeinträchtigungen, die als Primärschaden geltend gemacht werden, nur in Betracht kommt, wenn die Beeinträchtigung selbst Krankheitswert besitzt und insoweit das strenge Beweismaß des § 286 ZPO gilt, das die volle Überzeugung des Tatrichters erfordert (vgl. hierzu und zu den weiteren möglichen "Filtern" der Adäquanz und des Verschuldens Senatsurteil vom 8. Dezember 2020 - VI ZR 19/20, BGHZ 228, 264 Rn. 21, 22 und 24 f.). Auch bedarf der Zurechnungszusammenhang gerade in Fällen psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen einer gesonderten Prüfung (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2022 – VI ZR 168/21 –Rz 17). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der verletzten Norm begrenzt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Hierfür muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Daran fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist. Der Schädiger kann nicht für solche Verletzungen oder Schäden haftbar gemacht werden, die der Betroffene in seinem Leben auch sonst üblicherweise zu gewärtigen hat. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten (vgl. nur Senatsurteile vom 21. Mai 2019 - VI ZR 299/17, aaO; vom 17. April 2018 - VI ZR 237/17, aaO; vom 20. Mai 2014 - VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 10, mwN).

Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. Dipl.-Psych. Nikolaus L. liegen weder bei der Klägerin zu 1, noch beim Kläger zu 2 nennenswerte psychische Schäden vor, die eine Gesundheitsschädigung bzw. einen Schockschaden begründen. Bei beiden Klägern liegt keine ernsthafte Erkrankung vor.

Die Nachricht über den schweren Unfall ihres Sohnes hat die Kläger erschüttert und bei der Klägerin zu 1 möglicherweise zu einer auf die unmittelbare Zeit nach dem Unfall begrenzte Anpassungsstörung geführt. Diese habe aber nicht den Rahmen dessen überschritten, was an Beschwerden bei einem solchen Erlebnis normalerweise auftritt.

Psychopathologische Störungen begründen erst dann eine Beeinträchtigung der Gesundheit, wenn die Behandlung durch einen medizinischen Sachverständigen erforderlich wird (vgl. OLG Köln, VersR 1982, 558).

Insbesondere schließe der hohe Einsatz der Kläger in der tagtäglichen Betreuung ihres Sohnes das Vorhandensein einer relevanten psychischen Erkrankung aus.

Die Klägerin zu 1 war zu keinem Zeitpunkt in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung.

Sie hat sich nach den Feststellungen des Sachverständigen nach dem Unfall tagtäglich um ihren Sohn gekümmert. Zudem hat sie nach dem Unfall weiter mit dem Kläger zu 2 das eigene Leben organisiert. Sie haben häusliche Umbauten vorgenommen und sich ein neues passendes Fahrzeug angeschafft und zwar auch schon während der Zeit, in der der Kläger zu 2 sich im „Krankenstand“ befand.

Zudem habe die Klägerin zu 1 am 1.2.2019 ihre vorherige Arbeit wieder aufgenommen. Derzeit arbeite sie trotz all der organisatorischen und menschlichen Belastungen im Kontext ihres behinderten Sohnes nebenbei weiter in einem Hotel in der Betreuung der Kinder.

Des Weiteren reichen seelische Erschütterungen und depressive Verstimmungen nach der Übermittlung schwerwiegender Nachrichten gerade nicht aus, um eine Gesundheitsschädigung anzunehmen. Daher begründet das Vorliegen eines leicht depressiven Syndroms bei der Klägerin zu 1 ebenfalls keine Gesundheitsschädigung.

Der Sachverständige schließt einen sog. „Schockzustand“ bei dem Kläger zu 2 auch deshalb aus, weil der Kläger zu 2 bereits während seiner Kindheit und Jugend mit seinem geistig und körperlich behinderten Bruder aufgewachsen ist und es daher (nach seiner eigenen Aussage) gelernt hat, mit schwerer geistiger und körperlicher Behinderung umzugehen.

Der gerichtliche Sachverständige folgt hier der Bewertung des früheren psychiatrischen Gutachtens von Dr. H. vom 6.5.2019, dass beim Kläger zu 2 nach dem Unfall des Sohnes eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers zu 2 durch eine Krankheit nicht begründet gewesen sei. Da der Kläger zu 2 seit dem 1.1.2020 wieder in gesicherter Stellung vollschichtig arbeite, könne eine „starke körperliche Erschöpfung“ oder eine relevante „Einschränkung der Konzentrationsfähigkeit“ nicht angenommen werden.

Das reaktiv depressive Erleben, besonders am Anfang, aber auch die noch beklagten psychosomatischen Beschwerden haben den Rahmen des für solche schlimmen Lebensereignisse Üblichen nicht überschritten.

Bei beiden Kläger liegt damit weder eine akute noch ein posttraumatische Belastungsstörung vor.

Der Sachverständige konnte bei beiden Klägerin auch keine andauernde Persönlichkeitsveränderung, keine Anpassungsstörungen noch depressive Episoden oder neurotische Depressionen feststellen.

Der Feststellungsantrag gemäß § 256 Abs. 1 ist unzulässig, da es an dem nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse fehlt. Ein solches wurde seitens der Kläger nicht hinreichend dargelegt.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.833,55 Euro.

Der Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten ist auf einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch zu stützen, welcher vorliegend jedoch nicht gegeben ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.