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erkennungsdienstliche Maßnahmen, Vielzahl von Ermittlungsverfahren (u.a. wegen Körperverletzung), Wiederholungsgefahr, Ermessen


Metadaten

Gericht VG Potsdam 3. Kammer Entscheidungsdatum 14.02.2024
Aktenzeichen VG 3 L 67/24 ECLI ECLI:DE:VGPOTSD:2024:0214.3L67.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 81 b Abs. 1, 2 Alternative StPO

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Da nach § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 8 Abs. 2 BbgVwGG Anfechtungsklagen gegen die Behörde zu richten sind, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, und diese Regelung entsprechend auch für Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gilt, wurde das Rubrum auf Passivseite wie ersichtlich berichtigt.

1. Der Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 26. Januar 2024 gegen die Anordnung zur Durchführung einer erkennungsdienstlichen Behandlung des Antragsgegners vom 10. Januar 2024 wiederherzustellen,

bleibt ohne Erfolg.

Der auf § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO gestützte Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

a) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung entspricht den formellen Anforderungen gemäß § 80 Abs. 3 VwGO, wonach in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes schriftlich zu begründen ist. Die Vollziehbarkeitsanordnung lässt durch Bezugnahme auf die konkreten Umstände des Einzelfalls hinreichend erkennen, dass sich die Behörde des rechtlichen Ausnahmecharakters der Anordnung bewusst ist. Deckt sich die Begründung des besonderen Vollzugsinteresses mit der Begründung der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung teilweise – hier soweit auf die Gefahr der wiederholten Begehung von Straftaten abgestellt wird –, ist dies unschädlich, weil sich bei Gefahrenabwehrmaßnahmen aufgrund der typischerweise gesteigerten Gefährdungslage für das öffentliche Interesse eine (teilweise) Identität der Begründung schon aus der besonderen Dringlichkeit rechtfertigen lässt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Juni 2009 – OVG 1 S 97.09 –, juris Rn. 3).

b) Die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage keine durchgreifenden Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung bestehen.

Rechtsgrundlage für die vom Antragsgegner angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung des Antragstellers ist § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO. Danach dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Diese Voraussetzungen liegen nach Aktenlage vor.

aa) Der Antragsteller war zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2018 – 6 C 39.16 –, juris Rn. 17) der Anordnung vom 10. Januar 2024 Beschuldigter, da gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung in Verbindung mit Beleidigung geführt wird (Tgb.-Nr. _______).

bb) Die angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahmen sind auch notwendig im Sinne von § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO. Die Notwendigkeit der Anfertigung erkennungsdienstlichen Materials bemisst sich danach, ob der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalles Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig oder anderwärts gegenwärtig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen – den Betroffenen überführend oder entlastend – fördern könnten. Dabei sind insbesondere Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seine Persönlichkeit sowie der Zeitraum, währenddessen er strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, zu berücksichtigen. Insoweit ist auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Vornahme der Maßnahme oder, wenn diese – wie hier – noch nicht durchgeführt worden ist, auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2018 – 6 C 39.16 –, juris Rn. 20 ff.).

Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich die angeordnete erkennungsdienstliche Maßnahme unter dem Gesichtspunkt einer Wiederholungsgefahr als notwendig. Die Einschätzung des Antragsgegners, dass nach sachgerechter und vertretbarer kriminalistischer Erfahrung tragfähige Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, der Antragsteller könne in den Kreis möglicher Tatverdächtiger einer aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden und die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen könne dann ermittlungsfördernd sein, erweist sich als zutreffend.

Dies wird schon durch die Art und Häufigkeit der dem Antragsteller vorgeworfenen Taten untermauert. Der Antragsgegner hat dargelegt, dass der Antragsteller in der Vergangenheit wegen verschiedener Delikte wiederholt in den Fokus der Polizei geraten ist und gegen ihn seit 2016 mehrere Ermittlungsverfahren geführt wurden, davon vier wegen Körperverletzung (Az.: 4_____; Tgb.-Nr.: S_____; Az.: 4_____) bzw. gefährlicher Körperverletzung (Tgb.-Nr. S_____), und ein weiteres wegen Diebstahls (Az.: 4_____). In einem weiteren Fall wurde er mit Strafbefehl des Amtsgerichts Potsdam vom 15. Februar 2023 (Az.: 8_____]) wegen vorsätzlichen Vollrauschs zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen verurteilt. Vier der genannten Verfahren betreffen den Zeitraum zwischen Juli und August 2023. Nach der Anlasstat soll der Antragsteller erneut strafrechtlich auffällig geworden sein. Ihm wird vorgeworfen, am 29. November 2023 in zwei Fällen (Az.: 4_____) Falschgeld in den Verkehr gebracht zu haben. Allein die Anzahl der gegen den Antragsteller geführten Ermittlungsverfahren gibt – unabhängig vom Ausgang der Verfahren – ausreichenden Anlass für die Annahme, dass der Antragsteller auch in nächster Zukunft wieder als Beschuldigter eines Ermittlungsverfahrens in Erscheinung treten wird. Danach ist unerheblich, dass das Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung (4_____) nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. Ungeachtet dessen ist auch offen, ob die Einstellung allein darauf beruhte, dass dem Antragsteller die ihm zur Last gelegte Tat nicht nachgewiesen werden konnte und damit ein berücksichtigungsfähiger Restverdacht verbleibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2018 – 6 C 39/16 –, juris Rn. 23 m.w.N.). Die Unschuldsvermutung, auf die sich der Antragsteller beruft, gilt im Zusammenhang mit präventiv-polizeilichen Maßnahmen nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 2019 – 6 B 163/18, 6 PKH 10/18 –, juris Rn. 8, unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 2002 – 1 BvR 2257/01 –, juris).

Ferner bestärkt die Persönlichkeit des Antragstellers die Annahme einer Wiederholungsgefahr. Der Umstand, dass gegen den Antragsteller allein in den Monaten Juli und August 2023 vier Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, davon drei wegen Körperverletzung, deutet auf eine hohe kriminelle Energie und Gefährlichkeit hin. Zudem hat ihn die Verurteilung durch das Amtsgericht Potsdam vom 15. Februar 2023 wegen Vollrauschs nicht davon abgehalten, weitere Straftaten zu begehen. Vielmehr scheint sie ihn sogar unbeeindruckt gelassen zu lassen, was sich darin zeigt, dass der Gegenstand der Anlasstat im Zusammenhang mit dem Sachverhalt stehen soll, der zur Verurteilung wegen Vollrauschs geführt hat. So soll dem vom Amtsgericht Potsdam erlassenen Strafbefehl zugrunde gelegen haben, dass sich der Antragsteller im August 2022 vorsätzlich in einen Rauschzustand versetzt hat, um ohne besonderen Anlass einen PKW zu beschädigen. Im Verfahren betreffend die Anlasstat wird dem Antragsteller vorgeworfen, den Sohn des Eigentümers dieses beschädigten PKW im September 2023 angesprochen zu haben, weil er die wegen der Beschädigung des Fahrzeugs geltend gemachte Schadensersatzforderung als zu hoch empfunden habe. Im Zuge dessen habe der Antragsteller den Sohn als „Fotze“ und „Sohn einer Hure“ bezeichnet und ihm die Worte „Du bekommst noch Schläge“ zugerufen. Von der Fähigkeit des Antragstellers zur Einsicht in begangenes Unrecht kann danach nicht ausgegangen werden; auch bietet sein Verhalten kein Anzeichen für Reue. Ferner ist den in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen Strafanzeigen zu entnehmen, dass der Antragsteller jedenfalls bei einem Teil der ihm vorgeworfenen Taten unter Alkoholeinfluss gestanden haben soll. Sollte der Antragsteller unter einer Alkoholproblematik leiden und dazu neigen, im alkoholisierten Zustand Straftaten zu begehen, würde auch diese Charakterschwäche die Prognose einer Wiederholungsgefahr bestärken.

cc) Die angefochtene Anordnung ist ohne Ermessensfehler ergangen. Das Entschließungsermessen des Antragsgegners ist angesichts der hier gegebenen Notwendigkeit der Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen bereits zu Gunsten der Anordnung intendiert (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2018 – 6 C 39.16 –, juris Rn. 28). Auch das Auswahlermessen ist nicht zu beanstanden. Die Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken ist gerade für Taten, für die eine Wiederholungsgefahr begründet werden kann, geeignet und erforderlich, um diese mit künftigen Tatortspuren vergleichen zu können. Die weiter angeordneten Maßnahmen zur Erfassung des äußeren Erscheinungsbildes des Antragstellers können helfen, diesen durch Zeugen oder auf Fotos zu identifizieren oder eben aus dem Kreis der Verdächtigen (zu seinen Gunsten) auszuschließen. Daher hält sich auch die Anordnung einer Personenbeschreibung, der Fertigung eines fünfteiligen Lichtbildes, einer Ganzaufnahme und von anderen körperlichen Auffälligkeiten im Rahmen der gesetzlich geforderten Notwendigkeit.

Die angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahmen erweisen sich zudem im Verhältnis zur Schwere der vorgeworfenen Taten als angemessen. Das Recht des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) hat hinter dem Interesse des Antragsgegners an der Gewinnung der Unterlagen für erkennungsdienstliche Zwecke zurückzustehen.

dd) Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die prognostizierte Wiederholungsgefahr in naher Zukunft realisiert und deshalb nicht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens mit der Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung zugewartet werden kann, deckt sich das allgemeine Vollzugsinteresse mit dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung.

c) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

2. Der Streitwert entspricht der Bedeutung der Sache für den Antragsteller, §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 35.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, wobei dieser im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren ist (vgl. Nr. 1.5).