Gericht | LG Neuruppin | Entscheidungsdatum | 02.11.2022 | |
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Aktenzeichen | 3 O 109/22 | ECLI | ECLI:DE:LGNEURU:2022:1102.3O109.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Beschränkt auf die Rechtsverfolgung hinsichtlich des Antragsgegners zu 1. wird dem Kläger für den ersten Rechtszug
Prozesskostenhilfe
bewilligt (§§ 114, 119 Abs. 1 ZPO).
Die Bewilligung erfolgt ohne Anordnung von Zahlungen.
Als Prozessbevollmächtigter wird Rechtsanwalt … beigeordnet (§§ 121 Abs. 1, 121 Abs. 3 ZPO).
Im Hinblick auf die Antragsgegner zu 2. und 3. fehlt es derzeit an der erforderlichen Entscheidungsreife, da der PKH_Antrag diese beiden Antragsgegnern mangels zustellungsfähiger Adresse bislang nicht übersandt werden konnte.
Im Hinblick auf die Antragsgegnerin zu 4. wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt (§ 114 ZPO).
Die beantragte Prozesskostenhilfe war in der ausgesprochenen Form teilweise im genannten Umfang zu bewilligen.
I. Gründe zu wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen
Der Kläger ist nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Raten oder Einmalzahlungen aus dem Vermögen oder Einkommen sind dem Kläger nach den getroffenen Feststellungen nicht möglich.
II. Allgemeine Gründe
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung erscheint hinsichtlich des Umfangs der Bewilligung nicht mutwillig und bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg (§§ 114, 119 Abs. 1 ZPO).
Hinsichtlich der Antragsgegnerin zu 4. war der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen.
Die beabsichtigte Prozessführung bietet nach dem bisherigen Vorbringen des Antragstellers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Antragsgegnerin zu 4. ist nicht zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verpflichtet.
Zum einen stellt sich bereits die Frage, ob ein Anspruch, der sich aus dem vom Antragsteller behaupteten Aufsichtsversäumnis ergeben würde, wegen der Haftungsverlagerung nach Art. 34 S. 1 GG überhaupt gegen die Antragsgegnerin zu 4. zu richten wäre (vgl. KG Berlin 14.07.97 22 U 1611/96, juris Rn. 13).
Die Antragsgegner zu 1. – 3. waren aufgrund eines Unterbringungsbeschlusses des Amtsgerichts … in der Einrichtung der Antragsgegnerin zu 4. untergebracht. Hierbei könnte es sich um eine hoheitliche Maßnahme handeln, für die sich das Land Berlin der Antragsgegnerin bediente und für deren Handeln es gem. § 839 Abs. 1 BGB, Art. 34 S. 1 GG einzustehen haben könnte (Grüneberg/Sprau, § 839 BGB, Rn. 20).
Ob vorliegend die Ersatzpflicht der Antragsgegnerin zu 4. nach den Grundsätzen der Amtshaftung zu beurteilen und die Haftung damit bereits an der Passivlegitimation scheitert, bedarf vorliegend keiner abschließenden Prüfung, weil die Antragsgegnerin auch nach den ggf. ersatzweise greifenden §§ 832 Abs. 2, 823 Abs. 1 und 2 BGB nicht zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verpflichtet ist.
Eine Aufsichtspflichtverletzung i.R.d. §§ 832 Abs. 2, 823 Abs. 1 BGB ist vorliegend nicht ersichtlich.
Bei einer Unterbringung gem. §§ 71 Abs. 2, 72 Abs. 4 JGG erfolgt vordergründig eine Sicherung der Durchführbarkeit des anstehenden Strafverfahrens durch pädagogische Betreuung, wobei das Risiko zur Flucht des Beschuldigten nicht ausgeschlossen werden kann und muss. Das gilt selbst dann, wenn eine Jugendstrafe erwartet wird (vgl. BeckOK, § 71 JGG, 26. Aufl., Rn. 13, Kölbel/Eisenberg, § 71 JGG, 23. Aufl., Rn. 10a jew. m.w.N.).
Es handelt sich bei dieser Art der Unterbringung gerade nicht um eine etwaige „ersatzweise Untersuchungshaft“, die vom Gericht angeordnet wird. Die Unterbringung der Antragsgegner zu 1. – 3. in der Jugendhilfeeinrichtung sollte vielmehr der Vermeidung der Untersuchungshaft und damit eines Einsperrens dienen. Insofern ist auch zu beachten, dass die konkrete Augsgestaltung der Unterbringung dem jeweiligen Jugendhilfeheim überlassen wird; das die Unterbringung anordnende Gericht hat hierauf keinen Einfluss, vgl. § 71 Abs. 2 S. 3 JGG.
Hieraus ergibt sich, dass die Antragsgegner zu 1. – 3. nicht während der gesamten Dauer ihres Aufenthalts in der Jugendhilfeeinrichtung uneingeschränkt in Gewahrsam gehalten und beobachtet werden mussten.
Hinzu kommt, dass es sich bei der Antragsgegnerin um eine offene Jugendhilfeeinrichtung handelt, bei der die örtlichen Gegebenheiten und das Betreuungskonzept mithin von vornherein nicht dafür ausgelegt sind, die Jugendlichen ununterbrochen in der Einrichtung zu überwachen und/oder dort (fest-) zu halten.
Insofern kann von einer Aufsichtspflichtverletzung und Ersatzpflicht nicht ausgegangen werden, weil die Antragsgegnerin zu 4. keine dahingehend bestehende Überwachungspflicht traf.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war daher abzulehnen.