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Entscheidung 1 AR 4/24 (SA Z)


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Zivilsenat Entscheidungsdatum 13.03.2024
Aktenzeichen 1 AR 4/24 (SA Z) ECLI ECLI:DE:OLGBB:2024:0313.1AR4.24SA.Z.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Sachlich zuständig ist das Landgericht Potsdam.

Gründe

I.

Die Klägerin hat die Beklagte aus abgetretenem Recht auf die Zahlung eines Entgelts für die Erbringung zahnärztlicher Leistungen in Höhe von 4.070,49 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Kosten in Anspruch genommen. Die Beklagte hat sich gegen die Klage verteidigt.

Das zunächst angerufene Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat durch Beschluss vom 31.5.2023 die Verbindung des Rechtsstreits mit dem Rechtsstreit 37 C 192/22 Amtsgericht Brandenburg an der Havel, der eine Hauptforderung in Höhe von 932,79 € zum Gegenstand hat, ausgesprochen. Gleichzeitig hat es darauf hingewiesen, dass seine sachliche Zuständigkeit nicht mehr gegeben sei, da der Streitwert nunmehr den Betrag in Höhe von 5.000 € übersteige; angesichts des bestehenden Sachzusammenhangs der erhobenen Forderungen sei § 506 Abs. 1 ZPO entsprechend anzuwenden, sodass beide Parteien einen Verweisungsantrag stellen könnten.

In Reaktion darauf haben sowohl die Klägerin als auch die Beklagte mit Schriftsätzen vom 2.6.2023 und 9.6.2023 die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Potsdam beantragt.

Durch Beschluss vom 11.6.2023 hat das Amtsgericht Brandenburg an der Havel den Streitwert auf 5.003,28 € festgesetzt, sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Potsdam verwiesen. Zur Begründung hat es auf den Inhalt der Beschlussfassung vom 31.5.2023 Bezug genommen.

Das Landgericht Potsdam hat sich nach Hinweisen auf Bedenken gegen seine sachliche Zuständigkeit und gegen die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses durch Beschluss vom 25.9.2023 ebenfalls für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Brandenburg an der Havel zurückverwiesen.

Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat durch Verfügung vom 18.12.2023 die Sache dem Senat zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.

II.

Auf die Vorlage durch das Amtsgericht Brandenburg an der Havel ist die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts Potsdam für den Rechtsstreit auszusprechen.

1. Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO durch das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden, da die am Gerichtsstandsbestimmungsverfahren beteiligten Gerichte sich in seinem Bezirk befinden.

2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6, der auch für die sachliche Zuständigkeit gilt (Zöller/Schultzky, ZPO, 35. Aufl., § 36, Rn. 4), liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Brandenburg an der Havel als auch das Landgericht Potsdam haben sich im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt, und zwar Ersteres durch den Verweisungsbeschluss vom 11.6.2023 und Letzteres durch die Beschlussfassung über die Zurückverweisung des Rechtsstreits vom 25.9.2023. Beide Entscheidungen genügen den Anforderungen, die an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es dafür allein darauf ankommt, dass eine den Parteien bekanntgemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (statt vieler: Senat, NJW 2004, 780; Zöller/Schultzky, ZPO, a. a.O., § 36, Rn. 34 f.).

3. Sachlich zuständig ist das Landgericht Potsdam.

Seine Zuständigkeit folgt aus der Bindungswirkung des Beschlusses des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 11.6.2023 nach § 281 Abs. 2 ZPO. Aufgrund dieser klaren gesetzlichen Regelung kann die Bindungswirkung nur ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-)Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfallen. Im Interesse einer baldigen Klärung und Vermeidung wechselseitiger (Rück-)Verweisungen ist die Willkürschwelle dabei hoch anzusetzen. Einfache Rechtsfehler, wie etwa das Übersehen einer die Zuständigkeit begründenden Rechtsnorm, rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung grundsätzlich nicht. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzwidrig oder grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (BGH, Beschluss vom 17.5.2011, X ARZ 109/11, zitiert nach juris; Senat JMBl. 2007, 65, 66; NJW 2006, 3444, 3445; 2004, 780; eingehend ferner: Tombrink, NJW 2003, 2364 f.; jeweils m. w. N.).

Den derart zu konkretisierenden Einschränkungen der Bindungswirkung hält der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 11.6.2023 – noch – Stand.

Der Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör ist beachtet worden, nachdem das Amtsgericht Brandenburg an der Havel die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Potsdam auf die wechselseitigen Verweisungsanträge der Parteien vom 2.6.2023 und 9.6.2023 ausgesprochen hat. Im Lichte des zum Ausdruck gebrachten beiderseitigen Einverständnisses mit der Verweisung hätte sich eine – erneute – Anhörung zum jeweiligen Verweisungsantrag der gegnerischen Prozesspartei in einer bloßen Förmelei erschöpft, die dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel nicht abzuverlangen gewesen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 8.8.2019, 1 AR 23/19 (SA Z); Beschluss vom 25.2.2016, 1 (Z) SA 2/16).

Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel entbehrt auch nicht jeglicher gesetzlicher Grundlage. Er steht im rechtlichen Ausgangspunkt im Einklang mit der gesetzlichen Regelung in §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG, nach der für Streitigkeiten über Ansprüche, deren Gegenstand an Geld oder Geldeswert die Summe von 5.000 € übersteigt, die Zuständigkeit des Landgerichts gegeben ist.

Ein Entfallen der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses vom 11.6.2023 kann nicht daraus hergeleitet werden, dass in der Rechtsprechung (OLG Rostock, Beschluss vom 30.1.2018, 4 UH 5/17, zitiert nach juris; KG, Beschluss vom 5.1.2017, 2 AR 61/16, zitiert nach juris; OLG Hamm, Beschluss vom 24.7.2017, 32 SA 42/17, zitiert nach juris; Beschluss vom 13.9.2013, 32 SA 65/13, zitiert nach juris) und im Schrifttum (Zöller/Greger, a. a. O., § 147, Rn. 17; MünchKomm./Fritsche, ZPO, 6. Aufl., § 147, Rn. 11; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 20. Aufl., § 147, Rn. 6; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, 23. Aufl., § 147, Rn. 26; Prütting/Gehrlein/Dörr, ZPO, 13. Aufl., § 147, Rn. 6; vgl. auch: Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 44. Aufl., § 147, Rn. 10; Zimmermann, ZPO, 10. Aufl., § 147, Rn. 2) weit überwiegend vertreten wird, dass die nachträgliche Verbindung von Rechtsstreiten eine zuvor gegebene Zuständigkeit des Amtsgerichts nicht berührt, wenn nicht die klagende Partei erkennbar durch eine willkürliche Zerlegung eines Gesamtanspruchs in mehrere Verfahren die Zuständigkeit des Amtsgerichts hat erschleichen wollen. Dabei kann dahinstehen, ob – wofür aus der Sicht des Senats überwiegendes spricht – dem zu folgen ist. Denn es wird, wenn auch vereinzelt, auch die vom Amtsgericht Brandenburg an der Havel vertretene analoge Anwendung des § 506 Abs. 1 ZPO befürwortet (AG Neukölln, Beschluss vom 21.2.2005, 19 C 244/03, zitiert nach juris; BeckOK/Toussaint, ZPO, Stand 1.12.2023, § 506, Rn. 8.1; Lappe NJW 2006, 270, 271), was die Sichtweise des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel als nicht willkürlich erscheinen lässt. Ebenso vermag die Abweichung von der herrschenden Meinung den Vorwurf der Willkür nicht zu begründen, weil dem deutschen Recht eine präjudizielle Wirkung fremd ist (BGH, Beschluss vom 10.6.2003, X ARZ 92/03, zitiert nach juris; Beschluss vom 9.7.2002, X ARZ 110/02, zitiert nach juris; Zöller/Greger, a. a. O., § 281, Rn. 17). Soweit in der Rechtsprechung (OLG Rostock a. a. O.; OLG Hamm a. a. O.; OLG Schleswig, Beschluss vom 25.11.2009, 2 WF 164/09, zitiert nach juris) gefordert wird, dass in solchen Fällen sich das verweisende Gericht mit der entgegenstehenden Ansicht auseinandersetzen habe, ist dies – noch – hinreichend in den Hinweisen des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 31.5.2023, auf die im Verweisungsbeschluss vom 11.6.2023 ausdrücklich Bezug genommen worden ist, geschehen. Denn die dort angestellte Erwägung zur analogen Anwendung des § 506 Abs. 1 ZPO setzt das Bewusstsein des Gerichts voraus, dass abseits dessen die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Potsdam nicht möglich gewesen ist. Dass das Amtsgericht Brandenburg an der Havel dabei nicht die entgegenstehende herrschende Meinung dargestellt und zitiert hat, ändert dabei nichts daran, dass es sich mit der grundsätzlich fehlenden Möglichkeit der Verweisung auseinandergesetzt hat und im Ergebnis seiner Rechtsprüfung zu einem nicht völlig unvertretbaren Ergebnis gelangt ist.

Neben alledem steht der Annahme einer Willkür auch entgegen, dass die Parteien des Rechtsstreits in den Schriftsätzen vom 2.6.2023 und 9.6.2023 übereinstimmend und vorbehaltlos die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Potsdam beantragt haben (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 24.7.2017, 32 SA 42/17, zitiert nach juris; a. A.: Zöller/Greger, a. a. O., § 281, Rn. 17).

Demgemäß hat es unter dem Gesichtspunkt der sachlichen Zuständigkeit bei der Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Potsdam zu verbleiben.