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Entscheidung 12 U 116/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 12. Zivilsenat Entscheidungsdatum 18.01.2024
Aktenzeichen 12 U 116/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2024:0118.12U116.22.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Berufung des Klägers wird hinsichtlich der geforderten Rechtsanwaltskosten i. H. v. 306,25 € nebst Zinsen hieraus i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.12.2021 verworfen und im Übrigen zurückgewiesen.

Auf die Anschlussberufung des Beklagten wird das am 31.05.2022 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Cottbus, Az.: 3 O 19/21, hinsichtlich der Verzinsung der Hauptforderung teilweise abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.000,00 € nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.12.2015 zu zahlen.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 321,30 € nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.03.2021 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Anschlussberufung des Beklagten im Übrigen wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits in I. Instanz haben der Kläger 7/8 und der Beklagte 1/8 zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger zu 7/10 und der Beklagte zu 3/10 zu tragen

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H. v. 110 % des aufgrund des Urteils jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit i. H. v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger nimmt den beklagten Landkreis (im folgenden: Beklagter) auf Zahlung von Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz in Form von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus einem Verkehrsunfall vom 20.03.2013 in („Ort 01“) auf der („Adresse 01“) in Höhe der Hausnummer … in Anspruch. Der Kläger befand sich als Beifahrer in dem von seinem Arbeitskollegen („Name 01“) gefahrenen VW Caddy, wobei der VW Caddy im Zuge der Durchführung eines Wendemanövers aus einer Grundstückseinfahrt auf die Fahrbahn zurücksetzte. Dabei kollidierte der VW Caddy mit einem Notarztwagen des Rettungsdienstes des Beklagten, der sich aus Richtung („Ort 02“) mit eingeschaltetem Blaulicht, jedoch ohne eingeschaltetem Martinshorn näherte. Der Notarztwagen leitete bei einer Geschwindigkeit von 102 km/h eine Gefahrenbremsung ein. Dem Fahrer des VW Caddy war durch einen Baum die Sicht auf den Notarztwagen jedenfalls teilweise verdeckt. Der Kläger wurde bei dem Unfall schwer verletzt. Der Kläger und sein Arbeitskollege hatten zuvor im Rahmen ihrer Arbeitstätigkeit einen Hydranten gewartet. Der Unfall wurde vom Träger der gesetzlichen Unfallversicherung des Klägers als Arbeitsunfall anerkannt. Die Parteien streiten über die einer Haftung des Beklagten zugrundezulegende Quote, über die Höhe eines angemessenen Schmerzensgeldes und die Höhe der dem Kläger auszugleichenden vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie den Beginn einer Zinspflicht des Beklagten. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Mit am 31.05.2022 verkündeten Urteil hat das Landgericht den Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an den Kläger 10.000,00 € sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i. H. v. 321,30 € nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.12.2015 bzw. seit dem 05.03.2021 zu zahlen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Anspruch des Klägers aus §§ 7, 18 StVG und § 823 BGB bestehe nicht, soweit im Verhältnis zwischen dem Beklagten und dem Arbeitskollegen des Klägers bzw. den Halter des VW Caddy nicht der Beklagte haften würde. Der Beklagte hafte daher nicht über den vorgerichtlich zugestandenen Anteil von 50 % hinaus. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. („Name 02“) in seinem Gutachten vom 28.01.2014 sei der Fahrer des VW Caddy entweder ohne Sicht und ohne sich einweisen zu lassen auf die Fahrbahn eingefahren oder er hätte den sich nähernden Notarztwagen sehen können und bemerken müssen, dass dieser mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit und eingeschaltetem Blaulicht fuhr, und sei gleichwohl gefahren. Zudem hätten für den Fahrer des VW Caddy die erhöhten Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 5 StVO und des § 10 StVO gegolten. Hingegen habe sich der Notarztwagen im Einsatz befunden und daher schneller als 50 km/h fahren dürfen. Unter Berücksichtigung der unstreitigen Verletzungen und Verletzungsfolgen sei ohne Berücksichtigung der Haftungsquote ein Schmerzensgeld von 100.000,00 € angemessen, sodass bei einer Haftungsquote von 50 % unter Anrechnung der vorgerichtlichen Zahlung des Beklagten ein Anspruch i. H. v. 10.000,00 € verbleibe. Der Feststellungsantrag sei zulässig, jedoch unbegründet, da eine 50 %ige Haftung seitens des Beklagten anerkannt worden sei und eine höhere Haftung nicht bestehe. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten seien unter Berücksichtigung eines Gebührensatzes von 1,8 zu erstatten. Wegen der Begründung im Übrigen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 07.06.2022 zugestellte Urteil mit am 28.06.2022 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und das Rechtsmittel nach Verlängerung bis zum 07.09.2022 mit einem an diesem Tage eingegangenen Schriftsatz begründet. Der Beklagte, dem eine Frist zur Erwiderung auf die Berufung bis zum 25.11.2022 gesetzt worden ist, hat mit am 23.11.2022 eingegangenem Schriftsatz Anschlussberufung eingelegt.

Der Kläger bezieht sich auf seinen erstinstanzlichen Vortrag nebst Beweisangeboten. Unzutreffend sei die Annahme einer Haftungsquote durch das Landgericht. Eine Anspruchskürzung gemäß § 426 BGB i. V. m. § 17 Abs. 1 StVG, § 254 BGB scheide vorliegend aus, da es bereits an der Feststellung eines haftungsbegründenden Tatbestandes zu seinem Nachteil fehle. Der Beklagte habe die Beweislast dafür, dass der Unfall vorwiegend vom Fahrer des VW Caddy verursacht worden sei. Tatsächlich hätte der Unfall aber vermieden werden können, wenn der Fahrer des Beklagtenfahrzeuges eine Geschwindigkeit von 86 km/h nicht überschritten hätte. Diesen Aspekt habe das Landgericht übergangen. Hinsichtlich der Möglichkeiten des Fahrers des VW Caddy, den Notarztwagen vor der Kollision wahrzunehmen, habe der Sachverständige lediglich ausgeführt, es sei theoretisch möglich, dass das Notarztfahrzeug für den Fahrer des VW Caddy erkennbar gewesen sei. Insoweit habe der Sachverständige angenommen, der Fahrer des VW Caddy sei etwa 3,4 Sekunden vor der Kollision aus einer Stillstandsposition rückwärts gefahren. Dies sei allerdings nicht erwiesen. Wäre der Caddy eine Sekunde vorher losgefahren, wäre das Beklagtenfahrzeug für den Fahrer nicht erkennbar gewesen. Der Unfall sei daher maßgeblich durch die überhöhte Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeuges geprägt worden, wobei bei einer Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h innerorts davon auszugehen sei, dass sich der Kraftfahrer bewusst außer Stande setze, unfallverhütend reagieren zu können und so ein besonders hohes Gefährdungspotenzial für Dritte schaffe. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Notarztwagen zwar das Blaulicht nicht aber das Martinshorn eingeschaltet habe und die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 100 % überschritten habe, sei von der Alleinhaftung des Beklagten auszugehen. Hinsichtlich der Höhe des Schmerzensgeldes sei auf die erstinstanzlichen Ausführungen zu verweisen, auf die das Landgericht nicht eingegangen sei. Fehlerhaft seien ferner die Ausführungen des Landgerichts zum Verzug des Beklagten. Die Regelung des § 3a Abs. 1 Nr. 2 PflVG sei nicht durch § 2 Abs. 1 PflVG ausgeschlossen. Hinsichtlich der Berechnung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren fehlten ebenfalls tragfähige Ausführungen des Landgerichtes. Es sei umfangreiches Material durchgesehen und ausgewertet worden. Auch habe das Landgericht das Beweisangebot auf Einholung eines Gutachtens der Rechtsanwaltskammer fehlerhaft übergangen. Hinsichtlich der Festsetzung des Streitwertes habe das Landgericht verkannt, dass bei der hier erfolgten Angabe eines Mindestbetrages dieser maßgeblich sei.

Die Anschlussberufung müsse ohne Erfolg bleiben. Der Beklagte hafte für die Unfallschäden in vollem Umfang. Die Regelung des § 35 Abs. 5a StVO rechtfertigte nicht die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer. Auch sei der vom Beklagten behauptete Einsatzauftrag des Notarztwagens mit Nichtwissen zu bestreiten. Fehlerhaft gehe der Beklagte zudem von einem Verstoß des Fahrers des VW Caddy gegen § 9 Abs. 5 StVO aus. Der Unfall hätte sich vielmehr in gleicher Weise ereignet, wenn der VW Caddy vorwärts auf die Straße eingebogen wäre. Entgegen der Ansicht des Beklagten stelle er, der Kläger, auch nicht die Ergebnisse der Feststellungen des Sachverständigen in Frage, sondern beanstande die fehlerhafte Würdigung des Sachverständigengutachtens durch das Landgericht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 31.05.2022, Az. 3 U 19/21, abzuändern, soweit es die Klage abgewiesen hat, und

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch einen weiteren Betrag von 25.000,00 € nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.06.2013 zu zahlen,

2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn für außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren einen weiteren Betrag von 3.803,77 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 05.12.2021 zu zahlen,

sowie die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die gegnerische Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen

sowie das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Beklagte bezieht sich ebenfalls auf seinen erstinstanzlichen Vortrag nebst Beweisangeboten und verteidigt das landgerichtliche Urteil soweit es ihm günstig ist. Er ist der Ansicht, die Berufung sei mangels hinreichender Berufungsangriffe bereits unzulässig. Zudem sei das Rechtsmittel unbegründet. Das Landgericht habe dem Fahrer des VW Caddy zu Recht einen Mitverursachungsanteil von mindestens 50 % angerechnet. Der Fahrer des VW Caddy sei trotz erheblicher Sichtbeeinträchtigungen durch den Straßenbaum und ohne Einweiser auf gut Glück rückwärts von einer Grundstücksausfahrt auf die bevorrechtigte Straße aufgefahren. Hierdurch habe er sowohl gegen § 9 Abs. 5 StVO als auch gegen § 10 StVO verstoßen. Zutreffend habe das Landgericht festgestellt, dass sich das Notarztfahrzeug zum Unfallzeitpunkt in einem Noteinsatz befunden habe, um einer Person, die akut unter Atemnot litt, Nothilfe zu leisten. Deshalb habe das Fahrzeug gemäß § 35 Abs. 5a StVO innerhalb geschlossener Ortschaften die Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h überschreiten dürfen. Schon aus diesem Grund sei die vorliegende Konstellation mit den vom Kläger zitierten Entscheidungen nicht vergleichbar und eine ungerechtfertigte Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 100 % nicht anzunehmen. Zutreffend habe sich das Landgericht zudem auf die Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. („Name 02“) gestützt. Soweit der Kläger dessen Feststellungen nun teilweise in Zweifel ziehe, griffen seine Ansichten nicht durch. Es sei nicht zu beanstanden, dass der Sachverständige ein Anfahren des VW Caddy ca. 3,4 Sekunden vor der Kollision angenommen habe. Ein früheres Anfahren, das erstmals in der Berufungsinstanz und damit verspätet vorgetragen werde, werde bestritten. Zutreffend seien auch die Alternativerwägungen des Landgerichtes zum schuldhaften Fehlverhalten des Fahrers des VW Caddy. Der Fahrer hätte sich gegebenenfalls eines Einweisers bedienen müssen. In diesem Falle wäre es zu dem Unfall nicht gekommen. Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren sei ein über 1,8 hinausgehender Gebührensatz nicht gerechtfertigt. Es sei vorgerichtlich lediglich ein Schmerzensgeldanspruch geltend gemacht worden, der allein das Durcharbeiten von Schadensunterlagen und Gutachten erfordert habe.

Mit der Anschlussberufung rügt der Beklagte, das Landgericht habe zu Unrecht ein weiteres Schmerzensgeld von 10.000,00 € sowie auf dieser Grundlage berechnete weitere Rechtsanwaltsgebühren von 321,30 € zugesprochen. Unter Berücksichtigung einer Haftungsquote von 50 % sei das vorgerichtlich gezahlte Schmerzensgeld von 40.000,00 € für die unfallbedingten Verletzungen und Beeinträchtigungen angemessen und ausreichend. Insoweit sei auf den erstinstanzlichen Vortrag einschließlich der aufgezeigten Vergleichsentscheidungen zu verweisen. Das Landgericht habe sich zu den Grundlagen seiner Entscheidung verfahrensfehlerhaft in keiner Weise geäußert. Die vom Kläger angeführten Referenzentscheidungen hätten hingegen keine vergleichbaren Fälle zum Gegenstand. Zudem habe das Landgericht nicht berücksichtigt, dass hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten bestritten worden sei, dass dem Kläger eine Rechnung über Rechtsanwaltgebühren von 4.125,07 € gestellt worden sei und er diese Rechnung ausgeglichen habe. Auch die Aktivlegitimation sei im Hinblick auf eine möglicherweise bestehende Rechtschutzversicherung des Klägers zu bestreiten.

II.

1.    Die Berufung des Klägers ist hinsichtlich der Rechtsanwaltskosten in Höhe eines Betrages von 306,25 € nebst anteiliger Zinsen bereits unzulässig. Für die Zulässigkeit der Berufung ist es gem. § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO erforderlich, dass die Berufungsbegründung erkennen lässt, aus welchen Umständen sich eine Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben soll. Der Berufungskläger muss sich mithin mit dem angefochtenen Urteil inhaltlich auseinandersetzen. Bei einem teilbaren Streitgegenstand muss sich die Berufungsbegründung in hinreichend bestimmter Weise auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Abänderung beantragt wird. Soweit eine solche Begründung fehlt, ist die Berufung unzulässig (BGH NJW-RR 2000, S. 1015; Heßler in Zöller, ZPO, Kommentar, 35. Aufl., § 520, Rn. 37). Gleiches gilt, wenn die Abweisung eines Klageanspruchs auf zwei rechtlich voneinander unabhängige Gründe gestützt wird, von denen jeder für sich die Abweisung trägt, die Berufungsbegründung sich indes nur mit einem der Abweisungsgründe auseinandersetzt (BGH MDR 2016 S. 1221; Heßler, a. a. O., Rn. 39). Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat das Landgericht einen Betrag in Höhe von insgesamt 306,25 € brutto mit der Begründung in Abzug gebracht, weder hinsichtlich der abgerechneten Versendungspauschale i. H. v. 12,00 € netto noch hinsichtlich der Kosten für die Anfertigung von Fotokopien i. H. v. 245,35 € netto sei dargelegt worden, warum der Kläger bzw. sein Rechtsanwalt die Maßnahmen für erforderlich halten durften. Mit diesen Ausführungen setzt sich der Kläger in der Berufungsinstanz nicht auseinander, sodass diesbezüglich bereits ein zulässiger Berufungsangriff fehlt. Entgegen seinen Ausführungen in der Klageschrift beschränkt sich die Klageforderung hinsichtlich der Kopierkosten auch nicht auf einen Betrag von 74,65 € netto. Vielmehr ist im Rechtsstreit die gesamte offene Forderung aus der Rechtsanwaltsrechnung vom 26.01.2021 geltend gemacht worden.

Im Übrigen sind Berufung und Anschlussberufung zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511, 513, 517, 519, 520, 524 ZPO. Der Kläger stützt sein Rechtsmittel u. a. darauf, das Landgericht habe verkannt, dass schon aufgrund der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung des Notarztfahrzeuges die alleinige Haftung der Beklagtenseite auch im Verhältnis zum Fahrer des VW Caddy anzunehmen sei, zudem habe das Landgericht sich nicht mit seinem Vortrag zur Höhe eines angemessenen Schmerzensgeldes auseinandergesetzt. Fehlerhaft habe das Landgericht ferner bei der Ermittlung des Zinsanspruchs die Anwendung von § 3a Abs. 1 Nr. 2 PflVG verneint und bei der Berechnung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren nicht berücksichtigt, dass der Umfang der Tätigkeit den Ansatz von 2,5 Gebührensätzen rechtfertige. Der Beklagte stützt die Anschlussberufung darauf, das Landgericht habe bei der Zuerkennung eines weiteren Schmerzensgeldes von 10.000,00 € nebst anteiliger Rechtsanwaltskosten seinen erstinstanzlichen Vortrag nicht berücksichtigt, dass das gezahlte Schmerzensgeld von 40.000,00 € angemessen und ausreichend sei. Beide Parteien machen damit Rechtsfehler geltend, auf denen das angefochtene Urteil beruhen kann (§§ 513, 546 ZPO) und die bis auf die angegebene Ausnahme sämtliche Punkte erfassen, hinsichtlich derer eine Abänderung des landgerichtlichen Urteils erreicht werden soll. Dabei hat der Klägervertreter im Termin zur mündlichen Verhandlung am 07.12.2023 nach Erörterung der Sach- und Rechtslage klargestellt, dass eine Berufung hinsichtlich der Abweisung des Feststellungsantrages durch das Landgericht nicht eingelegt werden soll. Der Klägervertreter hat vielmehr auf Nachfrage erklärt, es solle bei den angekündigten Anträgen verbleiben.

2.    In der Sache hat die Anschlussberufung des Beklagten lediglich hinsichtlich des Beginns des Zinsanspruchs in geringem Umfang Erfolg. Das Rechtsmittel des Klägers bleibt hingegen erfolglos.

a)    Der Kläger hat gegen den Beklagten aufgrund des Unfalls vom 20.03.2013 keinen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes über den vom Landgericht zuerkannten Betrag von (weiteren) 10.000,00 € hinaus aus §§ 7, 11 S. 2 StVG.

aa)    Der Kläger kann von dem Beklagten allenfalls 50 % des Schmerzensgeldes verlangen, das ihm ohne Berücksichtigung der Mithaftung bzw. der Haftungsprivilegierung des Fahrers und Halters des VW Caddy, in dem sich der Kläger als Beifahrer im Zeitpunkt des Unfalls befunden hat, zustehen würde.

aaa)    Wird ein Versicherungsfall, den ein nach dem SGB VII Versicherter erleidet, nicht allein von einem haftungsprivilegierten Arbeitgeber oder Arbeitskollegen des Geschädigten, sondern zugleich von einem außerhalb des Versicherungsverhältnisses stehenden Dritten verursacht, kann der Geschädigte den Dritten insoweit nicht auf Schmerzensgeld und Schadensersatz in Anspruch nehmen als der für den Unfall mitverantwortliche Haftungsprivilegierte ohne seine Haftungsfreistellung im Verhältnisse zu dem Zweitschädiger für den Schaden aufkommen müsste, da sonst - im Falle der Zulassung eines Rückgriffs gegen den Haftungsprivilegierten - die Regelungen der §§ 104 ff SGB VII umgangen würden oder - für den Fall der Versagung des Rückgriffs - der weitere Schädiger den Anspruch vollständig alleine tragen müsste, wodurch der Geschädigte besser stünde als er nach den Regelungen der §§ 104 ff SGB VII stehen soll (BGH VersR 2017, S. 1014, Rn. 19, NJW 2003, S. 2984, S. 2986; Rolfs in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 23. Aufl, § 104 SGB VII, Rn. 20; Ricke in BeckOGK, Stand 15.05.2023, § 104 SGB VII, Rn. 61). Im Ergebnis haftet der Zweitschädiger daher schon im Außenverhältnis zum Geschädigten nur auf die Quote, die er im Innenverhältnis gegenüber dem haftungsprivilegierten Mitschädiger tragen müsste, wenn dieser nicht völlig von der Haftung befreit wäre (BGH, a. a. O.; Rolfs, a. a. O.; Ricke, a. a. O.). Vorliegend handelt es sich bei dem Verkehrsunfall vom 20.03.2013 für den Kläger um einen Versicherungsfall, der dem Anwendungsbereich des SGB VII zuzuordnen ist. Insoweit ist zwischen Parteien unstreitig, dass der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung den Verkehrsunfall als Arbeitsunfall anerkannt hat. Entsprechendes hat der Klägervertreter im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 10.05.2022 ausdrücklich bestätigt und ergibt sich zudem aus dem Rentenbescheid der VBG vom 21.01.2015 (Anlage K 34 zur Klageschrift). Zugleich liegt damit eine Entscheidung des Unfallversicherungsträgers im Sinne von § 108 SGB VII vor, an dessen Unanfechtbarkeit kein Zweifel besteht. Damit greift die Haftungsbeschränkung des § 104 Abs. 1 SGB VII zugunsten des Arbeitgebers des Klägers und Halters des VW Caddy sowie die Haftungsbeschränkung des § 105 Abs. 1 SGB VII zugunsten des Fahrers des VW Caddy ein. Insbesondere ist der Unfall weder vorsätzlich vom Arbeitskollegen des Klägers verursacht worden noch handelt es sich um einen Wegeunfall im Sinne von § 8 Abs. 2 SGB VII. Ein Wegeunfall liegt nämlich nicht vor, wenn sich der Unfall auf einem Wege in Ausführung der versicherten Tätigkeit ereignet, etwa bei Dienstfahrten; diese Tätigkeit unterfällt vielmehr bereits § 8 Abs. 1 SGB VII (Rolfs, a. a. O., § 8 SGB VII, Rn. 13). Vorliegend hatten der Kläger und sein Arbeitskollege („Name 01“), der Fahrer des VW Caddy, im Rahmen ihrer Arbeitstätigkeit einen Hydranten gewartet und waren auf dem Rückweg zum Sitz ihres Arbeitgebers, als sich der Unfall ereignete. Es liegt mithin eine Fahrt im Rahmen der Arbeitstätigkeit vor und nicht ein Unfall auf dem Weg von der Arbeit zurück nach Hause.

bbb)    Der Beklagte haftet im Verhältnis zum Fahrer und Halter des VW Caddy - und damit letztlich auch im Verhältnis zum Kläger - für die Folgen des Unfalls vom 20.03.2013 nicht mit einer Haftungsquote von mehr als 50 %.

Dabei hat keine Partei ein für ihre Seite unabwendbares Ereignis nachgewiesen. Unabwendbar im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG ist ein Ereignis, das durch die äußerste mögliche Sorgfalt eines Idealfahrers nicht abgewendet werden kann, wobei ein schuldhaftes Fehlverhalten ein unabwendbares Ereignis ausschließt und darlegungs- und beweisbelastet für die Unabwendbarkeit des Unfalles derjenige ist, der sich entlasten will (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 47. Aufl., § 17 StVG, Rn. 22 f m. w. N.). Der Beklagte beruft sich bereits nicht auf ein für den Fahrer des Notarzteinsatzfahrzeuges („Name 03“) unabwendbares Ereignis, sondern lässt sich eine Haftung von 50 % anrechnen. Auch der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass ein idealer Fahrer anstelle seines Arbeitskollegen („Name 01“) die Annäherung des Notarztfahrzeugs nicht schon zu einem Zeitpunkt hätte bemerken können, zu dem er eine Kollision durch früheres Anhalten bzw. durch ein Zurückfahren in die Grundstückseinfahrt hätte verhindern können. Insbesondere hat der Sachverständige Dipl.-Ing. („Name 02“) in seinem Gutachten vom 28.01.2014 nicht ausgeschlossen, dass der Fahrer des VW Caddy trotz der durch den Straßenbaum eingeschränkten Sicht die Annäherung des Notarzteinsatzfahrzeuges hätte sehen können. Zugleich hätte ein idealer Fahrer ein Fahren des Notarzteinsatzfahrzeuges mit hoher Geschwindigkeit schon deshalb in Rechnung gestellt, weil das Einsatzfahrzeug unstreitig das Blaulicht eingeschaltet hatte.

Bei der danach durchzuführenden Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Dabei sind unter Berücksichtigung der grundsätzlich von den unfallbeteiligten Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände einzustellen (vgl. BGH NJW 2007, S. 506; KG NZV 1999, S. 512; NZV 2003, S. 291; Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 17 StVG, Rn. 5 m. w. N.). Jeder Halter hat insoweit die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will (BGH NZV 1996, S. 231).

Vorliegend ist dem Fahrer des VW Caddy ein Verstoß gegen § 10 StVO vorzuwerfen. Dabei setzt die Anwendbarkeit des § 10 StVO voraus, dass im Rahmen des vorgenommenen Wendevorgangs der öffentliche Verkehrsraum vollständig verlassen wird (vgl. hierzu OLG Köln DAR 2000, S. 120); wird das Wendemanöver ohne vollständiges Verlassen der Fahrbahn durchgeführt, ist § 9 Abs. 5 StVO einschlägig (Henschel/König/Dauer, a. a. O., § 9 StVO, Rn. 50). Zwischen den Parteien steht nicht im Streit, dass der VW Caddy zur Durchführung des Wendemanövers den öffentlichen Straßenraum vollständig verlassen hat. Der Kläger trägt vielmehr selbst vor, der VW Caddy sei im rechten Winkel über die Straße in Richtung Bürgersteig/Zaun in eine Einbuchtung gefahren, aus der er dann rückwärts auf die Fahrbahn gesetzt habe. Schon hieraus folgt indes, dass der VW Caddy die Fahrbahn vollständig verlassen hat und den Anforderungen des § 10 StVO unterlag, wie der Kläger in der Berufungsinstanz auch selbst annimmt. Die Feststellungen im Gutachten des Dipl.-Ing. („Name 02“) vom 28.01.2014 gehen ebenfalls davon aus, dass der VW Caddy sich im vollen Umfang von der Fahrbahn bewegt hat und deshalb - zeitweise - von dem am Fahrbahnrand stehenden Straßenbaum verdeckt worden ist. Auch der Umstand, dass der Notarztwagen bei Annäherung an die spätere Unfallstelle zunächst noch beschleunigt hat, spricht für eine zunächst freie Fahrbahn. Ebenso die Einleitung einer Gefahrbremsung durch den Fahrer des Notarztwagens, nachdem er das Auffahren des VW Caddy auf die Fahrbahn wahrgenommen hatte.

Der Arbeitskollege des Klägers hat bei Durchführung des Wendemanövers die Anforderungen des § 10 StVO verletzt. Nach § 10 StVO hat sich ein Fahrer beim Einfahren in den fließenden Verkehr so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Grundsätzlich spricht schon der Beweis des ersten Anscheins gegen den Einfahrenden, wenn es im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Einfahren zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr kommt (BGH DAR 2011, S. 696; OLG Celle NJW-RR 2003, S. 1536; KG Urteil vom 21.10.1993, Az. 12 U 1069/92, veröffentlicht in juris; KG NZV 1998, S. 376, Rn. 7; Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 10 StVO, Rn. 11). Dabei ist der Vorgang des Einfahrens erst dann beendet, wenn sich das Fahrzeug endgültig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat (OLG Celle NZV 2006, S.309; KG NZV 2008, S. 413; Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 10 StVO, Rn. 4a, 11). Hat der Einfahrende keine hinreichende Sicht auf den fließenden Verkehr, so muss er sich vorsichtig bis zum Sichtpunkt vortasten; soweit auch dies nicht ohne Gefährdung des fließenden Verkehrs möglich ist, kann die Pflicht bestehen, sich eines Einweisers zu bedienen (vgl. Henschel/König/Dauer, a. a. O., § 10 StVO, Rn. 13, sowie AG Stuttgart VersR 1974, S. 987). Vorliegend kann dahinstehen, ob die erhebliche Überschreitung der an der Unfallstelle geltenden Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h durch den Notarztwagen zur Erschütterung des Anscheinsbeweises führt (vgl. zu einer solchen Situation BGH VersR 1985, S. 989). Der Kläger ist nämlich bereits dem Vortrag des Beklagten nicht entgegengetreten, dass der Fahrer des VW Caddy sich in keiner Weise vorsichtig in den fließenden Verkehr bis zum Erreichen des Sichtpunktes vorgetastet hat. Der Kläger beschränkt sich darauf, die vom Sachverständigen berechnete Situation in Frage zu stellen, nach der der VW Caddy etwa 3,4 Sekunden vor der Kollision mit dem Rückwärtsfahren begonnen hat, weshalb dem Fahrer durch den sich rechts vom Fahrzeug befindenden Straßenbaum zeitweise der Blick auf den Notarztwagen verdeckt gewesen ist. Auch bei dem vom Kläger angenommenen früheren und damit langsamen Zurücksetzen des Fahrzeuges wäre der Blick auf das herannahende Notarztfahrzeug schon aufgrund des Umfangs des Straßenbaums nicht für die gesamte Zeit der Rückwärtsfahrt verdeckt gewesen, zudem war der Fahrer verpflichtet, der zeitweise bestehenden Sichtbehinderung durch das Hineintasten in den Straßenraum Rechnung zu tragen. Ein solches Fahrverhalten seines Arbeitskollegen behauptet der Kläger bereits nicht.

Dahinstehen kann, ob auch dem Fahrer des Notarzteinsatzfahrzeuges („Name 03“) ein Verkehrsverstoß anzulasten ist, da selbst ein solcher Verstoß nicht zu einer Haftung des Beklagten in Höhe von mehr als den vorgerichtlich eingeräumten 50 % führen würde. Unschädlich ist allerdings, dass der Notarztwagen im Zeitpunkt der Kollision zwar das Blaulicht nicht aber das Martinshorn eingeschaltet hatte. Zwar erfordert die Inanspruchnahme des Wegerechtes gemäß § 38 Abs. 1 StVO mit der Verpflichtung für andere Verkehrsteilnehmer, freie Bahn zu schaffen, den Einsatz von Blaulicht zusammen mit dem Einsatzhorn (KG NZV 2003, S. 382; Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 38 StVO, Rn. 9). Vorliegend hat der Notarztwagen indes schon deshalb ohnehin Vorfahrt vor dem VW Caddy, weil er zuvor - wie ausgeführt - die Fahrbahn vollständig verlassen hatte und damit den Anforderungen des § 10 StVO unterlag.

Offen kann bleiben, ob ein Verstoß des Fahrers des Notarztwagens gegen § 35 Abs. 8 StVO i.V.m. § 3 Abs. 3 StVO vorliegt, wie ihn der Beklagte selbst mit der Klageerwiderung eingeräumt hat, da er nicht zu einem Haftungsanteil des Beklagten von mehr als 50 % führt. Gemäß § 35 Abs. 5a StVO sind Fahrzeuge des Rettungsdienstes von den Vorschriften der StVO - also auch von der Regelung über die zu beachtende Höchstgeschwindigkeit in § 3 Abs. 3 StVO - befreit, soweit höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Nach § 35 Abs. 8 StVO dürfen Sonderrechte allerdings nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden, wobei darlegungs- und beweisbelastet für das Eingreifen der Sonderrechte der Halter des Einsatzfahrzeuges des Rettungsdienstes ist (Heß in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 27. Auflage, Rn. 9). Dabei sind umso höhere Anforderungen an die Sorgfalt des Sonderrechtsfahrers zu stellen, je mehr er von den Verkehrsregeln abweicht (Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 35 StVO, Rn. 8).

Vorliegend befand sich der Notarztwagen in einem angeordneten Noteinsatz im Sinne von § 35 Abs. 5a StVO und war deshalb grundsätzlich berechtigt, die an der Unfallstelle geltende Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h zu überschreiten. So hat der Beklagte erstinstanzlich vorgetragen, der Fahrer des Notarztfahrzeugs sei am 20.03.2013 um 11:23 Uhr von der Noteinsatzzentrale zu einem Notfalleinsatz alarmiert und beauftragt worden, unter Einsatz von Sonderrechten nach E... zu fahren, um einer Person, die unter akuter Atemnot litt, Nothilfe zu leisten. Danach bestand höchste Eilbedürftigkeit, um ein Menschenleben zu retten bzw. einen schweren Gesundheitsschaden abzuwenden. Diesem substantiierten Vortrag des Beklagten ist der Kläger erstinstanzlich nicht weiter entgegengetreten. Das Bestreiten des Klägers in der Berufungsinstanz ist mithin als neuer Vortrag zu werten und mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen. Dann aber ist es nicht zu beanstanden, wenn ein Notarztfahrzeug im Einsatz - zur Rettung eines Menschenlebens - die Straße im Bereich der hier zu bewertenden Unfallstelle mit einer Geschwindigkeit von jedenfalls 80 km/h passiert. Die örtlichen Gegebenheiten sind nach den Feststellungen des Sachverständigen übersichtlich, so verläuft die Straße an der Unfallstelle über mehrere 100 Meter in gerader Richtung, die Fahrbahn ist vom Gehweg durch einen Grünstreifen getrennt, einmündende Straßen sind im Bereich der Unfallstelle nicht vorhanden. Zugleich kann der Fahrer eines Notarzteinsatzwagens grundsätzlich darauf vertrauen, dass ein Verkehrsteilnehmer nicht ohne Sicht auf den fließenden Verkehr in die Fahrbahn einfährt, wie es hier der Arbeitskollege des Klägers getan hat. Selbst wenn man in der tatsächlich laut Sachverständigengutachten gefahrenen Geschwindigkeit von 102 km/h einen Verstoß gegen das Übermaßverbot des § 35 Abs. 8 StVO sehen wollte, führt dieser im Ergebnis der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge nicht zu einer Haftung des Beklagten über den vorgerichtlich eingeräumten Anteil von 50 % hinaus. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Fahrer des VW Caddy nicht nur mit § 10 StVO eine wichtige Schutzvorschrift des Straßenverkehrsrechts verletzt hat, sondern hierdurch auch die erste Ursache für die Kollision gesetzt hat (vgl. hierzu auch die Entscheidung des OLG Köln, DAR 2000, S. 120). Zudem war die Betriebsgefahr des VW Caddy im Hinblick auf die Rückwärtsfahrt und die damit verbundene erschwerte Möglichkeit, den Straßenraum vor dem Einfahren des Fahrzeuges hinreichend zu beobachten, weiter erhöht. Die Ausführungen des Klägers zu einer Alleinhaftung des Fahrzeugs des fließenden Verkehrs bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 100 % bleiben hingegen schon deshalb ohne Erfolg, weil eine Geschwindigkeitsüberschreitung in diesem Umfang nicht gegeben ist.

bb)    Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht ein Schmerzensgeld von 100.000,00 € für angemessen gehalten und unter Berücksichtigung der vorstehend aufgezeigten Reduzierung des Anspruchs um jedenfalls 50 % wegen des Fehlens einer Mithaftung des Arbeitskollegen sowie des Arbeitgebers des Klägers und der vorgerichtlichen Zahlung des Beklagten von 40.000,00 € dem Kläger einen Betrag von 10.000,00 € zugesprochen. Allerdings ist die Schmerzensgeldermittlung durch das Landgericht verfahrensfehlerhaft erfolgt. Das Landgericht hat in einem einzigen Satz unter Verweis auf die unstreitigen Verletzungen und Verletzungsfolgen, hinsichtlich derer es im Tatbestand auf Seite 5 bis 19 der Klageschrift Bezug genommen hat, ohne jegliche Auseinandersetzung mit dem Vortrag der Parteien zu vergleichbaren Entscheidungen ein Schmerzensgeld i. H. v. 100.000,00 € als angemessen bezeichnet. Die fehlende Auseinandersetzung mit dem Vortrag der Parteien stellt dabei eine Verletzung des Anspruchs der Parteien auf Gewährung rechtlichen Gehörs i. S. v. Art. 103 Abs. 1 GG dar, zumal die Vorstellungen der Parteien von der Höhe eines angemessenen Schmerzensgeldes ohne Berücksichtigung der Mithaftungsquote erheblich differieren. So hat der Kläger ein Schmerzensgeld i. H. v. 195.000,00 € und der Beklagte ein Schmerzensgeld i. H. v. 80.000,00 € für angemessen gehalten.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist in erster Linie dessen Ausgleichsfunktion zu beachten. Insoweit kommt es auf die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung an. Maßgeblich sind Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden, Entstellungen und psychischen Beeinträchtigungen, wobei Leiden und Schmerzen wiederum durch die Art der Primärverletzung, die Zahl und Schwere der Operationen, die Dauer der stationären und der ambulanten Heilbehandlungen, den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit und die Höhe des Dauerschadens bestimmt werden. Im Rahmen der bei Verkehrsunfällen nur eingeschränkt zu berücksichtigenden Genugtuungsfunktion ist insbesondere die Schwere des Verschuldens des Schädigers in Ansatz zu bringen (BGH NJW 1955, S. 1675; NJW 1982, S. 985; VersR 1992, S. 1410; Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 13. Aufl., Rn 274 ff). Einzubeziehen ist auch die absehbare künftige Entwicklung des Schadensbildes (BGH VersR 2004, S. 1334; BGHZ 18, S. 149). Weiterhin hat sich das Schmerzensgeld an Urteilen für vergleichbare Fälle zu orientieren (vgl. BGH VersR 1996, S. S. 382, VersR 1976, S. 967, VersR 1970, S. 134; Küppersbusch/Höher, a. a. O., Rn. 281).

Vorliegend hat der Kläger durch den Unfall ein schweres Schädel-Hirn-Trauma (Schädelhirntrauma 3. Grades mit einer intracerebralen Blutung, die allerdings nicht interventionspflichtig war und in einer Verlaufskontrolle 10 Tage nach ihrer Entdeckung nicht mehr nachweisbar war) mit posttraumatischer Enzephalopathie und anhaltenden leichtgradigen kognitiven Störungen erlitten sowie eine Lungenkontusion mit akutem Lungenversagen (traumatischer Pneumothorax und lateral auslaufender Pleuraerguss), eine Rippenserienfraktur sowohl links als auch rechts, eine Milzruptur mit operativer Milzentfernung, eine Rissverletzung der Leber, eine komplexe Schulterverletzung rechtsseitig (mehrfragmentäre Scapulafraktur), eine Mittelgesichtsfraktur, Frakturen der Lendenwirbelkörper Nr. 1 bis 4 (Abrissfraktur) sowie multiple Prellungen und Abschürfungen. Der Behandlungsverlauf war zudem komplikationsbehaftet. Es bestand die Notwendigkeit einer prolongierten Beatmung mit Tracheostomasanlage (Luftröhrenschnitt), ferner erfolgte in diesem Zusammenhang eine verminderte Sauerstoffversorgung des Klägers. Es kam zu einer Endokarditis und kardialen Thrombusbildung (Blutgerinsel im Herz), zu einer beidseitigen Lungenarterienembolie mit dauerhafter Antikoagulationspflichtigkeit und einer Critical-Illness Polioneuropathie (Erkrankung des peripheren Nervensystems mit Lähmungserscheinungen). Der Kläger befand sich für knapp 2 Monate (vom 20.03. bis 10.05.2013 in stationärer Krankenhausbehandlung und im Anschluss für dreieinhalb Monate (11.05. bis 30.08.2013) in stationärer neurologischer Rehabilitationsbehandlung. Er musste sich einer mehrstündigen Operation unterziehen, lag in den ersten 3 Tagen der Behandlung im Koma und musste über eine Magensonde ernährt sowie künstlich beatmet werden. Da der Kläger nicht in der Lage war, seine Angelegenheiten selbst wahrzunehmen, wurde ihm zeitweise eine Betreuerin bestellt. Auch nach seiner Krankenhausentlassung befand sich der Kläger unfallbedingt weiterhin in ambulanter Behandlung, die zahlreiche physiotherapeutische Behandlungen sowie Ergotherapie und Krankengymnastik in der Zeit bis Oktober 2014 umfasste. Der Kläger ist zur vollständigen Berufstätigkeit nicht mehr im Stande, vielmehr ist er nach den Feststellungen des vom Beklagten beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. med. („Name 04“) in dessen Gutachten vom 21.08.2017 zur Leistung von leichtgradigen bis mittelschweren körperlichen Arbeiten nur im Umfang von täglich bis zu 4 Stunden sowie von leichtgradigen bis mittelschweren geistigen Arbeiten im Umfang von max. 1 Stunde am Tag in der Lage. Der Kläger arbeitet tatsächlich täglich 5 Stunden. Beim Kläger sind eine 40 %ige Minderung der Erwerbsfähigkeit und eine 80 %ige Schwerbehinderung festgestellt. Als unfallbedingter Dauerschaden besteht am Bewegungsapparat im Wesentlichen eine leichtgradige verminderte körperliche Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit mit besonderer Einschränkung im Bereich des rechten Schultergelenkes und der Lendenwirbelsäule sowie wegen einer leichten Behinderung der Atmungskapazität eine leichtgradige verminderte körperliche Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit. Dauerhaft ist eine Behandlung mit Medikamenten aufgrund der Thrombusbildung im Herzen und der bilateralen Lungenarterienembolie notwendig. Beim Kläger bestand zu Beginn seiner Rehabilitationsbehandlung eine Halbseitenschwäche mit Feinmotorikstörung auf der rechten Seite, eine Stand- und Gangunsicherheit und eine allgemein verminderte Belastbarkeit. Auch anderthalb Jahre nach dem Unfallereignis bestanden eine eingeschränkte Beweglichkeit, eine verminderte Kraft und Ausdauerfähigkeit mit verminderter Gehfähigkeit und eine Schwäche der rechten Körperseite, wetterabhängige Schmerzen der Narbe des Klägers im Bauchbereich, dumpf-drückende Kopfschmerzen und ein zeitweiliges Atemgeräusch. Auch die Stand- und Gangunsicherheit wurde weiterhin nachgewiesen. Ebenso die schon zuvor bestehenden Beeinträchtigungen der Gedächtnisleistung, der Aufmerksamkeit und Reaktionsschnelligkeit und ein Psychosyndrom mit kognitiven Defiziten leichten bis mittleren Ausmaßes sowie (zunächst) die Critical Illness-Polyneuropathie sowie ein posttraumatischer Kopfschmerz. Dauerhaft ist es insoweit zu einer Besserung gekommen, es bestehen allerdings weiterhin eine allgemein verminderte Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit, eine Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit, insbesondere der Konzentration, belastungsabhängige Schmerzen an verschiedenen Körperregionen, insbesondere an den Beinen, Kribbelmissempfindungen an den Beinen sowie ein positionsabhängiger Narbenschmerz an der Bauchwand. Die Critical Illness-Polyneuropathie war hingegen im Jahre 2017 nicht mehr gegeben. Ergänzend weist der Senat wegen der Folgen des Unfalls auf die Ausführungen auf Seite 5 bis 18 der Klageschrift (Bl. 5-18 GA) und auf Bl. 8 bis 11 der Klageerwiderung (Bl. 82-85 GA).

Nicht als Unfallfolgen zu berücksichtigen sind entgegen des Vorbringens des Klägers der bei ihm festgestellte Diabetes mellitus Typ II sowie die beidseitige Hörminderung und die bei ihm vorgenommene Operation von Nasenpolypen. Soweit sich der Kläger diesbezüglich auf die Feststellungen im Gutachten des Prof. Dr. med. („Name 04“) vom 21.08.2017 bezieht, ist sein Vortrag bereits unschlüssig. Der Sachverständige verneint hinsichtlich dieser Erkrankungen des Klägers eine Unfallkausalität ausdrücklich. Der Kläger zeigt auch nicht auf, dass das Gutachten insoweit fehlerhaft ist.

Nach allem hält der Senat ein Schmerzensgeld – ohne Berücksichtigung der vorzunehmenden quotalen Kürzung und ohne Anrechnung der vorgerichtlichen Zahlungen - von 100.000,00 € für angemessen aber auch ausreichend. Dabei orientiert sich der Senat insbesondere an den Entscheidungen des OLG Nürnberg vom 14.03.2006, Az. 9 U 2087/05, des LG Coburg vom 19.01.2011, Az. 12 O 541/08, des LG Frankfurt (Oder) vom 08.10.2020, Az. 13 O 183/16 und des LG Koblenz vom 21.01.2013, Az. 5 O 185/12 (zitiert nach Hacks/Wellner/Häcker/Klein, SchmerzensgeldBeträge 2024, 42. Aufl., lfd. Nr. 1290, 1293, 3285 und 1294; bis auf die Entscheidung des LG Coburg zudem veröffentlicht in juris), die jeweils die Schmerzensgeldbemessung nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma zum Gegenstand haben. Zwar sind in den genannten Entscheidungen die Dauerfolgen für die Geschädigten erheblicher gewesen, als sie sich beim hiesigen Kläger darstellen. Hingegen hat der hiesige Kläger in erheblichem Umfang weitere Verletzungen erlitten, die zusätzlich zu berücksichtigen sind. Zudem würde in den genannten Vergleichsfällen die vorzunehmende Indexanpassung nunmehr zu höheren Schmerzensgeldern führen, als zum Zeitpunkt des Urteilserlasses. Im Hinblick auf die gegenüber den Referenzentscheidungen geringeren Dauerfolgen beim hiesigen Kläger erscheint eine solche Anhebung vorliegend nicht gerechtfertigt.

Die vom Kläger angeführten Referenzentscheidungen (LG Saarbrücken, Urteil vom 31.08.2000, Az. 15 O 121/97, veröffentlicht in ZfS 2001, S. 255, LG Hildesheim, Urteil vom 07.02.2001, Az. 2 O 205/99, zitiert nach Hacks/Wellner/Häcker/Klein, a. a. O. 37. Aufl., OLG Celle, Urteil vom 16.09.2009, Az. 14 U 71/06, OLG München, Urteil vom 24.07.2015, Az. 10 U 3313/13, letztere jeweils veröffentlicht in juris) haben hingegen keine vergleichbaren Konstellationen zum Gegenstand. In den angegebenen Fällen waren die Dauerfolgen für die Geschädigten deutlich erheblicher als beim hiesigen Kläger, wobei in 2 Fällen die Geschädigten sich noch im Kindesalter befunden haben, was im Hinblick auf die Dauer der vom Geschädigten zur tragenden Beeinträchtigungen ebenfalls schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen ist. Auch die vom Beklagten angeführten Vergleichsentscheidungen können zur Bemessung des Schmerzensgeldes nicht herangezogen werden, soweit lediglich einzelne untergeordnete Verletzungen mit den vom Kläger erlittenen Beeinträchtigungen übereinstimmen. Soweit die vom Beklagten angeführten Entscheidungen ebenfalls die Verursachung eines Schädel-Hirn-Traumas betreffen (OLG Hamm, Urteil vom 11.02.2000, Az. 9 U 204/99, LG Passau, Urteil vom 18.10.1988, Az. 3 O 422/88, OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.01.1993, Az. 1 U 234/91, jeweils veröffentlicht in juris) haben diese nicht so erhebliche Verletzungen und Dauerfolgen zum Gegenstand, wie sie beim Kläger eingetreten sind, im Fall des OLG Düsseldorf bestand zudem eine erhebliche Vorschädigung des Verletzten.

b)    Aus den vorgenannten Gründen besteht ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes aus §§ 839, 823 Abs. 1, Abs. 2, 254 BGB, § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO ebenfalls nicht.

c)    Rechtsanwaltskosten für die vorgerichtliche Tätigkeit seines Prozessbevollmächtigten kann der Kläger ausgehend von einem Gegenstandswert von 50.000,00 € unter Ansatz eines Gebührensatzes von 1,8 sowie unter Addition der Telekommunikationspauschale und der Umsatzsteuer in Höhe des vom Landgericht angesetzten Betrages von 2.514,95 € verlangen. Unter Anrechnung der vorgerichtlichen Zahlung des Beklagten von 2.193,65 € verbleibt der vom Landgericht zuerkannte Betrag von 321,30 €.

Soweit der Beklagte in Abrede stellt, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers diesem überhaupt eine Rechtsanwaltsvergütung in Rechnung gestellt hat, ist auf die Rechnung vom 26.01.2021 (Anlage K 41 zur Klageschrift) zu verweisen. Dahinstehen kann, ob der Kläger die Rechnung ausgeglichen hat. Hinsichtlich der geforderten Rechtsanwaltskosten liegt jedenfalls eine ernsthafte und endgültige Leistungsverweigerung des Beklagten vor, sodass sich ein zuvor bestehender Freistellungsanspruch aus § 257 BGB jedenfalls gemäß § 250 BGB in einen Zahlungsanspruch umgewandelt hat. Auch die Aktivlegitimation des Klägers ist zu bejahen. Der Kläger hat in Abrede gestellt, dass auf seiner Seite eine Rechtsschutzversicherung besteht, auf die der Anspruch übergegangen sein könnte. Der Beklagte hat einen solchen Anspruchsübergang auch nicht substantiiert dargelegt, sondern sich auf Vermutungen beschränkt.

Zutreffend hat das Landgericht bei der Ermittlung der Rechtsanwaltskosten einen Gebührensatz in Höhe von 1,8 zugrunde gelegt. Entgegen der Ansicht des Klägers ist insoweit nicht seine Einschätzung maßgebend, sondern die Wertung des Senats (vgl. Toussaint in Toussaint, Kostenrecht, Kommentar, 53. Aufl., RVG, VV 2300, Rn. 41). Ebenso ist es im Rechtsstreit mit einem erstattungspflichtigen Dritten nicht erforderlich, ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer nach § 14 Abs. 2 RVG einzuholen (Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, Kommentar, 26. Aufl., § 14 RVG, Rn. 64, VV 2300, Rn. 43). Bei der Bemessung der Gebührensatzhöhe sind insbesondere der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit (also der zeitliche Aufwand des Rechtsanwalts), die Schwierigkeit der Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber, dessen Vermögens- und Einkommensverhältnisse und auch das Haftungsrisiko des Rechtsanwalts zu berücksichtigen (vgl. die Darstellung bei Mayer, a. a. O., Rn. 18 ff, VV 2300, Rn. 30 ff). Vorliegend ist mit der vom Landgericht angesetzten (erhöhten) Gebühr von 1,8 Gebührensätzen, die auch der Beklagte bei seiner Abrechnung der vorgerichtlichen Gebühren im Schreiben vom 31.03.2020 zugrundegelegt hat, dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache hinreichend Rechnung getragen. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass die Beurteilung der Haftungssituation im Hinblick auf die Besonderheiten der §§ 104 ff SGB VII vorliegend nicht ganz einfach gelagert ist und auch hinsichtlich der Schadensfolgen bei der Bemessung des Schmerzensgeldes umfangreiche Gutachten durchzuarbeiten waren. Andererseits sind die Schadensfolgen weitgehend unstreitig und auch im Übrigen stellt sich die Ermittlung der Höhe des geltend gemachten Schadens nicht als übermäßig problematisch dar, weil lediglich Schmerzensgeld gefordert wird. Auch der erheblichen Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger, die sich schon aus den durch den Unfall erlittenen schwerwiegenden Beeinträchtigungen ergibt, ist durch den Gebührensatz von 1,8 Rechnung getragen. Mangels entsprechendem Vortrag hierzu ist die wirtschaftliche Situation des Klägers nicht weiter zu berücksichtigen. Auch ein besonderes Haftungsrisiko für den Prozessbevollmächtigten des Klägers ist nicht zu erkennen.

d)    Der Zinsanspruch hinsichtlich der Hauptforderung folgt aus §§ 288, 286 BGB, wobei Verzug des Beklagten aufgrund des Schreibens des Klägers vom 04.12.2015 mit Fristsetzung zum 18.12.2015 ab dem 19.12.2015 bestand. Eine Verzinsung der Schmerzensgeldforderung kann der Kläger hingegen nicht aus § 3a Abs. 1 Nr. 2 PflVG verlangen. Voraussetzung dieser Vorschrift ist, dass ein Direktanspruch gemäß § 115 VVG gegen den Versicherer besteht, auch richtet sich der Anspruch gegen den Versicherer oder Schadensregulierungsbeauftragten (Rolfs/Binz in Münchener Kommentar zum StVR, 1. Aufl., § 3 PflVG, Rn. 1f). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. § 3a Abs. 2 PflVG, der eine entsprechende Anwendung von § 3a Abs. 1 PflVG in bestimmten Fällen regelt, ist ebenfalls nicht einschlägig. Schließlich erfasst § 2 Abs. 2 S. 5 PflVG, der die sinngemäße Anwendung einzelner Vorschriften des PflVG auf die von der Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 PflVG befreiten Körperschaften betrifft, nicht die Vorschrift des § 3a PflVG.

Hinsichtlich der Rechtsanwaltskosten folgt der Zinsanspruch aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

3.    Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 Satz 1, Satz 2 ZPO.

Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Auch der Beklagte, der die Zulassung der Revision angeregt hat, legt deren Voraussetzungen nicht dar.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 35.000,00 € festgesetzt, §§ 45 Abs. 1, Abs. 2, 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 S. 1 GKG, § 3 ZPO (Berufung Kläger: 25.000,00 €; Anschlussberufung Beklagter: 10.000,00 €). Bei unbezifferten Zahlungsanträgen wie dem Schmerzensgeldanspruch entspricht der Streitwert grundsätzlich dem angemessenen Betrag, der dem Kläger zuzusprechen wäre, wenn der von ihm vorgetragene Sachverhalt zutreffend wäre; allerdings ist ein vom Kläger angegebener Mindestbetrag als verbindliche Untergrenze anzusehen; lediglich bei Angabe eines verbindlichen Höchstbetrages durch den Kläger bildet dieser die Obergrenze des Streitwertes (Seggewiße in Schneider/Kurpat, Streitwert-Kommentar, 15. Aufl., Rn. 2.4870 f). Da es vorliegend an der Angabe einer verbindlichen Obergrenze für das Schmerzensgeld durch den Kläger fehlt und das angemessene weitere Schmerzensgeld auf Grundlage des Klägervortrages den vom Kläger in der Berufungsinstanz angegebenen Mindestbetrag – weitere 25.000,00 € - nicht überschreitet, stellt dieser Betrag zugleich den Streitwert für das Rechtsmittel des Klägers dar.

Der am 31.05.2022 verkündete Streitwertbeschluss des Landgerichtes wird entsprechend der vorangegangenen Ausführungen im Hinblick auf den in I. Instanz vom Kläger angegebenen Mindestbetrag für das Schmerzensgeld von 60.000,00 € gemäß § 63 Abs. 3 Nr. 2 GKG abgeändert. Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren wird auf 80.000,00 € festgesetzt, § 48 Abs. 1 S. 1 GKG, § 3 ZPO (Schmerzensgeldforderung: 60.000,00 €; Feststellungsantrag: 20.000,00 €).