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gesunder, arbeitsfähiger Mann, kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG, keine individuelle Gefahr wegen innerstaatlichen bewaffneten Konflikts, mangels eines Akteurs fallen die sozio-ökonomischen Bedingungen nicht unter § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, Non-liquet bezüglich persönlicher Umstände geht zu Lasten des Klägers, Somalia, Unglaubwürdigkeit


Metadaten

Gericht VG Cottbus 5. Kammer Entscheidungsdatum 01.02.2024
Aktenzeichen VG 5 K 256/22.A ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2024:0201.5K256.22.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Wegen der Kosten ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger, eigenen Angaben zufolge somalischer Staatsbürger, erstrebt internationalen Schutz, jedenfalls Abschiebungsverbote hinsichtlich Somalias.

Nachdem der am 23. April 2015 in der Schweiz gestellte Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 4. Oktober 2016 abgelehnt worden sowie das anschließende Rechtsmittelverfahren erfolglos geblieben waren, stellte er am 3. Mai 2017 in Frankreich einen weiteren Asylantrag und wurde in die Schweiz überstellt. Von da aus reiste er am 20. November 2017 ins Bundesgebiet ein und stellte vertreten durch einen Amtsvormund am 15. August 2018 abermals einen Asylantrag.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) zog den durch das Schweizer Staatssekretariat für Migration für den Kläger angelegten Asylvorgang bei. Ausweislich des Protokolls der Befragung zur Person am 19. Mai 2015 gab der Kläger dort an, am 4_____ 1997 in Somalia geboren zu sein. Sein Geburtsort sei das Dorf D____ in der Provinz G____. Als Kleinkind sei er mit seiner Familie nach Äthiopien umgesiedelt, wo er in J____ aufgewachsen sei. Er gehöre der Ethnie der Ogaden an und habe die äthiopische Staatsangehörigkeit. Nach Somalia sei er nie zurückgekehrt. Im November 2014 habe er J____ verlassen, wo er bis dahin in einem Mietshaus mit seiner Mutter und zwei Schwestern gelebt habe. Seine Mutter habe den Lebensunterhalt mit Verkauf von Kohle auf dem Markt bestritten. Äthiopien habe er verlassen, weil ihn die äthiopischen Soldaten gegen Ende 2013 verhaftet hätten und drei Monate lang im Gefängnis in J____ festgehalten hätten. Der Grund für seine Verhaftung sei gewesen, dass er dort illegal gewesen sei. In Äthiopien habe er sich weder politisch betätigt, noch Probleme mit staatlichen Stellen gehabt.

Der Kläger legte dem Schweizer Staatssekretariat für Migration ferner ein Zertifikat des äthiopischen Bildungsministeriums über eine universitäre Eingangsprüfung vom Juli 2013 und eine Prüfungsurkunde der äthiopischen Nationalagentur für Prüfungen über das Ablegen einer Prüfung bei einer Stelle der äthiopischen Sekundärbildung vom August 2011 vor.

In den Akten ist ferner das Urteil des Schweizerischen Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2017 enthalten, mit welchem die Klage des Klägers gegen die Ablehnung seines Asylgesuchs zurückgewiesen wurde.

Seinem Asylgesuch gegenüber dem Bundesamt fügte der Kläger eine Bescheinigung der somalischen Botschaft in Berlin vom 19. September 2018 bei, mit der ihm bestätigt wird, dass er am 2_____ 2000 in T____ geboren und somalischer Staatsbürger sei.

In seiner Anhörung am 15. Januar 2019 gab der Kläger beim Bundesamt an, zur Ausstellung der Bescheinigung durch die somalische Botschaft in Berlin dort keine Dokumente vorgelegt zu haben. Die Botschaftsangehörigen hätten ihm lediglich Fragen gestellt und danach die Bescheinigung ausgestellt. In der Schweiz habe man ihm unterstellt, dass er aus Äthiopien komme, weshalb er notgedrungen für Äthiopien eine Verfolgungsgeschichte habe erfinden müssen. In Wahrheit sei er in T____ geboren und bis kurz vor der Ausreise aufgewachsen. Er habe die Stadt bis zur Ausreise nie verlassen. Somalia habe er verlassen, weil er auf dem Weg zur Koranschule mehrfach von Al-Schabaab-Milizionären befragt und aufgefordert worden sei, sich ihnen anzuschließen. Aus Sorge vor Zwangsrekrutierung, wie sie schon bei seinem älteren Bruder vorgekommen sei, habe ihn seine Mutter zu einer Familie gebracht, wo er nach einem kurzen Aufenthalt zusammen mit dieser Familie aufgebrochen sei, um Somalia zu verlassen.

Das Bundesamt lehnte den Asylantrag als Zweitantrag ab, hob diesen Bescheid aber infolge des Urteils des EuGH vom 20. Mai 2021 (C-8/20) auf.

Mit Bescheid vom 4. Februar 2022 lehnte das Bundesamt den Asylantrag zur Sache umfänglich ab, verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes, drohte dem Kläger die Abschiebung nach Somalia an und verhängte ein auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot. Zur Begründung führte das Bundesamt u. a. aus, dass die Angaben des Klägers zu seiner Vorverfolgung unglaubhaft seien. Wegen der übrigen Erwägungen wird den angefochtenen Bescheid Bezug genommen.

Mit seiner am 28. Februar 2022 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Verpflichtungsbegehren weiter.

Zur Begründung wiederholt er seine Ausführungen aus dem behördlichen Verfahren und ergänzt, dass seine Angaben gegenüber dem Bundesamt trotz anderslautenden Vorbringens gegenüber den Schweizer Behörden glaubhaft seien. Schließlich beruft er sich hinsichtlich der Abschiebungsverbote auf das Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 30. November 2023 (4 B 8/22).

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. Februar 2022 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen,

hilfsweise die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des vorgenannten Bescheides zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz zuzuerkennen,

weiter hilfsweise die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des vorgenannten Bescheides zu verpflichten, zu seinen Gunsten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes hinsichtlich Somalias festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge Bezug genommen. Sämtliche Akten wurden zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG sowie der beantragten Zuerkennung des subsidiären Flüchtlingsschutzes nach § 4 AsylVfG ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Diese Ansprüche stehen dem Kläger nicht zu.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.

Das Gericht muss sich die für seine Entscheidung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene Überzeugungsgewissheit verschaffen, die auch in Asylstreitsachen in dem Sinne bestehen muss, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit - und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit - des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangt hat. Soweit wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylbewerber insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, für diese Vorgänge in der Regel Glaubhaftmachung genügt, ist damit nicht gemeint, dass der Richter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben sein sollte, und erst recht nicht, dass eine Glaubhaftmachung im engeren Sinne gemäß den prozessualen Vorschriften des § 294 ZPO in Verbindung mit § 173 VwGO ausreichend sein sollte. Ausgangspunkt ist vielmehr der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (BVerwGE 71, 180ff. unter Verweis auf BGHZ 53, 245/256). Darüber hinaus berücksichtigt diese Rechtsprechung die besondere Beweisnot des nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsprozessrechts mit der materiellen Beweislast hinsichtlich der guten Gründe für seine Verfolgungsfurcht beschwerten Asylsuchenden, indem sie den Tatsachengerichten nahelegt, dessen eigenen Erklärungen größere Bedeutung beizumessen, als dies meist sonst in der Prozesspraxis bei Bekundungen einer Partei der Fall ist, und den Beweiswert seiner Aussage im Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen. Die Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings bestehen - häufig - im Fehlen der üblichen Beweismittel. In der Regel können unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu. Zur Asylanerkennung kann schon allein der Tatsachenvortrag des Asylsuchenden führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne "glaubhaft" sind, dass sich das Tatsachengericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann. Dem Klagebegehren darf jedenfalls nicht mit der Begründung der Erfolg versagt werden, dass neben der Einlassung des Asylbegehrenden keine Beweismittel zur Verfügung stünden. Der Richter ist aus Rechtsgründen schon allgemein nicht daran gehindert, eine Parteibehauptung ohne Beweisaufnahme als wahr anzusehen (BGH LM § 286 <C> ZPO Nr. 64); das gilt für das Asylverfahren mit seinen typischen Schwierigkeiten, für das individuelle Schicksal des Asylsuchenden auf andere Beweismittel zurückzugreifen, in besonderem Maße. Einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO wird der Richter hierdurch jedoch nicht enthoben. Das Fehlen von Beweismitteln mag die Meinungsbildung des Tatsachengerichts erschweren, entbindet es aber nicht davon, sich eine feste Überzeugung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu bilden. Dies muss - wenn nicht anders möglich - in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Kläger glaubt (vgl. zum Ganzen BVerwGE 71, 180 ff.). Um sich die Überzeugung von der Wahrheit einer Tatsachenbehauptung zu verschaffen, kann das Gericht Vernehmungsprotokolle aus dem behördlichen Verfahren heranziehen (BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 2002 – 1 B 392.01 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259 = NVwZ 2002, 1381f.).

Wegen gravierender Widersprüche und erheblicher Ungereimtheiten ist dem klägerischen Vorbringen nicht nur jede Glaubhaftigkeit abzusprechen (vgl. zu diesem Maßstab BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 2002 – 1 B 39.01 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259), sondern auch dem Kläger jede Glaubwürdigkeit.

Dies gilt schon deshalb, weil er gegenüber den Schweizer Behörden unter einer anderen Identität aufgetreten ist und eine schon dort hinsichtlich von Schlüsselereignissen mehrfach geänderte Verfolgungsgeschichte unterbreitet hat, die von derjenigen, die er dem Bundesamt geschildert hat vollständig abweichen. Sein Versuch, diese Täuschung zu erklären, bleibt ohne Erfolg.

Der Kläger wurde in der Schweiz mehrfach angehört. Am 19. Mai 2015 wurde er zu seinen persönlichen Daten, und am 24. Juni sowie am 16. August 2016 zu seiner Verfolgungsgeschichte angehört. Bereits seine Angaben in der ersten Anhörung am 19. Mai 2015 waren widersprüchlich. Dort gab er an in Somalia geboren zu sein. Als seinen Geburtsort nannte er indes das Dorf D____ in der äthiopischen Provinz G____. In derselben Anhörung gab er an, äthiopischer Staatsbürger zu sein und Somalia nur deshalb auf seinem Personaldatenblatt vermerkt zu haben, weil Somali seine Muttersprache sei. Im Übrigen gehöre er der Ethnie der Ogaden und dem Subclan Rer Abdulle, Subsubclan Ugas Nur an. In der Anhörung am 16. August 2016 wurde der Kläger erneut auf seine Herkunft angesprochen. Daraufhin bestritt er, sich jemals als Äthiopier ausgegeben zu haben, um später zu behaupten, dass er doch aus Äthiopien, nämlich aus der Region S____ stamme. Zum Beleg seiner Herkunft legte der Kläger mehrere Zeugnisse äthiopischer Bildungseinrichtungen vor. Im Rahmen des in der Schweiz anhängig gemachten Klageverfahrens hielt der Kläger an seiner Identität, insbesondere an seiner äthiopischen Staatsangehörigkeit und seiner Herkunft fest.

In Deutschland behauptete der Kläger in der Anhörung am 15. August 2018, in T____ geborener somalischer Staatsbürger zu sein und dem Clan Hawaadle anzugehören. Hier gab er auch an, außer einer Koranschule nie eine Schule besucht zu haben. Anders als in der Schweiz, wo er sein Geburtsdatum mit dem 4. Mai 1997 angab und diese Angabe sowie seine Volljährigkeit auch auf Nachfrage bestätigte, behauptete er vor dem Bundesamt unter Vorlage einer von der Somalischen Botschaft ausgestellten Bescheinigung, am 20. August 2000 geboren zu sein.

Bereits diese Täuschung über seine Identität erschüttert die Glaubwürdigkeit des Klägers durchgreifend. Soweit er diese Täuschung, wobei die in Deutschland behauptete Identität der Wahrheit entsprechen soll, zu rechtfertigen versucht, überzeugt dies nicht ansatzweise. Dies gilt schon deshalb, weil der Kläger die Gründe, die er für die Täuschung der Schweizer Behörden behauptet, austauscht.

Zunächst behauptet der Kläger in der Anhörung vor dem Bundesamt am 15. Januar 2019, dass ihm die Schweizer Behörden unterstellt hätten, Äthiopier zu sein, nachdem er erwähnt habe, u.a. über Äthiopien ausgereist zu sein. Darauf sei er dann mit frei erfundenen Verfolgungsgeschichten eingegangen. Vor Gericht schildert der Kläger seine Beweggründe für die Täuschung anders. Nunmehr will er – anders als in der Anhörung vor dem Bundesamt – nicht auf eine angeblich tendenziöse Haltung der Schweizer Behörden reagiert haben. Vielmehr habe er von sich aus mit der Täuschung verhindern wollen, dass er nach Somalia abgeschoben werde. Soweit der Kläger in der Klagebegründung von Verwirrung spricht, lässt sich dies mit der dort zeitgleichen Vorlage von Zeugnisurkunden schwerlich vereinbaren. Sollte es sich um Fälschungen handeln, würde ihre Erstellung und Verwendung ein hohes Maß an Zielgerichtetheit und Planung offenbaren. Wenn der Kläger behauptet, dass er nicht mehr wisse, wie und wer diese angeblich gefälschten Zeugnisse erstellt habe, ist dies schlicht lebensfremd.

Überdies sind die Erklärungsversuche nicht stichhaltig, sie belegen vielmehr seinen Hang zu verfahrensangepasstem Vortrag.

Soweit der Kläger in der Anhörung vor dem Bundesamt am 15. Januar 2019 behauptet, dass ihm die Schweizer Behörden unterstellt hätten, Äthiopier zu sein, nachdem er erwähnt habe, u.a. über Äthiopien ausgereist zu sein, ist dies unwahr. Dies widerspricht bereits dem Protokoll über die erste Anhörung in der Schweiz am 19. Mai 2015, dessen Richtigkeit der Kläger nach Rückübersetzung ins Somalische damals bestätigt und zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt hat und an dessen Richtigkeit auch seitens des Gerichts keine Zweifel bestehen. Danach gab der Kläger von sich aus an, in „Somalia“, im Dorf D____, innerhalb der Provinz G____ geboren und seit der Geburt äthiopischer Staatsbürger zu sein. Sollte mit „Somalia“ die Bundesrepublik Somalia gemeint sein, wären diese Angaben widersprüchlich, weil der Verwaltungsbezirk G____ innerhalb der äthiopischen Provinz Somali liegt. Näher liegt also anzunehmen, dass mit „Somalia“ die äthiopische Provinz Somali, die weit überwiegend von ethnischen Somaliern bewohnt wird, gemeint war. Zu seinen Aufenthalten befragt gab der Kläger damals anschließend an, bis zum 3. oder 4. Lebensjahr in dem Dorf D____ und danach bis zur Ausreise in J____, der Hauptstadt der äthiopischen Provinz S____, gelebt zu haben. Keine der klar formulierten und offen gestellten Fragen lassen auch nur ansatzweise die Tendenz erkennen, dass der Kläger dazu gedrängt werden sollte, wahrheitswidrig die äthiopische Identität anzugeben. Im Übrigen ist dem Anhörungsprotokoll der vom Kläger behauptete Anlass für die Unterstellung der äthiopischen Identität nicht zu entnehmen. An keiner Stelle wird dort eine Behauptung wiedergegeben, dass der Kläger sich in Äthiopien nur für zwei Wochen auf der Durchreise befunden hat. Vielmehr gab der Kläger dort an, seine Reise nach Europa unmittelbar von Äthiopien aus angetreten zuhaben.

Soweit der Kläger vor dem Bundesamt behauptet hat, dass man ihm in der Schweiz keine Chance gegeben habe, seine wahre Identität zu offenbaren, trifft auch dies nicht zu. An der von der ersten Anhörung an behaupteten Identität hielt der Kläger auch auf Nachfragen in den folgenden Anhörungen und sogar im gerichtlichen Verfahren fest. Spätestens vor Gericht bestand Gelegenheit, die wahre Identität zu offenbaren.

Wenn der Kläger die angeblich unwahren Angaben in der Schweiz auf sein jugendlichen Alter zurückzuführen will, dringt er damit nicht durch. Es spricht nämlich Überwiegendes dafür, dass der Kläger bereits damals volljährig war und sein in Deutschland angegebenes Geburtsdatum (20. August 2000) falsch ist. So gab er in der Schweiz den 4. Mai 1997 als sein Geburtsdatum an und bezeichnete sich schon in der ersten Anhörung am 19. Mai 2015 auch auf ausdrückliches Befragen als volljährig. Für die Volljährigkeit des Klägers schon bei der Asylantragstellung in der Schweiz spricht auch das dort eingeholte radiologische Gutachten vom 28. April 2015, das sein Alter auf mindestens 19 Jahre schätzte. Diese gutachterliche Aussage wird durch das später am 18. Januar 2018 in Bremen erstellte odonthologisch-röntgendiagnostische Gutachten nicht erschüttert. Das Gutachten beschränkt sich lediglich auf die Aussage, dass der Kläger „zur Untersuchungszeit nicht mit sehr großer Wahrscheinlichkeit über 18 Jahre alt ist“, was den Hinweis impliziert, dass eine große Wahrscheinlichkeit für ein Alter über 18 Jahre durchaus gegeben ist.

Nichts Anderes folgt schließlich daraus, dass das vorgelegte, von der Somalischen Botschaft in Berlin ausgestellte Dokument dem Kläger eine andere Identität bescheinigt. In Somalia existieren nämlich nach 30 Jahren Konflikt und einem fast gänzlichen Staatszerfall keine Register. Die Bestätigung der Echtheit einer Urkunde erlaubt deshalb keine Rückschlüsse auf deren inhaltliche Richtigkeit. Für Somalier ist es einfach, echte Dokumente unwahren Inhalts zu besorgen (Auswärtiges Amt, Lagebericht Somalia, Stand: Mai 2022, Seite 25f). Dem steht die gesetzliche Beweisregel des § 418 Abs. 3 ZPO nicht entgegen. Diese Vorschrift betrifft die Reichweite der Beweiskraft öffentlicher Urkunden – auch ausländischer öffentlicher Urkunden i.S.v. § 438 ZPO – und bestimmt, dass Urkunden, die nicht den in den §§ 415, 417 ZPO bezeichneten Inhalt haben, grundsätzlich nur dann den vollen (materiellen) Beweis erbringen, wenn die bezeugten Tatsachen von der Behörde oder Urkundsperson selbst wahrgenommen wurden oder wenn eigene Handlungen der Behörde oder Urkundsperson bezeugt werden (vgl. Stein/Jonas/Leipold, a.a.O., § 418 Rn. 5). Wenn sich die materielle Beweiskraft einer Urkunde nicht auf das Beweisthema (hier: Name, Geburtsdatum und –ort des Antragstellers) erstreckt, hat das Gericht in freier Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zu erwägen, ob die Erklärung der Wahrheit entspricht (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Juli 2011 – OVG 2 N 82.09 – Juris Rn. 5). Der Kläger gab selbst an, dass er gegenüber der Botschaft keine Dokumente vorgelegt habe, sondern die Bescheinigung auf seine Angaben hin ausgestellt worden sei. Auf andere Quellen als die persönlichen Behauptungen des Klägers kann das Personal der Somalischen Botschaft nach der vorstehend zitierten Auskunft des Auswärtigen Amtes auch nicht zurückgreifen. Damit vermag diese „auf Zuruf“ erstellte Bescheinigung die Identität des Klägers nicht zu verifizieren. Ihr kommt keine größere Richtigkeitsgewähr als den eigenen Behauptungen des Klägers zu.

Lassen nach alledem schon die Angaben zu seiner Identität den Kläger unglaubwürdig erscheinen, wird dieser Eindruck durch sein weiteres Vorbringen vor dem Bundesamt und vor Gericht zusätzlich verstärkt.

Nachdem der Kläger sämtliche in der Schweiz ausgestellten Dokumente im Zug als verloren gemeldet hat, nahm er offenbar an, dass seine in der Schweiz gemachten Angaben nicht überprüft werden können, und gab zu Beginn der ersten Anhörung vor dem Bundesamt am 15. August 2018 an, zur Stützung seines jetzt in Deutschland gestellten Asylantrages die gleichen Gründe wie in der Schweiz geltend zu machen. Bereits dies entsprach nicht der Wahrheit. In der Schweiz hat sich der Kläger auf Verhaftungen und Folter durch äthiopische Sicherheitskräfte in Äthiopien berufen. Im weiteren Verlauf dieser Anhörung vor dem Bundesamt machte er gänzlich andere Gründe geltend. Nunmehr behauptete der Kläger, in Somalia der Gefahr ausgesetzt gewesen sein, wie schon sein älterer Bruder von Al-Schabaab zwangsweise rekrutiert zu werden. Dieser Gefahr habe er sich durch Flucht entzogen.

Widersprüchlich sind auch seine Angaben zu seinen Familienverhältnissen. Vor dem Bundesamt gab er an, dass sein Vater kurz weg gewesen und zu diesem Zeitpunkt gestorben sei. Er sei nicht in Somalia in ihrem Heimatort gestorben. Vor Gericht behauptet der Kläger, dass sein Vater im örtlichen Krankenhaus in T____, also in ihrem Heimatort, verstorben sei.

Auch sein Vorbringen zu den fluchtauslösenden Schlüsselereignissen divergiert. So berichtete der Kläger vor dem Bundesamt von insgesamt vier Begegnungen mit Al-Schabaab-Milizionären. Bei den ersten beiden Begegnungen seien die Männer unbewaffnet gewesen. Erst beim dritten Mal hätten sie Waffen getragen. Vor Gericht behauptet der Kläger auch auf mehrfache Nachfrage, dass die Al-Schabaab-Milizionäre bei jedem der vier Treffen bewaffnet gewesen seien.

Als Steigerung nimmt sich schließlich sein Vorbringen zu der Situation seines Clans aus. Vor dem Bundesamt erwähnt der Kläger nicht ansatzweise, dass der Alltag seiner Clanangehörigen von Diskriminierungen durch andere Clans geprägt war. Vielmehr gab er dort an, dass T____ der Siedlungsschwerpunkt seines Clans sei. Deshalb sei es für ihn schwierig umzuziehen. Erst im gerichtlichen Verfahren macht er Unterdrückung durch andere Clans geltend.

Ist dem Vorbringen zur Vorverfolgung mangels Glaubwürdigkeit des Klägers kein Glauben zu schenken, kann zu seinen Gunsten keine Vorverfolgung anzunehmen.

Für eine beachtliche Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrelevanter Verfolgung i.S.d. ist nicht ersichtlich.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 AsylG.

Subsidiärer Schutzstatus wegen der schlechten humanitären Lage in Somalia scheidet aus. Dies gilt selbst dann, wenn die humanitären Bedingungen in seinem Heimatland für ihn wegen seiner persönlichen Lebensumstände derart widrig sein sollten, dass eine Rückführung nach Somalia eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellte. Es fehlt jedenfalls an einem Akteur im Sinne von § 4 Abs. 3 in Verbindung mit § 3c AsylG, von dem zielgerichtet eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ausgeht (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. November 2023 – 4 B 8.22 – Juris Rn. 30).

Dem unverfolgt ausgereisten Kläger steht auch auf der Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG kein subsidiärer Schutz zu.

Danach gilt als ernsthafter Schaden auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Mit dieser – die Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU umsetzenden – dritten Fallgruppe erfasst der subsidiäre Schutz Gefahrenlagen in Bezug auf das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, die im Rahmen von bewaffneten Konflikten entstehen und nach der Grundkonzeption der Genfer Flüchtlingskonvention für sich genommen nicht als Verfolgung zu qualifizieren sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 – 1 C 11.19 - Buchholz 402.251 § 4 AsylG Nr 1 = Juris Rn. 16; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. November 2023 – OVG 4 B 8.22 – Juris Rn. 36).

Für die Frage, welche Region als Zielort seiner Rückkehr anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Zielort der Abschiebung ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, Urteil vom 14.7.2009 – 10 C 9.08 – Juris Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 17.2.2009 – C-465/07 [Elgafaji]; BVerwG, Urteil vom 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12, LS 1 und Rn. 13/14; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – Juris = Asylmagazin 2016, 29; BayVGH, Urteil vom 17.7.2018 – 20 B 17.31659 – Juris Rn. 25; VG Würzburg, Urteil vom 13. November 2020 – W 9 K 19.32033 – Juris Rn. 51).

In Fällen, in denen – wie hier mangels jeder Glaubwürdigkeit – die Herkunftsregion unklar bleibt, muss sich der Kläger auf sichere Landesteile wie etwa Somaliland verweisen lassen (vgl. VG München, Urteil vom 4. Mai 2021 – M 11 K 18.33548 – Juris Rn. 22).

In Somaliland besteht bereits kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt (VG München, Urteil vom 4. Mai 2021 – M 11 K 18.33548 – Juris Rn. 22; VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 13. Januar 2021 – A 1 K 6530/18 – Juris; VG Würzburg, Urteil vom 13. November 2020 – W 9 K 19.32033 – Juris; VG München, Urteil vom 22. Dezember 2020 – M 11 K 17.43380 – Juris; Online-Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 25. April 2021, „Das Wunder von Somaliland“). Der Kläger kann auf Somaliland verwiesen werden, ohne dass die einschränkenden Voraussetzungen des § 3e AsylG vorliegen müssen. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob er dorthin sicher und legal reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

Dies gilt aber auch für Zentral- und Südsomalia. Mangels gefahrerhöhender Umstände in der Person des Klägers kommt es auf die Situation eines beliebigen Zivilisten an.

Selbst bei einem Abstellen auf die Region Lower Shabelle, einer der am stärksten von Al-Schabaab betroffenen Gebiete, besteht für eine Zivilperson allein auf Grund ihrer bloßen Anwesenheit keine ernsthafte individuelle Bedrohung (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. November 2023 – 4 B 8/22 – Juris Rn. 42).

Gleiches gilt für die Hauptstadt M____. Auch insoweit lässt sich eine „ernsthafte individuelle Bedrohung“ im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bzw. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU allein auf Grund bloßer Anwesenheit nicht feststellen.

Dabei ist eine umfassende Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls, insbesondere derjenigen, die die Situation des Herkunftslands des Antragstellers kennzeichnen, erforderlich. Konkret können auch insbesondere die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der beteiligten Streitkräfte und die Dauer des Konflikts als Faktoren berücksichtigt werden, die bei der Beurteilung der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU zu berücksichtigen sind, ebenso wie andere Gesichtspunkte, etwa das geografische Ausmaß der Lage willkürlicher Gewalt, der tatsächliche Zielort des Antragstellers bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder Gebiet und die Aggression der Konfliktparteien gegen Zivilpersonen, die eventuell mit Absicht erfolgt (EuGH, Urteil vom 10. Juni 2021 - C-901/19 - Juris Rn. 42 ff.).

Die Situation in Somalia und konkret in M____ stellt sich wie folgt dar:

Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein sehr fragiler Staat. Es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind schwach und weiterhin im Aufbau befindlich. Die islamistische Al-Schabaab-Miliz kann einige ländliche Gebiete im Süden des Landes halten und stellt weiterhin die größte Bedrohung für die Sicherheit in Somalia dar. In vielen Gebieten der fünf föderalen Gliedstaaten Somalias und der Bundeshauptstadt M____ kommt es regelmäßig zu Kampfhandlungen. In den von Al-Schabaab befreiten Gebieten, zu denen auch M____ gehört, kommt es weiterhin zu Terroranschlägen durch diese islamistische Miliz. Insbesondere seit Jahresbeginn 2022 waren nahezu täglich Anschläge in Mogadischu durch Al-Schabaab zu verzeichnen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. Juni 2022). Nach der Wahl von H____ zum Präsidenten im Mai 2022 hat sich die Atmosphäre in M____ verändert, die Stadt ist ruhiger geworden, zumindest hinsichtlich der politischen Auseinandersetzungen. Al-Schabaab ist im gesamten Stadtgebiet von Mogadischu präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich. Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische. Relevante Verwaltungsstrukturen gelten als von Al-Schabaab unterwandert. Der Gruppe gelingt es nach wie vor, selbst die am besten abgesicherten Ziele in der Stadt zu erreichen. So drang ein Kommando am 23. März 2022 auf das Flughafengelände vor und tötete dort fünf Personen. In M____ betreibt Al-Schabaab nahezu eine Schattenregierung: Betriebe werden eingeschüchtert und „besteuert“ und eigene Gerichte sprechen Recht. Al-Schabaab ist in der Lage, nahezu im gesamten Stadtgebiet verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzunehmen. M____ bleibt ein Brennpunkt terroristischer Gewalt. Al-Schabaab verübt gezielte Tötungen und Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen, einige wenige Mörserangriffe und kleinere sogenannte hit-and-run-Angriffe auf Positionen von Regierungskräften am Stadtrand sowie Attentate mit Handgranaten. Die Gruppe ist zudem weiterhin in der Lage, in M____ auch größere Sprengstoffanschläge durchzuführen. Üblicherweise zielt Al-Schabaab mit Angriffen auf Sicherheitskräfte einschließlich AMISOM/ATMIS und Vertreter des Staates. Es werden auch jene Örtlichkeiten angegriffen, die von Regierungsvertretern und Wirtschaftstreibenden sowie Sicherheitskräften frequentiert werden, z. B. Restaurants, Hotels oder Einkaufszentren. Nicht alle Teile von M____ sind bezüglich Übergriffen von Al-Schabaab gleich unsicher. Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierter Ort ist kein Ziel der Al-Schabaab. Die Hauptziele von Al-Schabaab befinden sich in den inneren Bezirken: militärische Ziele, Regierungseinrichtungen und das Flughafenareal. Die Außenbezirke hingegen werden von manchen als die sichersten Teile der Stadt erachtet, da es dort so gut wie nie zu größeren Anschlägen kommt. Allerdings kommt es dort öfter zu gezielten Tötungen. Zivilisten, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von Al-Schabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden, sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt (vgl. zu Vorstehendem BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Somalia, vom 27. Juli 2022).

Das Risiko, Schaden zu erleiden, ist nicht zuverlässig abschätzbar. Zum einen ist die exakte aktuelle Einwohnerzahl von M____ nicht bekannt. Zum anderen wird nur über die Zahl der Todesopfer von Anschlägen berichtet, nicht aber auch über die Zahl der bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu berücksichtigenden Verletzten und es erfolgt auch keine Unterscheidung zwischen zivilen Opfern und Opfern auf Seiten der Al-Schabaab bzw. der Sicherheitskräfte. Nach zugänglichen Quellen und Berechnungen gab es im Jahr 2018 in B____ (Großraum M____) 489 Vorfälle mit 976 Toten und im Jahr 2019 308 Vorfälle mit insgesamt 738 Toten. Im ersten Quartal 2021 gab es 133 Todesopfer, was einer auf das gesamte Jahr 2021 gerechneten Zahl von 532 Todesfällen entspräche. Bei einer zugrunde gelegten Einwohnerzahl M____ von 1,84 (2018) bzw. 1,89 Millionen (2019) ergab sich so ein Tötungsrisiko von 1:1.885 für das Jahr 2018 und 1:2.560 für das Jahr 2019, das Risiko war 2021 geringer (Sächsisches OVG, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 5 A 78/19.A – Juris Rn. 31). Die - nicht exakt ermittelbare - Zahl ziviler Opfer des Konflikts ist nicht so hoch, dass allein deshalb schon eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson vorliegt. Die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzung ist nicht besonders hoch. Zwar gibt es quantitativ eine Vielzahl von Terroranschlägen. Deren Intensität erreicht jedoch regelmäßig nicht die Intensität militärischer Angriffe, wie sie für einen Bürgerkrieg typisch sind. Der Organisationsgrad von Al-Schabaab - der einzigen in Frage kommenden Konfliktpartei, die im Untergrund organisiert den Regierungskräften und AMISOM/ATMIS gegenüber steht - ist in M____ nicht besonders hoch, da das entsprechende Gebiet nicht mehr unter der Kontrolle von Al-Schabaab, sondern unter der Kontrolle der Regierung und von AMISOM/ATMIS steht, wenn Al-Schabaab auch - versteckt - im gesamten Stadtgebiet präsent ist und nach wie vor Anschläge durchführen kann und dies auch tut. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Atmosphäre in M____ nach der Wahl von H____ zum Staatspräsidenten am 15. Mai 2022 - zumindest hinsichtlich der politischen Auseinandersetzungen - deutlich ruhiger geworden ist. Die lange Dauer des Konflikts ist nicht gefahrerhöhend zu berücksichtigen, da Al-Schabaab vor zehn Jahren noch die Hälfte der Stadt kontrolliert hat, die gleichzeitig Schauplatz heftiger Grabenkämpfe war, und Al-Schabaab danach die Gebietshoheit in der Stadt verloren hat und seit 2014 das Leben wieder nach M____ zurückgekehrt ist und sich die Stadt unter der Kontrolle der Regierung und von AMISOM/ATMIS befindet. Gefahrerhöhend ist die sehr schlechte medizinische Versorgung in Somalia und auch in M____ zu berücksichtigen, die dazu führt, dass eventuelle Verletzungen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht oder nur unzulänglich behandelt werden können. Entscheidend gegen eine ernsthafte individuelle Bedrohung spricht, dass Al-Schabaab mit Angriffen üblicherweise auf Sicherheitskräfte und Vertreter des Staates („officials“) zielt und auch jene Örtlichkeiten angegriffen werden, die von Regierungsvertretern und Wirtschaftstreibenden sowie Sicherheitskräften frequentiert werden, z.B. Restaurants, Hotels oder Einkaufszentren, jedoch nicht alle Teile von M____ bezüglich Übergriffen von Al-Schabaab gleich unsicher sind. Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierter Ort ist kein Ziel der Al-Schabaab. Die Hauptziele von Al-Schabaab befinden sich in den inneren Bezirken: militärische Ziele, Regierungseinrichtungen und das Flughafenareal. Die Außenbezirke hingegen werden von manchen als die sichersten Teile der Stadt erachtet, da es dort so gut wie nie zu größeren Anschlägen kommt. Es gibt für den Kläger im Falle eines Aufenthalts in M____ keine Veranlassung, sich in Stadtbezirken oder an Orten aufzuhalten, die typischerweise Ziel von Anschlägen von Al-Schabaab sind. Es kann ihm angesonnen werden, zum Selbstschutz auf gefahrgeneigte Tätigkeiten, etwa für die Regierung, zu verzichten. Zur Zumutbarkeit einer anderen Berufswahl wird auf die Ausführungen zum Flüchtlingsschutz Bezug genommen. Diese „kleinteilige“ Betrachtungsweise innerhalb von Mogadischu ist geboten, da es sich hierbei um einen relevanten Umstand des Einzelfalls bei der Feststellung, ob eine ernsthafte individuelle Bedrohung vorliegt, handelt. Der Umstand, dass auch der Flughafen von Mogadischu zu den anschlagsgefährdeten Einrichtungen zählt und der Kläger diesen bei einer Einreise auf dem Luftweg nicht meiden kann, ist von untergeordneter Bedeutung, da es sich um einen einmaligen Aufenthalt an diesem Ort handelt (vgl. Sächsisches OVG, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 5 A 78/19.A – a.a.O Rn. 33; VG Göttingen, Urteil vom 26. September 2022 – 3 A 683/17 – Juris Rn. 42).

Besonders gewichtig für die Beurteilung des Sicherheitsrisikos ist, dass auch der UNHCR Mogadischu für alleinstehende Männer und erwerbsfähige Ehepaare sogar als Ort internen Schutzes und zwar unter dem Gesichtspunkt der Sicherheitslage für zumutbar hält (UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing, Somalia, September 2022, Seiten 129 ff.). Die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente gehören zu den Instrumenten, die geeignet sind, die Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, die tatsächlichen Risiken für einen Asylbewerber im Fall seiner Überstellung zu bewerten. Im Rahmen dieser Beurteilung sind die genannten Dokumente angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, die bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften zu beachten ist, besonders relevant (vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 – C-528/11 – Juris Rn. 44; EuGh, Urteil vom 23. Mai 2019 – C-720/17 – Juris). Für die Beurteilung des internen Schutzes schreibt dies § 3 e Abs. 2 Satz 2 AsylG ausdrücklich vor. Soweit der UNHCR die Zumutbarkeit des Ausweichens auf M____ als Ort internen Schutzes von bestimmten sozio-ökonomischen Bedingungen, wie etwa Zugang zu Obdach oder Clanzugehörigkeit, abhängig macht, kommt es hierauf im vorliegenden Zusammenhang nicht an, weil der Kläger unverfolgt ausgereist ist.

Der zulässige Hilfsantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, 7 AufenthG ist unbegründet, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO. Ein Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 AufenthG besteht nicht.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist eine Abschiebung unzulässig, wenn sich dies aus der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt. Diese sog. zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse folgen aus Gefahren, die dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen.

Die humanitäre Lage bzw. die sozio-ökonomischen Verhältnisse können nur ganz ausnahmsweise eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK begründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, BVerwGE 146, 12-31, LS 3). Denn die EMRK schützt hauptsächlich bürgerliche und politische Rechte, nicht aber die sozialen Voraussetzungen zur Wahrnehmung dieser Rechte (BVerwG, Urteil vom 31.Januar 2013 - 10 C 15.12 -, BVerwGE 146, 12-31, Juris Rn. 25). Die humanitäre Lage kommt deshalb nur unter einer einschränkenden Voraussetzung als relevant in Betracht, nämlich wenn die allgemeinen Lebensbedingungen derart schlecht sind, dass sie ein sehr hohes Gefährdungsniveau herbeiführen (BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2019 – 1 B 2.19 -, Juris Rn. 10). Dies ist im Wege einer Abwägung zu ermitteln, in die alle dafür relevanten Aspekte einzubeziehen sind, um festzustellen, ob das notwendige Mindestmaß an Schwere gegeben ist. Das Mindestmaß an Schwere ist dann erreicht, wenn der Rückkehrer sich seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann oder keinen Zugang zu medizinischer Behandlung hat (so jüngst BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 1 B 48.21 - Rn. 6). Dies gilt auch für die Sicherung des existenziellen Grundbedürfnisses Wohnen und dort insbesondere den Schutz vor schlechter Witterung. Wenn durch den Zugang zu wechselnden Unterkünften Obdachlosigkeit hinreichend sicher vermieden werden kann, ist eine eigene, dauerhaft zur alleinigen Verfügung stehende Wohnung nicht erforderlich (siehe BVerwG, Urteil vom 18. Februar 2021 – 1 C 4.20 – Rn. 37 Buchholz 402.251, § 3e AsylG Nr. 1).

Die Prüfung der Voraussetzungen erfolgt unter Berücksichtigung der allgemeinen Gegebenheiten, insbesondere der wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung, sowie der persönlichen Umstände des Klägers. Maßgebliche Faktoren sind dabei Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, die familiäre Situation und Verwandtschaftsverhältnisse, soziale oder andere Schwächen, ethnische, kulturelle oder religiöse Überlegungen, politische und soziale Verbindungen und Vereinbarkeiten, Sprachkenntnisse, Bildungs-, Berufs- und Arbeitshintergrund und -möglichkeiten sowie ggf. erlittene Verfolgung und deren psychische Auswirkungen (BVerwG, Urteil vom 18. Februar 2021 – 1 C 4.20 – Rn. 31 Buchholz 402.251, § 3e AsylG Nr. 1). Einzubeziehen sind auch Zuwendungen Dritter, etwa von Hilfswerken (BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 1 B 48.21 – Juris Rn. 7) oder Rückkehrhilfen (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241). Die menschenrechtswidrige Beeinträchtigung muss in einem derart engen zeitlichen Zusammenhang eintreten, dass bei wertender Betrachtung noch eine Zurechnung zur Rückkehr – in Abgrenzung zu späteren Entwicklungen im Zielstaat oder Verhaltensweisen des Ausländers – gerechtfertigt ist (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241).

Gemessen an diesen Maßstäben steht dem Kläger bei einer Rückkehr nach Somalia wegen der sozio-ökonomischen Bedingungen unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 EMRK kein Abschiebungsverbot zu.

Ein Abschiebungsverbot wegen ernsthaften Risikos eines Verstoßes gegen Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK besteht nicht bereits dann, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Falle einer Rücküberstellung die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern erst, wenn die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist (BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2022 – 1 B 66.21 – Juris Rn. 18).

Dass dem Kläger in Somalia nach seiner Rückkehr abschiebungsbedingt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Existenz unterhalb des Mindestmaßstabes von Art. 3 EMRK droht, lässt sich nicht feststellen. Ob er dort sei Existenzminimum auf Dauer sichern können wird, ist für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht entscheidend (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 25).

Obwohl die allgemeine Sicherheitslage als auch die allgemeine wirtschaftliche und humanitäre Situation in Somalia als äußerst prekär einzustufen sind, führt dies aber bei einer wertenden Gesamtschau nicht dazu, dass eine Rückführung dorthin in Anwendung von § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK generell ausgeschlossen wäre. Vielmehr ist unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere unter Berücksichtigung der individuellen Situation der betroffenen Person zu prüfen, ob bei ihr das für Art. 3 EMRK erforderliche „Mindestmaß an Schwere“ bei einer Rückkehr nach Somalia erreicht wird (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. November 2023 – OVG 4 B 8.22 – Juris Rn. 55).

Derartige Umstände des Einzelfalls, insbesondere der individuellen Situation des Klägers sind nicht feststellbar. Grundlage für ihre Ermittlung kann im vorliegenden Falle nur das Vorbringen des Klägers bilden. Objektiv feststellbare Umstände zu Gunsten des Klägers, wie etwa eine ärztlich attestierte Vulnerabilität, fehlen. Mangels Glaubwürdigkeit des Klägers scheidet sein Vorbringen aber als eine tragfähige Grundlage einer Rückkehrprognose aus. Wegen der Unglaubwürdigkeit des Klägers wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen. Vorliegend erlaubt sein Vorbringen trotz der Unglaubwürdigkeit auch nicht ausnahmsweise Rückschlüsse auf abschiebungsrelevante Umstände. Dies gilt zunächst für seinen Herkunftsort. Seine Behauptung aus T____ in Somalia zu stammen widerspricht den Angaben gegenüber den Schweizer Behörden, wonach er im Dorf D____ in der äthiopischen Provinz G____ geboren sei. Die Angaben gegenüber dem Bundesamt werden nicht etwa dadurch verifiziert, dass der Kläger Somali spricht. Das in der Schweiz angegebene Herkunftsgebiet liegt innerhalb der mehrheitlich von ethnischen Somaliern bewohnten äthiopischen Provinz Somali. Ihre Bewohner sprechen Somali. Ebenso wenig sind die klägerischen Angaben zu seinen Familienverhältnissen belastbar. Selbst wenn man nicht den in der Schweiz unterbreiteten, sondern ausschließlich in Deutschland vorgebrachten Vortrag zu seinen Familienverhältnissen zu Grunde legt, erweist sich dieser als widersprüchlich. Vor dem Bundesamt gab der Kläger an, dass sein Vater kurz weg gewesen und zu diesem Zeitpunkt gestorben sei. Er sei nicht in Somalia in ihrem Heimatort gestorben. Vor Gericht behauptet der Kläger, dass sein Vater im örtlichen Krankenhaus in T____, also in ihrem Heimatort, verstorben sei. Danach bleibt es unklar, ob sein Vater überhaupt gestorben ist. Gleiches gilt schließlich für seine Clanzugehörigkeit. In der Schweiz behauptete der Kläger der Ethnie der Ogaden und dem Subclan Rer Abdulle, Subsubclan Ugas anzugehören. In Deutschland gibt er an, Mitglied des Clans der Hawaadle zu sein.

Diese Unaufklärbarkeit geht zu Lasten des Klägers. Es ist nicht die Aufgabe des Tatsachengerichts, dem Asylkläger nachzuweisen, dass er im Zielland der Abschiebung seinen existentiellen Lebensunterhalt sichern kann. Der Schutzsuchende trägt im Gegenteil die materielle Beweislast für die ihm günstige Behauptung, ihm drohe dort die Verelendung. Dazu muss er insbesondere alle in seine Sphäre fallenden erheblichen Tatsachen zur Überzeugung des Gerichts vortragen (OVG für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 24. Mai 2023 – 4 LB 443/18 OVG – Juris Rn. 164; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Februar 2023 – A 11 S 1329/20 – Juris Rn. 210).

Unabhängig vom Vorstehenden schließen erreichbare Rückkehrhilfen die Annahme eines somaliaweiten Abschiebungsverbotes aus.

Der Kläger kann Rückkehrhilfen in Anspruch nehmen. Diese reichen so weit in die Zukunft, dass eine etwa nach ihrem Verbrauch eintretende Verelendung nicht mehr der Abschiebung zurechenbar ist, weil sie nicht mehr als „schwerwiegende, schnelle und irreversible“ Verschlechterung des Zustandes des Klägers (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 26) gewertet werden können. Unabhängig davon besteht für die Zeit danach keine besonders hohe Wahrscheinlichkeit der Verelendung.

Für die Rückkehr nach M____ kann der Kläger auf Rückkehrhilfen zurückgreifen. Im Rahmen des REAG/GARP-Programms erhält der Kläger bei einer Ausreise neben der Übernahme von Transportkosten Reisebeihilfen in Höhe von 200 €. Weiter erhalten u. a. volljährige somalische Staatsangehörige eine erste Starthilfe in Höhe von 1.000 € unmittelbar vor der Ausreise. Darüber hinaus ist eine medizinische Unterstützung im Wert von maximal 2000 € für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten nach der Ausreise möglich, um die gesundheitliche Anschlussversorgung bzw. den Zugang zum örtlichen Gesundheitssystem im Zielland sicherstellen. Zusätzlich kann der Kläger Leistungen aus dem Reintegrationsprogramm JRS (Joint Reintegration Services) erhalten. Nach diesem Programm ist eine Unterstützung sowohl für freiwillig rückkehrende als auch für rückgeführte Personen möglich. Die Leistungen werden grundsätzlich als Sachleistungen gewährt und enthalten eine Kurzzeit-Unterstützung (bis zu drei Tage nach der Ankunft) und eine Langzeit-Unterstützung (bis zu 12 Monate nach der Ausreise). Zur Kurzzeit-Unterstützung gehören die Flughafenabholung, Weitertransport zum Zielort, notwendige Übernachtungen vor der Zielorterreichung und medizinischer Zusatzbedarf. Die Langzeit-Unterstützung umfasst u. a. eine Wohnungsunterstützung, medizinischen Bedarf bei schweren Erkrankungen, Beratung zu Arbeitsmöglichkeiten und Hilfestellung bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, Unterstützung bei der Gründung eines (eigenen) Geschäftes und rechtliche Beratung und administrative Unterstützung. Die Höhe der Unterstützung orientiert sich an 2.000 € bei freiwilliger Rückkehr und 1.000 € bei einer rückgeführten Person.

Erforderlich ist ferner, die Rückkehrhilfen in eine konkretere zeitliche Perspektive einzuordnen (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 28). Angesichts eines durchschnittlichen Pro-Kopf-Jahreseinkommens von 875 US-Dollar und des Umstands, dass 70 % der Bevölkerung mit weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag auskommen muss, genügt allein die Starthilfe von 1.000 € zuzüglich der Reisebeihilfe von 200 € auch unter Berücksichtigung höherer Kosten in der Anfangsphase und einem eventuell höheren Preisniveau in Mogadischu im Vergleich zum gesamten Land zur Finanzierung der grundlegenden Bedürfnisse für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr.

Nach einem derart langen Zeitraum ist eine Verschlechterung des Zustandes des Klägers nicht mehr der Abschiebung zurechenbar. Eine Abgrenzung abschiebungsbedingter Widrigkeiten zu späteren Entwicklungen im Zielstaat oder gewählten Verhaltensweisen des Ausländers, insbesondere dem Aufbau von Netzwerken oder dem Ergreifen von Chancen auf dem Arbeitsmarkt, (vgl. zu diesem Maßstab BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10/21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 21) ist nicht mehr möglich. Die Annahme einer ausreichenden realen Gefahr darf nämlich nicht nur auf bloßen Spekulationen beruhen, denen eine hinreichende Tatsachengrundlage fehlt (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10/21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 13).

Unabhängig vom Vorstehenden könnte Abschiebungsschutz ausnahmsweise nur dann gewährt werden, wenn bereits zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten behördlichen oder gerichtlichen Tatsachenentscheidung davon auszugehen ist, dass dem Ausländer nach dem Verbrauch der Rückkehrhilfen in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine Verelendung mit hoher Wahrscheinlichkeit droht. Je länger der Zeitraum der durch Rückkehrhilfen abgedeckten Existenzsicherung ist, desto höher muss die Wahrscheinlichkeit einer Verelendung nach diesem Zeitraum sein (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 – BVerwGE 175, 227-241, Rn. 25).

Angesichts eines Zeitraumes von über einem Jahr müsste die Verelendung mit einer besonders hohen Wahrscheinlichkeit drohen. Als maßgebliche Faktoren sind dabei wiederum Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, die familiäre Situation und Verwandtschaftsverhältnisse, soziale oder andere Schwächen, ethnische, kulturelle oder religiöse Überlegungen, politische und soziale Verbindungen und Vereinbarkeiten, Sprachkenntnisse, Bildungs-, Berufs- und Arbeitshintergrund und -möglichkeiten sowie ggf. erlittene Verfolgung und deren psychische Auswirkungen zu berücksichtigen. Hiervon steht nur fest, dass der Kläger ein gesunder und erwerbsfähiger Mann. Er verfügt über einschlägige Sprachkenntnisse und kann lesen und schreiben. Ferner spricht er arabisch. Lesen und Schreiben habe er in der Schweiz gelernt. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger einem besonders benachteiligten Clan angehört. Auch der familiäre Hintergrund bleibt unaufklärbar.

Diese Fähigkeiten sprechen dafür, dass er landesweit eine Arbeit finden kann. Stellt man auf M____ ab, wäre er dort selbst als ungelernte Arbeitskraft nicht chancenlos. Männer finden unter anderem auf Baustellen, beim Graben, in Steinbrüchen, als Schuhputzer oder beim Khatverkauf eine Arbeit. Die verbesserte Sicherheitslage hat in M____ zu einem Bauboom geführt (BFA, 2019, S. 115 ff.). Auf solche Tätigkeiten kann der Kläger trotz seiner Vorbildung verwiesen werden. Zu den zumutbaren Arbeiten zählen auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, selbst wenn diese im Bereich der sogenannten "Schatten- oder Nischenwirtschaft" angesiedelt sind (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 17).

Im Übrigen besteht die Möglichkeit von etwa andernorts lebenden Verwandten Geld an jeden beliebigen Ort innerhalb Somalias zu überweisen. Überweisungen von der Familie gehören neben dem traditionellen Sicherungsnetzen und Verteilungsmechanismen auf der Gemeindeebene sowie sozialen Schutzmaßnahmen seitens internationaler Organisationen zu den Grundpfeilern zur Bewältigung von Notlagen (Ecoi.net – Themendossier zu Somalia: Humanitäre Lage vom 26. Februar 2021, Seite 6). Diese Art von Hilfe ist in Somalia gängig. Rücküberweisungen aus der Diaspora stellen für bis zu 40% der Bevölkerung eine unverzichtbare Einnahmequelle dar. Diese werden vor allem für Lebensmittel verwendet und auch mit anderen Menschen geteilt, die keine Rücküberweisungen erhalten (BFA, S. 115 ff.). Es ist in Somalia ohne Weiteres möglich, Geldzuwendungen auf elektronischem Wege zu bewirken. In Somalia existiert ein florierendes Überweisungssystem (Ecoi.net – Themendossier zu Somalia: Humanitäre Lage vom 26. Februar 2021, Seite 8).

In der Gesamtschau aller dieser Umstände lässt sich nicht feststellen, dass dem Kläger nach Verbrauch der Rückkehrhilfe mit besonders hoher Wahrscheinlichkeit Verelendung droht. Nicht entscheidend ist hingegen, ob das Existenzminimum Klägers in Somalia nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 25).

Künftige, derzeit nicht abschätzbare Entwicklungen, wie etwa eine weltweite Lebensmittelknappheit, können der hier inmitten stehenden Prognose schon deshalb nicht zu Grunde gelegt werden, weil diese nicht auf Spekulationen beruhen darf (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 13). Im Übrigen fehlte es bei Eintreten einer solchen weltweiten Entwicklung an der Zurechnung zur Abschiebung. Die Gefahr muss indes in dem Sinne konkret sein, dass die drohende Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Würde der Person in einem solchen engen zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung durch den Vertragsstaat eintritt, dass bei wertender Betrachtung noch eine Zurechnung zu dieser Abschiebung - in Abgrenzung zu späteren Entwicklungen im Zielstaat oder gewählten Verhaltensweisen des Ausländers - gerechtfertigt erscheint (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 21).

Liegen die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots wegen schlechter humanitärer Bedingungen nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art 3 EMRK (Juris: MRK) nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung allein relevante extreme Gefahrenlage aus. Das nationale Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung bei Allgemeingefahren unterliegt strengeren Maßstäben, sodass es unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage denklogisch keinen weitergehenden Schutz gewähren kann als § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (so auch VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 13. Januar 2021 – A 1 K 6530/18 – Juris)

Die Kostenentscheidung für das gerichtskostenfreie Verfahren aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung: