Gericht | VG Cottbus 5. Kammer | Entscheidungsdatum | 31.01.2024 | |
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Aktenzeichen | VG 5 K 522/22.A | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2024:0131.5K522.22.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Wegen der Kosten ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
Der Kläger, eigenen Angaben zufolge am 1_____ 1991 geborener afghanischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die auf Zuerkennung internationalen Schutzes in Griechenland gestützte Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig.
Nachdem der Kläger am 6. August 2018 in Griechenland einen Asylantrag gestellt und am 29. Januar 2019 internationalen Schutz dort erhalten hatte, stellte er am 29. März 2021 in der Schweiz und am 22. Februar 2022 in Deutschland je einen Asylantrag. In dem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates gab er am 28. Februar 2022 vor dem Bundesamt an, in Griechenland einen 2014 geborenen Sohn zu haben. Zuvor habe er 18 bis 19 Jahre im Iran, circa sechs Monate in Afghanistan, wiederum vier Monate im Iran und nach einer Durchreise durch die Türkei circa drei bis vier Jahre in Griechenland gelebt. Nachdem er fünf bis sieben Monate auf der Insel Chios gelebt habe, habe er sich die übrige Zeit in Thessaloniki aufgehalten.
In der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrages am 30. März 2022 gab der Kläger gegenüber dem Bundesamt an, sich von 2018 bis zum 8. Februar 2022 in Griechenland aufgehalten zu haben. Im November 2021 habe er sich besuchsweise in Österreich aufgehalten. Auf Vorhalt erklärte der Kläger weiter, dass sein am 29. März 2021 in der Schweiz gestellter Asylantrag abgelehnt worden sei und er nach Griechenland abgeschoben worden sei. In Griechenland lebe noch seine Frau uns sein Kind. Von diesen Familienangehörigen habe er sich aber getrennt. Nach seiner Anerkennung habe er die Flüchtlingsunterkunft verlassen müssen und auf dem Gelände einer Tankstelle in Lagerräumen in Thessaloniki gelebt. Gleichzeitig habe er an der Tankstelle für 10 Euro am Tag ausgeholfen und Unterstützung von der Kirche erhalten. Vor der Anerkennung habe er monatlich 90 Euro staatliche Unterstützung bezogen. Nach der Anerkennung habe er griechisch gelernt. Bereits in der Flüchtlingsunterkunft habe er einen Sprachkurs besucht. Er habe keine richtige Arbeit gefunden und nur zwischen 10 und 15 Euro täglich verdient. Nach der Anerkennung habe er den Sprachkurs nicht mehr besucht. Die Kirche habe ihm aber eine Unterkunft beschafft. Von Beruf sei er Schreiner. Die Reise von Griechenland nach Deutschland habe insgesamt 116,00 Euro gekostet. Das Geld habe er von seiner afghanischen Verlobten und von einem Freund erhalten. Griechenland habe er verlassen, weil er dort einen Feind, den er aus Afghanistan kenne, getroffen habe. Er sei auch von den Freunden seiner Frau bedroht worden. Von dem Feind aus Afghanistan sei er nicht bedroht worden. Diesen habe er lediglich gesehen. Er habe die Sorge, dass dieser Feind seine Anschrift herausbekommen könnte.
Mit Bescheid vom 18. Mai 2022 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab, verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes, forderte den Kläger zu Ausreise innerhalb einer Woche auf und drohte ihm widrigenfalls Abschiebung nach Griechenland an. Ferner verhängte es ein auf 30 Monate befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot. Schließlich setzte es die Vollziehung der Abschiebungsandrohung aus. Wegen der Begründung wird auf Seite 2 bis 23 des angefochtenen Bescheides Bezug genommen.
Mit seiner am 14. Juni 2022 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Anfechtungsbegehren weiter.
Zur Begründung beruft er sich darauf, dass die Lebensbedingungen für anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland derart schlecht seien, dass diesen Personen gegen Art. 3 EMRK verstoßende Verhältnisse drohen würden.
Schriftsätzlich beantragt der Kläger,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18. Mai 2022 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ein Asylverfahren für ihn durchzuführen,
hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des vorgenannten Bescheides zu verpflichten, zugunsten des Klägers Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes hinsichtlich Griechenlands festzustellen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge Bezug genommen. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, sich sämtliche Akten einzusehen.
Die Klage auf Verurteilung zur Sachentscheidung ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Die mit der Bescheidungsklage zugleich erhobene Anfechtungsklage gegen die Ablehnungsentscheidung und die Abschiebungsandrohung ist unbegründet. Die hilfsweise erhobene Verpflichtungsklage auf Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich Griechenlands ist ebenfalls unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
Die Unzulässigkeitsentscheidung über den Asylantrag findet in § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ihre Grundlage. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dies ist vorliegend der Fall. Ausweislich des Eurodac-Eintrages für den Kläger ist diesem am 7. April 2020 internationaler Schutz gewährt worden. Dies deckt sich mit dem klägerischen Vorbringen.
Dem Unzulässigkeitsverdikt steht auch kein höherrangiges Recht entgegen.
Dieses Unzulässigkeitsverdikt ist nur dann rechtswidrig, wenn eine Verletzung von Art. 4 der EU-GR-Charta droht (EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 – C-540/17 und C-541/17 – Rn. 35, 44).
Gemessen daran ist die Unzulässigkeitsentscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Maßgeblich sind dabei die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG).
Gegen eine Verletzung von Art. 4 der EU-GR-Charta streitet die im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems geltende Vermutung, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der EMRK steht. Dies gilt insbesondere bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie), in dem im Rahmen des mit dieser Richtlinie eingerichteten gemeinsamen Asylverfahrens der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zum Ausdruck kommt (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. – Juris Rn. 85) und dessen Umsetzung ins nationale Recht § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG dient.
Die Anwendung dieser Vermutung ist nicht disponibel, sondern zwingend (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a. – Rn. 41).
Die zur Widerlegung dieser Vermutung besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erst erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 – Juris Rn. 90). Daher ist das Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung befasst ist, mit der ein neuer Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abgelehnt wurde, in dem Fall, dass es über Angaben verfügt, die der Kläger vorgelegt hat, um das Vorliegen eines solchen Risikos in dem bereits internationalen Schutz gewährenden Mitgliedstaat nachzuweisen, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 – Juris Rn. 88).
Es obliegt dem Gericht nicht, durch Erhebungen über konkrete Lohnhöhe und Lebenshaltungskosten dem Kläger nachzuweisen, dass er in Griechenland seinen existentiellen Lebensunterhalt sichern wird. Denn ein ernsthaftes Risiko eines Verstoßes gegen Art. 4 der EU-GR-Charta und Art. 3 EMRK besteht nicht bereits dann, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Falle einer Rücküberstellung die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern nur für den Fall, dass die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist und der Drittstaatsangehörige dadurch Gefahr läuft, erheblich in seiner Gesundheit beeinträchtigt zu werden oder in einen menschenunwürdigen Zustand der Verelendung versetzt zu werden (BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 1 B 83.21 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 36 Rn. 12).
Die allgemeinen dem Gericht vorliegenden Informationen zur Lage in Griechenland lassen im Falle des Klägers nicht den Schluss zu, dass die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist.
Angesichts der Arbeitsmarktsituation ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ein erwerbsfähiger Mann ohne Unterhaltslasten außerstande ist, durch eigene Erwerbstätigkeit ein Existenzminimum nicht unterhalb der Schwelle des Art. 4 EU-GR-Charta zu erwirtschaften.
Nach den neuesten Angaben des staatlichen Statistikamts Elstat ging die Arbeitslosenquote im September 2023 auf zehn Prozent zurück. Das war der niedrigste Stand seit September 2009, als die Quote 10,1 Prozent betrug. Die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt spiegelt die starke Konjunktur wider. Griechenlands Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte in den beiden vergangenen Jahren insgesamt um 14 Prozent zu. Eine Rezession ist nicht in Sicht. Für das Jahr 2023 erwartet die griechische Regierung ein Plus von 2,3 Prozent. Für 2024 rechnet Wirtschafts- und Finanzminister K_____ sogar mit drei Prozent Wachstum (Handelsblatt vom 7. November 2023: „Arbeitslosigkeit in Griechenland fällt unter Vorkrisenniveau“). Auch Wirtschaftsexperten außerhalb der griechischen Regierung bestätigen diese Entwicklung. Eine Analyse des britischen Wirtschaftsmagazins »Economist« stellt fest, dass griechische Wirtschaft im Vergleich zu 35 OECD-Staaten, darunter auch Deutschland, zum zweiten Mal in Folge am besten abgeschnitten hat. Untersucht wurden dafür fünf Wirtschaftsindikatoren, nämlich die Inflation, die sogenannte Inflationsbreite, das Bruttoinlandsprodukt, Beschäftigungswachstum und die Börsenentwicklung (www.spiegel.de vom 28. Dezember 2023: „Economist“ kürt Griechenland zur besten Wirtschaft des Jahres“).
Die Beschäftigungschancen hängen nicht von Qualifikationen ab, die dem Kläger abgehen. Denn zu den Branchen mit der besten Entwicklung und dem höchsten Anstieg der Beschäftigung gehören auch das verarbeitende Gewerbe, Transportwesen und das Lagerwesen. Insbesondere für ungelernte Arbeitskräfte wirkt sich aber aus, dass gerade in der Tourismusbranche, in der Landwirtschaft und im Bauwesen eine Vielzahl von Arbeitsplätzen angeboten wird (vgl. für die Tourismusbranche EURES, Arbeitsmarktinformationen: Griechenland vom 10. August 2023). Seit Mitte 2022 gibt es immer häufiger Berichte, denen zufolge in diesen Branchen (Landwirtschaft, Bau, Tourismus) auf Grund des Arbeitskräftemangels Arbeitgeber aktiv nach Arbeitskräften auch unter Schutzberechtigten suchen (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Februar 2023, Seite 7, Ziffer 3.4). In der Landwirtschaft herrscht ein Mangel an Arbeitskräften, der u.a. der Abwanderung von Landarbeitern aus Drittländern während der Corona-Krise geschuldet ist. Im Obst-, Gemüse und Olivenanbau sowie bei den Viehzüchtern sollen derzeit 70.000 Arbeitskräfte fehlen (Deutschlandfunk, Bericht vom 18. Dezember 2023, „Griechenland will 30.000 Migranten eine Arbeitserlaubnis erteilen“). In der Tourismusbranche fehlen rund 100.000 Beschäftigte. Während der Corona-Pandemie haben sich nämlich viele Arbeitnehmer umorientiert (GTAI, Wirtschaftsumfeld/Griechenland/Arbeitsmarkt, Bericht vom 10. Oktober 2023). Diese Nachfrage nach ungelernten Arbeitskräften hat der griechische Gesetzgeber zum Anlass genommen, am 19. Dezember 2023 ein Gesetz zu verabschieden, um zehntausende Arbeitserlaubnisse selbst an jene Migranten zu erteilen, die sich noch in Asylverfahren befinden oder illegal in Griechenland leben (vgl. RND, Bericht vom 20. Dezember 2023, „Griechenland: Zehntausende Migranten erhalten Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung“).
Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen und Migranten stellt nach dem Bericht der Deutschen Botschaft Athen (a.a.O. Seite 9, Ziffer 3.7.1) weiterhin kein augenscheinliches Massenphänomen dar, was unter Bezugnahme auf die diesbezügliche Auskunft vom 06.12.2018 an das VG Stade (Az. 10 A 1632/18) auf die Bildung von eigenen Strukturen und Vernetzung innerhalb der jeweiligen Landsmannschaften zurückgeführt wird, über welche auf informelle Möglichkeiten zurückgegriffen werden kann. Für die Erfüllung der an Art. 4 der EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK zu messenden Grundbedürfnisse gelten - gerade bei nichtvulnerablen Personen - nur an dem Erfordernis der Wahrung der Menschenwürde orientierte Mindestanforderungen. So kann etwa der Umstand, dass der betreffenden Person bezogen auf die Unterkunft ein Schlafplatz in einer von Kirchen, Nichtregierungsorganisationen oder Privatpersonen gestellten Notunterkunft oder in einer staatlich geduldeten "informellen Siedlung" zur Verfügung steht, genügen, sofern die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zumindest zeitweilig Schutz vor den Unbilden des Wetters bieten und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lassen (BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 1 B 83.21 –Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 36 Rn. 14).
In Ansehung dieser Verhältnisse in Griechenland lassen die individuellen Umstände des Klägers nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit besorgen, dass er dort der Verelendung preisgegeben würde. Insbesondere ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass er die sich dort bietenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt nicht ergreifen können wird. Der Kläger ist gesund, frei von Unterhaltslasten – von seiner Frau und dem 2014 geborenen Sohn trennte er sich bereits in Griechenland - und erwerbsfähig. Es ist nicht erkennbar, dass dem Kläger jene körperliche Robustheit fehlt, welche sich zur Bewältigung körperlich anspruchsvoller Tätigkeiten, wie sie etwa im Agrarsektor nachgefragt werden, als günstig erweist. Seine selbst organisierten Reisen aus der Türkei nach Griechenland, als auch innerhalb Europas lassen ferner ein hohes Maß an Gewandtheit und Organisationsgeschickt zu Tage treten, die ihm auch in Griechenland erlauben werden, etwa auftretende Schwierigkeiten in der Anfangsphase zu meistern, wobei nicht jede vorübergehende Obdachlosigkeit gegen Art. 4 der EU-GR-Charta verstößt (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. März 2023 – 13 A 10948/22.OVG – Juris Rn. 59; Bayerischer VGH, Beschluss vom 11. Oktober 2023 – 24 B 23.30525 – Juris Rn. 32).
Dass dem Kläger in Griechenland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein menschenunwürdiger Zustand der Verelendung droht (vgl. zum Prognosemaßstab BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 1 B 83.21 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 36 Rn. 12), lässt sich weder auf Grund der Vorerlebnisse des Klägers noch mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung zur Lage in Griechenland feststellen.
Die individuellen Erlebnisse eines Klägers können zwar Anlass zur eingehenderen Prüfung geben (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Dezember 2020 – 7 A 11038/18 –Juris Rn. 37), sind aber für sich genommen keine Grundlage für die Widerlegung der Vermutung. Sie stellen schon keine objektiven Angaben im oben genannten Sinne dar. Ferner kommt ihnen, zumal wenn sie wie hier mehrere Jahre zurückliegen, nur in begrenztem Umfang Erkenntniswert zu, keinesfalls führen sie zu einer Beweislastumkehr (BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 – Buchholz 402.25 § 27a AsylVfG Nr. 2).
Gleiches gilt für die zur Lage von Inhabern internationalen Schutzes ergangene Rechtsprechung. Die unionsrechtliche Vermutung für eine Charta-konforme Behandlung kann nur auf der Grundlage gebührend aktualisierter Angaben widerlegt werden (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-297/17 – Juris Rn. 85 und 88; Urteil vom 30. November 2023 – C 228/21 u. a. – Rn. 136; BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 2022 – 1 B 73.22 – Juris Rn. 8). Deshalb kann in Verfahren der vorliegenden Art in der Regel nicht angenommen werden, dass eine obergerichtliche Grundsatzentscheidung zu einer bestimmten Tatsachenfrage nach längerem Zeitablauf noch unverändert Gültigkeit beanspruchen kann (eine Divergenz verneinend OVG Lüneburg, Beschluss vom 4. Dezember 2020 – 10 LA 264/19 – Juris Rn. 16). So verhält es sich insbesondere mit Blick auf das Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 23. November 2021 – 3 B 54.19 – Juris. Dieses Urteil beruht auf Erkenntnissen, welche in dem Zeitraum Ende 2020 bis Spätsommer 2021 publiziert wurden, also reale Verhältnisse wiedergeben, die mittlerweile drei Jahre oder länger zurückliegen. Es kommt hinzu, dass diese Erkenntnisse eine Situation widerspiegeln, die maßgeblich von der Corona-Pandemie geprägt gewesen ist, die sich ihrerseits besonders stark auf den Tourismussektor ausgewirkt hat und deshalb die Chancen ungelernter Arbeitskräfte ohne soziales Netzwerk besonders verschlechtert hat. Gleiches gilt auch für das Urteil des Sächsisches Oberverwaltungsgerichts vom 27. April 2022 – 5 A 492/21 A – Juris. Die dort zu Grunde gelegten Erkenntnisse stammen aus dem Zeitraum von 2017 bis August 2021. Die neueste Erkenntnisquelle berichtet demnach über Verhältnisse, die länger als zweieinhalb Jahre zurückliegen. Auch dieser Tatsachenstoff kann wegen des Zeitablaufs und mit Blick auf das Ende der Corona-Pandemie und insbesondere die seitdem eingetretene signifikante Änderung der wirtschaftlichen Lage nicht mehr als „gebührend aktualisierte Angaben“ i.S.d. EuGH-Rechtsprechung gewertet werden.
Abschiebungsverbote liegen nicht vor, weshalb die Abschiebungsandrohung keinen Bedenken begegnet.
Gem. § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Prüfungskompetenz der Beklagten und dementsprechend auch die des Gerichts beschränken sich nur auf zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote und Abschiebungshindernisse, sodass das Gericht allein die mögliche Verletzung zielstaatsbezogener relevanter Verbürgungen der EMRK prüft. Die Richtlinie 2008/115/EG findet keine Anwendung (vgl. EuGH, Urteil vom 24.02.2021 - C-673/19 -, Juris Rn. 45).
Im Falle einer Abschiebung nach Griechenland droht keine konventionswidrige Behandlung. Dagegen streitet die im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems geltende Vermutung, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der EMRK steht. Dies gilt insbesondere bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie in dem im Rahmen des mit dieser Richtlinie eingerichteten gemeinsamen Asylverfahrens der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zum Ausdruck kommt (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. – Juris Rn. 85). Diese Vermutung wird nach dem Vorstehenden vorliegend nicht widerlegt.
Ebenso wenig greift ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ein. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Das normative Vergewisserungskonzept des Art. 16a Abs. 2 GG umfasst auch solche Gefährdungen; einer Prüfung bedarf es deshalb vor einer Aufenthaltsbeendigung in sichere Drittstaaten, wozu auch Griechenland als Mitglied der EU gehört, auch insoweit nicht (vgl. zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 –, BVerfGE 94, 49-114, Rn. 186).
Nach dem Vorstehenden kann auch der Hilfsantrag keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung: