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Aufhebung bestandskräftiger Anschlussbeitragsbescheide, Bindungswirkung einer Einzelrichterübertragung durch das unzuständige Gericht, hypothetische Festsetzungsverjährung, keine Anwendbarkeit des VwVfG, Keine Ermessensfehler, Keine Ermessensreduzierung auf Null


Metadaten

Gericht VG Cottbus 6. Kammer Entscheidungsdatum 26.02.2024
Aktenzeichen VG 6 K 519/22 ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2024:0226.6K519.22.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen 130 AO §, 6 VwGO §, 79 BVerfGG §, 8, 12 KAG §§

Leitsatz

  1. Allein aus der Rechtswidrigkeit des bestandskräftigen Beitragsbescheides und damit der Eröffnung des Tatbestandes des § 130 Abs. 1 AO folgt noch nicht ein Anspruch auf Rücknahme des Bescheides.
  2. Das Rücknahmeermessen ist dann in Richtung auf Rücknahme reduziert und es besteht ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, wenn dessen Aufrechterhaltung schlechthin unerträglich wäre bzw. für den Betroffenen unzumutbare Folgen hätte.
  3. Der Vorwurf, allein in der Hoffnung gehandelt zu haben, dass der Verwaltungsakt bestandskräftig werde, kann nur erhoben werden, wenn in dem Sinne Kenntnis von der Rechtswidrigkeit gegeben war, dass diese in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht völlig außer Zweifel stand.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Aufhebung bestandskräftiger Schmutzwasseranschlussbeitrags- und Wasserversorgungsbeitragsbescheide.

Die Klägerin ist Eigentümerin des G_____.

Mit Bescheid vom 20. November 2008 und Nacherhebungsbescheid vom 1. Oktober 2015 zog die Beklagte die Klägerin sowie ihren mittlerweile verstorbenen Ehemann zur Zahlung von Schmutzwasserbeiträgen für das o.g. Grundstück in Höhe von insgesamt 882,00 Euro heran. Weiterhin zog die Beklagte die Klägerin sowie ihren Ehemann mit Bescheid vom 20. November 2018 und Nacherhebungsbescheid vom 1. Oktober 2015 zur Zahlung von Wasserversorgungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 518,82 Euro heran.

Die gegen die Bescheide vom 20. November 2008 jeweils eingelegten Widersprüche wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 12. Januar 2009 zurück. Eine Klageerhebung hiergegen erfolgte nicht. Gegen die Nacherhebungsbescheide vom 1. Oktober 2015 erfolgte keine Widerspruchseinlegung. Die genannten Bescheide sind jeweils in Bestandskraft erwachsen.

Mit Schreiben vom 9. März 2017, bei der Beklagten eingegangen am 13. März 2017, beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Aufhebung der oben genannten Beitragsbescheide sowie die Rückerstattung der von ihr gezahlten Beiträge. Zur Begründung führte sie aus: Das in den oben genannten Bescheiden bezeichnete Grundstück habe bereits vor dem 31. Dezember 1999 über die erforderliche technische Anschlussmöglichkeit an die öffentliche Einrichtung der Schmutzwasserentsorgung bzw. Wasserversorgung des Zweckverbandes verfügt.

Mit Bescheiden vom 15. März 2017 lehnte die Beklagte jeweils die Anträge der Klägerin auf Aufhebung der genannten Beitragsbescheide sowie Rückerstattung der geleisteten Beiträge ab. Zur Begründung führte sie jeweils aus: Die Anträge seien unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rückzahlung der Beiträge. Die bestandskräftigen Beitragsbescheide seien ein hinreichender Rechtsgrund für das Behaltendürfen der gezahlten Beiträge, unabhängig davon, ob die zugrundeliegenden Bescheide rechtswidrig oder verfassungswidrig seien. Im vorliegenden Fall komme nur die Rücknahme der Beitragsbescheide gem. § 130 Abgabenordnung (AO) in Betracht, über die der Verband nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden habe. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das individuelle Interesse an der Rechtmäßigkeit des einzelnen Verwaltungsaktes keinen Vorrang genieße vor dem Interesse an der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden, die durch den Bestand einmal unanfechtbar gewordener Bescheide bewirkt würden. Im vorliegenden Fall stehe das Interesse der Klägerin, den aufgrund eines möglicherweise rechtswidrigen Bescheides gezahlten Beitrag zurückzuerhalten, gegen das Interesse des Verbandes, die durch die nahezu abgeschlossene Beitragserhebung gesicherte Finanzierung der öffentlichen Einrichtung beizubehalten. Der Verband müsse alle Beitragspflichtigen gleich behandeln. Wenn er einen bestandskräftigen Beitragsbescheid aufheben würde, müsste er dies auch in all den anderen Fällen tun, die von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 betroffen seien. Die Rückzahlung aller Beiträge würde den Verband jedoch hinsichtlich seiner Liquidität und seiner wirtschaftlichen Entwicklung stark beeinträchtigen. Investitionen wären mittelfristig nicht mehr finanzierbar. Die Gebühren müssten in erheblichem Umfang erhöht werden. Eine solche Entwicklung würde dem Interesse der Allgemeinheit an einer sicheren und wirtschaftlichen Wasserversorgung/Schmutzwasserentsorgung zuwiderlaufen. Hier sei also mit der Sicherung der kommunalen Wasserversorgung/Schmutzwasserentsorgung ein hohes Allgemeingut betroffen. Hinzu komme, dass der Verband die Bescheide in Übereinstimmung mit der gesamten obergerichtlichen Rechtsprechung im Land Brandenburg erlassen habe. Er verweise insbesondere auf das Urteil des Landesverfassungsgerichts vom 21. September 2012 (– 46/11 – juris). Der Verband habe daher bei Erlass der Bescheide in den Jahren 2008 und 2015 nicht treuwidrig oder bewusst rechtswidrig gehandelt. Unter diesen Umständen müsse das private Interesse der Klägerin an der Aufhebung der Bescheide und der Rückzahlung der bereits geleisteten Beiträge zurückstehen. Als Grundstückeigentümerin in H_____, Ortsteil W_____, profitiere die Klägerin im Übrigen von den moderaten Wassergebühren/Schmutzwassergebühren, die auch durch die Erhebung der sogenannten Altanschließerbeiträge ermöglicht worden seien und würden.

Gegen die ablehnenden Bescheide legte die Klägerin jeweils mit Schreiben vom 24. März 2017 am 29. März 2017 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus: Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts habe sich die Sichtweise auf die Beurteilung der rechtwidrigen Beitragsbescheide stark verändert, so dass man zu dem Ergebnis gelangen müsse, dass diese Bescheide keine Bestandskraft mehr haben dürften und nichtig seien.

Diese Widersprüche wies die Beklagte jeweils mit Widerspruchsbescheiden vom 8. Juni 2017, der Klägerin jeweils zugestellt am 13. Juni 2017, zurück. Zur Begründung führte sie – ergänzend zur Begründung der Ablehnungsbescheide – aus: Die Rücknahme der Bescheide sei nicht deswegen zwingend geboten, weil sie rechtswidrig seien. Vielmehr sei abzuwägen zwischen den Grundsätzen des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit sowie dem Interesse an der Aufhebung. Die Regelung des § 130 Abs. 1 Satz 1 AO, die alleine eine Aufhebung der Beitragsbescheide ermöglichen würde, sei eine Ermessensvorschrift, so dass die Klägerin nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung habe. Dabei habe die Beklagte grundsätzlich im Hinblick auf Rechtssicherheit und Verfahrensökonomie nur eine eingeschränkte Prüfungs- und Begründungspflicht. Eine weitergehende Prüfungspflicht ergebe sich nur dann, wenn ein qualifizierter Rechtsverstoß vorliege, dessen Aufrechterhaltung allein aus Gründen des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit "schlechthin unerträglich" erscheine. Dabei spielten vor allem Kriterien der Schwere und Offensichtlichkeit sowie der Zumutbarkeit eine Rolle. Dazu müssten Umstände gegeben sein, die die Berufung auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen ließen. Ein solcher Umstand bestünde vor allem dann, wenn sich der Beklagten die Rechtswidrigkeit hätte aufdrängen müssen. Es sei aber nicht ersichtlich, dass das Aufrechterhalten der Bescheide derart unerträglich wäre, dass nur eine Rücknahme in Betracht käme. Insbesondere könne nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Beklagten bei Erlass der Beitragsbescheide die Rechtswidrigkeit, also die Verfassungswidrigkeit der landesverfassungs- und obergerichtlich akzeptierten Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 Kommunalabgabengesetz (KAG) aufdrängen habe müssen. Gerade umgekehrt habe die Beklagte unter Zugrundlegung der früheren Rechtsprechung von der Rechtmäßigkeit seiner Beitragserhebungspraxis ausgehen dürfen.

Am 6. Juli 2017 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) die vorliegende Klage erhoben. Mit Beschluss vom 8. Juni 2022 – 1 K 2610/17 – hat das Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) sich nach Anhörung der Beteiligten gem. § 83 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 17a Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit gem. § 52 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Brandenburgischen Verwaltungsgerichtsgesetztes (BbgVwGG) an das Verwaltungsgericht Cottbus verwiesen, da das betroffene Grundstück in dessen Gerichtsbezirk gelegen sei.

Zur Begründung ihrer Klage führt die Klägerin aus: Die Entscheidung der Beklagten sei wegen Fehlgebrauchs des ihr eingeräumten Ermessens rechtswidrig. Die Beklagte verkenne, dass hier mit dem Festhalten an den o.g. Beitragsbescheiden eine vom Bundesverfassungsgericht als grundgesetzwidrig eingestufte Rechtslage manifestiert werde. Es sei gerade aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens geboten, Beitragsbescheide, die aufgrund einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage erlassen worden seien, aufzuheben, zumal die Verfassungswidrigkeit der Rechtsgrundlage schon seit langem von Juristen bezweifelt worden sei und lediglich die Politik, die Verwaltung und die Rechtsprechung im Land Brandenburg die rechtliche Situation anders beurteilt hätten. Über die Gründe der Realitätsverweigerung der Verantwortlichen im Land Brandenburg, die zunächst völlig unnötig eine verfassungswidrige Regelung geschaffen und dann jahrelang an dieser festgehalten hätten, könne nur spekuliert werden. Dies führe aber nicht dazu, ein Festhalten an den Bescheiden für erträglich zu halten. Es könne kein Interesse des Staates daran geben, verfassungswidrige Entscheidungen aufrecht zu erhalten. Da anderen Einrichtungsträger, so zum Beispiel auch die Stadt C_____, bestandskräftige Beitragsbescheide aufgehoben und Beiträge zurückerstattet hätten, liege hier eine Ungleichbehandlung sowie eine schwere Störung des Rechtsfriedens vor, da die Anwendung des Grundgesetztes innerhalb der Bundesrepublik Deutschland nicht vom Wohnort des Bürgers abhängig gemacht werden dürfe. Es sei der Beklagten aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) sowie aus dem Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verwehrt, sich auf die Bestandskraft der Bescheide zu berufen. Die Beklagte habe auf die Klägerin massiven Druck ausgeübt, die streitgegenständlichen Bescheide nicht bis zur letzten Instanz anzufechten und diese somit in Bestandskraft erwachsen zu lassen. Auch das Innenministerium des Landes Brandenburg habe in seinem Rundschreiben vom 13. Oktober 2009 Einrichtungsträger aufgefordert, Druck auf die betroffenen Bürger und somit auch auf die Klägerin auszuüben. Das Ministerium habe dies damit begründet, dass die bestehenden Akzeptanzprobleme bei Betroffenen nicht selten auf einer unzureichenden Kenntnis der Sach- und Rechtslage beruhen würden, so dass der Aufklärung in der Sache auf kommunaler Ebene eine besondere Bedeutung zukomme. Den Betroffenen habe durch Medienkampagnen und Informationsveranstaltungen vor Augen geführt werden sollen, dass die Beitragserhebung in der Form, in der sie vorgenommen werde, rechtmäßig und zwingend sei. Diese Presse- und Informationskampagne der Landesregierung und der Beklagten seien im Falle der Klägerin erfolgreich gewesen, was dazu geführt habe, dass sie den Angaben geglaubt habe und die Bescheide in Bestandskraft erwachsen seien. Die Landesregierung sowie die Beklagte seien es gewesen, die durch den interessengeleiteten Einsatz von Steuer- und Abgabenmitteln zur Finanzierung ihrer (erfolgreichen) Presse- und Informationskampagnen dazu beigetragen hätten, dass die Klägerin nicht gegen die Bescheide vorgegangen sei. Der Staat, der den Einzelnen "so hinter das Licht führe", habe dann aber auch die Konsequenzen zu tragen. Auch sei die Finanzierung durch die Erhebung von Altanschließerbeiträgen nicht zwingend gewesen, die Beklagte hätte auch rechtssichere Varianten, wie z. B. eine reine Gebührenfinanzierung wählen können. Die Beklagte könne sich auch nicht auf Liquiditätsengpässe im Falle der Rückerstattung der Beiträge berufen. Die Beklagte habe die Möglichkeit, sich beim Land Brandenburg, welches die verfassungswidrige Norm – entgegen aller Bedenken und Kritik – erlassen und durchgesetzt habe und auch bei ihren Rechtsberatern, die sie falsch beraten und nicht den sichersten Weg der Finanzierung gewiesen hätten, schadlos zu halten. Angebliche Allgemeinwohlbelange könnten nicht dafür herangezogen werden, verfassungswidrige Bescheide aufrechtzuerhalten.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 15. März 2017 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 8. Juni 2017 zu verpflichten, die Beitragsbescheide vom 20. November 2008 (B_____ und B_____) in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 12. Januar 2009 und die Nacherhebungsbescheide vom 1. Oktober 2015 (B_____ und B_____) aufzuheben und die insgesamt gezahlten Beträge in Höhe von 1.400,82 Euro an die Klägerin zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung stützt sie sich auf die Ausführungen im Verwaltungsverfahren. Ergänzend führt sie aus: Die Klage sei unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rücknahme des Schmutzwasserbeitragsbescheides vom 20. November 2018 und des Nacherhebungsbescheides vom 1. Oktober 2015 sowie des Trinkwasserbeitragsbescheides vom 20. November 2008 und des Nacherhebungsbescheides vom 1. Oktober 2015. Die genannten Bescheide seien bestandskräftig geworden. Die Beklagte sei nicht aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 verpflichtet, bestandskräftige Bescheide aufzuheben. Dies ergebe sich bereits aus § 79 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG). Der Gesetzgeber habe in dieser Norm die Grundentscheidung getroffen, dass bereits unanfechtbar gewordene Verwaltungsakte von einer später erkannten und festgestellten Verfassungswidrigkeit ihrer Rechtsgrundlage oder der Anwendung ihrer Rechtsgrundlage nicht berührt werden sollten. Angesichts dieser gesetzgeberischen Grundentscheidung laufe das Argument, es handele sich hier um rechtswidrige – ja sogar verfassungswidrige – Bescheide, die keinesfalls bestehen bleiben dürften, ins Leere. Der Gesetzgeber selbst habe vielmehr in diesen Fällen der Rechtssicherheit, die sich in der Aufrechterhaltung der Bescheide manifestiere, dem Vorzug gegeben vor der unbedingten Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung im Einzelfall. Die Beklagte habe sich demgemäß ermessensfehlerfrei entschieden, überhaupt keine bestandskräftigen Bescheide aufzuheben. Dabei habe sie berücksichtigt, dass das individuelle Interesse an der Rechtmäßigkeit des einzelnen Verwaltungsaktes keinen Vorrang genieße vor dem Interesse der Allgemeinheit an der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden, die durch den Bestand unanfechtbar gewordener Bescheide bewirkt würden. Im vorliegenden Fall stehe das Interesse der Klägerin, die aufgrund rechtswidriger Bescheide gezahlten Beiträge zurückzuerhalten, gegen das Interesse der Beklagten, die durch die nahezu abgeschlossene Beitragserhebung gesicherte Finanzierung der öffentlichen Einrichtung beizubehalten. Da die Beklagte alle Beitragspflichtigen gleich behandeln müsse, könne sie nur entweder alle oder gar keinen der bestandkräftigen Beitragsbescheide, die in den Anwendungsbereich des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. November 2015 fielen, aufheben. Die Rückzahlung aller Beiträge würden den Verband hinsichtlich seiner Liquidität und seiner wirtschaftlichen Entwicklung stark beeinträchtigen. Investitionen wären mittelfristig nicht mehr finanzierbar, die Gebühren müssten in erheblichem Umfang erhöht werden. Eine solche Entwicklung würde dem Interesse der Allgemeinheit an einer sicheren und wirtschaftlichen Wasserversorgung bzw. Schmutzwasserentsorgung zuwiderlaufen. Hier sei also mit der Sicherung der kommunalen Wasserversorgung/Abwasserentsorgung ein hohes Allgemeingut betroffen. Unter diesen Umständen müsse das private Interesse der Klägerin an der Aufhebung der Bescheide und der Rückzahlung der bereits geleisteten Beiträge zurückstehen.

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte im Wege des schriftlichen Verfahrens (§ 101 Abs. 2 VwGO) entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit jeweils einverstanden erklärt haben (vgl. Schriftsatz des Beklagten vom 17. Januar 2024 und Schriftsatz der Klägerin vom 23. 5. Januar 2024).

Die Kammer konnte ferner durch den Vorsitzenden als Einzelrichter entscheiden, da diesem jedenfalls der Rechtsstreit durch Beschluss vom 26. Januar 2024 zur Entscheidung übertragen worden ist. Insoweit mag dahinstehen, ob die bereits durch Beschluss vom 24. Januar 2020 erfolgte Einzelrichterübertragung durch das örtlich unzuständige Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) fortwirkte (so OVG Hamburg, Beschluss vom 22. September 2009 - 1 Bf 162/09.Z -, juris, Rn. 124 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 18. Januar 1985 – 8 U 90/84 -, MDR 1986, 153), sodass die erneute Einzelrichterübertragung durch das nunmehr erkennende, zuständige Verwaltungsgericht Cottbus ins Leere geht oder ob durch die Verweisung an das zuständige Verwaltungsgericht Cottbus der ursprüngliche Übertragungsbeschluss seine Wirksamkeit verloren hat, da die Wirkung eines Einzelrichterübertragungsbeschlusses auf das Verwaltungsgericht beschränkt ist, dessen Kammer ihn erlassen hat und daher das Gericht, an das verwiesen wurde, nicht bindet (so OVG Niedersachsen, Beschluss vom 13. Oktober 1989 – 21 L 279/89 -, EzAR 631 Nr. 9; VG Karlsruhe, Urteil vom 21. April 2016 – 2 K 2240/15 -, juris, Rn. 15).

Die Klage hat keinen Erfolg.

Die gemäß § 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO statthafte und auch sonst zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die Beitragsbescheide vom 20. November 2008 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 12. Januar 2009 und die Nacherhebungsbescheide vom 1. Oktober 2015 in der beantragten Weise aufhebt oder ändert, § 113 Abs. 5 VwGO. Die ablehnenden Bescheide der Beklagten vom 15. März 2017 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 8. Juni 2017 sind rechtmäßig und lassen insbesondere Ermessensfehler nicht erkennen, so dass weder der begehrte Anspruch gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO noch eine Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung des Antrages vom 9. März 2017 in Betracht kommt.

Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin ist § 130 Abs. 1 Abgabenordnung (AO), der gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) Kommunalabgabengesetz (KAG) im vorliegenden Zusammenhang entsprechende Anwendung findet. Demgegenüber kommt es nicht darauf an, ob die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Brandenburg (VwVfGBbg) i.V.m. § 51 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens erfüllt sind oder sich aus § 48 VwVfG ein Anspruch auf Rücknahme des Beitragsbescheides ergeben könnte. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfGBbg ist die Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes in denjenigen Verwaltungsverfahren ausgeschlossen, in denen Rechtsvorschriften der Abgabenordnung anzuwenden sind. Das gilt uneingeschränkt für Verwaltungsverfahren nach dem Kommunalabgabengesetz, auch wenn hier nicht die Abgabenordnung allgemein, sondern lediglich die in § 12 Abs. 1 KAG aufgeführten einzelnen Vorschriften der Abgabenordnung anzuwenden sind. Danach weicht das Verwaltungsverfahrensgesetz nicht nur, „soweit“ im Einzelnen Vorschriften der Abgabenordnung anwendbar sind, denn das ergäbe sich bereits aus § 1 Abs. 1 VwVfG Bbg (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Mai 2006 - 9 M 9.06 -, juris, Rn. 2). Vielmehr ist die Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes ganz ausgeschlossen, wenn gleichsam statt seiner Vorschriften der Abgabenordnung gelten sollen. Das ist vorliegend wegen des ausführlichen Verweises des § 12 Abs. 1 KAG auf Vorschriften der Abgabenordnung der Fall (vgl. auch insoweit schon OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Mai 2006, a. a. O.). Da das Verwaltungsverfahrensgesetz Brandenburg selbst sein „Weichen“ vorsieht, ist § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfG Bbg in Verbindung mit § 51 VwVfG auch keine besondere Vorschrift im Sinne des § 12 Abs. 1 KAG (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Mai 2006, a.a.O.; Urteile vom 12. November 2019 – 9 B 11.19 und 9 B 40.18 -, juris; Beschluss vom 8. April 2020 – 9 B 19.19 -, Seite 5 des E.A.; vgl. zur Anwendung des in den zitierten Vorschriften zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens noch unten).

Gestützt auf § 130 Abs. 1 AO ist die Beklagte nicht verpflichtet, die Beitragsbescheide in der Gestalt der Widerspruchsbescheide in der beantragten Weise aufzuheben oder zu ändern.

Nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG in Verbindung mit § 130 Abs. 1 AO kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er – wie hier der Fall - unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Zwar dürften die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm vorliegen. Denn die aufzuheben beantragten Beitragsbescheide in der Gestalt der Widerspruchsbescheide sind nach dem von der Beklagten unwidersprochenen Vortrag der Klägerin rechtswidrig.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 12. November 2015 - 1 BvR 2961/14, 1 BVR 3051/14 -, juris, entschieden, dass die Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n. F. gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verstößt, wenn es um Fälle geht, in denen Beiträge nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F. in der Auslegung durch das OVG Frankfurt (Oder) (grundlegend Urteil vom 8. Juni 2000 - 2 D 29/98.NE -, juris, Rn. 43 ff.) nicht mehr hätten erhoben werden können. Damit dürfte, was allerdings keiner abschließenden Entscheidung bedarf (vgl. noch unten), das Bundesverfassungsgericht eine verfassungskonforme Auslegung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n. F. vorgegeben haben (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Februar 2016 - OVG 9 B 1.16 -, juris, Rn. 30).

Insoweit kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, dass die aufzuheben begehrten Beitragsbescheide in der Gestalt der Widerspruchsbescheide und die Nacherhebungsbescheide unter Zugrundelegung der genannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des OVG Berlin- Brandenburg (vgl. grundlegend Urteile vom 11. Februar 2016 – 9 B 1.16 und 9 B 43.15 -, juris) wegen des Eintritts hypothetischer Festsetzungsverjährung rechtswidrig sind, weil für das veranlagte Grundstück bereits vor dem 1. Januar 2000 eine rechtlich gesicherte tatsächliche Anschlussmöglichkeit an die Wasserver- und Schmutzwasserentsorgungseinrichtung des Verbandes bestanden hat und dieser zudem zum genannten Zeitpunkt jeweils für die Wasserversorgung und Schmutzwasserentsorgung eine (unwirksame) Beitragssatzung mit formalem Geltungsanspruch erlassen hat. Nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F. in der Auslegung des OVG Frankfurt (Oder), a.a.O., wäre danach zur Begründung der Beitragspflicht der Erlass einer wirksamen, in die 1990er Jahre zurückwirkenden Satzung notwendig gewesen, bei deren Erlass indessen noch vor dem Inkrafttreten des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n. F. (1. Februar 2004) Festsetzungsverjährung eingetreten wäre.

Auch einer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 27. Juni 2019 – III ZR 93/18 -, juris) und der darin vorgenommenen Auslegung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. bedarf es nicht. Das OVG Berlin- Brandenburg (vgl. Beschluss vom 4. September 2019 – 9 S 18.18 -, juris; Urteile vom 12. November 2019, a.a.O.) ist der dort zum Ausdruck gebrachten Auffassung des BGH nicht gefolgt; die Kammer schließt sich dem an. Die aufzuheben beantragten Beitrags- und Nacherhebungsbescheide sind auch in Bestandskraft erwachsen.

Allein aus der Rechtswidrigkeit der (bestandskräftigen) Beitragsbescheide und damit der Eröffnung des Tatbestandes des § 130 Abs. 1 AO folgt indes noch nicht der mit der Klage verfolgte Anspruch auf Rücknahme der Bescheide. § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit.t. b) KAG i.V.m. § 130 Abs. 1 AO räumt auf der Rechtsfolgenseite der Behörde vielmehr Ermessen ein, wie die Verwendung des Wortes "kann" in § 130 Abs. 1 AO verdeutlicht. Die Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheides begründet keinen Anspruch auf dessen Rücknahme, weil sie lediglich die tatbestandliche Voraussetzung für die von der Behörde zu treffende Ermessensentscheidung ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 – 6 C 32.06 -, NVwZ 2007, 709, 710; OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O.). Danach hat die Beklagte in Ausübung dieses Ermessens darüber zu befinden, ob sie die eingetretene Bestandskraft eines Verwaltungsaktes beseitigt und die gewünschten Korrekturen vornimmt oder nicht. Dabei sind die materielle Gerechtigkeit, die für eine Korrektur unrichtiger Bescheide spricht und die zugunsten des Adressaten des rechtswidrigen Verwaltungsakts streitet, und die Rechtssicherheit, die das Festhalten an der Bestandskraft begründen und die der Begünstigte für sich in Anspruch nehmen kann, im Ausgangspunkt gleichwertige Gesichtspunkte im Rahmen der von der Behörde zu treffenden Entscheidung. Dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit kommt grds. also kein höheres Gewicht zu als dem Grundsatz der Rechtssicherheit. Dementsprechend gibt es keine allgemeine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt, rechtswidrige belastende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 -, juris, Rz. 80; Beschluss vom 27. Februar 2007 - 1 BvR 1982/01 -, juris, Rz. 33; BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2011 - 2 C 50.09 -, juris, Rz. 14), und zwar auch dann nicht, wenn die Rechtsgrundlage des bestandskräftigen Verwaltungsakts oder deren Auslegung bzw. Anwendung gegen Verfassungsrecht verstößt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1966 - 1 BvR 164/64, 1 BvR 178/64 - BVerfGE 20, 230 <235 f.>; Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 - BVerfGE 116, 24 <55>; Beschluss vom 27. Februar 2007 - 1 BvR 1982/01 - BVerfGE 117, 302 <315> und Kammerbeschluss vom 30. Januar 2008 - 1 BvR 943/07 - NVwZ 2008, 550 <551>; BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2011 - 2 C 50.09 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 58 Rn. 14; Bechluss vom 8. Juni 2021 – 9 B 26/20 -, juris, Rn. 5). Vielmehr ist die materielle Gerechtigkeit grundsätzlich im gesetzlich zugelassenen Rechtsmittelverfahren zu verwirklichen. Ist dieses beendet oder ist die Rechtsmittelfrist ohne Einlegung eines Rechtsmittels abgelaufen, schließt der Grundsatz der Rechtssicherheit einen Rechtsanspruch auf Beseitigung einer unanfechtbaren behördlichen Entscheidung grundsätzlich aus. Dabei findet diese Rechtsprechung trotz der Bindung der öffentlichen Gewalt an die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) insbesondere auch dann Anwendung, wenn die Verfassungswidrigkeit oder verfassungswidrige Anwendung der Rechtsnorm, auf die ein bestandskräftiger Verwaltungsakt gestützt ist, auf ihrer Grundrechtswidrigkeit beruht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1966 - 1 BvR 164/64, 1 BvR 178/64 - BVerfGE 20, 230 <234 f.>: Unvereinbarkeit der Auslegung mit Art. 6 Abs. 1 GG; vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 21. Februar 1961 - 1 BvL 29/57, 1 BvL 20/60 - BVerfGE 12, 151 <166 ff.>; Kammerbeschluss vom 30. Januar 2008 - 1 BvR 943/07 - NVwZ 2008, 550 <551>: Unvereinbarkeit der Rechtsgrundlage mit Art. 3 Abs. 1 GG). Verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist auch dies im Hinblick auf den im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsatz der Rechtssicherheit, dem der Gesetzgeber jedenfalls grundsätzlich den Vorrang vor dem Prinzip der Gerechtigkeit im Einzelfall auch dann einräumen darf, wenn infolgedessen die Durchsetzung eines Grundrechts in abgeschlossenen Verfahren nicht mehr möglich ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. Dezember 1957 - 1 BvR 678/57 - BVerfGE 7, 194 <195 f.> und vom 11. Oktober 1966 - 1 BvR 164/64, 1 BvR 178/64 - BVerfGE 20, 230 <235>). Denn selbst die Einschränkung von vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechte und Rechtswerte verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein (vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 26. Mai 1970 - 1 BvR 83/69 u.a. - BVerfGE 28, 243 <260 f.> und vom 26. Juni 1991 - 1 BvR 779/85 - BVerfGE 84, 212 <228>). Dass rechts- oder verfassungswidrige Verwaltungsakte nicht zwingend zurückgenommen werden müssen, gilt auch für die Fälle, in denen die Rücknahme solcher Verwaltungsakte wie in § 48 Abs. 1 VwVfG und § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG in Verbindung mit § 130 Abs. 1 AO in das Ermessen der Behörde gestellt ist. Denn sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Bundesverwaltungsgericht haben in solchen Fällen unter Berufung auf diese Rechtsprechung eine Ermessensreduktion auf Null allein wegen der Grundrechts- oder Verfassungswidrigkeit eines bestandskräftigen Verwaltungsakts verneint (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. Januar 2008 - 1 BvR 943/07 - NVwZ 2008, 550 <551>; BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2011 - 2 C 50.09 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 58 Rn. 11 ff., 14, jeweils zu § 48 VwVfG; jüngst ausdrücklich zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n.F.: BVerwG, Bechluss vom 8. Juni 2021 – 9 B 26/20 -, juris, Rn. 5 ff.).

Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ist daher entgegen der Auffassung der Klägerseite ohne Weiteres davon auszugehen, dass die Bindung der öffentlichen Gewalt an die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) nicht dazu führt, dass das einer Behörde durch eine Regelung über die Rücknahme von Verwaltungsakten wie § 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b) KAG in Verbindung mit § 130 Abs. 1 AO eingeräumte Ermessen allein deshalb auf Null reduziert ist, weil der zurückzunehmende Bescheid verfassungs- oder grundrechtswidrig ist ( vgl. jüngst zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG ausdrücklich BVerwG, Bechluss vom 8. Juni 2021 – 9 B 26/20 -, juris, Rn. 5 ff.).

Dieses Ergebnis wird auch nicht durch den Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Januar 2008 - 1 BvR 943/07 - (NVwZ 2008, 550) in Frage gestellt.

Zwar entfaltet diese Entscheidung keine Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG, weil Nichtannahmebeschlüsse keine Sachentscheidungen sind vgl. (BVerfG, Beschluss vom 24. Januar 1995 - 1 BvL 18/93 u.a. - BVerfGE 92, 91 <107>). Jedoch gibt sie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Sache nach so wieder, wie dies bereits in vorausgegangenen Entscheidungen geschehen ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 - BVerfGE 116, 24 <55> und Beschluss vom 27. Februar 2007 - 1 BvR 1982/01 - BVerfGE 117, 302 <315>) und wie sie auch vom Bundesverwaltungsgericht übernommen worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2011 - 2 C 50.09 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 58 Rn. 14).

Auch im Rahmen des § 130 Abs. 1 AO ist deshalb die Entscheidung der Behörde, einen Verwaltungsakt, dessen Fehlerhaftigkeit sich nachträglich herausgestellt hat, gleichwohl nicht zurückzunehmen, grundsätzlich vom Prinzip der Rechtssicherheit gedeckt und mit Rücksicht auf den im Abgabenrecht bedeutsamen Grundsatz der Verwaltungspraktikabilität im Regelfall zu billigen, sofern dem anzuwendenden Recht nicht ausnahmsweise eine andere Wertung zu entnehmen ist (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage vom 07. Juli 2004 – 6 C 24/03 -, BVerwGE 121, 226; Urteil vom 17. Januar 2007 – 6 C 32/06 –, juris). Die Behörde kann daher, auch ohne nähere sachliche Prüfung, den Antrag allein mit der Begründung ablehnen, dass der Betroffene es versäumt habe, die Gründe, die seiner Auffassung nach eine Rücknahme rechtfertigen, mit einem fristgerecht eingelegten Rechtsmittel gegen den Bescheid vorzubringen und dass sie der Bestandskraft grds. den Vorrang einräume und für eine andere Beurteilung keinen Anlass sehe (vgl. auch BFH, Beschluss vom 12. April 2005 – VII B 81/04 -, juris, Rn. 6; OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. Januar 2007 - 9 LA 252/03 -, juris Rn. 5 m.w.N.).

Die gerichtliche Kontrolle der getroffenen Entscheidung ist demnach gemäß § 114 Satz 1 VwGO grds. auf die Überprüfung beschränkt, ob die Behörde den entscheidungserheblichen Sachverhalt einwandfrei ermittelt, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens gewahrt und das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt hat. Ein Anspruch auf gerichtlichen Ausspruch der begehrten Korrektur des streitigen Bescheides bestünde nur für den Fall, dass die einzig ermessensfehlerfreie Entscheidung die Entscheidung im Sinne des klägerischen Antrags wäre (sog. "Ermessensreduzierung auf Null").

Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch auf Rücknahme der bestandskräftigen Beitragsbescheide oder auf Neubescheidung, weil keine Umstände vorliegen, nach denen sich das der Beklagten von § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG i.V.m. § 130 AO eingeräumte Ermessen dahin verdichtet hätte, dass nur die Rücknahme des Bescheides ermessensfehlerfrei wäre und die Beklagte ihr Ermessen insoweit fehlerfrei ausgeübt hätte, § 114 VwGO.

Hinsichtlich der von der Klägerin allein angeführten hypothetischen Festsetzungsverjährung ist das Rücknahmeermessen zunächst nicht schon allein deswegen reduziert, weil das Bundesverfassungsgericht in seinem Kammerbeschluss vom 12. November 2015 die Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n.F. (in der seit dem 1. Februar 2004 geltenden Fassung) auf Fälle, in denen Beiträge nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. (in der bis zum 31. Januar 2004 geltenden Fassung) nicht mehr hätten erhoben werden können, als verfassungsrechtlich unzulässig erachtet hat (ebenso OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O., Rn. 21 ff.).

Dies folgt bereits aus § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, der auf den vorliegenden Fall (doppelt) analog anzuwenden ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. September 2018 - 9 S 10.18 -, juris Rzn. 9 ff.; OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O., Rn. 21 ff.; OLG Brandenburg, Urteil vom 17. April 2018 - 2 U 21/17 -, juris Rn. 45 ff.). Nach dieser Norm bleiben – soweit hier von Interesse - die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen, grundsätzlich unberührt. § 79 Abs. 2 BVerfGG findet analoge Anwendung, wenn eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung auf einer Auslegungsvariante beruht, deren Verfassungswidrigkeit das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat (BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 1905/02 -, juris, Rz. 39).

Dabei kann es sogar dahinstehen, ob das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 12. November 2015 eine bestimmte Auslegungsvariante des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n.F. für verfassungswidrig erklärt und eine verfassungskonforme Auslegung dieser Norm vorgenommen hat (so OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. September 2018 - OVG 9 S 10.18 -, juris, Rn. 9; Urteile vom 12. November 2019, a.a.O.) oder die Anwendung der Norm auf eine bestimmte, aber eine Vielzahl von Fällen betreffende Konstellation für verfassungswidrig erklärt hat (so BVerwG, Beschl. vom 8. Juni 2021 – 9 B 26/20 -, juris, Rn. 5) . Auch auf die letztgenannte Fallgruppe findet § 79 Abs. 2 BVerfGG analoge Anwendung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasst die analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 BVerfGG auch Entscheidungen, durch welche Gerichte angehalten werden, bei der Auslegung und Anwendung von Generalklauseln und sonstigen auslegungsbedürftigen Regelungstatbeständen die jeweils einschlägigen Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleiben. Das Bundesverfassungsgericht erblickt zwar zwischen dieser Art, die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte auf das einfache Recht durchzusetzen, und den Fällen, in denen es den Fachgerichten die verfassungskonforme Auslegung einer Regelung vorgibt, Unterschiede. Sie sind jedoch im Hinblick auf den Grundrechtsschutz nicht von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie die Ungleichbehandlung derjenigen, die von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts der einen oder der anderen Art betroffen werden, rechtfertigen könnten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005, a.a.O., Rn. 41 ff.). Zwischen dieser Fallgruppe und derjenigen, die dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 zugrunde liegt, besteht sachlich mit Blick auf den Grundrechtsschutz des Einzelnen kein wesentlicher Unterschied: Erklärt das Bundesverfassungsgericht die rückwirkende Anwendung einer Norm auf bestimmte Fallkonstellationen für verfassungsrechtlich unzulässig mit der Folge, dass dies über den konkreten Einzelfall hinaus für alle gleichgelagerten Fällen Geltung beansprucht, so sind Behörden und Gerichte in diesen Fällen ebenso gebunden, wie wenn das Bundesverfassungsgericht eine Rechtsvorschrift verfassungskonform in der Weise auslegt, dass es die verfassungswidrige Interpretationsmöglichkeit ausschließt. Zudem verbleibt den Gerichten in den seitens des Bundesverfassungsgerichts festgestellten Fällen einer verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung keine Möglichkeit, in gleichgelagerten Fallgestaltungen abweichende Entscheidungen zu treffen. Es gibt somit hinsichtlich des Grundrechtsschutzes des Einzelnen keinen wesentlichen Unterschied zu den Fällen, in welchen das Bundesverfassungsgericht eine Norm verfassungskonform ausgelegt hat (vgl. OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O.; Beschluss vom 8. April 2020, a.a.O., S. 8 f. des E.A.).

Ferner findet § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nach der überzeugenden Begründung des 9. Senats des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (vgl. Beschluss vom 11. September 2018, a.a.O., Rzn. 9 ff.; OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O.; Beschluss vom 8. April 2020, a.a.O.; so auch OLG Brandenburg, Urteil vom 17. April 2018, a.a.O., Rzn. 50 ff.; a.A. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Januar 2017 - OVG 3 K 58.16 -, juris, Rz. 6; VG Frankfurt [Oder], Urteil vom 18. April 2018 - 5 K 977/17 -, juris, Rz. 44, und Urteil vom 24. Oktober 2018 - 5 K 3943/17 -, juris, Rz. 45) auch dann analoge Anwendung, wenn die verfassungskonforme Auslegung einer Norm nicht im Wege einer Senatsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, sondern - wie hier - in einem stattgebenden Kammerbeschluss erfolgt ist. Kammerentscheidungen können nicht weiterreichen als Senatsentscheidungen.

Der nach vorstehenden Ausführungen anwendbare § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG enthält zwar einen Vorbehalt besonderer gesetzlicher Regelungen und schließt deshalb nicht die Aufhebung von Verwaltungsakten im Ermessenswege aus, wie sie durch § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG in Verbindung mit § 130 AO ermöglicht wird. Die gesetzgeberische Wertung des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist aber bei der Ermessensentscheidung einzubeziehen, so dass grundsätzlich nur eine Rücknahme für die Zukunft geboten sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2011 - 2 C 50.09 -, juris, Rn. 15). Die Verfassungswidrigkeit der Norm(-Auslegung), auf der der Verwaltungsakt beruht, kann danach als solche vorliegend nicht zu einem Rücknahmeanspruch führen (vgl. OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O.; Urteil vom 8. April 2020, a.a.O., Seite 8 des E.A.).

Selbst wenn eine (doppelt) analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG auf den vorliegenden Fall ausscheiden sollte, folgt aus dem hinter dieser Norm stehenden Rechtsgedanken für die Frage, ob im Rahmen des § 130 AO von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen ist, im Ergebnis nichts anderes (so auch OLG Brandenburg, Urteil vom 17. April 2018, a.a.O., Rz. 53). § 79 Abs. 2 BVerfGG bringt den allgemeinen Rechtsgedanken zum Ausdruck, dass die nachteiligen Wirkungen, die von unanfechtbar gewordenen Akten der öffentlichen Gewalt, die in verfassungswidriger Weise zustande gekommen sind, ausgehen oder in der Vergangenheit von ihnen ausgegangen sind, nicht rückwirkend aufgehoben bzw. beseitigt werden sollen, dass aber für die Zukunft die sich aus der Durchsetzung dieser Akte ergebenden Rechtsfolgen abgewendet werden sollen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1966 - 1 BvR 178/64 -, Rz. 16; Beschluss vom 21. Mai 1974 - 1 BvL 22/71 -, Rz. 131; Beschluss vom 10. Mai 1994 - 1 BvR 1534/92 -, Rz. 23; Beschluss vom 27. November 1997 - 1 BvL 12/91 -, Rz. 46; Nichtannahmebeschluss vom 19. Dezember 2006 - 1 BvR 2723/06 -, Rz. 13, jew. bei juris; Beschluss vom 6. Dezember 2005, a.a.O., Rz. 34). Dieser allgemeine Rechtsgedanke beansprucht auch dann Geltung, wenn § 79 Abs. 2 BVerfGG auf den Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 keine Anwendung findet (vgl. OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O.; Urteil vom 8. April 2020, a.a.O., Seite 8 des E.A.).

Eine andere Betrachtung ist auch nicht deshalb angezeigt, weil der vorliegende Fall kein Einzelfall ist, sondern eine Vielzahl von Beitragsbescheiden erlassen worden ist, die im Lichte des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (a.a.O.) rechtswidrig sind. Die Nichtigerklärung einer gesetzlichen Vorschrift kann leicht eine Vielzahl von Fällen betreffen. Erkennbarer Sinn des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist es deshalb gerade auch zu verhindern, dass wegen der Nichtigerklärung einer Norm eine Vielzahl von abgeschlossenen Verfahren wieder aufgerollt werden muss. Dasselbe gilt für die analoge Anwendung auf verfassungskonforme Auslegungen durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O., Rn. 46).

Der Umstand, dass nach den gesetzlichen Wertungen des §12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG in Verbindung mit § 130 AO und des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG weder die Rechtswidrigkeit eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes als solche noch die Verfassungswidrigkeit der maßgeblichen Rechtsgrundlage oder deren Auslegung zu einem Rücknahmeanspruch führt, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O.; Beschluss vom 8. April 2020, a.a.O., Seite 8 f. des E.A.). Dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit kommt – wie ausgeführt - prinzipiell kein größeres Gewicht zu als dem Grundsatz der Rechtssicherheit, sofern dem anzuwendenden Recht nicht ausnahmsweise eine andere Wertung zu entnehmen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 1974 - VIII C 20.72 -, juris, Rn. 25, und Beschluss vom 22. Oktober 1984 - 8 B 56.84 -, juris, Rn. 3). Die mit dem Verstreichen der Frist zur Anfechtung eines Verwaltungsaktes regelmäßig einhergehende Bestandskraft ist ein Instrument der Gewährleistung von Rechtssicherheit (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 – 2 BvL 26/81 -, juris, Rn. 53 m.w.N.). Das der materiellen Einzelfallgerechtigkeit gegenläufige Gebot der Rechtssicherheit wiederum ist ein wesentliches Element der Rechtsstaatlichkeit und damit eines Konstitutionsprinzips des Grundgesetzes (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982, a.a.O.). Aus ihm folgt die grundsätzliche Rechtsbeständigkeit unanfechtbarer Verwaltungsakte. Gibt die Rechtsordnung der Verwaltungsbehörde die Möglichkeit, durch Hoheitsakt für ihren Bereich das im Einzelfall rechtlich Verbindliche festzustellen, zu begründen oder zu verändern, so besteht auch ein verfassungsrechtliches Interesse daran, die Bestandskraft des Hoheitsaktes herbeizuführen. Tritt der Grundsatz der Rechtssicherheit mit dem Gebot der Gerechtigkeit im Einzelfall in Widerstreit, so ist es zunächst Sache des Gesetzgebers, das Gewicht, das ihnen in dem zu regelnden Fall zukommt, abzuwägen und zu entscheiden, welchem der beiden Prinzipien der Vorrang gegeben werden soll (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 1963 - 1 BvL 28/62 -, juris, Rn. 19). Unterscheidet er, wie hier, in § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG in Verbindung mit § 130 Abs. 1 AO und § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nach der Bestandskraft, so ist insbesondere nicht zu beanstanden, dass diejenigen, die den an sie gerichteten Verwaltungsakt haben bestandskräftig werden lassen, anders behandelt werden als diejenigen, die Rechtsbehelfe ergriffen haben. In einem durch umfassenden Rechtsschutz gekennzeichneten Rechtssystem ist die Obliegenheit der Rechtsverfolgung die logische Last der Rechtsschutzgewährung, und zwar auch dann, wenn es um die Verfassungsmäßigkeit einer Norm geht (vgl. Steiner, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, 1976, Band I, S. 628 <632>). Ist nach der Feststellung des Bundesverfassungsgerichtes, wie hier, eine Gesetzesvorschrift nur bei einer bestimmten Auslegung mit der Verfassung vereinbar, ist daher weder die Verwaltung noch der Gesetzgeber verpflichtet sind, unanfechtbar gewordene Akte der öffentlichen Gewalt, die auf einer verfassungswidrigen Auslegung einer Vorschrift beruhen, rückwirkend aufzuheben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1966 – 1 BvR 178/64 -, BVerfGE 20, 230 -238; vgl. auch BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30. Januar 2008 – 1 BvR 943/07 –, juris). Dass es am Bearbeitungsstand der Behörde liegt, wann Rechtsschutz ergriffen werden muss, ist dabei hinzunehmen (vgl. zum Ganzen OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O. ;Beschluss vom 8. April 2020, a.a.O., Seite 8 f. des E.A.).

Auch sonst sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das Rücknahmeermessen reduziert oder intendiert wäre.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der Obergerichte ist das Rücknahmeermessen des § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG i.V.m. § 130 AO – ungeachtet des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG - ausnahmsweise dann in Richtung auf Rücknahme reduziert und besteht ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, wenn dessen Aufrechterhaltung "schlechthin unerträglich" wäre bzw. für den Betroffenen unzumutbare Folgen hätte, was von den Umständen des Einzelfalles und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte abhängt. Schlechthin unerträglich in diesem Sinne ist das Festhalten an dem rechtswidrigen Verwaltungsakt insbesondere dann, wenn die Behörde durch unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis in gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz – GG bzw. Art. 12 Abs. 1 der Verfassung des Landes Brandenburg - BbgVerf) verstößt, wobei prinzipiell bereits der erste Fall, in dem die Behörde das Verfahren „wiederaufgegriffen“ hat, geeignet ist, für gleichliegende Fälle eine Verwaltungspraxis und damit eine Selbstbindung der Verwaltung zu bilden, von der im Einzelfall nur aus sachgerechten Erwägungen wieder abgewichen werden darf, oder wenn Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben erscheinen lassen. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, dessen Rücknahme begehrt wird, im Erlasszeitpunkt kann ebenfalls die Annahme rechtfertigen, seine Aufrechterhaltung sei schlechthin unerträglich. Ferner kann in dem einschlägigen Fachrecht eine bestimmte Richtung der zu treffenden Entscheidung in der Weise vorgegeben sein, dass das Ermessen im Regelfall nur durch die Entscheidung für die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtmäßig ausgeübt werden kann, so dass sich das Ermessen in diesem Sinne als intendiert erweist (vgl. zum Ganzen BVerwG, EuGH-Vorlage vom 07. Juli 2004, a.a.O.; Urteil vom 17. Januar 2007, a.a.O.; Urteil vom 20. November 2018 – 1 C 25.17 -, juris, Rn. 26 m.w.N.; OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O.; Beschluss vom 8. April 2020, a.a.O., Seite 9 f. des E.A.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. April 2004 - 15 A 1113/04 -, NVwZ-RR 2005, 568; Beschluss vom 9. September 2009 - 15 A 1881/09 - juris Rn. 6.; OVG Sachsen- Anhalt, Beschluss vom 1. Februar 2011 - 4 L 158/10 -, NVwZ-RR 2011, 617; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 24. Januar 2007 - 9 LA 252/03 - juris; VGH Baden- Württemberg, Beschluss vom 27. Januar 2014 - 2 S 2567/13 -, juris, Rz. 7; Bayerischer VGH, Beschluss vom 29. November 2011 - 19 BV 11.1915 -, juris, Rz. 44; Urteil vom 15. Juli 2010 - 6 BV 08.1087 - juris Rn. 26 f. und Beschluss vom 26. Mai 2008 - 8 ZB 06.2894 - juris Rn. 13 f.; vgl. ferner BFH, Urteil vom 26. März 1991 - VII R 15/89 – juris). Maßgeblich sind immer die Umstände des Einzelfalls und eine Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte. Die vorgenannten Fallgruppen stellen lediglich nicht abschließende Beispiele dar (vgl. OVG Magdeburg, Beschluss vom 1. Februar 2011 - 4 L 158/10 -, juris Rn. 3).

Auch unter Zugrundelegung vorstehender Ausführungen dazu, ob das Aufrechterhalten des Bescheides „schlechthin unerträglich“ ist, besteht kein Rücknahmeanspruch. Es sei daher lediglich angemerkt, dass die Finanzgerichtsbarkeit bei der Prüfung, ob das Rücknahmeermessen des § 130 AO in Richtung Rücknahme auf Null reduziert ist, nicht darauf abstellt, ob die Aufrechterhaltung des Bescheides „schlechthin unerträglich“ ist (so aber zum Teil die abgabenrechtliche Literatur, vgl. etwa Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, FGO, § 130 AO, Rn. 42, Stand: Mai 2017), sondern die Schwere und Offensichtlichkeit des Rechtsfehlers und die Frage in den Blick nimmt, ob der Adressat die Rechtswidrigkeit zumutbar in einem Rechtsbehelfsverfahren hätte geltend machen können (vgl. BFH, Urteile vom 11. Dezember 2013 - XI R 22/11 -, juris, Rn. 31 f., und vom 24. November 2011 - V R 13/11 -, juris, Rn. 50). Das würde hier unter dem Blickwinkel der Verfassungswidrigkeit des Beitragsbescheides indessen nicht zu anderen Ergebnissen führen, da aus den nachfolgend dargelegten Gründen jedenfalls kein offensichtlicher Fehler vorliegt und den Bescheidadressaten das Ergreifen von Rechtsschutzmöglichkeiten zumutbar war.

Das Rücknahmeermessen des § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG in Verbindung mit § 130 AO ist ungeachtet des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zunächst – ausnahmsweise – nicht bereits deshalb in Richtung Rücknahme reduziert, weil die Aufrechterhaltung der Bescheide unter dem Blickwinkel des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (a.a.O.) aufgrund besonderer Umstände im Zusammenhang mit seinem Erlass im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts "schlechthin unerträglich" wäre.

So ist die Aufrechterhaltung der Beitragsbescheide zunächst nicht treuwidrig, weil die Verbandsvorsteherin bzw. der damalige Verbandsvorsteher die Beitragsbescheide bereits in Kenntnis ihrer Rechtswidrigkeit erlassen hätte.

Angesichts der Bindung der Behörden an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) verstößt es zwar gegen Treu und Glauben, wenn die Behörde bewusst einen rechtswidrigen Verwaltungsakt allein in der Hoffnung erlässt, er werde mangels Anfechtung bestandskräftig und könne dann durchgesetzt werden. Darauf, dass so etwas nicht geschieht, darf der abgabenpflichtige Bescheidempfänger vertrauen (vgl. OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O., Rn. 40 ff.; Bescghluss vom 8. April 2020, a.a.O., Seite 13 des E.A.; OVG Nordrhein- Westfalen, Beschluss vom 9. September 2009, a.a.O., Rn. 6; OVG Sachsen- Anhalt, Beschluss vom 1. Februar 2011, a.a.O.). Der Vorwurf, allein in der Hoffnung gehandelt zu haben, dass der Verwaltungsakt bestandskräftig werde, kann jedoch nur erhoben werden, wenn in dem Sinne Kenntnis von der Rechtswidrigkeit gegeben war, dass diese in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht völlig außer Zweifel stand. Es kommt daher nicht allein darauf an, ob die Behörde bei Erlass nur Kenntnis von den Umständen hatte, welche die Rechtswidrigkeit des Bescheides begründeten. Vielmehr musste sie selbst eindeutig und erkennbar von dessen Rechtswidrigkeit ausgegangen sein. Dies setzt einen bewussten Verstoß der Behörde gegen die Rechtsordnung voraus, der es ausschließt, dass sie sich auf die aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgende Bestandskraft berufen kann. Die Beklagte müsste demnach die Beitragserhebung im Fall der Klägerin gleichsam „sehenden Auges“ und ungeachtet der fehlenden rechtlichen Grundlagen hierfür vorgenommen haben (ständige Rechtsprechung der Kammer, vgl. nur Urteil vom 8. August 2019, a.a.O.; OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O., Rn. 36 einerseits und Rn. 39 andererseits; wie hier auch OVG Sachsen- Anhalt, Beschluss vom 1. Februar 2011, a.a.O.; VG Potsdam, Urteil vom 25. Juli 2018, a.a.O.; VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 18. April 2018 – 5 K 977/17 -, juris, Rn. 34 f.; Urteil vom 24. Oktober 2018, a.a.O., Rn. 36 f.).

Eine solche Kenntnis konnte die Beklagte aber selbst bei anwaltlicher Beratung nicht haben. Vielmehr handelte die Beklagte zum damaligen Zeitpunkt in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 12. Dezember 2007, - 9 B 44.06 - und - 9 B 45.06 -, juris), die sich auch mit der Problematik der Rückwirkung auseinandersetzte. Das ist die gefestigte verwaltungsgerichtliche Sichtweise bis zum Bekanntwerden des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (a.a.O.) gewesen (vgl. nur OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. März 2012 - OVG 9 S 9.12 -, juris, Rn. 12 ff.; Urteil vom 23. Juli 2013 - OVG 9 B 64.11 -, juris, Rn. 66 ff.; Urteil vom 14. November 2013 - OVG 9 B 34.12 -, juris, Rn. 57; Beschluss vom 16. Juli 2014 - OVG 9 N 69.14 -, juris, Rn. 10 ff.). Diese Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg wurde durch das Landesverfassungsgericht Brandenburg bestätigt (vgl. LVerfG, Beschluss vom 21. September 2012 – 46/11 -, juris). Auch Rechtsmittel zum Bundesverwaltungsgericht blieben erfolglos (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 2008 – 9 B 22.08 -, juris, Rn. 7,9; Beschluss vom 11. September 2014 - 9 B 22.14 -, juris). Der Landesgesetzgeber hat auf diese Entscheidungen reagiert (vgl. LT-Drs. 4/7225, Vorblatt Buchstabe A und Allgemeiner Teil der Begründung des Gesetzentwurfs, S. 6 und 7), indem er durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 27. Mai 2009 einen Absatz 4a in den § 8 KAG eingefügt hat. Es sollte den Gemeinden ermöglicht werden, einen niedrigeren Beitrag in Bezug auf Grundstücke vorzusehen, die bereits am 3. Oktober 1990 bebaut und an eine leitungsgebundene Einrichtung oder Anlage tatsächlich angeschlossen oder anschließbar waren. Hiermit hat der Landesgesetzgeber erkennen lassen, dass auch er es als zulässig ansah, § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n. F. in allen Fällen anzuwenden. Die Beklagte entschied sich somit im Rahmen des ursprünglichen Beitrags- und Widerspruchsbescheids für eine Rechtsansicht, die in Übereinstimmung mit der zu diesem Zeitpunkt existenten Rechtsprechung stand. Vor diesem Hintergrund wäre es lebensfremd, anzunehmen, die Verfassungswidrigkeit einer Beitragserhebung auf der Grundlage des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n.F. sei ihr bewusst gewesen (vgl. zum Ganzen OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O., Rn. 40 ff.; Beschluss vom8. April 2020, a.a.O., Seite 13 des E.A.).

Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Januar 2017 - 1 BvR 2406/16 u. a. -, juris, Rn. 10, ergibt sich nichts anderes. Darin hat das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der gerichtlichen Fristsetzung im Falle der Untätigkeit der Behörde (§ 75 Satz 3 VwGO) angenommen, es könne nicht ohne Weiteres darauf abgestellt werden, die Verfassungswidrigkeit der jahrelang geübten Verwaltungspraxis sei angesichts der früheren gefestigten Rechtsprechung für den Zweckverband nicht erkennbar und der Beschluss vom 12. November 2015 - 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14, juris, daher überraschend gewesen. Da selbst für den Bürger eine ständige Rechtsprechung nur bei Hinzutreten weiterer Umstände einen Vertrauenstatbestand begründen könne, müsse dies erst recht für eine Behörde gelten, die gemäß Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet sei, das eigene Handeln auf seine Grundrechtskonformität hin zu jeder Zeit kritisch zu prüfen und auch vermeintlich sichere Überzeugungen zur Disposition zu stellen. Diesen Ausführungen lässt sich nichts dafür entnehmen, dass die vom Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 erfassten Beitragsbescheide von den Gemeinden und Zweckverbänden – treuwidrig – in Kenntnis der Verfassungswidrigkeit und in der bloßen Hoffnung auf den Eintritt von Bestandskraft erlassen worden wären. Die Annahme einer Pflicht der Behörde, sich auf Grund eigener Prüfung darauf einstellen zu müssen, dass eine Beitragserhebung trotz Befolgung der fachgerichtlichen Rechtsprechung verfassungswidrig sein kann, ist nicht gleichbedeutend mit der Aussage, dass bewusst rechtswidrige Beitragsbescheide erlassen worden sind (vgl. OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O., Rn. 40 ff.; Beschluss vom 8. April 2020, a.a.O., Seite 13 f. des E.A.).

Die Aufrechterhaltung der Beitragsbescheide ist auch nicht treuwidrig, weil der damalige Verbandsvorsteher diese betrügerisch (§ 263 StGB) erlassen hätte. Schon das Tatbestandsmerkmal einer Täuschung über Tatsachen ist nicht erfüllt. Durch den Erlass der Beitragsbescheide hat die/der Verbandsvorsteher(in) bestenfalls zum Ausdruck gebracht, dass die Beitragserhebung im Lichte der damaligen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht zu beanstanden gewesen sei. Diese Erklärung ist, auch was darin erhaltene Tatsachenangaben angeht, zutreffend gewesen. Ein weiterreichender Erklärungsinhalt ist dem Beitragsbescheid nicht zu entnehmen gewesen, insbesondere keine Erklärung darüber, ob der/die Verbandsvorsteher(in) innerlich von der Sichtweise überzeugt gewesen ist, die die Verwaltungsgerichtsbarkeit hinsichtlich der uneingeschränkten Anwendbarkeit des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n. F. eingenommen hat, oder ob er/sie insoweit Zweifel hatte oder ob er/sie diese Sichtweise innerlich sogar als falsch angesehen hat. Ungeachtet der Frage, ob das bloße Vorhandensein einer bestimmten inneren rechtlichen Überzeugung überhaupt betrugsrelevant sein kann (vgl. Perron, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Aufl., 2019, § 263, Rn. 10), spricht im Übrigen nichts dafür, dass sich die Adressaten eines Bescheides, der im Lichte der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung als rechtmäßig anzusehen ist, über die innere Einstellung der für den Bescheiderlass zuständigen Personen überhaupt Gedanken und sogar ihre Zahlung davon abhängig machen. Danach würde es insoweit auch an einer kausalen Irrtumserregung und einer darauf beruhenden Vermögensverfügung fehlen. Eine andere Bewertung ist nicht mit Blick auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 9. Juni 2009 - 5 StR 394/08 -, juris, veranlasst. Im dort entschiedenen Fall lag eine Täuschung über die tatsächlichen Grundlagen der Tarifbemessung vor (vgl. zum Ganzen OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O., Rn. 40 ff.; Beschluss vom 8. April 2020, a.a.O., Seite 14 f. des E.A.).

Es kann vorliegend auch nicht davon ausgegangen werden, mit Blick auf die genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei schon damals von einer Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheides im Erlasszeitpunkt. infolgedessen die Aufrechterhaltung desselben unerträglich und deshalb von einer Reduzierung des Rücknahmeermessens auszugehen gewesen.

Die Aufrechterhaltung eines bestandskräftigen Verwaltungsakts kann zwar – wie ausgeführt - nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts schlechthin unerträglich sein, wenn er offensichtlich rechtswidrig gewesen ist (vgl. u. a. BVerwG, Urteil vom 20. November 2018 - 1 C 25.17 -, juris, Rn. 26; Urteil vom 17. Januar 2007 - 6 C 32.06 -, juris, Rn. 13, 15).

Die „Offensichtlichkeit“ begründenden Umstände sind grundsätzlich (aber nur) dann gegeben, wenn an dem Verstoß der streitigen Maßnahme gegen formelles oder materielles Recht vernünftigerweise kein Zweifel bestehen konnte und sich deshalb die Rechtswidrigkeit aufgedrängt hat bzw. aufdrängen musste, so dass der Behörde zumindest der Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu machen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. November 2018 – 1 C 25.17 -, juris; Urteil vom 17. Januar 2007, a.a.O., Rn. 15; OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O., Rn. 36 und Rn. 39; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. September 2009, a.a.O.; vgl. auch Bayerischer VGH Bayern, Urteil vom 15. Juli 2010, a.a.O.; Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 1. Februar 2011, a.a.O.; VG Potsdam, Urteil vom 25. Juli 2018 – 8 K 4589/16 -, juris; ständige Rechtsprechung der Kammer, vgl. zuletzt Urteil vom 8. August 2019 – 6 K 1758/17 -, juris). Maßgeblich ist die Beurteilung im Zeitpunkt des Bescheiderlasses. Ein Fehler, dessen Evidenz sich erst später herausstellt, ist unerheblich (vgl. BVerwG, a. a. O.).

Die Rechtswidrigkeit drängte sich vorliegend jedoch, entgegen der scheinbaren Ansicht der Klägerin, bei Erlass des Beitragsbescheides nicht gleichsam auf. Vielmehr handelte die Beklagte bzw. der damalige Verbandsvorsteher – wie ausgeführt - zum damaligen Zeitpunkt in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg, die durch das Landesverfassungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht bestätigt wurde. Soweit zum damaligen Zeitpunkt entgegenstehende Rechtsansichten vertreten wurden (etwa Steiner LKV 2009, 254 ff), führt dies – wie dargelegt - allenfalls dazu, dass man die entscheidende Rechtsfrage als „umstritten, aber obergerichtlich mit höchstrichterlicher Bestätigung geklärt“ werten konnte. Die Beklagte bzw. der damalige Verbandsvorsteher entschied sich insoweit im Rahmen der ursprünglichen Beitrags- und Widerspruchsbescheide bzw. Nacherhebungsbescheide für eine Rechtsansicht, die in Übereinstimmung mit der zu diesem Zeitpunkt existenten Rechtsprechung stand. Vor diesem Hintergrund wäre es lebensfremd anzunehmen, die Verfassungswidrigkeit einer Beitragserhebung auf der Grundlage des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n.F. sei für den Verband offensichtlich gewesen.

Etwas anderes lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 12. November 2015 (a.a.O.) die Verfassungsbeschwerden für „offensichtlich begründet“ gehalten hat. Allein hieraus kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass der betroffene Beitragsbescheid auch offensichtlich rechtswidrig war und dass die Beklagte bzw. der seinerzeitige Verbandsvorsteher dies eindeutig erkannte und von dessen Rechtswidrigkeit ausging.

Die bloße – etwaige – Erkennbarkeit einer Rechtswidrigkeit stellt bereits keinen bewussten Rechtsverstoß im oben ausgeführten Sinne dar. Das Verdikt, eine Verfassungsbeschwerde sei „offensichtlich begründet“, beruht zudem auf der Regelung des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Nach dieser Norm kann die Kammer des Bundesverfassungsgerichts anstelle des Senats einer Verfassungsbeschwerde stattgeben, wenn sie offensichtlich begründet und die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden ist. Das Offensichtlichkeitskriterium in § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG und die Frage, wann die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts im Rahmen der Frage, ob das in § 130 Abs. 1 AO angelegte Rücknahmeermessen auf null reduziert ist, offensichtlich ist, sind nicht identisch. Beiden Begriffen liegen unterschiedliche Maßstäbe zugrunde (ebenso OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O., Rn. 40).

Das Bundesverfassungsgericht selbst hat sich – soweit ersichtlich – bislang nicht zu der Frage verhalten, welche Anforderungen an das Merkmal der „offensichtlichen“ Begründetheit einer Verfassungsbeschwerde im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG zu stellen sind und statuiert in den jeweiligen Entscheidungen zumeist apodiktisch, dass eine offensichtliche Begründetheit der Verfassungsbeschwerde vorliegt (vgl. Lenz/Hansel, BVerfGG, 2. Auflage 2015, § 93c Rn. 15 m.w.N.; Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 93c, Rn. 17, Schenk, in: Burkiczak/ Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2015, § 93c Rn. 4). Es lässt aber zu, dass die Offensichtlichkeit aufgrund einer vorgängigen gründlichen Prüfung unter allen rechtlichen Gesichtspunkten ermittelt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 1996 - 2 BvF 2/93 -, juris, Rn. 41 für den Fall der offensichtlichen Unbegründetheit in § 24 Satz 1 BVerfGG). Dementsprechend geht der wohl überwiegende Teil der Literatur davon aus, dass es nicht Voraussetzung ist, dass die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde „auf der Hand liegt“ oder sie auf den ersten Blick erkennbar sein müsste (vgl. nur Scheffczyk, in: BeckOK BVerfGG, 6. Edition, Stand: 1. Dezember 2018, § 93c Rn. 10; Lenz/Hansel, a.a.O., Rn. 17). Entscheidend ist, dass die Kammer ihre senatsgleiche Entscheidungskompetenz nur dann ausübt, wenn sie ausschließen kann, dass der Senat oder ein anderer Spruchkörper des Bundesverfassungsgerichts eine andere Auffassung vertreten würde (vgl. Lenz/Hansel, a.a.O.; ähnlich Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Stand: 20. EL Juni 2001, § 93 c Rn. 17; Scheffczyk, a.a.O.). Folglich dient das Offensichtlichkeitskriterium in erster Linie der (gerichtsinternen) Abgrenzung der Entscheidungskompetenz der Senate und Kammern des Bundesverfassungsgerichts. Aus der Perspektive der Kammer muss sowohl die verfassungsrechtliche Vorentscheidung eindeutig sein als auch die Anwendung auf den Einzelfall – gegebenenfalls nach einer ausführlichen Prüfung – derart feststehen, dass auszuschließen ist, dass der Senat des Bundesverfassungsgerichts zu einer abweichenden Entscheidung gelangen würde. Dies bedeutet jedoch nicht, dass über die Perspektive des Bundesverfassungsgerichts hinaus die Verfassungswidrigkeit der infrage stehenden Maßnahme auch für einen externen Dritten in dieser Art und Weise erkennbar, sie also „offenkundig“ sein müsste (ebenso OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O., Rn. 40; Beschluss vom 8. April 2020, a.a.O., Seite 15 f. des E.A.).

Auch der von der Klägerseite zumindest sinngemäß angesprochene Hinweisbeschluss des Kammergerichts vom 7. Oktober 2019 - 28 U 19/18 -, n. v., ist kein Beleg dafür, dass die Verfassungswidrigkeit der Beitragserhebung offensichtlich gewesen wäre. In dem Beschluss geht es um einen Anwaltsregress. Das Kammergericht hat angenommen, die beklagte Anwältin habe ihren Mandanten im Jahr 2014 über eine mögliche Verfassungswidrigkeit von Beitragsbescheiden aufklären müssen (BA S. 8 ff.). Anlass dazu habe jedenfalls bestanden, weil die Frage der Verfassungsmäßigkeit ausdrücklich in den Widerspruchsbescheiden vom September 2014 thematisiert worden sei. Eine anwaltliche Recherche zu dem Thema habe sich allein auf Grund der in den Widerspruchsbescheiden genannten Rechtsprechung aufgedrängt [u. a. OVG Bln-Bbg, Urteil vom 12. Dezember 2007 - OVG 9 B 44,06 -, juris; OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 1. März 2012 - OVG 9 S 9.12 -, juris; BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 2008 - 9 B 22.08 -, juris; Beschluss des VerfG Bbg vom 21. September 2012 - 46/11 -, juris; Beschluss des BVerfG vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 -, juris]. Denn zumindest mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 habe die Verfassungsmäßigkeit der Erhebung von kommunalen Abgaben im Raum gestanden. Das Bundesverfassungsgericht habe darin auch die Frage der Rückwirkung erörtert, die im konkreten Fall aber verneint worden sei. Ob das Vertrauen in den scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist auf der Grundlage einer unwirksamen Satzung Schutz genieße, habe das Bundesverfassungsgericht hingegen dahinstehen lassen. Der Umstand, dass das KAG Bbg im Anschluss an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 noch im Jahr 2013 geändert und mit § 19 KAG eine zeitliche Obergrenze für den Vorteilsausgleich eingeführt worden sei, habe der Anwältin Anlass zu der Überprüfung gegeben, ob die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Geltungsbereich des KAG Bbg erfüllt seien. Mit der Möglichkeit einer Verfassungswidrigkeit der Beitragserhebung habe die Anwältin rechnen müssen, selbst wenn das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg im Jahr 2012 keine verfassungsrechtlichen Bedenken gehabt habe. Jedenfalls habe die Anwältin die Rechtsentwicklung besonders sorgfältig beobachten und sich zumindest mit den in den Widerspruchsbescheiden genannten Entscheidungen vertraut machen müssen. Dabei würde ihr bewusst geworden sein, dass die zu beurteilende Rechtsfrage durch die Neufassung des KAG Bbg durch das Bundesverfassungsgericht noch nicht abschließend geklärt gewesen sei.

Mit diesen Ausführungen hat das Kammergericht der beklagten Anwältin lediglich eine Prüf- und Beratungspflicht attestiert, nicht aber eine offensichtliche Verfassungswidrigkeit der Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n. F. auf bestimmte Fälle festgestellt. Insbesondere ist die Zulässigkeit einer Rückwirkung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n. F. in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 nicht angesprochen worden. In dem Beschluss ist es um die - vorliegend nicht in Rede stehende - Notwendigkeit einer zeitlichen Höchstgrenze für die Erhebung von Vorteilsabgaben gegangen, der der Gesetzgeber auf verschiedene Weise Rechnung tragen kann. Dass das Kommunalabgabengesetz unter diesem Blickwinkel mangelhaft war, ist vor dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 nicht offensichtlich gewesen; der Landesgesetzgeber hat insoweit noch im Jahr 2013 reagiert (vgl. zum Ganzen OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O., Rn. 40 ff.; Beschluss vom 8. April 2020, a.a.O., Seite 16 f. des E.A.).

Soweit die Klägerseite sinngemäß auch geltend machen sollte, die Beklagtenseite habe - anstatt sicherheitshalber von einer Beitragserhebung abzusehen - vor der Verfassungswidrigkeit der Beitragserhebung die Augen verschlossen und sie billigend oder zumindest grob fahrlässig in Kauf genommen, greift auch das nicht. Dabei kann offen bleiben, ob der Vorwurf, eine Behörde habe die Rechtswidrigkeit ihres Bescheides billigend oder zumindest grob fahrlässig in Kauf genommen, überhaupt dazu führen kann, dass sich die Aufrechterhaltung eines bestandskräftigen Bescheides als unerträglich erweist. Vorliegend wirft die Klägerseite der Beklagtenseite bei Lichte besehen nicht etwa vor, die Frage der Verfassungswidrigkeit der Beitragserhebung gänzlich ignoriert zu haben, sondern einer bis zum Bundesverwaltungsgericht reichenden Rechtsprechung, die zudem vom Gesetzgeber mit der Einfügung des § 8 Abs. 4a KAG rezipiert worden war, unter billigender oder grob fahrlässiger Inkaufnahme ihrer Unrichtigkeit gefolgt zu sein. Das Befolgen ober- oder höchstrichterliche Rechtsprechung, die überdies aus Sicht des Gesetzgebers keinen Anlass zur Änderung der in Rede stehenden Vorschrift, sondern nur zu einer flankierenden Vorschrift gegeben hat, rechtfertigt indessen kein Unwerturteil, das die Aufrechterhaltung von bestandskräftigen Bescheiden unerträglich erscheinen lässt (vgl. OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O., Rn. 40 ff.; Beschluss vom 8. April 2020, a.a.O., Seite 17 f. des E.A.).

Die Aufrechterhaltung der Beitragsbescheide ist unter dem Gesichtspunkt der hypothetischen Festsetzungsverjährung auch nicht deshalb „schlechthin unerträglich“, weil die Beklagte einer in einem anderen Verfahren zu einem vergleichbaren Sachverhalt ergangenen gerichtlichen Entscheidung nicht gefolgt wäre und dies gerade nicht unter Berufung auf ihre weiterhin entgegenstehende Rechtsauffassung getan, sondern nachweisbar die Rechtswidrigkeit des Bescheides erkannt hätte. Für einen solchen Sachverhalt ist vorliegend nichts Durchgreifendes ersichtlich. Im Hinblick auf die Komplexität des Problems in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und die vormalige Rechtsprechung (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 12. Dezember 2007, – a.a.O.; LVerfG, a.a.O.) handelte die Beklagte bzw. der damalige Verbandsvorsteher nach damaliger Auffassung rechtmäßig und folgte der Rechtsprechung.

Ferner ist die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen bestandskräftigen Bescheides nicht mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG deshalb „schlechthin unerträglich“, weil die Beklagte in gleich oder ähnlich gelagerten Fällen von ihrer Befugnis zum Wiederaufgreifen des Verfahrens Gebrauch gemacht hätte, hiervon jedoch im vorliegenden Fall abgesehen hätte, ohne dass sachgerechte Erwägungen für die unterschiedliche Behandlung erkennbar wären (vgl. hierzu auch OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O., Rn. 43 ff.) Denn hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich. Die Beklagte lehnt – wie er auch im vorliegenden Verfahren unbestritten vorgetragen hat - in durchgängiger, gerichtsbekannter Verwaltungspraxis Anträge auf Aufhebung von bestandskräftigen Beitragsbescheiden – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls - ab.

Die Klägerin kann auch sonst aus Art. 3 Abs. 1 GG bzw. Art. 12 Abs. 1 BbgVerf keinen Aufhebungsanspruch herleiten. Insbesondere können sie nicht mit Erfolg geltend machen, dass sie ohne einen sachlichen Grund mehr zur Refinanzierung der Aufwendungen des Zweckverbands beigetragen hätte als diejenigen beitragspflichtigen „Altanschließer“, deren Bescheide am 17. Dezember 2015 noch nicht in Bestandskraft erwachsen waren und im Rechtsbehelfsverfahren aufgehoben wurden. Zwar liegt insoweit möglicherweise – wenn man insoweit nicht schon von unterschiedlichen sozialen Gruppen ausgeht - eine Ungleichbehandlung innerhalb einer im Wesentlichen vergleichbaren sozialen Gruppe vor, nämlich derjenigen Beitragspflichtigen, bei denen zum Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheids eine hypothetische Festsetzungsverjährung eingetreten war und die deswegen nicht mehr zu einem Beitrag hätten herangezogen werden dürfen. Die unterschiedliche Behandlung der Beitragspflichtigen, die Klagen erhoben und der Beitragspflichtigen, die hierauf verzichtet haben, ist aber sachlich begründet. Das gilt auch mit Blick auf den von der Klägerin geltend gemachten Umstand, dass es vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (a.a.O.) aussichtslos gewesen wäre, die Verfassungswidrigkeit der Beitragserhebung erfolgreich im Verwaltungsrechtsweg geltend zu machen (vgl. zur ausnahmsweisen Reduzierung des Rücknahmeermessens, wenn von dem Abgabenpflichtigen die Anstrengung eines Rechtsbehelfsverfahrens unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles billigerweise nicht erwartet werden konnte BFH, Urteil vom 23. September 2009 - XI R 56/07 – juris; Bayerischer VGH, Urteil vom 15. Juli 2010, a.a.O.; VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 18. April 2018, a.a.O., Rn. 39; Urt. vom 24.10.2018, a.a.O., Rn. 41).

Die Bestandskraft von Verwaltungsakten ist – wie bereits ausgeführt - ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips. Verwaltungsakte sind ebenso wie gerichtliche Entscheidungen aus Gründen der Rechtssicherheit auf Beständigkeit angelegt; sie müssen zur Sicherung ihrer Effizienz und des Rechtsfriedens nach einer bestimmten Zeit, in der sie den dazu berufenen Organen zur inhaltlichen Kontrolle ausgeliefert sind, unangreifbar werden. Dies ist ein rechtsstaatliches Erfordernis, um die aus Gründen der Rechtssicherheit gebotene Stabilität von Verwaltungsentscheidungen zu gewährleisten (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81 -, juris, Rn. 53 ff., insbes. Rn. 58; BVerwG, Urteil vom 11. Mai 1979 - 6 C 70.78 -, juris, Rz. 35). Das Rechtsinstitut der Bestandskraft dient insoweit dazu, im konkreten Einzelfall Rechtssicherheit zu schaffen. Dementsprechend liegt der sachliche Grund für die geltend gemachte Ungleichbehandlung gerade darin, ob die betroffenen Beitragsschuldner von den ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln Gebrauch gemacht haben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist dem Grundgesetz – wie bereits erwähnt – insoweit gerade keine allgemeine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt zu entnehmen, rechtswidrige belastende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Februar 2007 - 1 BvR 1982/01 -, juris, Rz. 33). Selbst bei einem Verwaltungsakt, der gegen die Verfassung verstößt, ist einem Bürger daher – wie dargelegt - zuzumuten, hiergegen mit den gegebenen Rechtsmitteln - notfalls mit der Verfassungsbeschwerde – vorzugehen. Die in § 130 Abs. 1 AO vorgesehene Möglichkeit, rechtswidrige Verwaltungsakte zurückzunehmen, dient nicht dazu, die Folgen eines nicht eingelegten oder nicht weiterverfolgten Rechtsbehelfs auszugleichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1966 – 1 BvR 178/64 -, BVerfGE 20, 230 ff.; OVG Thüringen, Beschluss vom 22. August 2005 – 4 ZKO 654/05 -, juris, Rn. 7; VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 18. April 2018, a.a.O., Rn. 38; Urt. vom 24. Oktober 2018, a.a.O., Rn. 40; vgl. dazu noch unten). Rechtssicherheit und Bestandskraft sind daher, wie ausgeführt, hinreichende, im Rahmen der Abwägung (§ 130 AO) zu berücksichtigende Gründe (vgl. zur Problematik noch unten). Wer daher etwa wegen des Aufsatzes von Steiner ( LKV 2009, S. 254 ff.) oder aus sonstigen Gründen der Auffassung gewesen ist, § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n. F. dürfe aus verfassungsrechtlichen Gründen nur einen eingeschränkten Anwendungsbereich haben, musste angesichts des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG entweder durch Widerspruchs- und ggf. Klageerhebung, ggf. verbunden mit einem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens, den Eintritt der Bestandskraft des Beitragsbescheides solange verhindern, bis das Bundesverfassungsgericht sich zur Verfassungsmäßigkeit der uneingeschränkten Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n. F. geäußert hatte, oder selbst Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben. Den Verwaltungsrechtsweg musste er im letzteren Falle zuvor nicht ausschöpfen. Die Rechtswegerschöpfung (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) kann nämlich ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn der Rechtsbehelf im Hinblick auf eine entgegenstehende Rechtsprechung der Fachgerichte von vornherein als aussichtslos erscheinen muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Februar 1989 - 1 BvR 1290/85 -, juris, Rn. 14; Beschluss vom 18. Juni 1985 - 2 BvR 414/84 -, juris, Rn. 21). So hat es hier gelegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 2016 - 1 BvR 2322/14 -, juris, Rn. 12 f.; OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O., Rn. 40 ff.; Beschluss vom 8. April 2020, a.a.O., Seite 8 des E.A.).

Entsprechendes Handeln ist auch zumutbar gewesen. Mit § 79 BVerfGG sollen – wie ausgeführt - die Rechtsfolgen von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit begrenzt werden. Der Gesetzgeber hat sich in verfassungsrechtlich zulässiger Weise für die Rechtssicherheit und gegen einen Vorrang der Einzelfallgerechtigkeit entschieden. Damit ist als notwendige Konsequenz verbunden, dass die Durchsetzung von Grundrechten nur mittels der Verfassungsbeschwerde gegen den jeweils belastenden Akt der öffentlichen Gewalt erfolgen kann; in rechtskräftig abgeschlossenen, nicht (mehr) der Verfassungsbeschwerde zugänglichen Verfahren ist sie dagegen nicht mehr möglich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2006 - 1 BvR 2723/06 -, juris, Rn. 14). Wer diese Konsequenz vermeiden möchte, muss danach, wenn die Erlangung von Rechtsschutz vor den Fachgerichten aussichtslos ist, gegebenenfalls selbst Verfassungsbeschwerde erheben (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1966 - 1 BvR 178/64 -, juris, Rn. 14). Zum einen ist die Obliegenheit der Rechtsverfolgung auch insoweit logische Last der Rechtsschutzgewährleistung. Zum anderen kommt dem Interesse an Rechtsfrieden und Rechtssicherheit gerade dann ein besonderes Gewicht zu, wenn die Praxis sich auf der Grundlage einer gefestigten fachgerichtlichen Rechtsprechung auf eine bestimmte Rechtslage eingestellt und insoweit eine Vielzahl von Verwaltungsakten erlassen hat (vgl. OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O., Rn. 40 ff; Beschluss vom 8. April 2020, a.a.O., Seite 8 des E.A.).

Etwas anders ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Mai 2016 (-1 BvR 2322/14-, juris). Aus diesem folgt nicht, dass es unzumutbar gewesen wäre, ein Rechtsbehelfsverfahren durchzuführen. Das Bundesverfassungsgericht hat dort lediglich entschieden, dass es ausnahmsweise im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg mit dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde vereinbar war, diese gegen eine im einstweiligen Rechtsschutz ergangene Entscheidung vor Erschöpfung des Rechtswegs zu erheben, weil eine Klage als von vornherein aussichtslos erscheinen musste (a.a.O., Rz. 12). Das besagt aber nicht, dass seinerzeit die Adressaten von (rechtswidrigen) Beitragsbescheiden von Rechtsbehelfen absehen durften. Den Klägern blieb es unbenommen, ihre gegenteilige Rechtsauffassung im Wege des von der Rechtsordnung gewährten Rechtsschutzes durchzusetzen. Dies ist nach den bereits dargelegten Grundsätzen einem Bürger auch im Fall eines Verfassungsverstoßes zuzumuten. Erst recht gelten vorstehende Erwägungen, soweit nur eine „einfache“ Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheides mangels wirksamen Satzungsrechts des Beklagten im Raume stand.

Soweit andere Einrichtungsträger – etwa die von der Klägerin angeführte Stadt C_____ - ihr durch § 130 AO eröffnetes Rücknahmeermessen dahingehend ausgeübt haben sollten, bestandskräftige Beitragsbescheide aufzuheben, ist dies für Art. 3 Abs. 1 GG von vornherein unerheblich, da eine nach Art. 3 Abs. 1 GG zu beachtende Ungleichbehandlung nicht vorliegt, wenn die herangezogenen Vergleichssachverhalte von unterschiedlichen Körperschaften bzw. Rechtsträgern verschieden gehandhabt werden. Maßgeblich ist immer nur eine Ungleichbehandlung durch ein und denselben Rechtsträger (vgl. Jarass/Pieroth, GG, Kommentar, Art. 3 Rn. 6 m.w.N.), die hier – wie ausgeführt - gerade nicht vorliegt.

Weiterhin ist die Aufhebung des Bescheides nicht deshalb geboten, weil die Berufung der Beklagten auf die Unanfechtbarkeit sich (sonst) als Verstoß gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben darstellte. Als treuwidrig bzw. als Verstoß gegen die guten Sitten erweist sich die Ablehnung des Wiederaufgreifens etwa dann, wenn der Betroffene durch ein Verhalten der Behörde "veranlasst" worden ist, von der Einlegung eines Rechtsmittels abzusehen, wobei es allerdings nicht ausreicht, dass diese ihn nur in einer falschen Rechtsansicht bestärkt hat. Ebenso wenig genügt es, wenn die Nichtverfolgung von Rechtmitteln im Wesentlichen auf eigenen Überlegungen zum Prozess- und Kostenrisiko beruht hat (vgl. OVG Berlin- Brandenburg, Beschluss vom 10. Februar 2022 – 9 N 87/20 -, S. 5 f. des E.A.; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 24. Januar 2007, a.a.O.). Gemessen hieran sind Anhaltspunkte für ein treu- oder sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht ersichtlich.

Dafür dass gerade die Beklagte die Klägerin gezielt veranlasst hätte, gegen die aufzuheben beantragten Beitragsbescheide in der Gestalt der Widerspruchsbescheide keine Klage zu erheben bzw. gegen die Nacherhebungsbescheide keinen Widerspruch einzulegen, bestehen keine Anhaltspunkte.

Dies gilt zunächst für etwaige Hinweise der Beklagten auf die seinerzeitige Rechtsprechung zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG n.F. Solche genügen für die Annahme treuwidrigen Verhaltens seitens der Beklagten nicht, da sie der geltenden Rechtslage entsprachen.

Soweit der Klägervertreter behauptet, die Beklagte bzw. der damalige Verbandsvorsteher habe auf die Klägerin massiven Druck ausgeübt, die streitgegenständlichen Bescheide nicht bis zur letzten Instanz anzufechten und diese somit in Bestandskraft erwachsen zu lassen, ist dies eine durch nichts unterlegte Behauptung. Gleiches gilt für den Vortrag, das Innenministerium des Landes Brandenburg habe in seinem Rundschreiben vom 13. Oktober 2009 Einrichtungsträger aufgefordert, Druck auf die betroffenen Bürger und somit auch auf die Klägerin auszuüben, gegen Beitragsbescheide nicht vorzugehen. Eine solche Aussage ist dem genannten Schreiben nicht zu entnehmen. Soweit das Ministerium – so der Klägervertreter - auf „bestehende Akzeptanzprobleme“ hingewiesen haben mag, die „bei den Betroffenen nicht selten auf einer unzureichenden Kenntnis der Sach- und Rechtslage beruhen“ würden, so dass „der Aufklärung in der Sache auf kommunaler Ebene eine besondere Bedeutung zukomme“, ist dies bereits weder treu- noch sittenwidrig, sondern – wie dargelegt - dem damaligen Erkenntnisstand geschuldet. Der Vortrag, „der Staat“ habe „den Einzelnen so hinter das Licht geführt", bleibt insoweit substanzlos.

Auch im Übrigen sind Anhaltspunkte für ein treu- oder sittenwidriges Verhalten der Beklagten bzw. des damaligen Verbandsvorstehers nicht ersichtlich. Der Klägerin blieb es – wie ausgeführt - unbenommen, ihre gegenteilige Rechtsansicht zur Rechtmäßigkeit der Beitragsveranlagung mit Hilfe des von der Rechtsordnung gewährten umfangreichen Rechtsschutzes, notfalls mit der Verfassungsbeschwerde, durchzusetzen. Selbst bei einem Verfassungsverstoß der Verwaltung ist es nach dem Dargelegten einem Bürger zuzumuten, hiergegen mit den gegebenen Rechtsmitteln vorzugehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1966, a.a.O.; VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 18. April 2018, a.a.O., Rn. 38; Urt. vom 24. Oktober 2018, a.a.O., Rn. 41). Die Beklagte beruft sich daher nachvollziehbar darauf, dass die die Rechtswidrigkeit des Bescheides begründenden Umstände in einem Rechtsmittelverfahren hätten geltend gemacht werden können. Werden, wie hier, nur solche Umstände vorgetragen, die im Rechtsmittelverfahren geltend gemacht werden konnten, ist die Ablehnung der nachträglichen Korrektur auch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben regelmäßig ermessensfehlerfrei. Vorstehende Überlegungen gelten für den Einwand der hypothetischen Festsetzungsverjährung im vorliegenden Verfahren umso mehr, weil bei Erlass der die Beitragsbescheide vom 20. November 2008 betreffenden Widerspruchsbescheide vom 12. Januar 2009 jedenfalls die Entscheidungen des OVG Berlin- Brandenburg vom 14. November 2013 (a.a.O.) und des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. September 2014 (a.a.O.) noch nicht vorlagen und die Klägerin schon deshalb nicht davon ausgehen durfte, dass eine Klage keine Aussicht auf Erfolg hätte.

Schließlich kann auch nicht festgestellt werden, dass in dem einschlägigen Fachrecht eine bestimmte Richtung der zu treffenden Entscheidung in der Weise vorgegeben wäre, dass das Ermessen im Regelfall nur durch die Entscheidung für die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtmäßig ausgeübt werden könnte, so dass sich das Ermessen in diesem Sinne als intendiert erwiese (ebenso OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O., Rn. 25; Urteil vom 8. April 2020, a.a.O., Seite 9 des E.A.; vgl. hierzu auch Bayerischer VGH, Urteil vom 15. Juli 2010, a.a.O., Rn. 25 m.w.N.). Das Gegenteil ist der Fall. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass dem veranlagten Grundstück durch die dauerhaft gesicherte Anschlussmöglichkeit an die zentrale Wasserversorgungs- bzw. Schmutzwasserentsorgungseinrichtung der Beklagten ein Vorteil gewährt wird, der Anschlussbeitrag lediglich wegen des Eintritts der hypothetischen Festsetzungsverjährung nicht mehr erhoben werden durfte. Die Klägerin war dem Grunde nach beitragspflichtig, woran der Umstand, dass das Grundstück bereits vor dem 1. Januar 2000 eine rechtlich gesicherte tatsächliche Anschlussmöglichkeit an die öffentliche Schmutzwasserentsorgungs- bzw. Trinkwasserversorgungseinrichtung der Beklagten gehabt haben mag, nichts ändert (ständige Rechtsprechung der Kammer, vgl. etwa Urteil der Kammer vom 20. Mai 2019 – 6 K 890/17 -, juris, Rn. 19; ebenso VG Frankfurt (Oder). Urteil vom 18. April 2018, a.a.O., Rn. 40). Entgegen der Auffassung der Klägerin bestand insoweit dem Grunde nach auch eine Beitragserhebungspflicht. Denn hat der Einrichtungsträger – wie hier – eine Beitragssatzung erlassen, verdichtet sich das durch § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG eröffnete Ermessen dahin, diesen Beitragsanspruch auch zu realisieren, also zu einer Beitragserhebungspflicht (vgl. für den Bereich der Trinkwasserversorgung OVG Brandenburg, Urteil vom 5. Dezember 2001 – 2 A 611/00 -, MittStGB 2002, 126; ferner Urteil vom 3. Dezember 2003 – 2 A 417.01 –, S. 17 d.E.A.; Urteile vom 3. Dezember 2003 – 2 A 733.03 -, LKV 2004, 555, 557; zur Beitragserhebungspflicht vgl. auch Schmidt-Wottrich, LKV 2008 S. 355, 356).

Dahinstehen kann, ob in besonders gelagerten Fällen ausnahmsweise ein Anspruch auf Wiederaufgreifen eines abgeschlossenen abgabenrechtlichen Verwaltungsverfahrens nach einem in der – wie oben ausgeführt – grds. nicht anwendbaren Vorschrift des § 51 VwVfG möglicherweise zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgedanken bei einer nach Erlass des bestandskräftigen Bescheides eingetretenen Änderung der Sach- und Rechtslage bestehen kann, wie die Klägerin ausweislich ihrer Ausführungen möglicherweise zu meinen scheint (in diesem Sinne zum dortigen Landesrecht OVG Nordrhein- Westfalen, Beschluss vom 31. Oktober 1983 – 2 B 1943/83 -, KStZ 1984 S. 79; Urteil vom 26. Oktober 1987 – 2 A 2738/84 -, HGZ 1988, 372). Denn dass sich durch die Entscheidung des BVerfG vom 12. November 2015 (a.a.O.) die Rechtsprechung geändert hat, begründet auch hiernach keinen Anspruch auf Aufhebung der Beitragsbescheide. Eine Änderung der Rechtsprechung nach Erlass der Beitragsbescheide stellt keine Änderung der Rechtslage dar (vgl. - zur Änderung höchstrichterlicher Rechtsprechung: - BVerwG, Beschlüsse vom 25. Mai 1981 - 8 B 93.80 u.a. -, NJW 1981, 2595 und vom 16. Februar 1993 - 9 B 241.92 -, DÖV 1993, 532, sowie - zur Änderung obergerichtlicher Rechtsprechung – OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19. März 1993 - 22 A 2523/92 -, juris). Dies gilt auch dann, wenn diese Rechtsprechung darauf zurückzuführen ist, dass ein Bundes- oder Landesverfassungsgericht eine Norm oder deren Anwendung für nichtig erklärt oder die Norm verfassungskonform ausgelegt hat (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG Komm., 18. Aufl. 2017, Rn. 30 m.w.N.).

Soweit sich die Klägerin möglicherweise – zumindest der Sache nach - auf Wiederaufnahmegründe und insbesondere auf § 580 Zivilprozessordnung (ZPO) beruft, kann sie hiermit nicht durchdringen. Die Norm ist vorliegend bereits ihrem Wortlaut nach nicht anwendbar.

Auch ist das Rücknahmeermessen nicht deswegen auf null reduziert, weil das Beharren der Beklagten auf der Bestandskraft des betroffenen Beitragsbescheids deswegen rechtsmissbräuchlich wäre, da sie ohnehin nach dem Staatshaftungsgesetz (StHG) zu einer Aufhebung des Bescheids oder zu einer Rückzahlung des Betrags verpflichtet wäre. Es ist schon fraglich, warum es ein Muss sein sollte, einen entsprechenden Schadenersatzanspruch u. a. gerade durch Rücknahme des bestandskräftigen Beitragsbescheides nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG in Verbindung mit § 130 AO zu erfüllen. Die Beklagte hat im Rahmen des § 130 AO vielmehr eine eigenständige, nicht mit § 1 Abs. 1 StHG vergleichbare, Ermessensentscheidung zu treffen (ständige Rechtsprechung der Kammer, vgl. etwa Urteil vom 8. August 2019, a.a.O.; wie hier VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 18. April 2018, a.a.O., Rn. 42; Urt. vom 24. Oktober 2018, a.a.O., Rn. 44; VG Potsdam, Urteil vom 25. April 2019 – 8 K 5019/16 -, KStZ 2019, 135). Ungeachtet dessen hätte eine Schadenersatzklage nach dem Staatshaftungsgesetz keine Aussicht auf Erfolg. Der Bundesgerichtshof (vgl. Urteil vom 27. Juni 2019 - III ZR 93/18 -, juris, Rn. 8; Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen mit Beschluss des BVerfG vom 1. Juli 2020 – 1 BvR 2839/19 -, juris) und ihm folgend das OLG Brandenburg (vgl. Urteil vom 24. September 2019 - 2 U 40/18 -, juris, Rn. 32) verneinen für die vorliegende Fallgestaltung das Bestehen entsprechender Ansprüche. Die Beklagte kann sie demzufolge auch nicht durch eine bestimmte Entscheidung auf der Grundlage des § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG in Verbindung mit § 130 AO erfüllen müssen (ebenso OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O., Rn. 45; Beschluss vom 8. April 2020, a.a.O., Seite 18 E.A.).

Schließlich ist festzustellen, dass – entgegen der von der Klägerseite vertretenen Auffassung - der angegriffene Bescheid nicht im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG in Verbindung mit § 125 Abs. 1 AO nichtig ist. Der Bescheid leidet aus den vorgenannten Gründen nicht an einem besonders schwerwiegenden Fehler, der bei verständiger Würdigung offenkundig wäre (ebenso VG Frankfurt (Oder), Urt. vom 24. Oktober 2018, a.a.O., Rn. 47).

Der Klägerseite steht auch kein Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Die seitens der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung unterliegt nur nach Maßgabe des § 114 VwGO der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Die Entscheidung der Beklagten leidet aber nicht an Ermessensfehlern.

Wenn die Aufrechterhaltung eines Verwaltungsaktes nicht schlechthin unerträglich und das Rücknahmeermessen des § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG in Verbindung mit § 130 AO damit nicht auf Null reduziert ist, ist es in der Regel ermessensfehlerfrei, dass die Behörde dem Aspekt der Rechtssicherheit den Vorzug gibt. Ins Einzelne gehender Ermessenserwägungen bedarf es insoweit – wie ausgeführt - nicht (vgl. BVerwG, -, juris ; Urteil vom 20. November 2018 - 1 C 25.17 -, juris, Rn. 30; OVG Berlin- Brandenburg, Urteile vom 12. November 2019, a.a.O., Rn. 40 ff.; Urteil vom 8. April 2020, a.a.O., Seite 20 des E.A.). Unbeschadet dessen hat die Beklagte ausweislich der angegriffenen Bescheide das ihr bei der zu treffenden Entscheidung eingeräumte Ermessen erkannt und auch ausgeübt. Dass die Ermessensentscheidung fehlerhaft wäre, ist nicht zu erkennen. Die Klägerin zeigt nicht auf, dass sich die Beklagte auf sachfremde Erwägungen gestützt oder berücksichtigungsbedürftige Umstände des Einzelfalls außer Acht gelassen hätte. Insbesondere war es der Beklagten entgegen der Auffassung der Klägerseite nicht verwehrt, bei der Abwägung zwischen dem Aufhebungsinteresse der Klägerin und dem Interesse des Zweckverbandes an der Aufrechterhaltung der in Bestandskraft erwachsenen Beitragsbescheide ihre finanziellen Interessen zu berücksichtigen und die finanziellen und haushalterischen Folgen einer Bescheidaufhebung in die Ermessensentscheidung einzubeziehen (vgl. OVG Berlin- Brandenburg, Beschluss vom 10. Februar 2022, a.a.O., Seite 9 f. des E.A.; Urteil vom 8. April 2020, a.a.O., S. 20 f. des E.A.; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 11. September 2014 - 13 K 2053/13 -, juris Rn. 26; VG Potsdam, Urteil vom 25. April 2019, a.a.O.). Nach den Ausführungen der Beklagten in den ablehnenden Bescheiden und in den Widerspruchsbescheiden sowie seinen gemäß § 114 Satz 2 VwGO in zulässiger Weise im vorliegenden Verfahren ergänzten Ermessenserwägungen sind jeweils im Beitragsgebiet flächendeckend Beiträge erhoben worden und ist die Beitragserhebung nahezu abgeschlossen. Eine Rückabwicklung der erhobenen Anschlussbeiträge sei demzufolge mit beträchtlichem Aufwand verbunden, würde Finanzierungslücken hervorrufen und hätte Einfluss auf die zukünftige Kalkulation der laufend zu erhebenden Schmutz- und Trinkwassergebühren. Diese Umstände sind daher Aspekte, die dem Interesse der Beklagten an der Schaffung und Erhaltung von Rechtssicherheit in Bezug auf die zukünftige Gestaltung der Gebührenstruktur zuzuordnen sind. Daran ändert auch der Umstand nicht, dass es nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin trotz der Beitragserhebung in der Vergangenheit zu Gebührenerhöhungen gekommen ist. Diese waren offensichtlich auf insgesamt gestiegene Kosten zurückzuführen und wären ohne eine Beitragserhebung des Beklagten auch unter Berücksichtigung des Urteils des BVerwG vom 17. Oktober 2023 - 9 CN 3.22 -, juris mangels bei der Ermittlung der Abschreibungen und kalkulatorischen Verzinsung zu berücksichtigenden Abzugskapitals gemäß § 6 Abs. 2 Sätze 5 und 6 KAG noch höher ausgefallen. Das sind keine sachfremden Erwägungen. Das gilt auch für die erfolgte Berücksichtigung des Anschlussvorteils. Der Vortrag des Klägervertreters, die Beklagte habe die Möglichkeit, sich beim Land Brandenburg, welches die verfassungswidrige Norm – entgegen aller Bedenken und Kritik – erlassen und durchgesetzt habe und auch bei ihren Rechtsberatern, die sie falsch beraten und nicht den sichersten Weg der Finanzierung gewiesen hätten, schadlos zu halten, greift insoweit ersichtlich zu kurz. Anders als der Klägervertreter meint, geht es insoweit insbesondere nicht um ein behördenspezifisches Fiskalinteresse, das einem Privatinteresse vergleichbar wäre und nicht dem öffentlichen Interesse zugerechnet werden könnte. Eine öffentliche zentrale Abwasserentsorgungs- bzw. Wasserversorgungsanlage muss finanziert werden. Die Aufrechterhaltung bestandskräftiger Beitragsbescheide vermeidet einen entsprechenden Beitragsausfall und damit die Notwendigkeit entweder eines - im Wege einer Verbandsumlage erfolgenden - Rückgriffs auf Steuermittel oder einer entsprechenden Anpassung der Gebühren, was gleichbedeutend ist mit einer Finanzierung nach einem anderen Gerechtigkeitsmodell; dieses Vermeidungsinteresse geht über ein behördenspezifisches Fiskalinteresse hinaus. Bei der Berücksichtigung der finanziellen Auswirkungen einer Bescheidaufhebung durfte der Zweckverband auch berücksichtigten, ob und inwieweit eine Bescheidaufhebung Nachteile hinsichtlich einer finanziellen Förderung durch das Land mit sich bringen würde, die Berücksichtigung der insoweit bestehenden Rahmenbedingungen ist Teil der zulässigen Berücksichtigung der finanziellen Auswirkungen einer Bescheidaufhebung gewesen. Soweit der Klägervertreter darauf abhebt, dass der Zweckverband es versäumt habe, rechtzeitig "Altanschließerbeiträge" zu erheben und eine entsprechende rückwirkende Belastung damit nicht gerechtfertigt sei, spricht er Überlegungen an, die zur (unterstellten) Rechtswidrigkeit der Beitragsbescheide geführt haben mögen, als solche aber nicht das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung - bestandskräftiger - Bescheide mindern (vgl. zum Ganzen OVG Berlin- Brandenburg, Beschluss vom 10. Februar 2022, a.a.O., Seite 9 f. des E.A.).

Der mit dem (sinngemäß gestellten) Zahlungsantrag verfolgte Erstattungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2 AO, der gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b KAG Anwendung findet, hat keinen Erfolg, weil ohne die mit dem Verpflichtungsantrag begehrte Abänderung der Beitragsbescheide der Rechtsgrund für das Behaltendürfen des vereinnahmten Beitrags nicht in Wegfall geraten ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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