Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Nachbarklage; Baugenehmigung nach dem Recht der DDR; Unterbrechung der...

Nachbarklage; Baugenehmigung nach dem Recht der DDR; Unterbrechung der Bauausführung; Erlöschen der Baugenehmigung; anwendbares Recht; Beseitigungsanordnung; Grenzbau; Abstandsflächen; Nachbarschutz; Einfügen in die nähere Umgebung; Bauweise; Verhältnismäßigkeit; Einverständnis; Verwirkung; Änderung erstinstanzlicher Kostenentscheidung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat Entscheidungsdatum 25.02.2015
Aktenzeichen OVG 10 B 6.10 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen Art 19 EinigVtr, § 10 BauOGEG, § 1 RVereinhG BE, § 2 RVereinhG BE, § 34 BauGB, §§ 3ff BevBauwV, § 22 BauNVO, § 64 Abs 1 BauO BE 1985, § 78 BauO BE 1985, § 6 BauO BE 2005, § 79 BauO BE 2005

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. April 2010 wird im Kostenpunkt geändert und insoweit aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens erster Instanz haben die Beigeladenen als Gesamtschuldner zu ½ und der Beklagte zu ½ und zu tragen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen haben. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beigeladenen als Gesamtschuldner zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte und die Beigeladenen dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit einer dem Rechtsvorgänger der Beigeladenen nach baurechtlichen Vorschriften der DDR erteilten Baugenehmigung und um den Abriss des aufgrund der Baugenehmigung errichteten Gebäudes auf dem Grundstück der Beigeladenen H.... Die Klägerin ist seit 1997 Eigentümerin des Nachbargrundstücks H....

Auf den Antrag des Rechtsvorgängers der Beigeladenen, Herrn W..., vom Mai 1990 erteilten ihm die staatliche Bauaufsicht der DDR mit Prüfbescheid Nr. 192/90 vom 28. Juni 1990 sowie der Bezirksstadtrat für Bau- und Wohnungswesen mit Zustimmung Nr. 252/90 vom 9. Juli 1990 die Genehmigung, ein Bürogebäude mit einer Grundfläche von 91 qm an der Grenze zum Grundstück H... zu errichten. Herr W... zeigte mit Schreiben vom 17. Juli 1990 gegenüber der Bauaufsicht an, dass das zu errichtende Gebäude nunmehr als Wohn- oder Ferienhaus genutzt werden solle. In der Folgezeit begann er mit der Errichtung von Außenwänden, die nach Angabe der Beigeladenen bis zum Oktober 1991 aufgestellt wurden. Die Arbeiten wurden danach jedoch zunächst nicht fortgeführt. Der Grenzbau steht nach Feststellungen des Vermessungsingenieurs Z... in einem Eckbereich 0,08 m und danach beiderseits gegen Null auslaufend (= 0,5 qm) auf dem Grundstück der Klägerin.

Mit Datum vom 20. März 2002 bat Herr W... das Bezirksamt erneut darum, die Fertigstellung des Rohbaus für eine wohnliche Nutzung zu genehmigen. Mit Bescheid vom 19. Juli 2002 stimmte die Bauaufsicht der beantragten Nutzungsänderung zu Wohnzwecken zu, wobei sie von der Erteilung einer Baugenehmigung absah.

Nach einem ersten Erwerb von Miteigentumsanteilen an dem Grundstück H... im Jahr 1997 erwarben die Beigeladenen von ihrem Rechtsvorgänger im Jahre 2005 die weiteren Miteigentumsanteile sowie das mit Sondernutzungsrechten verbundene Sondereigentum an dem im hinteren Grundstücksteil errichteten weiterhin im Rohbauzustand befindlichen streitgegenständlichen Gebäude.

Mit Datum vom 8. August 2006 teilte die Klägerin dem Bau- und Wohnungsamt mit, dass der Beigeladene zu 1. im zweiten Halbjahr 2005 die Innenwände des Rohbaus errichtet habe und diesen nunmehr mit einem Ringanker versehe. Sie legte vorsorglich Widerspruch gegen eine eventuell den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung ein. Zudem erhob sie unter dem 20. September 2006 Widerspruch gegen den Bescheid vom 19. Juli 2002 und begehrte mit Datum vom 1. November 2006, gegenüber den Beigeladenen die Einstellung weiterer Arbeiten zur Errichtung eines Wohnhauses anzuordnen. Letzteres lehnte der Beklagte mit Datum vom 7. Dezember 2006 ab.

Das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 19. Juli 2002 stellte der Beklagte ein, da sich der angefochtene Verwaltungsakt durch Zeitablauf erledigt habe. Es sei nicht innerhalb von 3 Jahren an dem Gebäude mit dem Ziel weitergebaut worden, die Nutzungsänderung zu Wohnzwecken zu verwirklichen. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2007 wies er den Widerspruch der Klägerin vom 8. August 2006 gegen die nach dem Recht der DDR erteilte Baugenehmigung als unzulässig zurück, da die Klägerin ihr Widerspruchsrecht verwirkt habe. Es sei nach 1997 in der Nachbarschaft hinlänglich bekannt gewesen, dass Herr W... beabsichtigt habe, das hintere Gebäude fertig zu stellen und den Grundstücksteil zu veräußern. Seit April 2005 seien durch die Beigeladenen Innenwände errichtet worden, was unmissverständlich die Weiterbauabsichten dokumentiert habe.

Die Klägerin hat am 22. März 2007 Klage erhoben. Auf ihren Antrag hat das Verwaltungsgericht den Beklagten mit Beschluss vom 6. Dezember 2007 - VG 13 A 257.07 - im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, mit sofortiger Wirkung die Einstellung der Bauarbeiten auf dem Grundstück der Beigeladenen anzuordnen. Mit Datum vom 6. Oktober 2008 hat die Klägerin bei dem Beklagten beantragt, den Abriss des Gebäudes anzuordnen. Diesen Antrag hat der Beklagte bislang nicht beschieden, weil er den Ausgang des vorliegenden Verwaltungsgerichtsverfahrens abwarten wollte.

Die Klägerin hat vor dem Verwaltungsgericht beantragt,

1. die städtebauliche Zustimmung/Baugenehmigung Nummer 131/90 des Rates des Stadtbezirkes Berlin-Treptow vom 6. Juni 1990 i.d.F. der städtebaulichen Zustimmung Nr. 252/90 zur Errichtung oder Veränderung eines Bauwerkes vom 9. Juli 1990 i.V.m. dem Prüfbescheid Nr. 192/90 der staatlichen Bauaufsicht Berlin, Stadtbezirk Berlin-Treptow vom 28. Juni 1990, und den Widerspruchsbescheid des Bezirksamts Treptow-Köpenick vom 21. Februar 2007 aufzuheben,

hilfsweise,

festzustellen, dass die städtebauliche Zustimung/Baugenehmigung Nr. 131/90 des Rates des Stadtbezirks Berlin - Treptow vom 6. Juni 1990 i.d.F. der Zustimmung Nr. 252/90 zur Errichtung oder Veränderung eines Bauwerkes vom 9. Juli 1990 i.V.m. dem Prüfbescheid Nr. 192/90 der staatlichen Bauaufsicht Berlin, Stadtbezirk Berlin - Treptow, vom 28. Juni 1990 erloschen ist,

2. den Beklagten zu verpflichten, gegenüber den Beigeladenen die Beseitigung des auf dem Grundstück H..., im rückwärtigen Grundstücksbereich an der Grenze zum Grundstück der Klägerin errichteten Gebäudes anzuordnen.

Der Beklagte und die Beigeladenen haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat zum einen dem Hilfsantrag bezogen auf die Zustimmung Nr. 252/90 vom 9. Juli 1990 i.V.m. dem Prüfbescheid Nr. 192/90 vom 28. Juni 1990 stattgegeben. Es ist davon ausgegangen, dass die aufgrund der Zustimmung Nr. 252/90 i.V.m. dem Prüfbescheid Nr. 192/90 erteilte Baugenehmigung gem. § 64 Abs. 1 der Bauordnung für Berlin in der Fassung vom 28. Februar 1985 erloschen sei, da die Bauausführung seit Oktober 1991 für mindestens ein Jahr unterbrochen gewesen sei. Wolle man die Regelung nicht für anwendbar erachten, habe sich die bauaufsichtliche Zustimmung des Rates und der Prüfbescheid der staatlichen Bauaufsicht mit Blick auf die Unterbrechung der Bautätigkeit über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrzehnt gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 VwVfG Bln „auf andere Weise“ erledigt.

Das Verwaltungsgericht hat ferner den Beklagten zum Erlass einer Beseitigungsanordnung verpflichtet. Denn für das grenzständige Gebäude existiere keine Baugenehmigung. Das Gebäude sei ferner materiell rechtswidrig; es verstoße spürbar und nachhaltig gegen nachbarschützende Bestimmungen, da die erforderlichen Abstandsflächen unstreitig vollständig auf dem Grundstück der Klägerin lägen.

Gegen die ihnen am 21. Mai 2010 zugestellte Entscheidung des Verwaltungsgerichts wenden sich die Beigeladenen mit der vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufung. Die Klägerin hat Eventualanschlussberufung eingelegt.

Die Beigeladenen machen geltend, die Herrn W... erteilte Baugenehmigung sei nicht erloschen. Für das Verwaltungshandeln nach Erlass der nach den Vorschriften der DDR erteilten Baugenehmigung sei das vor dem 1. August 1990 geltende Recht der DDR maßgeblich, das keine Regelung über das Erlöschen der Baugenehmigung bei Bauausführungsunterbrechungen enthalte. Die Anwendbarkeit des früheren Rechts der DDR folge aus § 3 des am 1. August 1990 in Kraft getretenen Gesetzes vom 20. Juli 1990 über die Einführung der Bauordnung, nach dem auf die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes eingeleiteten Verfahren altes DDR-Recht anzuwenden sei, sofern nicht das neue Recht eine günstigere Regelung enthalte. Dies stehe in Einklang mit Art. 19 Einigungsvertrag - EV -, der bestimme, dass vor dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR erlassene Verwaltungsakte der DDR wirksam blieben, sofern sie nicht den Regelungen des Einigungsvertrages oder rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprächen. Als Verwaltungsverfahren im Sinne des § 3 des obigen Gesetzes sei dabei das gesamte Verfahren vom Eingang des Bauantrags bis zur bauaufsichtlichen Schlussabnahme zu verstehen. Dieses Verständnis entspreche einer modernen, auf die Zielsetzung des § 9 VwVfG ausgerichteten Rechtsauslegung. Selbst wenn man im Übrigen annehme, das Baugenehmigungsverfahren sei mit der Erteilung der Baugenehmigung abgeschlossen, beginne mit Baubeginn bzw. Baubeginnanzeige ein eigenständiges Verwaltungsverfahren durch die behördliche Tätigkeit im Rahmen der Bauüberwachung. Dieses Verfahren habe vorliegend vor dem 1. August 1990 beginnen müssen, da bei vor dem 1. August 1990 genehmigten Bauvorhaben i. d. R. davon auszugehen sei, dass der Baubeginn vor diesem Datum erfolgt sei.

Zu berücksichtigen sei ferner, dass die Klägerin sich mit ihrem Klagebegehren widersprüchlich verhalte, da sie sich im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens vor dem Amtsgericht Köpenick - 4 H 2/07 - im Wege eines Vergleichs mit den Beigeladenen geeinigt habe, für den Überbau seit dem 15. Juli 2005 eine jährliche Geldrente von 15 EUR zu erhalten. Darüber hinaus habe die Klägerin in einem Informationsgespräch vom 23. Juni 2005 mit ihnen und dem zuständigen Sachbearbeiter B... vom Bezirksamt dem Bauvorhaben und einer Dachänderung zugestimmt.

Die Beigeladenen beantragen,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. April 2010 zu ändern und die Klage abzuweisen sowie die Anschlussberufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen und auf ihre Eventualanschlussberufung, unter teilweiser Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. April 2010 die städtebauliche Zustimmung/Baugenehmigung Nummer 131/90 des Rates des Stadtbezirkes Berlin-Treptow vom 6. Juni 1990 i.d.F. der städtebaulichen Zustimmung Nr. 252/90 zur Errichtung oder Veränderung eines Bauwerkes vom 9. Juli 1990 i.V.m. dem Prüfbescheid Nr. 192/90 der staatlichen Bauaufsicht Berlin, Stadtbezirk Berlin-Treptow vom 28. Juni 1990 und den Widerspruchsbescheid des Bezirksamts Treptow-Köpenick vom 21. Februar 2007 aufzuheben.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie macht ferner geltend, der Rechtsvorgänger der Beigeladenen habe sich die Baugenehmigung erschlichen. Sie verhalte sich entgegen der Auffassung der Beigeladenen auch nicht widersprüchlich. Die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche neben den verwaltungsrechtlichen sei legitim. Ihr Anspruch sei ferner nicht verwirkt. Sie habe in dem Gespräch vom 23. Juni 2005 nicht ihre Zustimmung zu dem streitgegenständlichen Bauvorhaben erklärt. Die Klägerin regt eine Überprüfung der Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts an, das ihr 1/3 der Verfahrenskosten und der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen auferlegt hat.

Der Beklagte stellt keinen Antrag.

Er hält die Berufung für begründet. Zwar habe das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt, dass die Herrn W... erteilte Baugenehmigung erloschen sei. Es verstoße aber das Abrissverlangen der Klägerin mit Blick auf den vor dem Amtsgericht Köpenick geschlossenen Vergleich gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Ferner liege ein solcher Verstoß vor, weil die Nutzbarkeit des Grundstücks der Klägerin durch den Überbau von wenigen Zentimetern praktisch nicht eingeschränkt werde. Die durch die Grenzbebauung eintretende Verschattung habe sie aus Gründen des materiellen Baurechts hinzunehmen, da die nähere Umgebung im Sinne des § 34 BauGB durch eine Bebauung ohne Abstandsflächen geprägt sei. Darüber hinaus sei es bei Abwägung der widerstreitenden Interessen unverhältnismäßig, von den Beigeladenen den Abriss des Baukörpers zu verlangen. Ein öffentliches Interesse, illegales Bauen zu verhindern, bestehe vorliegend nicht. Er meint, dem „Alles oder Nichts-Prinzip“ des baulichen Nachbarrechts sei durch eine Kompensationslösung nach dem Zivilrecht zu begegnen. Eine solche Kompensationslösung liege vorliegend auf Grund des Vergleichs vor dem Amtsgericht Köpenick vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakten sowie die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die vorgelegen haben und - soweit erforderlich - zum Gegenstand der Entscheidungsfindung gemacht worden sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beigeladenen ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat in dem von ihm tenorierten Umfang der Klage zu Recht stattgegeben. Es hat zutreffend festgestellt, dass die Zustimmung Nr. 252/90 des Rates des Stadtbezirks Treptow vom 9. Juli 199 i. V. m. dem Prüfbescheid Nr. 192/90 der staatlichen Bauaufsicht der DDR vom 28. Juni 1990 erloschen ist und die Beklagte zu Recht verpflichtet, gegenüber den Beigeladenen die Beseitigung des auf ihrem Grundstück auf der Grenze zum Grundstück der Klägerin errichteten Gebäudes anzuordnen, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

I. Der mit Blick auf das geltend gemachte Beseitigungsverlangen der Klägerin gem. § 43 Abs. 1 VwVfG zulässige Antrag, festzustellen, dass die Zustimmung Nr. 252/90 i. V. m der Prüfbescheid Nr. 192/90 erloschen ist, ist begründet.

1. Die in Verbindung mit dem Prüfbescheid der staatlichen Bauaufsicht der DDR gegebene Zustimmung des Rates des Stadtbezirks Treptow ist zunächst wirksam erteilt worden. Soweit die Klägerin geltend macht, Herr W... habe sich die Baugenehmigung erschlichen, berührt dies ihre Wirksamkeit nicht. Die vorliegende, nach § 3 ff. der Verordnung über die Verantwortung der Räte der Gemeinden, Stadtbezirke und Städte bei der Errichtung und Veränderung von Bauwerken durch die Bevölkerung - Verordnung über Bevölkerungsbauwerke - vom 8. November 1984 (GBl. I S. 433) erteilte Zustimmung zu seinem Bauvorhaben mag bei einer - unterstellten - Täuschung der Behörden über den Nutzungszweck des Vorhabens durch Herrn W... allenfalls rechtswidrig gewesen sein (vgl. Sächs. OVG, Beschluss vom 29. November 2010 - 1 D 154.10 -, juris Rn. 3). Da die Zustimmung wegen der angeblichen Täuschung auch weder gem. § 9 der Verordnung über Bevölkerungsbauwerke widerrufen worden noch nach § 48 VwVfG zurückgenommen worden ist, verfügte Herr W... zunächst über eine wirksame Baugenehmigung, die gem. Art. 19 Satz 1 EV nach dem Beitritt der DDR fortbestand (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 6 B 52.05 -, juris Rn. 9).

2. Die Baugenehmigung ist jedoch gem. § 64 Abs. 1 der Bauordnung für Berlin in der Fassung vom 28. Februar 1985 (GVBl. S. 522, 538) - BauO Bln (1985) - erloschen. Die Regelung sieht das Erlöschen der Baugenehmigung u. a. dann vor, wenn die Bauausführung ein Jahr unterbrochen worden ist. Diese Voraussetzung ist gegeben, da die Bauarbeiten nach der nach Angaben der Beigeladenen im Oktober 1991 erfolgten Fertigstellung der Außenwände des streitgegenständlichen Gebäudes unstreitig über Jahre nicht fortgesetzt wurden.

a) Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass hier § 64 Abs. 1 BauO Bln (1985) anwendbar ist. Denn die Bauordnung für Berlin vom 28. Februar 1985 galt bis zu ihrer Ablösung durch die Bauordnung für Berlin vom 1. Januar 1996 (GVBl. S. 29) für einen Zeitraum von mehreren Jahren, als die Bauarbeiten nach der Fertigstellung der Außenwände im Oktober 1991 nicht mehr fortgeführt wurden. Zum einen hatte bereits der Magistrat von Berlin nach § 10 des Gesetzes zur Einführung des Gesetzes vom 20. Juli 1990 über die Einführung der Bauordnung (BauO) vom 20. Juli 1990 (GBl. I 950) mit Zustimmung der Stadtverordnetenversammlung beschlossen, dass vom 5. September 1990 an die Bauordnung für Berlin vom 28. Februar 1985 in der jeweils geltenden Fassung in Berlin gilt (GVABl. 1990, S. 118). Zum anderen erstreckte das ab 3. Oktober 1990 gültige Gesetz über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts vom 28. September 1990 (GBl. S. 2119) - Vereinheitlichungsgesetz - in § 1 Abs. 1 das Westberliner Landesrecht grundsätzlich auf die östlichen Bezirke und bestimmte in § 2, dass das Recht der DDR, das als Berliner Landesrecht fortgalt, grundsätzlich außer Kraft trat. Es mag dabei offen bleiben, ob die Regelung in § 1 Abs. 1 des Vereinheitlichungsgesetzes deshalb unerheblich ist, weil in seinem § 1 Abs. 2 angeordnet war, dass das von der Stadtverordnetenversammlung nach dem 11. Juli 1990 unterhalb der Verfassung vom 23. Juli 1990 stehende bis zum 26. September 1990 einschließlich beschlossene Landesrecht in seinem Geltungsbereich unberührt blieb. Auch die erstinstanzlich geäußerte Auffassung der Beigeladenen, es habe der Rechtspraxis der früheren DDR entsprochen, einer einmal ins Werk gesetzten Baugenehmigung auch dann Bestandsschutz einzuräumen, wenn die Arbeiten später nicht fortgeführt wurden, ist aufgrund der während des Zeitraums der Bauunterbrechung maßgeblichen neuen gesetzlichen Regelung in § 64 Abs. 1 BauO Bln (1985) nicht erheblich.

Der Annahme, die Herrn W... erteilte Baugenehmigung sei gem. § 64 Abs. 1 BauO Bln (1985) erloschen, steht ferner die Übergangsregelung in § 78 BauO Bln (1985) nicht entgegen. Nach dieser Regelung sind vor dem Inkrafttreten des Gesetzes eingeleitete Verfahren nach den bisherigen Vorschriften weiterzuführen und die Regelungen der Bauordnung für Berlin vom 28. Februar 1985 nur anzuwenden, soweit sie eine für den Antragsteller günstigere Regelung enthalten als das bisher geltende Recht. Das insoweit in Betracht zu ziehende, vor Inkrafttreten der Bauordnung für Berlin eingeleitete Verfahren des Herrn W... auf Erteilung einer Baugenehmigung war mit Eintritt der Bestandskraft der Baugenehmigung (vgl. dazu § 16 Abs. 1 der Verordnung über Bevölkerungsbauwerke) abgeschlossen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 1995 - BVerwG 1 C 7.94 -, juris Rn. 15; Dageförde, in: Wilke/Dageförde, BauO, 6. Aufl., § 88 Rn. 3).

Da geklärt ist, dass Verwaltungsakte der DDR unwirksam werden, sofern u. a. eine Rechtsvorschrift dies bestimmt (BVerwG, Beschluss vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 6 B 52.05 - juris Rn. 9), bestehen auch im Übrigen keine Bedenken dagegen, dass die Herrn W... erteilte Baugenehmigung gem. § 64 Abs. 1 BauO Bln (1985) erloschen ist.

b) Schließlich führt die Überlegung der Beigeladenen, an das Baugenehmigungsverfahren schließe sich das Verfahren der Bauüberwachung mit Baubeginn an, der bei vor dem 1. August 1990 genehmigten Bauvorhaben regelmäßig vor diesem Datum zu vermuten sei, zu keinem anderen Ergebnis.

Es gibt bereits keine Anhaltspunkte dafür, dass die Behörde unmittelbar nach Erteilung der Baugenehmigung ein Verwaltungsverfahren eingeleitet hat. Der Beginn eines Verwaltungsverfahrens wird durch die ersten Handlungen der Behörde markiert, die auf die Prüfung der Voraussetzungen bzw. die Vorbereitung des Erlasses eines Verwaltungsakts oder den Abschluss eines Verwaltungsvertrages gerichtet sind (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl., § 9 Rn. 28). Da der Rechtsvorgänger der Beigeladenen den Baubeginn nicht angezeigt hatte, hatte die Behörde nach Erteilung der Baugenehmigung keine Veranlassung für Handlungen, die diese Voraussetzungen erfüllen. Unabhängig davon sei darauf hingewiesen, dass die Beigeladenen erstinstanzlich vorgetragen haben, Herr W... habe im August 1990 mit der Umsetzung des Bauvorhabens begonnen, so dass es auf den nach der Berufungsschrift regelmäßig zu vermutenden Zeitpunkt eines Baubeginns bei vor dem 1. August 1990 genehmigten Bauvorhaben nicht ankommt. Im August 1990 galt in der DDR das mit Gesetz vom 20. Juli 1990 (GBl. S. 950) eingeführte Gesetz über die Bauordnung (BauO) vom 20. Juli 1990 (GBl. S. 929). Dieses sah in § 72 Abs. 1 ebenfalls ein Erlöschen der Baugenehmigung bei einer Bauunterbrechung von länger als einem Jahr vor.

3. Ob die Baugenehmigung sich auch den Ausführungen des Verwaltungsgerichts entsprechend gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 VwVfG Bln „auf andere Weise“ erledigt hat, bedarf vor dem geschilderten Hintergrund keiner Entscheidung.

II. Das Verwaltungsgericht istauch zu Recht davon ausgegangen, dass die Klage mit dem auf den Erlass einer Beseitigungsverfügung zielenden Verpflichtungsbegehren Erfolg hat.

1. Die Verpflichtungsklage ist als Untätigkeitsklage gem. § 75 Satz 1 VwGO zulässig. Der Umstand, dass der Beklagte den Ausgang des vorliegenden Verwaltungsgerichtsverfahrens abwarten wollte, rechtfertigt es nicht, den Antrag der Klägerin vom 6. Oktober 2008, den Abriss des streitgegenständlichen Gebäudes anzuordnen, nicht zu bescheiden (vgl. insoweit Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser u. a., VwGO, 6. Aufl., § 75 Rn. 13b, der selbst bei Anhängigkeit eines Musterverfahrens ein Abwarten für grundsätzlich nicht gerechtfertigt erachtet; siehe ferner OVG NW, Beschluss vom 2.8.1991 - 4 E 851.91 -, NVwZ-RR 1992, 453). Das Unterlassen der Bescheidung ist mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar, wenn der Betroffene deutlich zu erkennen gibt, dass für ihn ein Abwarten nicht in Betracht kommt.

2. Das Verpflichtungsbegehren ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Klägerin einen Anspruch darauf hat, dass der Beklagte gegenüber den Beigeladenen die Beseitigung des grenzständig errichteten Gebäudes anordnet, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

a) Die Voraussetzungen des § 79 Satz 1 der Bauordnung für Berlin in der Fassung vom 29. September 2005 (GVBl. S. 495) - BauO Bln (2005) - sind erfüllt. Nach dieser Regelung kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung einer Anlage anordnen, wenn sie im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wird, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Die Vorschrift gewährt regelmäßig einen Anspruch auf behördliches Einschreiten, sofern ihr Tatbestand unter Verletzung drittschützender Vorschriften verwirklicht wird (vgl. Wilke, in: ders./Dageförde, a. a. O., § 79 Rn. 48 m.w.N.).

(aa) Das streitgegenständliche Gebäude verfügt nicht über die nach § 60 Abs. 1 BauO Bln (2005) erforderliche Baugenehmigung, so dass es formell illegal ist. Die dem Rechtsvorgänger der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung ist entsprechend den obigen Ausführungen erloschen. In der Zustimmung zu der Nutzungsänderung mit Bescheid des Bezirksamts Treptow-Köpenick vom 19. Juli 2002 liegt keine Baugenehmigung für die Errichtung des Gebäudes. Die Bauaufsicht stimmt in dem Bescheid lediglich der beantragten Nutzungsänderung zu und verzichtet nach § 55 Abs. 3 der Bauordnung für Berlin in der Fassung vom 3. September 1997 (GVBl. 422, 437) darauf, für diese Nutzungsänderung eine Baugenehmigung zu erteilen. Ferner geht sie (unzutreffend) vom Fortbestand der Zustimmung des Bezirksstadtrats Treptow Nr. 252/90 vom 9. Juli 1990 aus. Anhaltspunkte dafür, dass dem Bescheid einschließlich seiner Regelung, für das Vorhaben einer Nutzungsänderung (Büronutzung in Wohnnutzung) von der Erteilung einer Baugenehmigung abzusehen, eine über die Zustimmung zur Nutzungsänderung hinausgehende umfassende baurechtliche Prüfung der Errichtung einer Anlage zugrunde läge, die es rechtfertigen könnte, der „Absehensentscheidung“ eine der Baugenehmigung entsprechende Wirkung beizulegen (vgl. dazu OVG Berlin, Urteil vom 31. Juli 1992 - OVG 2 B 3.91 -, juris Rn. 13, kritisch dazu Knuth, in: Wilke/Dageförde, a. a. O., § 60 Rn. 17), bestehen nicht. Dies entspräche auch nicht dem Willen der Bauaufsichtsbehörde.

(bb) Die streitgegenständliche Grenzbebauung ist auch materiell illegal, weil sie nicht mit den für sie maßgeblichen öffentlich rechtlichen Vorschriften übereinstimmt. Die Abstandsfläche vor der auf der Grundstücksgrenze errichteten Außenwand liegt entgegen der nachbarschützenden Regelung in § 6 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 BauO Bln (2005) vollständig auf dem Grundstück der Klägerin. Die Auffassung des Beklagten, die Einhaltung einer Abstandsfläche sei deshalb entbehrlich, weil vorliegend gem. § 6 Abs. 1 Satz 3 BauO Bln (2005) nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden dürfe, teilt der Senat nicht. Es mag dabei unterstellt werden, dass ein Gebäude auch dann noch im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 3 BauO Bln (2005) an der Grenze errichtet wird, wenn der Baukörper - wie vorliegend - teilweise die Grenze überschreitet und sich auf dem Nachbargrundstück befindet. Maßgebende planungsrechtliche Vorschrift ist im hier zu entscheidenden Fall § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB, weil das Vorhaben im unbeplanten Innenbereich liegt. Nach dieser Regelung darf das streitgegenständliche Gebäude jedoch nicht ohne Abstandsfläche an die Grenze des Grundstücks der Klägerin gebaut werden.

Ein Vorhaben ist nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB wirkt damit als „Planersatz“, insoweit die für die Anwendung der Norm hier maßgebliche Bauweise in Rede steht. Letztere gehört zu den planungsrechtlichen Merkmalen, die regeln, ob an die Grenze gebaut werden muss oder darf. Bei einer offener Bauweise werden nach § 22 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 BauNVO die Gebäude mit seitlichem Grenzabstand, bei geschlossener Bauweise grundsätzlich ohne seitlichen Grenzabstand errichtet, wobei sich die Erforderlichkeit von Abstandsflächen nach dem tatsächlich in der maßgeblichen Umgebung prägend vorhandenen Rahmen richtet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Januar 1994 - BVerwG 4 B 158.93 -, juris Rn. 10; OVG Bln-Bbg, Urteil vom 13. März 2013 - OVG 10 B 4.12 -, juris Rn. 34). Gemessen an diesem Maßstab ist die Errichtung des Gebäudes der Beigeladenen nicht zulässig, da sich ein Gebäude ohne Abstandsflächen nicht in die nähere Umgebung gem. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB einfügt.

(1) Für diese Beurteilung ist nach der in diesem Einzelfall gegebenen städtebaulichen Situation der durch die Gleisanlagen begrenzte Bereich H... maßgeblich und nicht der südwestlich der H... gelegenen Bereich bis zur P... einzubeziehen, wie es der von dem Beklagten gekennzeichneten Bebauung auf der von ihm überreichten Flurkarte vom 24. Februar 2015 entsprechen würde.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bei der Bestimmung der näheren Umgebung im Sinne des § 34 BauGB auf diejenige Umgebung abzustellen, auf die sich die Ausführung des Vorhabens auswirken kann und die ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2012 - BVerwG 4 C 11.11 -, juris Rn. 30 m.w.N.; vgl. auch OVG Bln-Bbg, Urteil vom 13. März 2013 - OVG 10 B 4.12 -, juris Rn. 37). Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich dabei nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist. Bei der Bestimmung der näheren Umgebung im Sinne der Wechselbezüglichkeit von Vorhaben und der benachbarten Bebauung können die topographischen Gegebenheiten wie Geländehindernisse und -zäsuren, Erhebungen oder Einschnitte eine Rolle spielen. Bedeutung kann aber nicht allein natürlichen Besonderheiten der Topographie zukommen. Auch künstlich errichtete Geländemerkmale wie etwa Eisenbahntrassen oder Dämme sowie Straßen oder Wege können in dieser Hinsicht von Bedeutung sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1990 - BVerwG 4 C 40.87 -, juris, Rn. 22; Beschlüsse vom 16. Februar 1988 - BVerwG 4 B 19.88 -, juris Rn. 2, und vom 10. März 1994 - BVerwG 4 B 50.94 -, juris Rn. 3).

Auf der Grundlage der vorgenannten Grundsätze kommt der Senat zu der Bewertung, dass es für die Beurteilung, ob sich das Vorhaben nach der Bauweise in die nähere Umgebung einfügt, auf den durch die Gleisanlagen begrenzten Bereich H... ankommt. Die Örtlichkeiten sind durch den durch den Beklagten im Termin eingereichten Liegenschaftskartenausdruck vom 24. Februar 2015 und das eingereichte Luftbild (Ausdruck gleichen Datums) in ihren für die gerichtliche Beurteilung maßgeblichen Merkmalen so eindeutig ausgewiesen, dass sich der mit einer Ortsbesichtigung erreichbare Zweck mit ihrer Hilfe ebenso zuverlässig erfüllen lässt (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2014 - BVerwG 4 B 51.13 -, juris Rn. 4).

Bei der Abgrenzung der Reichweite der näheren Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist regelmäßig danach zu differenzieren, ob es sich um ein Einfügen nach der Art der baulichen Nutzung oder nach den übrigen in der Norm genannten Kriterien handelt. Beim Einfügen nach der Art der baulichen Nutzung kommt es z.B. bei Vorhaben, von denen Emissionen ausgehen, über den Nahbereich hinaus auf eine tendenziell weiter zu ziehende Umgebung an, nämlich soweit sich die Ausführung des Vorhabens mit seinen Emissionen auswirkt. Unter dem Blickwinkel der übrigen Kriterien des § 34 Abs. 1 BauGB, hier der Bauweise, die jeweils gesondert abzugrenzen sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Mai 2014 - BVerwG 4 B 38.13 -, juris 7), sind die Auswirkungen des Vorhabens auf die Umgebung und umgekehrt die Wirkung der Umgebung auf das Bauvorhaben in der Regel auf einen engeren Kreis begrenzt (vgl. OVG Bln-Bbg, Urteil vom 13. März 2013 - OVG 10 B 4.12 -, juris Rn. 39 m. w. N.). Bereits dies spricht dafür, hier auf den engeren Bereich, der durch die Straßen H... eingegrenzt wird, als nähere Umgebung abzustellen. Darüber hinaus entfaltet die H... aufgrund ihrer Breite, die nach der von dem Beklagten eingereichten Flurkarte einschließlich der beiderseitigen Grünstreifen ca. 15 m beträgt, trennende Wirkung.

(2) In dem Bereich H... ist eine halboffene Bauweise, in der das streitgegenständliche Gebäude errichtet worden ist, planungsrechtlich nicht zulässig. Es sind in diesem Bereich nahezu ausschließlich Gebäude der Hauptnutzung in offener Bauweise vorhanden, so dass ein Vorhaben zwingend nur in offener Bauweise ausgeführt werden darf. Es handelt sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht um ein Gebiet, in dem die Gebäude teilweise in offener und teilweise in halboffener Bauweise errichtet worden sind und eine halboffene Bauweise planungsrechtlich auch dann zulässig ist, wenn die offene Bauweise überwiegt oder vorherrscht (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 11. März 1994 - BVerwG 4B 53.94 -, juris Rn. 4; Hofherr, in: Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, Stand: November 2014, § 34 Rn. 35).

Nach der Liegenschaftskarte vom 24. Februar 2015 weist lediglich das Grundstück A... eine halboffene Bauweise auf. Diese Bauweise stellt jedoch vor dem Hintergrund der sonst in der näheren Umgebung anzutreffenden Bebauung ein Unikat dar, das wegen seiner Andersartigkeit und Einzigartigkeit den Charakter seiner Umgebung letztlich nicht beeinflussen kann (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990 - BVerwG 4 C 23.86 -, juris Rn. 16). Es handelt sich nach dem Lageplan vom 24. Februar 2015 bei dem in halboffener Bauweise errichteten Gebäude um ein Haus mit zwei Vollgeschossen mit einer im Vergleich zur Umgebungsbebauung kleinen Grundfläche, dessen eingeschossiger Anbau grenzständig errichtet worden ist, so dass es mit Blick auf seine Größe trotz seiner Andersartigkeit nicht tonangebend wirkt. Die ebenfalls von dem Beklagten markierten Grundstücke A...F... weisen zwar jeweils eine Grenzbebauung auf. Die auf den beiden Grundstücken errichteten Gebäude bilden jedoch ein Doppelhaus im Sinne von § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO. Sie sind an der gemeinsamen Grundstücksgrenze aneinandergebaut und bilden einen Gesamtbaukörper (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2000 - BVerwG 4 C 12.98 -, juris Rn. 18 f.). Das auf dem Grundstück ... errichtete Gebäude ist grenzständig über seine komplette Seitenlänge an das etwas tiefere Nachbargebäude angebaut und straßenseitig allenfalls um wenige Zentimeter nach hinten versetzt. Die beiden Gebäude sind auch in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut worden (vgl. dazu BVerwG, a. a. O., juris Rn. 20 ff.). Der auf dem Grundstück A... errichtete Baukörper verspringt hinter dem gemeinsamen Anbau nur um etwa 1 m in den rückwärtigen Gartenbereich, so dass der Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus nicht vermittelt wird. Die weiteren von dem Beklagten gekennzeichneten Bauten sind nicht ohne seitlichen Grenzabstand errichtet worden, sondern allenfalls grenznah. Auch das markierte Gebäude H... verfügt über seitliche Abstandsflächen. Es ist lediglich auf die rückwärtige Grenze errichtet worden. Bei dem Gebäude H...handelt es sich zwar um eine einseitige Grenzbebauung. Es ist jedoch nach den Angaben des Beklagten in der mündlichen Verhandlung unklar, ob es sich um ein Gebäude der Hauptnutzung handelt. Unabhängig davon wirkt auch hier das in halboffener Bauweise errichtete Gebäude als Fremdkörper, der trotz seiner im Vergleich zur Umgebungsbebauung nicht kleinen Grundfläche als nach dem Luftbild vom 24. Februar 2015 eingeschossiger mit einem flachen Dach versehener Bau seine Umgebung nicht prägt.

(cc) Die Übereinstimmung des streitgegenständlichen Bauvorhabens lässt sich in einem Baugenehmigungsverfahren auch nicht deshalb mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften in Einklang bringen, weil die Bauaufsichtsbehörde gem. § 68 Abs. 1 BauO Bln (2005) Abweichungen u.a. von Anforderungen dieses Gesetzes zulassen kann, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des § 3 Abs. 1 BauO Bln, vereinbar sind. Zum einen hat der Beklagte hier nicht von seinem Ermessen Gebrauch gemacht und eine Abweichung zugelassen. Zum anderen kann hier auch keine Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Belange zugelassen werden. Abstandsflächenvorschriften dürfen lediglich in atypischen Situationen durch die Anwendung von § 68 BauO Bln (2005) ergänzt, nicht aber grundsätzlich relativiert werden (vgl. OVG Bln-Bbg, Urteil vom 13. März 2013 - OVG 10 B 4.12 - juris Rn. 60; Beschluss vom 19. Dezember 2012 - OVG 2 S 44.12 -, juris Rn. 3 m. w. N.). Dabei genügt für die Annahme einer grundstücksbezogenen Atypik nicht irgendeine Besonderheit im Grundstückszuschnitt des Vorhabengrundstücks, sondern nur eine solche, die zur Folge hat, dass die Bebaubarkeit unter Berücksichtigung von Abstandsflächenvorschriften in besonderem Maße erschwert wäre. Hingegen begründen Wünsche eines Eigentümers, sein Grundstück stärker auszunutzen, als dies ohnehin schon zulässig wäre, keine Atypik. Ebenso wenig genügt der Umstand, dass das Nachbargrundstück von einer Verkürzung der Abstandsfläche nicht stark betroffen ist, für die Annahme einer atypischen Grundstückssituation (OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 19. Dezember 2012, a. a. O., Rn. 3). Eine derartige Grundstückssituation ist vorliegend nicht erkennbar. Die gemeinsame Grundstücksgrenze der Grundstücke H... verläuft nach der von dem Beklagten eingereichten Liegenschaftskarte vom 24. Februar 2015 im rechten Winkel zur H... und das Grundstück der Beigeladenen ist quadratisch geschnitten, so dass es keine Besonderheiten aufweist, die es ihnen unzumutbar erschweren würden, es unter Einhaltung von Abstandsflächenvorschriften wirtschaftlich zu nutzen.

(dd) Das streitgegenständliche Gebäude genießt schließlich auch keinen materiellen Bestandsschutz, der es gegen ein nachträgliches bauaufsichtliches Einschreiten wegen gegenwärtiger materieller Illegalität schützen könnte. Bestandsschutz genießt das streitgegenständliche Gebäude schon deshalb nicht, weil es an einem in der Vergangenheit dem materiellen Baurecht entsprechenden bestandsschutzfähigen baulichen Bestand des Gebäudes fehlt. Bestandschutz genießt eine bauliche Anlage in ihrer durch die Nutzung bestimmten Funktion (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Februar 1993 - BVerwG 4 B 5.93 -, juris Rn. 3). Geschütz wird ein Bestand entsprechend erst dann, wenn das Vorhaben fertiggestellt oder jedenfalls im Wesentlichen fertiggestellt ist, weil grundsätzlich erst von diesem Zeitpunkt an die bestimmungsgemäße Nutzbarkeit gegeben sein wird (BVerwG Urteil vom 22. Januar 1971 - BVerwG IV C 62.66 -, juris Rn. 24). Ein danach bestandsschutzfähiges Gebäude war bis zum Inkrafttreten der Berliner Bauordnung vom 29. September 2005, mit dessen § 6 Abs. 1 das Gebäude der Beigeladenen nach den obigen Ausführungen nicht vereinbar ist, nicht geschaffen worden. Ausweislich der in den Verwaltungsvorgängen (I Bl. 43) befindlichen Lichtbilder bestand das Gebäude noch im Januar 2007 aus einem Gebäudetorso (im Wesentlichen vier Außenwände ohne Dach und Fenster), der als solcher nicht nutzbar war (vgl. dazu OVG Berlin, Urteil vom 28. Februar 1969 - II B 66.68 - BRS 22 Nr. 141 zu dem Risiko des Bauherrn bei einer Änderung des Baurechts bei einer nicht voll ausgenutzten Baugenehmigung).

b) Liegen danach die Voraussetzungen für ein Einschreiten des Beklagten vor, wovon dieser im Übrigen wegen eines angenommenen Verstoßes gegen das Abstandsflächenrecht auch in seinem Entwurf zur Beseitigungsverfügung vom August 2009 ausgegangen ist, ist sein Ermessen hier insoweit gebunden, als nur eine Entscheidung zu Gunsten der Klägerin rechtmäßig ist.

(aa) Das Ermessen bei der Entscheidung über den Erlass einer Beseitigungsverfügung ist kein freies, sondern ein auf die Beseitigung der Störung gerichtetes intendiertes Ermessen (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 29. Oktober 2013 - OVG 10 N 33.11 - BA S.8). Die Bauaufsichtsbehörde hat daher bei Feststellung eines Baurechtsverstoßes i. d. R. einzuschreiten. Die Verletzung nachbarschützender Vorschriften, zu denen § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO Bln (2005) gehört, verstärkt zudem den normativen Druck auf die Behörde, so dass das Ermessen bei Missachtung des Nachbarschutzes regelmäßig nur mit der Folge des Einschreitens rechtmäßig betätigt werden kann (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 22. Januar 2003 - 2 S 45.02 -, juris Rn. 11; Wilke, a. a. O., § 79 Rn. 48 je m. w. N.). Durchgreifende Gründe, von einem Einschreiten hier ausnahmsweise abzusehen, liegen nicht vor.

(bb) Soweit der Beklagte geltend macht, der Erlass einer Beseitigungsverfügung sei unverhältnismäßig, greift dies nicht. Die Beseitigung des grenzständigen Gebäudes führt nicht zu einem Schaden, der zu dem beabsichtigten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Die in diesem Zusammenhang geäußerte Auffassung des Beklagten, das Interesse der Öffentlichkeit an der Verhinderung von illegalem Bauen sei vorliegend praktisch nicht betroffen, da die Beigeladenen gutgläubig gewesen und von dem Bestand der Baugenehmigung ausgegangen seien, vermag nicht zu überzeugen. Gegen die Berücksichtigung persönlicher Besonderheiten spricht zunächst grundsätzlich, dass das Baurecht objektives und zudem grundstücksbezogenes Recht ist (vgl. Decker, in: Simon/Busse, BayBO, Stand: November 2014, Art. 76 Rn. 210 und 246 m. w. N.). Dem entspricht es, dass Maßnahmen der Baubehörde gem. § 58 Abs. 2 BauO Bln (2005) auch gegen den Rechtsnachfolger wirken. Unabhängig davon liegt die Herstellung baurechtlich ordnungsgemäßer Zustände im besonderen Interesse der Allgemeinheit an einer geordneten baulichen Entwicklung. Dieses Interesse besteht unabhängig davon, ob der Bauherr gutgläubig vom Bestehen einer Baugenehmigung ausgegangen ist.

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass eine minimale Beeinträchtigung der Klägerin zur Unverhältnismäßigkeit des Beseitigungsverlangens führt. Die Beigeladenen könnten sich auf eine - unterstellte - geringe Betroffenheit der Klägerin nicht mit Erfolg berufen. Die in § 6 BauO Bln (2005) verankerten Mindestabstände bedeuten nicht, dass eine Beeinträchtigung des Nachbarn erst bei einer Unterschreitung der notwendigen Grenzabstände abrupt einsetzt, sondern dass das Heranrücken eines Bauwerks und die damit stets verbundene Beeinträchtigung des Nachbarn erst dann rechtlich mit der Folge des Entstehens eines nachbarlichen Anspruchs relevant wird, wenn die gesetzlich festgelegten Abstandsmaße unterschritten werden. Dies spricht dafür, dass ein geringes Maß der konkreten Beeinträchtigung der Nutzbarkeit des Nachbargrundstücks dem Abwehranspruch des Nachbarn grundsätzlich nicht entgegensteht (vgl. OVG NW, Urteil vom 14. Januar 1994 - 7 A 2002.92 -, NVwZ-RR 1995, 187, 188; Beschluss vom 10. Februar 1999 - 7 B 974.98 -, juris Rn. 18 ff.).

Darüber hinaus berücksichtigt der Beklagte nicht hinreichend, soweit er die Betroffenheit der Klägerin mit Blick auf das Maß der Überbauung ihres Grundstücks für minimal erachtet, dass sie nicht ausschließlich durch den Überbau beeinträchtigt wird, sondern auch dadurch, dass die gem. § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BauO Bln (2005) notwendige Abstandsfläche nicht eingehalten wird. Anders als in der von dem Beklagten zitierten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 28. Februar 1983 (6 A 69.82, BRS 40 Nr. 226) beträgt die Unterschreitung der einzuhaltenden Abstandsfläche vorliegend auch nicht wenige Zentimeter, so dass kein Fall gegeben ist, bei dem ein Beseitigungsverlangen möglicherweise unverhältnismäßig oder rechtsmissbräuchlich (dazu vgl. OVG NW, Urteil vom 14. Januar 1994 - 7 A 2002.92 -, NVwZ-RR 1995, 187, 189 f.) sein könnte. Vielmehr befindet sich die gesamte Abstandsfläche entgegen § 6 Abs. 2 Satz 1 BauO Bln (2005) auf dem Grundstück der Klägerin, so dass ihr Grundstück in der Bebaubarkeit deutlich eingeschränkt ist. Da sich Abstandsflächen gem. § 6 Abs. 3 Bau Bln (2005) nicht überdecken dürfen, müsste sie bei Errichtung eines dem Baukörper der Beigeladenen gegenüber liegenden Gebäudes einen doppelt so großen Abstand einhalten als dies ohne den rechtswidrigen Bau auf dem Nachbargrundstück erforderlich wäre.

Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit liegt auch nicht mit Blick auf die wirtschaftlichen Folgen vor, die die Beigeladenen bei Erfüllung einer Beseitigungsverfügung treffen. Dass die Erfüllung einer Beseitigungspflicht zur Zerstörung der unter Umständen mit erheblichem Kostenaufwand geschaffenen oder erworbenen Bausubstanz führt, und daher für den Bauherrn oder Eigentümer Vermögensnachteile zur Folge hat, stellt eine typische Konsequenz des behördlichen Einschreitens dar und ist bereits keine zusätzliche Erwägungen erfordernde Sondersituation (vgl. OVG für das Land Brandenburg, Beschluss vom 22. November 2002 - 3 B 319.02 -, juris Rn. 66).

Unabhängig davon erscheint hier der den Beigeladenen entstehende Vermögensnachteil auch nicht unzumutbar hoch. Insofern ist zu berücksichtigen, dass das grenzständig errichtete Gebäude ausweislich des in den Verwaltungsvorgängen (V Bl. 4) abgehefteten Lichtbilds vom 17. April 2002 zunächst nur aus einem Gebäudetorso bestand, den der Beklagte auch nach dem Erwerb durch die Beigeladenen in einem in den Verwaltungsvorgängen abgehefteten Vermerk vom 8. November 2006 (I Bl. 28) nach einer Ortsbesichtigung am 7. November 2006 mit den Worten „Ruine, 4 Außenwände, kein Dach“ beschrieben hat und der nach dem in den Verwaltungsvorgängen (VI Bl. 43) abgehefteten Lichtbild vom 11. Januar 2007, auf dem vier Außenwände und eine Innenwand abgebildet sind, zunächst im Wesentlichen unverändert geblieben ist. Soweit die Beigeladenen in der Folgezeit nach dem weiteren in den Verwaltungsvorgängen (VIII Bl. 6) befindlichen Lichtbild vom 11. Februar 2008 die Fertigstellung ihres Gebäudes fortgesetzt haben, haben sie bewusst auf eigenes Risiko gehandelt. Denn sie hatten sich nach ihrer eigenen Schilderung im Termin der mündlichen Verhandlung vergeblich im Sommer 2005 bemüht, von der Klägerin die Zustimmung für ihr Bauvorhaben zu bekommen und ihr im Anschluss an das Gespräch vom 23. Juni 2005 ohne Erfolg eine privatschriftliche Vereinbarung zur Unterzeichnung zugesandt. Ferner hat der Beklagte sie unter dem 28. September 2006 über den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 19. Juli 2002 informiert und sie darauf hingewiesen, dass sie im Fall der weiteren Realisierung des Bauvorhabens die Bauarbeiten auf eigenes Risiko ausführen würden. Schließlich hat der Beklagte sie mit Schreiben vom 7. Dezember 2006 über den Widerspruch der Klägerin gegen die Baugenehmigung aus dem Jahre 1990 informiert und den Beigeladenen zu 1. ausweislich des in den Verwaltungsvorgängen abgehefteten Gesprächsvermerks vom 12. September 2007 (VII Bl. 14) bei einer Besprechung vor Ort am 11. September 2007 erneut darauf hingewiesen, dass er im Fall der weiteren Realisierung des Bauvorhabens die Bauarbeiten auf eigenes Risiko ausführe.

c) Dem Beseitigungsverlangen der Klägerin steht auch nicht entgegen, dass sie dem Bauvorhaben der Beigeladenen zugestimmt bzw. auf eine Beseitigung des Gebäudes verzichtet hat. Eine entsprechende Erklärung der Klägerin, die ihrem Abwehrrecht gegen das streitgegenständliche Vorhaben entgegengehalten werden könnte, liegt nicht vor. Ein Nachbar ist grundsätzlich in seiner Entscheidung frei, ob er einem Vorhaben zustimmt oder nicht. Die Frage, wie weit sich sein Einverständnis mit einem Vorhaben auf seine nachbarrechtliche Abwehrposition auswirkt, beantwortet sich nach dem konkreten, ggf. durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt der von ihm zu dem Nachbarvorhaben abgegebenen Erklärung (vgl. OVG NW, Urteil vom 6. Juni 2014 - 2 A 2757.12 -, juris Rn. 110).

Danach schließt zunächst die bereits oben wiedergegebene Schilderung der Beigeladenen zu dem Informationsgespräch vom 23. Juni 2005 aus, dass die Klägerin im Termin am 23. Juni 2005 ihre verbindliche Zustimmung zu dem Bauvorhaben der Beigeladenen erklärt hat.

Der Abschluss des Vergleichs vom 27. April 2007 zwischen der Klägerin und den Beigeladenen im selbständigen Beweisverfahren vor dem Amtsgericht Köpenick (4 OH 2/07) beinhaltet ebenfalls keine Zustimmung zu dem streitgegenständlichen Bauvorhaben. Die Beigeladenen haben sich in diesem Vergleich verpflichtet, der Klägerin für den Überbau auf ihr Grundstück ab dem 15. Juli 2005 eine jährliche Geldrente von 15 EUR zu zahlen. Ein Verzicht auf Abwehransprüche oder eine Zustimmung der Klägerin zu dem Bauvorhaben ist dem Wortlaut des Vergleichs nach nicht erklärt worden. Der Vergleich enthält insbesondere keine Ausgleichsklausel, die darauf schließen lassen könnte, dass er zum Ausgleich aller wechselseitigen Ansprüche der Parteien des Vergleichs auch einen Verzicht auf Abwehransprüche beinhalten sollte. Auch im Übrigen deutet nichts darauf hin, dass die Klägerin mit dem Abschluss des Vergleichs auf Abwehransprüche verzichtet haben könnte. Gegen eine so weit reichende Bedeutung des Vergleichs spricht vielmehr, dass die Klägerin nicht nur dadurch beeinträchtigt ist, dass der Rohbau zum Teil auf ihrem Grundstück steht, sondern entsprechend den obigen Ausführungen auch dadurch, dass das Gebäude entgegen § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BauO Bln (2005) als Grenzbau errichtet worden ist. Der Vergleich enthält jedoch keine Verpflichtung der Beigeladenen, der Klägerin einen Ausgleich für die fehlenden Abstandsflächen zu gewähren. Dem entspricht es, dass die Beigeladenen sich ausweislich des Inhalts der von ihnen im vorliegenden Verfahren eingereichten Abschrift des Antrags der Klägerin auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens vom 28. Februar 2007 vor der Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens geweigert hatten, eine Geldrente wegen des Überbaus zu zahlen und eine entsprechende Einigung von einer umfassenden Vereinbarung der Parteien, welche den Beigeladenen auch den Weiterbau des Rohbaus ermöglichen sollte, abhängig gemacht hatten. Darauf hatte sich die Klägerin jedoch nicht eingelassen. Auch vor diesem Hintergrund ist die Annahme, der Vergleich könne einem Abwehranspruch der Klägerin mit Erfolg entgegengehalten werden, nicht haltbar. Der Abschluss eines Vergleichs ohne einen Verzicht auf ein Beseitigungsverlangen war schließlich auch nicht sinnlos, da die Klägerin zum Zeitpunkt der gütlichen Einigung im Jahre 2007 nicht wissen konnte, ob und wann ein Beseitigungsverlangen Erfolg haben würde und das Recht auf Zahlung einer Überbaurente gem. § 914 Abs. 1 Satz 2 BGB mit Beseitigung des Überbaus erlischt.

d) Dem Beseitigungsverlangen der Klägerin steht darüber hinaus nicht entgegen, dass ihr Anspruch verwirkt ist. Verwirkung ist ein im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung und bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 - BVerwG 4 C 4.89 -, juris Rn. 22). Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BVerwG, a. a. O., Rn. 28).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es ist bereits nicht davon auszugehen, dass die Beigeladenen darauf vertrauen durften, dass die Klägerin ihr Abwehrrecht nicht geltend machen würde. Es gibt keine Anhaltspunkte für ein Verhalten der Klägerin, das diese Annahme rechtfertigen könnte.

Dies gilt zunächst, soweit die Klägerin und - ihr zurechenbar - ihr Rechtsvorgänger über Jahre nicht die Beseitigung der lediglich errichteten Außenwände verlangt hatten. Da dieser Gebäudetorso als solcher nicht nutzbar war, die Bauarbeiten über Jahre nicht fortgeführt wurden und es bis zu dem Erwerb des Gebäudetorsos durch die Beigeladenen keine Anzeichen für eine Fertigstellung gab, konnte daraus nicht geschlossen werden, die Klägerin sei mit der Errichtung eines zu Wohn- oder Bürozwecken nutzbaren Gebäudes einverstanden. Soweit der Beklagte in dem Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2007 darauf hingewiesen hat, dass in der Nachbarschaft hinlänglich bekannt gewesen sein soll, dass Herr W... das hintere Gebäude fertigstellen wolle, führt dies zu keinem anderen Ergebnis, da die Kenntnis der Klägerin von dieser Absicht damit nicht belegt ist und die Verwirklichung dieser Absicht mit Blick auf den 10 Jahre deutlich überschreitenden Stillstand der Bauarbeiten völlig im Unklaren lag.

Auch nach dem Erwerb der grenzständig errichteten Außenwände durch die Beigeladenen hat die Klägerin keine Veranlassung für die Annahme gegeben, sie mache ihr Abwehrrecht nicht geltend. Nach der Schilderung des Beigeladenen zu 1. in der mündlichen Verhandlung hatten die Beigeladenen im April 2005 mit der Aufnahme von Bauarbeiten begonnen. Die Klägerin hatte sich in der Folgezeit jedoch nicht mit der Fertigstellung des Bauvorhabens einverstanden erklärt, obwohl sie darum gebeten worden war. Sie hatte die ihr nach dem Gespräch vom 23. Juni 2005 übermittelte privatschriftliche Vereinbarung nicht unterzeichnet. Schon vor diesem Hintergrund bestand keine Veranlassung anzunehmen, sie würde ihr Abwehrrecht nicht mehr geltend machen. Insbesondere konnte eine bloße Untätigkeit in der Folgezeit diese Annahme mit Blick auf die geschilderten Umstände nicht rechtfertigen. Unabhängig davon ist die Klägerin in der Folgezeit nicht untätig geblieben, sondern hat mit Schreiben vom 8. August 2006 vorsorglich Widerspruch gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung eingelegt nachdem kleine Baufortschritte sichtbar wurden und deutlich wurde, dass die Beigeladenen an ihrem Bauvorhaben festhielten. Ferner hat sie unter dem 20. September 2006 Widerspruch gegen den Bescheid vom 19. Juli 2002 erhoben und im März 2007 die vorliegende Klage eingereicht.

Die Voraussetzungen der Verwirkung liegen auch unabhängig von der nach alledem fehlenden Vertrauensgrundlage nicht vor, weil nicht anzunehmen ist, dass die Beigeladenen sich im Vertrauen darauf, dass die Klägerin ihr Recht nicht mehr geltend machen würde, in ihren Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihnen durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Da den Beigeladenen durch die fehlende Unterzeichnung der im Anschluss an das Gespräch vom 23. Juni 2005 übermittelten privatschriftlichen Vereinbarung deutlich gemacht worden war, dass die Klägerin mit dem Bauvorhaben nicht einverstanden war und der Beklagte die Beigeladenen mit Schreiben vom 28. September 2006 über den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 19. Juli 2002 informiert und auf das Risiko der Fortführung der Bauarbeiten hingewiesen hatte (I Bl. 8), fehlt es zumindest seit dieser Zeit an der notwendigen Kausalität zwischen einer verspäteten Durchsetzung eines Beseitigungsverlangens und möglichen finanziellen Schäden, die mit Blick auf den geringen Baufortschritt bis zu diesem Zeitpunkt (s. o.) nicht als unzumutbar hoch einzuschätzen sind.

e) Auch § 11 Abs. 3 der Verordnung über Bevölkerungsbauwerke steht dem Beseitigungsverlangen der Klägerin nicht entgegen. Da die Verordnung über Bevölkerungsbauwerke am 1. August 1990 außer Kraft getreten ist, kann § 11 Abs. 3 nur dann schützen, wenn die dort genannte Frist von 5 Jahren seit Fertigstellung des Bauwerks vor diesem Zeitpunkt (1. August 1990) abgelaufen war (vgl. OVG Bln-Bbg, Urteil vom 23. September 2014 - OVG 10 B 5.12 -, juris Rn. 43; Thüringer OVG, Urteil vom 18. Dezember 2002 - 1 KO 639.01 -, juris Rn. 31). Diese Voraussetzung liegt nicht vor.

f) Schließlich ergibt sich aus dem von dem Beklagten zitierten Aufsatz von Gaentzsch (in: FS für Michael Krautzberger zum 65. Geburtstag, S. 19 ff.) nichts zu Gunsten der Beigeladenen. Der Autor meint, das öffentliche Baunachbarrecht sei in bestimmten Fällen unzulänglich, um einen angemessenen Ausgleich der divergierenden nachbarlichen Interessen bei Wahrung der öffentlichen Interessen zu ermöglichen. Da nicht davon auszugehen ist, dass den Beigeladenen ein unzumutbarer Schaden durch eine Beseitigung des Grenzgebäudes entsteht (s. o.), sind die Überlegungen des Autors vorliegend schon nicht einschlägig, der u. a. für einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Geldausgleich des durch ein Bauvorhaben in seinen Rechten verletzten Nachbarn gegen die Bauaufsichtsbehörde plädiert, sofern diese den Erlass einer Beseitigungsanordnung in pflichtgemäßer Ermessensausübung mangels überwiegendem öffentlichen Interesse ablehnt (S. 32).

g) Da nach den in den Verwaltungsvorgängen (vgl. II Bl. 22 f. und III Bl. 8) enthaltenen Bauzeichnungen nicht davon auszugehen ist, dass ein dem materiellen Baurecht entsprechender Restbaukörper stehen bleiben kann, sofern die notwendigen Abstandsflächen von 3 m gem. § 6 Abs. 5 Satz 1 BauO Bln (2005) eingehalten werden, ist die Abbruchanordnung auf das gesamte Gebäude zu erstrecken (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Dezember 1964 - I B 208.64 -, Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 17a). Die Beigeladenen haben erstinstanzlich zwar geltend gemacht, es würde ein Teilrückbau ausreichen. Wie der Restbaukörper aussehen soll, haben sie aber nicht dargelegt, obwohl bereits die Klägerin dies gerügt und auch das Verwaltungsgericht dies in seiner Entscheidung angeführt und zu Recht darauf hingewiesen hat, dass es Sache des Bauherrn ist, den Rückbau auf ein rechtlich zulässiges und deshalb genehmigungsfähiges Maß konkret anzubieten (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 29. Oktober 2013 - OVG 10 N 33.11 -, BA S. 8).

3. Die von der Klägerin im Ergebnis zu Recht beanstandete Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts, die in der Rechtsmittelinstanz nicht dem Verbot der nachteiligen Änderung unterliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1962 - BVerwG V C 62.61 -, juris Rn. 17; OVG Berlin, Beschluss vom 27. Juni 1989 - 5 S 23.89 -, NVwZ 1990, 681 f; Bader, in: Bader/Funke-Kaiser, u. a., VwGO, 6. Aufl., § 154 Rn. 3), ist zu ändern.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sind gem. §§ 154 Abs. 3, 155 Abs. 1 Satz 3, 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO zu gleichen Teilen dem Beklagten und den gem. § 159 Satz 2 VwGO gesamtschuldnerisch haftenden Beigeladenen aufzuerlegen, da die Klägerin mit ihrem Verpflichtungsantrag zu 2. in vollem Umfang obsiegt hatte und mit ihrem Hilfsantrag zu 1. nur zu einem geringen Teil unterlegen war. Soweit das Verwaltungsgericht den Hauptantrag zu 1. abgewiesen hat, führt dies nicht zu einer Kostenteilung gem. § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Haupt – und der Hilfsantrag betreffen wirtschaftlich denselben Gegenstand und sind gleichwertig (vgl. dazu BGH, Urteil vom 21. Februar 1962 – IV ZR 235/61 -, BGH LM § 92 ZPO Nr. 8; Neumann in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 155 Rn. 15; Baumbach/Lauterbach u. a., ZPO; 68. Aufl., § 92 Rn. 12). Da es nicht der Billigkeit entspricht, die Baubehörde, die für die Beigeladenen streitet, an deren Kosten zu beteiligen (vgl. dazu OVG NW, Beschluss vom 4. November 2003 - 22 B 1345.03 -, juris Rn. 20; Bader, a. a. O., § 162 Rn. 24), haben diese ihre außergerichtlichen Kosten erster Instanz in vollem Umfang selbst zu tragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens haben ausschließlich die Beigeladenen als alleinige Rechtsmittelführer gem. § 154 Abs. 2 VwGO zu tragen (vgl. Neumann, a. a. O., § 154 Rn. 46; Bader, a. a. O., § 154 Rn. 5).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.