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Polizeirecht, Verweisung, weil Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet, Ingewahrsamnahme


Metadaten

Gericht VG Potsdam 3. Kammer Entscheidungsdatum 20.02.2024
Aktenzeichen VG 3 K 267/20 ECLI ECLI:DE:VGPOTSD:2024:0220.3K267.20.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 18 Abs. 2 BbgPolG

Leitsatz

Für die nachträgliche Prüfung der Rechtmäßigkeit einer (präventiv-polizeilichen) Freiheitsentziehung ist das Amtsgericht auch dann zuständig, wenn es während der Ingewahrsamnahme einer Person um Entscheidung über deren Zulässigkeit und Fortdauer nicht angegangen wird (Fortführung von OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 24. April 2009 1 L 124/08 juris).

Tenor

Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.

Der Rechtsstreit wird an das zuständige Amtsgericht Potsdam verwiesen.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit ihrer am 19. Oktober 2019 gegen 19:25 Uhr angeordneten und am 20. Oktober 2019 um 6:58 Uhr beendeten Ingewahrsamnahme.

Sie besetzte am 19. Oktober 2019 gemeinsam mit weiteren Personen ein leerstehendes Haus in der F... 36 in P_____, um auf politische Missstände aufmerksam zu machen. Gegen 19:00 Uhr wurde die zwischenzeitlich entstandene Personenansammlung vor dem Haus von Einsatzkräften des Beklagten aufgelöst und das Haus geräumt. Die Hausbesetzerinnen und -besetzer, darunter die Klägerin, gegen die ein Strafantrag wegen Hausfriedensbruch gestellt und schließlich ein Verfahren wegen Landfriedensbruchs eingeleitet wurde, wurden gegen 19:25 Uhr in Gewahrsam genommen und ihre Identität noch vor Ort festgestellt. Gegen 19:50 Uhr wurden sie zunächst zum Polizeirevier in Potsdam verbracht, wo sie erkennungsdienstlich behandelt werden sollten. Da hierfür nicht genügend Kapazitäten zur Verfügung standen, wurde u.a. die Klägerin gegen 23:00 Uhr zum Polizeirevier nach Brandenburg an der Havel verlegt. Dort wurde sie erkennungsdienstlich behandelt. Eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit oder Fortdauer der Freiheitsentziehung wurde nicht eingeholt. Die Klägerin wurde schließlich am nächsten Morgen um 6:58 Uhr aus dem Gewahrsam entlassen.

Mit ihrer am 30. März 2021 erhobenen Klage beantragt die Klägerin die Feststellung, dass die Anordnung, jedenfalls aber die Fortdauer ihrer Ingewahrsamnahme rechtswidrig war.

II.

Der Rechtsstreit ist gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 83 Satz 1 VwGO an das Amtsgericht Potsdam zu verweisen, da der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet ist.

Der zulässige Rechtsweg und die Zuständigkeit des Amtsgerichts für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der (präventiv-polizeilichen) Freiheitsentziehung der Klägerin ergeben sich aus § 18 Abs. 2 Satz 1 BbgPolG. Diese Vorschrift stellt eine von § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO zugelassene abdrängende Sonderzuweisung durch Landesgesetz zur ordentlichen Gerichtsbarkeit dar. Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 BbgPolG hat die Polizei, wenn eine Person auf Grund von § 12 Abs. 2 Satz 3, § 15 Abs. 3 oder § 17 BbgPolG festgehalten wird, unverzüglich, spätestens innerhalb von 24 Stunden eine richterliche Anhörung sowie unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen. Für die Entscheidung und Anhörung ist gemäß Absatz 2 Satz 1 der Vorschrift das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Person festgehalten wird. Tatbestandliche Ausgangslage für die amtsgerichtliche Zuständigkeit ist mithin jeweils die Ingewahrsamnahme einer Person. Diese erfolgte hier nach den Angaben des Beklagten gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 2 BbgPolG. Nach Auffassung des Beklagten sei die Ingewahrsamnahme der Klägerin unerlässlich gewesen, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat durch eine erneute Hausbesetzung zu verhindern.

Nach der von der Kammer geteilten Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (vgl. den Beschluss vom 24. April 2009 – 1 L 124/08 –, juris) wird die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts nicht dadurch begründet, dass während der Freiheitsentziehung des Betroffenen – wie hier – keine Entscheidung des Amtsgerichts ergangen ist und erst nachträglich die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme beantragt wird. Dies ergibt eine Auslegung von § 18 Abs. 2 Satz 1 BbgPolG. Zwar bedarf es nach dem Wortlaut des § 18 Abs. 1 Satz 2 BbgPolG nicht der Herbeiführung der Anhörung und der richterlichen Entscheidung, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung des Richters und die Anhörung durch den Richter erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahmen ergehen würden. Damit ist indessen nur der Primärzweck, richterlich über die Freilassung zu entscheiden, angesprochen. Wenn Bedarf für eine Feststellung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung besteht, kommt der weitere Zweck der Zuständigkeitszuweisung – eine richterliche Feststellung über die Zulässigkeit der Freiheitsentziehung zu treffen – zum Tragen mit der Folge, dass das Amtsgericht auch dafür zuständig bleibt. Diese Auslegung entspricht insbesondere der im Allgemeinen größeren Ortsnähe der Amtsgerichte im Vergleich zu den Verwaltungsgerichten, außerdem der Sachnähe, da Amtsgerichte auch nach anderen Vorschriften (vgl. insbesondere §§ 1 und 3 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen, wonach das Amtsgericht für Freiheitsentziehungen zuständig ist, die aufgrund von Bundesrecht angeordnet werden) über Freiheitsentziehungen zu befinden haben. Die einheitliche Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit bei Freiheitsentziehungen vermeidet es auch, den Rechtsweg für ein und denselben Lebenssachverhalt je nach Zeitpunkt der Freilassung aufzuspalten. Daher ist das Amtsgericht für die nachträgliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer (präventiv-polizeilichen) Freiheitsentziehung stets zuständig, ungeachtet dessen, ob es während der Ingewahrsamnahme einer Person um Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung angegangen wird (zu alledem: OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 7 ff.).

Dass das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg von einer Rechtswegkonzentration im vorgenannten Sinne ausgeht, ergibt eine Zusammenschau der Ausführungen in den Randnummern 9 und 10 der angeführten Entscheidung. In Randnummer 9 verweist das Oberverwaltungsgericht auf die Rechtsprechung, die in Anknüpfung an den jeweiligen Wortlaut der polizeirechtlichen Vorschriften der Länder die Verwaltungsgerichte als zuständig ansieht, wenn während der Freiheitsentziehung keine Entscheidung des Amtsgerichts ergangen ist und erst nachträglich die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme begehrt wird. Im nachfolgenden Absatz (Randnummer 10) stellt das Gericht ausdrücklich fest, dass diese Auffassung mit seinen vorgenannten Argumenten nicht vereinbar ist. Auch in Literatur und Rechtsprechung wird die hier angeführte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts im dargestellten Sinne verstanden (vgl. Hofrichter/Böhm, in: BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Brandenburg, Stand: August 2023, BbgPolG § 18 Rn. 29.1: im wie vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg verstandenen Sinne auch die Gesetzesbegründung § 18, LT-Drs. 2/1235, 80 [zitiert nach ebd.]; Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 40 Rn. 135; Buchberger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, K. Rechtsschutz, Rn. 39; Leggereit/Müller, in: BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Hessen, Stand: Dezember 2023, HSOG § 33 Rn. 11; VG Aachen, Urteil vom 5. Oktober 2009 – 6 K 1802/08 –, juris Rn. 14). Soweit das Oberverwaltungsgericht im Rahmen der Subsumtion in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall zum Ergebnis kommt, dass die Zuständigkeit des Amtsgerichts „jedenfalls durch die fernmündliche an das Amtsgericht Cottbus gegen 15.00 Uhr gerichtete Bitte sowie durch die um 16.43 Uhr dort eingegangene Bitte der Vertreterin der Klägerin […] begründet worden ist“, mag dies missverständlich sein. Allerdings wird durch die Formulierung „jedenfalls“ deutlich, dass es nach Auffassung des Gerichts auf den hier in Rede stehenden Streit nicht ankam. Vor diesem Hintergrund scheidet ein „Zuständigkeitsübergang“ von dem Verwaltungsgericht auf das Amtsgericht nur in Fällen, in denen das Amtsgericht bereits während der Ingewahrsamnahme mit der Sache betraut war, wie die Klägerin meint, aus.

Da örtlich das Amtsgericht zuständig ist, in dessen Bezirk der Betroffene festgehalten wird und die Klägerin sowohl in Potsdam als auch in Brandenburg an der Havel festgehalten worden ist, sind die Amtsgerichte Potsdam und Brandenburg zuständig (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 4 und 16 BbgGerOrgG). Entsprechend dem mit Schriftsatz der Klägerin vom 19. Februar 2024 geäußertem Wunsch wird der Rechtsstreit an das Amtsgericht Potsdam verwiesen, vgl. § 17a Abs. 2 Satz 2 GVG i.V.m. § 83 Satz 1 VwGO.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten, § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG.