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Entscheidung 2 O 379/06


Metadaten

Gericht LG Neuruppin 2. Zivilkammer Entscheidungsdatum 30.10.2008
Aktenzeichen 2 O 379/06 ECLI ECLI:DE:LGNEURU:2008:1030.2O379.06.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, die von der Klägerin durch das Grundstück … in einer Tiefe von etwa 13 Meter verlegten drei Lehrrohre mit einem Durchmesser von je 16 cm zu dulden.

Die Widerklagen werden abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 25.500,- EUR vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Duldungspflicht der Beklagten hinsichtlich unter ihrem Grundstück verlaufender Lehrrohre.

Die Klägerin gehört zu der …, welche durch eine Betreibergesellschaft im Gebiet der Gemeinde … einen aus 22 Windkraftanlagen bestehenden Windpark errichtet. Die Klägerin plant und realisiert für diesen Windpark die Kabeltrasse für die Anbindung an das Stromnetz des örtlichen Energieversorgers. Die erforderliche Kabeltrasse kreuzt die ehemalige Bahntrasse der vor Jahren stillgelegten Bahnstrecke ….

Am 13. Juni 2006 hatte die Klägerin bei der Deutschen Bahn um den Abschluss eines Gestattungsvertrages zur Durchörterung des ehemaligen Bahnkörpers nachgesucht. Mit Schreiben vom 10. August 2006 teilte die DB Infrastruktur Netz der Klägerin mit, dass die eingereichten Unterlagen für die Baudurchführung an den Netzbetrieb … übersandt worden seien; der zuständige Bezirksleiter sei über den Baubeginn zu informieren.

Bereits mit notariellem Vertrag vom 14. Juli 2006 hatte die Beklagte unter anderem das streitgegenständliche Gleisgrundstück, zusammen etwa 23 Kilometer der Bahnstrecke … nebst noch vorhandener Eisenbahnstruktur, von der Deutschen Bahn erworben. Am 17. August 2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie nunmehr Eigentümerin der Bahnstrecke sei und die Nutzung sowie das Betreten des Grundstücks verboten werde. Am 29. August 2006 nahm die Beklagte das Grundstück in Besitz, die Eigentumsumschreibung erfolgte am 10. Juni 2008.

Am 13. September 2006 verlegte die Klägerin die streitgegenständlichen Lehrrohre in einer Tiefe von 13 Metern unter dem Bahngrundstück. Der Bahnkörper wurde dabei in dieser Tiefe unterirdisch ohne Öffnung des Grund und Bodens mittels eines horizontalen Bohrsprülverfahrens durchquert.

Drei Tage später, am 16. September 2006, grub die Beklagte auf dem Bahngrundstück, in dem Bereich, in dem die Durchörterung erfolgt war, das Erdreich etwa 2 bis 4 Meter tief auf.

Die Klägerin behauptet, sie sei Anfang September 2006 nach dem Schriftverkehr mit der DB Infrastruktur Netz davon ausgegangen, dass sie mit den geplanten Baumaßnahmen unter dem streitgegenständlichen Grundstück beginnen dürfe. Die Beklagte hingegen würde zu einem „branchenbekannten und finanzstarken Windkraftgegner“ gehören. Diese habe das Gleisgrundstück erworben, um die Errichtung des Windparks zu verzögern oder möglichst insgesamt zu verhindern. Mit der Öffnung des Erdreichs am 16. September 2006 habe die Beklagte versucht, die unter der Bahntrasse verlegten Lehrrohre zu zerstören. Etwaige Verunreinigungen des Grundstücks hätten nicht sie, sondern allenfalls andere verursacht.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, die von ihr durch das Grundstück Gemarkung … in einer Tiefe von etwa 13 Meter verlegten drei Lehrrohre mit einem Durchmesser von je 16 cm kostenfrei, hilfsweise gegen eine Entschädigungszahlung von 1,50 EUR pro laufendem Meter, zu dulden.

Die Beklagte beantragt, 

die Klage abzuweisen.

Widerklagend beantragt die Beklagte,

die Klägerin zu verurteilen, Auskunft darüber zu erteilen, ob, zu welchem Zeitpunkt und zu welchem Zweck eine Nutzung der drei streitgegenständlichen Leerrohre beabsichtigt ist

und

an die Beklagte 1.819,50 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach §§ 288 Abs. 1, 247 BGB seit dem 4. Juni 2008 zu zahlen.

Die Klägerin beantragt,

die Widerklagen abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Erwerb der Bahnstrecke durch sie sei mit dem Zweck erfolgt, dort eine private Bahnlinie zu betreiben. Am 16. September 2006 habe sie bemerkt, dass die Grundstücksoberfläche mit Bohrschlamm, Schmieröl und anderen Stoffen verunreinigt gewesen sei. Sie habe daraufhin das Erdreich aufgegraben, um das Ausmaß der Kontamination feststellen zu können. Diese Arbeiten, für die Kosten in Höhe der Widerklageforderung zu 2.) aufgewendet werden mussten, seien erforderlich gewesen, um das Ausmaß der Kontaminationen und mögliche Schädigungen der Umwelt festzustellen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen … vom 11. März 2008, Bl.: 196 d. A., Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Duldung der bereits erfolgten Durchörterung des Grundstückes gemäß § 905 Satz 2 BGB. Ansprüche der Beklagten wegen der Störung des Eigentums gemäß § 1004 Abs. 1 BGB oder wegen der Inanspruchnahme des Grundstückes ohne vorherige Genehmigung oder Duldung aus verbotener Eigenmacht gemäß § 858 Abs. 1 BGB bestehen nicht, weil das Gesetz der Klägerin diese Inanspruchnahme gestattet und die Beklagte sie dulden muss; §§ 1004 Abs. 2 und 858 Abs. 1 BGB.

Die Duldungspflicht der Beklagten ergibt sich aus § 905 Satz 2 BGB. Nach dieser Vorschrift kann der Eigentümer Einwirkungen auf sein Grundstück nicht verbieten, die in einer solchen Tiefe vorgenommen werden, dass er an der Ausschließung kein Interesse hat. Eine Einwirkung der Klägerin auf das Grundstück der Beklagten liegt vor. Es ist unstreitig, dass die Beklagte das streitgegenständlichen und durchörterte Grundstück bereits vor den maßgeblichen Arbeiten erworben hatte und insoweit ein dingliches Anwartschaftsrecht hatte. Es ist auch unstreitig, dass die Klägerin dieses Grundstück in einer Tiefe von 13 Metern durchörtert und dort drei Lehrrohre verlegt hat. Dabei handelt es sich um eine Einwirkung der Klägerin auf das Grundstück der Beklagten, denn die Herrschaft des Eigentümers erstreckt sich auch auf das Erdreich senkrecht unter seinem Grundstück.

Die Klägerin hat jedoch bewiesen, dass sie die Lehrrohre in einer solchen Tiefe verlegt hat, dass eine Beeinträchtigung des Grundstücks der Beklagten ausgeschlossen ist. Insoweit ist ein rechtlich anerkanntes Interesse der Beklagten aus der Ausschließung der Durchörterungen nicht ersichtlich. Der Sachverständige … hat nach umfangreichen Untersuchungen in seinem Gutachten ausgeführt, dass aufgrund der Topografie und seinen Feststellungen über die Örtlichkeiten sowie den Ergebnissen der Baugrunduntersuchungen keine Gefährdung der Gleisanlage durch die Lehrrohre erkennbar und eine Beeinträchtigung einer schienentechnischen Nutzung durch Rohrvertrieb nicht gegeben ist. Während des Einziehvorganges werde laufend Betonitsuspension zur Stützung der Bohrlochwandung und Verringerung des Reibungswiderstandes eingebracht; das Verfahren sei für die Querung der Bahnanlagen zulässig und geeignet. Die Kammer schließt sich den vereinzelten Feststellungen des bei Gericht als zuverlässig und kompetent bekannten Sachverständigen in seinem Gutachten vom 11. März 2008 an, sie macht sich die Feststellungen des Sachverständigen nach eigener Prüfung zu Eigen. Die Parteien haben die Feststellungen des Sachverständigen auch nicht in Zweifel gezogen und keine Einwände gegen das Gutachten vorgebracht. Demnach ist bewiesen, dass eine Beeinträchtigung der schienentechnischen Nutzung des Grundstücks der beklagten durch die Lehrrohre nicht gegeben ist. Daher kann ein berechtigtes Interesse der Beklagten, die Klägerin von dieser Nutzung des Grundstücks auszuschließen, nicht anerkannt werden; die Beklagte hat diese zu dulden.

Die Widerklage ist zulässig aber nicht begründet.

Eine Anspruchsgrundlage für die durch die Beklagte begehrte Auskunft enthält das bürgerliche Recht nicht. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass einem Anspruchsberechtigten nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nach § 242 BGB ein Auskunftsanspruch zuzubilligen ist, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und wenn der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen (BGHZ 10, 385, 387; 81, 21, 24; 95, 285, 287 f.; 148, 26, 30; 152, 307, 316). Voraussetzung ist allerdings, dass ein Anspruch des die Auskunft begehrenden gegen den Inanspruch genommenen besteht. Dies ist hier aber nicht der Fall, weil - mangels beweisbarer Beeinträchtigung des Grundstücks durch die Lehrrohre - die Beklagte gerade keinen Unterlassungs- oder Leistungsanspruch gegenüber der Klägerin hat; und daher auch keinen Anspruch auf eine Nutzungsentschädigung. Nicht ausgeschlossen ist allerdings, dass sich dies bei einer Veränderung der tatsächlichen Gegebenheiten ändert. So etwa wenn sich tatsächlich Anhaltspunkte ergeben, dass die gegenwärtig im Erdreich einliegenden Lehrrohre in einer solche Art und Weise genutzt werden, dass später Beeinträchtigungen für das Grundstück entstehen können.

Auch eine Anspruchsgrundlage für den durch die Beklagte geltend gemachten Aufwendungsersatz wegen des Baggereinsatzes am 16. September 2006 ist nicht ersichtlich. In Betracht käme ein Anspruch der Beklagten aus § 823 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung ihres Eigentums oder aus § 1004 wegen der Beeinträchtigung ihres Eigentums durch Aufspülung von Material auf ihr Grundstück durch die Klägerin. Insoweit könnte die Beklagte allerdings nur Schadenersatz oder Beseitigung der Verschmutzungen verlangen, beides ist nicht Gegenstand der Widerklage und wurde auch sonst nicht gegenüber der Klägerin geltend gemacht. Aufwendungsersatz für die von der Beklagten dargelegten Ausschachtarbeiten mittels eines Baggers in einer Tiefe bis zu vier Metern kann die Beklagte auch deshalb nicht ersetzt verlangen, weil nicht dargelegt ist, dass und inwieweit solche Arbeiten erforderlich waren, um weitere notwendige Feststellungen über etwaige Verunreinigungen zu treffen. Weder Art noch Umfang einer Verschmutzung lassen sich allein durch Baggerarbeiten feststellen. Näher gelegen hätte es vielmehr gelegen, zunächst durch entsprechende Untersuchungen festzustellen, um welche Stoffe es sich bei den dort vorgefundenen gehandelt hat und welche Beeinträchtigungen des Grundstücks der Beklagten daraus abgeleitet werden können. Nach dem Gutachten des Sachverständigen … handelt sich bei festgestellten Verschmutzungen um eine Betonbodensuspension, die bei dem angewendeten Spülvorgang anfällt. Die bei der Erörterung eingebrachte Betonitsuspension ist ein Ton, ein mineralisches Naturprodukt. Eine weitergehende Verunreinigung des Bahngeländes, über den ohnehin bereits stark verunreinigten Schotter hinaus, ist nicht ohne Weiters erkennbar und wird durch den Sachverständigen verneint.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

Streitwert:    17.019,50 EUR

Für die Klage 15.000,- €

Für den Widerklageantrag zu 1.) 200,- EUR

Für den Widerklageantrag zu 2.) 1.819,50 EUR.