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Genitalverstümmelung, keine der Abschiebung entgegenstehende familiäre Bindung, keine individuelle Gefahr ernsthaften Schadens in Mogadischu, mehrfach verheiratete Frau, Rückkehrhilfen, Somalia, Unglaubwürdigkeit, Versorgungslage


Metadaten

Gericht VG Cottbus 5. Kammer Entscheidungsdatum 07.03.2024
Aktenzeichen VG 5 K 636/22.A ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2024:0307.5K636.22.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Leitsatz

Nach operativ rückgängig gemachter Genitalverstümmelung (FGM Typ II bzw. III) droht einer erwachsenen geschiedenen Frau in Süd- und Zentralsomalia keine erneute Genitalverstümmelung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Wegen der Kosten ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

D_____

Tatbestand

Die durch keine Dokumente ihres Herkunftsstaates zur Person ausgewiesene Klägerin, eigenen Angaben zu Folge am 2_____ 1990 in J____ geborene somalische Staatsangehörige, erstrebt internationalen Schutz, jedenfalls Abschiebungsverbote hinsichtlich Somalias.

Nachdem die Klägerin am 23. November 2016 in Italien erkennungsdienstlich behandelt worden war und am 3. Februar 2017 in der Schweiz einen Asylantrag gestellt und ihn später zurückgenommen hatte, stellte sie 24. Februar 2017 beim Bundesamt abermals einen Asylantrag. Im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates am 6. März 2017 gab die Klägerin an, in Deutschland einen Ehemann zu haben, mit dem sie religiös verheiratet sei. Nachweise hierzu könne sie aber nicht vorlegen. Der Ehemann habe in Italien einen Asylantrag gestellt. Somalia habe sie im August 2016 verlassen. Ihre Reise habe sie über die Türkei, wo sie einen Monat lang gelebt habe, Italien, wo sie sich drei Monate aufgehalten habe und die Schweiz nach Deutschland geführt, wo sie am 24. Februar 2017 eingereist sei. In der Anhörung zur Zulässigkeit ihres Asylantrages gab sie am 8. März 2017 an, unter Magenbeschwerden zu leiden. In ärztlicher Behandlung sei sie aber nicht. Ihren Mann habe sie im Januar 2017 religiös geheiratet.

Nachdem das Dublin-Verfahren gescheitert und der entsprechende Bescheid aufgehoben worden waren, leitete das Bundesamt ein Zweitantragsverfahren ein und erließ unter dem 16. April 2018 einen ablehnenden Zweitantragsbescheid.

Anwaltlich vertreten erhobt die Klägerin hiergegen am 23. April 2018 Klage beim Verwaltungsgericht Cottbus (5 K 825/18.A). In Anlage zur Klagebegründung vom 20. April 2018 übersandten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin einen anwaltlichen Schriftsatz an das Bundesamt vom 11. April 2018 nebst einem ausgefüllten Fragebogen des Bundesamtes und einer schriftlichen Erklärung der Klägerin zu den Gründen ihrer Flucht aus Somalia und der Ausreise aus Italien. Zu den Gründen für die Flucht aus Somalia heißt es in der schriftlichen Erklärung, dass vor etwa fünf Jahren zehn Al-Schabaab-Milizionäre in ihr Haus in J____ gekommen seien. Diese Männer hätten sie auf Befehl ihres Ehemannes, der ebenfalls Al-Schabaab angehöre, vergewaltigt. Sie hätten sie mit dem Gewehr in die Seite gestoßen und ihr Brandwunden auf dem Rücken zugefügt. Drei Tage lang sei sie nicht ansprechbar gewesen. Ihr Ehemann habe verlangt, dass sie Al-Schabaab beitrete, was sie aber abgelehnt habe, woraufhin er sie bewusstlos geschlagen habe. Sodann habe er die Kinder (eine 5 Jahre alte Tochter und einen 9 Jahre alten Sohn) mitgenommen und sie verlassen. Nach einem Monat sei er zurückgelehrt und habe erneut verlangt, dass sie Al-Schabaab beitrete. Dabei habe er gedroht, dass sie andernfalls erneut von Al-Schabaab-Milizionären vergewaltigt würde. Als sie sich weiterhin geweigert habe, sei er verschwunden.

Die Klägerin legte einen Krankenhausbericht vom 27. November 2020 über eine De-infibulation und Klitoriselevation vor. Anamnestisch wurde bei ihr eine weibliche Genitalverstümmelung (FGM Typ IIb) im neunten Lebensjahr diagnostiziert. Zur Vorgeschichte heißt es in dem Bericht: "Die Patientin wurde bei uns vorstellig zur plastischen Rekonstruktion bei weiblicher Genitalverstümmelung. Nach der Verstümmelung wurde sie für den ersten Geschlechtsverkehr defibuliert und nach der Geburt des ersten Kindes erneut reinfibuliert. Nach der Entbindung des zweiten Kindes wurde keine erneute Reinfibulation durchgeführt. Von ihrem Exmann (Vater beider Kinder) wurde sie körperlich mehrfach missbraucht. Seit dem 24.02.2017 ist sie in Deutschland. In Italien hat sie ihren jetzigen somalischen Ehemann kennengelernt und geheiratet, der sie heute in unserer Sprechstunde begleitet.".

Den Zweitantragsbescheid hob das Bundesamt am 18. August 2021 auf Grund des urteil des EuGH vom 20. Mai 2021 (C-8/20) auf und trat in die Sachprüfung ein.

Am 20. Dezember 2021 hörte das Bundesamt die Klägerin zur Sache an. Zunächst gab die Klägerin an, dem Stamm der Hawaadle anzugehören. Im M____ habe sie etwa Mitte 2016 einen Reisepass beantragt und erhalten. Der Schleuser, der die Reise organisiert habe, habe ihr den Reisepass aber abgenommen. Bei der Ausstellung habe es keine Probleme gegeben, weil sie den erforderlichen Betrag bezahlt habe. Sie sei in der Stadt Jilib geboren, aufgewachsen und bis zur Ausreise geblieben. Vor ihrer Abreise sei sie einmal in M____ und einmal in H____ gewesen. Dort habe sie sich jeweils ein paar Tage aufgehalten. Mit ihrem Ehemann habe sie in einer Wohnung zur Miete gelebt. In M____ habe sie im Stadtteil M____ zur Miete und in H____ in einem Hotel gewohnt. J____ habe vier Stadtteile, jetzt sechs Stadtteile und werde von Al-Schabaab beherrscht. Bei der Ausreise aus Somalia habe es keine Kontrolle gegeben, sie habe nur ihren Reisepass vorzeigen und sagen müssen, dass sie in die Türkei ausreise. Die Ausreise habe 6.000,00 Euro insgesamt gekostet. Das Geld habe ihre Mutter durch Verkauf eines Grundstücks aufgebracht. Das Grundstück sei im Stadtteil C____ von M____ gewesen. Ihre Mutter lebe in J____. In Somalia habe sie noch Geschwister, deren konkreten Wohnort sie aber nicht kenne. Zuletzt habe sie vor einem Monat Kontakt zu ihrer Mutter gehabt. Somalia habe sie gelegentlich als Aushilfe, z. B. in einer Teestube, gearbeitet. Ihr Ehemann habe mit seinem eigenen Auto Gemüse und Obst ausgeliefert. So seien sie über die Runden gekommen. Das sei aber nur der Schein gewesen. Sie habe eines Tages die Waren in Augenschein genommen, die er zu Hause gelagert habe. Es habe sich um schwere in Kunststoff verpackte Gegenstände gehandelt. Das seien explosive Sachen gewesen. Als sie da hineingeschaut habe, habe ihr Ehemann dies bemerkt und von da an eine andere Seite gezeigt. Er habe sie geschlagen und beschuldigt. Er habe sie unter Druck gesetzt und gegen sie Gewalt ausgeübt. Eines Tages habe er ihr gesagt, dass, wenn jemand so etwas herausbekomme, er entweder sich den Extremisten anschließen oder sein Leben verlieren müsse. Sie müsse jetzt nach M____, um dort eine Mission zu erfüllen. Er habe sie aufgefordert, einen Gürtel zu tragen, um einen Anschlag zu verüben. Zu dieser Zeit seien keine Verwandten von ihr da gewesen, auch ihre Mutter sei in M____ gewesen. Die Klägerin habe ihre Mutter angerufen, ihr Ehemann habe aber mit ihrer Mutter nicht reden wollen. Ihre Mutter habe sie zu sich holen wollen, was ihr Ehemann aber abgelehnt habe. Er habe sie mit einer Kette am Bein befestigt, damit sie nicht fliehen könne. Er habe ihr ein Messer an den Hals gehalten und ihr gedroht, sie zu enthaupten, wenn sie versuchen sollte, zu fliehen oder seine Machenschaften anzuzeigen. Er habe sie an verschiedenen Stellen ihres Körpers verbrannt. Es sei dann zu einem Angriff gegen die Extremisten mit Flugzeugen gekommen, die den Ort bombardiert hätten. Ihr Ehemann sei dann geflohen und habe sie allein an den Stuhl angekettet zurückgelassen. Sie sei dann bis zum Fenster gekrochen. Es seien ihr dann zwei Männer zur Hilfe geeilt, nachdem die Schießerei und das Bombardement aufgehört hätten. So sei sie nach M____ geflohen. Dort habe sie ihrer Mutter ihre Verletzungen gezeigt, woraufhin ihre Mutter ihr das Geld für eine weitere Flucht gegeben habe. Bevor sie ausgereist sei, habe ihr Ehemann ihre Mutter angerufen, um sie zurückzuholen. Es sei aber keine Option für sie gewesen, da er gewollt habe, dass sie für ihn einen Anschlag verübe. Er habe gemerkt, dass ihre Mutter und sie ihn hinhalten würden, woraufhin er sie mit dem Tode bedroht habe. Daraufhin hätten sie die Reise vorbereitet. Als sie in der Türkei angekommen sei, habe er endlich die Scheidung eingereicht. Ihre Verwandten hätten die Scheidungsurkunde von ihm bekommen. Daraufhin habe sie einen anderen Mann geheiratet. Diese Heirat sei aber gegen die Landessitte gewesen, da er einem anderen Stamm entstamme. Sie habe ihren Mann in Deutschland geheiratet. Es sei deshalb zum Bruch zwischen ihr und ihrer Familie gekommen. Wegen der zweiten Heirat sei sie verstoßen worden und könne nicht nach Somalia zurück. Sie wünsche sich, ihre Kinder und ihre Mutter nach Deutschlang zu holen. Ihre Mutter sei gehbehindert, weil sie vor einiger Zeit Opfer eines Anschlags geworden sei. Auf Vorhalt des Bundesamtes, dass die bei der Anhörung geschilderten Asylgründe erheblich von den mit anwaltlichem Schriftsatz vom 23. April 2018 geschilderten Gründe abweichen würden, erklärte die Klägerin, dass sie bei der Anhörung die Wahrheit sage und sie damals krank gewesen sei und nicht mehr wisse, was sie damals gesagt habe.

Mit Bescheid vom 11. Juli 2022 lehnte das Bundesamt den Asylantrag umfassend ab, verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetztes, forderte die Klägerin zur Ausreise auf und drohte ihr widrigenfalls eine Abschiebung nach Somalia an. Schließlich befristete es das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab der Abschiebung. Wegen der Begründung wird auf den Bescheid Bezug genommen.

Mit ihrer am 27. Juli 2022 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Verpflichtungsbegehren weiter, ohne es weiter zu begründen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11. Juli 2022 zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG zuzuerkennen,

hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des vorgenannten Bescheides zu verpflichten, ihr subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen,

weiter hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des vorgenannten Bescheides zu verpflichten, zu ihren Gunsten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des AufenthG festzustellen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge Bezug genommen. Sämtliche Akten wurden zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG und der beantragten Zuerkennung des subsidiären Flüchtlingsschutzes nach § 4 AsylVfG sowie die Verneinung von Abschiebungsverboten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Diese Ansprüche stehen der Klägerin nicht zu.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.

Dies gilt sowohl wegen der geltend gemachten Verfolgung durch Al-Schabaab als auch wegen erneuter Genitalverstümmelung.

Das klägerische Vorbringen zur Vorverfolgung durch Al-Schabaab bzw. durch ihren früheren Ehemann, der Al-Schabaab angehört habe, ist unglaubhaft.

Das Gericht muss sich die für seine Entscheidung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene Überzeugungsgewissheit verschaffen, die auch in Asylstreitsachen in dem Sinne bestehen muss, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit - und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit - des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangt hat. Soweit wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylbewerber insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, für diese Vorgänge in der Regel Glaubhaftmachung genügt, ist damit nicht gemeint, dass der Richter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben sein sollte, und erst recht nicht, dass eine Glaubhaftmachung im engeren Sinne gemäß den prozessualen Vorschriften des § 294 ZPO in Verbindung mit § 173 VwGO ausreichend sein sollte. Ausgangspunkt ist vielmehr der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (BVerwGE 71, 180ff. unter Verweis auf BGHZ 53, 245/256). Darüber hinaus berücksichtigt diese Rechtsprechung die besondere Beweisnot des nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsprozessrechts mit der materiellen Beweislast hinsichtlich der guten Gründe für seine Verfolgungsfurcht beschwerten Asylsuchenden, indem sie den Tatsachengerichten nahelegt, dessen eigenen Erklärungen größere Bedeutung beizumessen, als dies meist sonst in der Prozesspraxis bei Bekundungen einer Partei der Fall ist, und den Beweiswert seiner Aussage im Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen. Die Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings bestehen - häufig - im Fehlen der üblichen Beweismittel. In der Regel können unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu. Zur Asylanerkennung kann schon allein der Tatsachenvortrag des Asylsuchenden führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne "glaubhaft" sind, dass sich das Tatsachengericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann. Dem Klagebegehren darf jedenfalls nicht mit der Begründung der Erfolg versagt werden, dass neben der Einlassung des Asylbegehrenden keine Beweismittel zur Verfügung stünden. Der Richter ist aus Rechtsgründen schon allgemein nicht daran gehindert, eine Parteibehauptung ohne Beweisaufnahme als wahr anzusehen (BGH LM § 286 <C> ZPO Nr. 64); das gilt für das Asylverfahren mit seinen typischen Schwierigkeiten, für das individuelle Schicksal des Asylsuchenden auf andere Beweismittel zurückzugreifen, in besonderem Maße. Einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO wird der Richter hierdurch jedoch nicht enthoben. Das Fehlen von Beweismitteln mag die Meinungsbildung des Tatsachengerichts erschweren, entbindet es aber nicht davon, sich eine feste Überzeugung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu bilden. Dies muss - wenn nicht anders möglich - in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Kläger glaubt (vgl. zum Ganzen BVerwGE 71, 180 ff.). Um sich die Überzeugung von der Wahrheit einer Tatsachenbehauptung zu verschaffen, kann das Gericht Vernehmungsprotokolle aus dem behördlichen Verfahren heranziehen (BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 2002 – 1 B 392.01 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259 = NVwZ 2002, 1381f.).

Wegen gravierender Widersprüche und erheblicher Ungereimtheiten ist dem klägerischen Vorbringen nicht nur jede Glaubhaftigkeit abzusprechen (vgl. zu diesem Maßstab BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 2002 – 1 B 39.01 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259), sondern darüber hinaus der Klägerin jede Glaubwürdigkeit.

Die Klägerin hat in verschiedenen Stadien ihres Asylverfahren selbst zu den Schlüsselereignissen ihrer Verfolgung mehrfach geänderte Versionen unterbreitet.

So behauptete die Klägerin in ihrer schriftlichen Erklärung, die sie mit anwaltlichem Schriftsatz vom 20. April 2018 in das Klageverfahren 5 K 825/18.A eingeführt hat, dass sie auf Geheiß ihres Ehemannes von zehn Al-Schabaab-Milizionären in ihrem Haus in J____ vergewaltigt, geschlagen und durch Verbrennungen gequält worden sei, um sie zur Beihilfe für Al-Schabaab zu zwingen.

In ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 20. Dezember 2021 tauschte die Klägerin dieses Vorbringen aus. Von einer befohlenen Vergewaltigung durch zehn Al-Schabaab-Milizionäre ist dort nicht mehr die Rede. Dort gab sie an, eine gewisse Zeit nach der Heirat zufällig entdeckt zu haben, dass ihr damaliger Ehemann, der Obst und Gemüse ausgeliefert habe, mit Al-Schabaab kollaboriert habe, indem er unter seinen Waren „explosive Dinge“ transportiert habe. Von da an habe er sie misshandelt, durch Verbrennungen gequält und ihr gedroht, sie zu enthaupten. Schließlich habe er von ihr verlangt, dass sie sich mit einem Gürtel nach M____ begebe, um dort einen Anschlag zu verüben. Im weiteren Verlauf der Anhörung behauptete die Klägerin, dass sie Schusswaffen und Sprengstoff unter Obst oder Gemüse versteckt in öffentlichen Verkehrsmitteln nach M____ habe schmuggeln sollen. Sie sei aber geflohen, um die ihr zugedachte Mission nicht erfüllen zu müssen.

In der mündlichen Verhandlung am 22. Februar 2024 hat die Klägerin in der gesamten Befragung nicht mehr erwähnt, dass sie nach M____ mit einem Gürtel habe fahren sollen, um dort einen Anschlag zu verüben. Vielmehr gab die Klägerin anders als beim Bundesamt an, dass sie dreimal wissentlich Sprengstoff nach M____ bzw. nach K____ transportiert habe. Damit habe sie sich dem Druck ihres Ehemannes gebeugt, nachdem sie Sprengstoffe unter den Tomaten entdeckt und ihn dadurch als Al-Schabaab-Komplizen entlarvt habe. Zuvor habe sie auch drei Transporte gemacht, aber ohne zu wissen, dass sie Sprengstoff schmuggle.

Soweit sich die Klägerin überhaupt hierzu verhält, vermochte sie diese Widersprüche und Steigerungen nicht überzeugend aufzulösen bzw. zu erklären. Auf den Widerspruch zwischen ihrer anwaltlich eingeführten schriftlichen Erklärung und den Angaben in der Anhörung am 20. Dezember 2021 angesprochen, gab sie gegenüber dem Bundesamt an, dass nur der Vortrag in der Anhörung zutreffe. Damals sei sie krank gewesen und habe unter Schmerzen gelitten. Ferner könne sie sich gar nicht daran erinnern. Vor Gericht gibt sie hierzu an, dass sie sich damals zwar mit dem Anwalt getroffen habe. Es habe aber Sprachschwierigkeiten gegeben. Ob sie damals gesagt habe, dass sie von Al-Schabaab vergewaltigt worden sei, wisse sie nicht mehr. Sie erinnere sich nicht mehr daran, was sie damals gesagt habe. Diese Erklärungen räumen die Zweifel an dem klägerischen Vortrag nicht aus, sondern nähren sie zusätzlich. Anders als beim Bundesamt, wo sich die Klägerin zur Erklärung der schriftlichen Stellungnahme auf eine – nicht näher genannte - Krankheit und auf Schmerzen beruft, erwähnt sie in der mündlichen Verhandlung eine Erkrankung nicht, sondern spricht erstmals von sprachlichen Verständigungsproblemen. Es erscheint jedoch lebensfremd, dass infolge von Verständigungsproblemen eine gänzlich andere Sachverhaltsdarstellung zustande kommt. Soweit die Klägerin behauptet, sich nicht mehr daran zu erinnern, was sie gegenüber dem Anwalt vorgetragen hat, ist dies jedenfalls hinsichtlich eines derart einschneidenden Erlebnisses, wie einer durch den eigenen Ehemann veranlassten Vergewaltigung durch zehn Al-Schabaab-Milizionäre im eigenen Haus, unglaubhaft. Vollends unglaubwürdig erscheint die Klägerin, wenn sie in der mündlichen Verhandlung statt der vom Ehemann angeordneten Vergewaltigung von einer anderen, bislang verschwiegenen Vergewaltigung durch Milizen berichtet, die sich bei einer Flucht der Klägerin nach Kenia zugetragen haben soll. Weder von der Vergewaltigung noch von einer versuchten Flucht nach Kenia war bislang auch nur ansatzweise die Rede. Warum sie nur dieses Ereignis aus Scham verschweigen sollte, andere Vergewaltigungen aber schildert, erschließt sich nicht.

Nicht nur die Angaben zu den Schlüsselereignissen erweisen sich als widersprüchlich. Auch das Vorbringen zu den familiären Verhältnissen zeichnet sich zumindest durch Ungereimtheiten aus.

Dies gilt bereits für die Frage, ob ihr Vater noch lebt. Zweifel an den Angaben der Klägerin bestehen deshalb, weil sie vor dem Bundesamt behauptet hat, dass ihr Vater zusammen mit ihrer Tante ermordet worden sei. Von einer Ermordung ist in der mündlichen Verhandlung indes nicht mehr die Rede. Zudem soll ihr Vater im September 2018 verstorben sein. Vom Tod ihres Vaters will sie aber während ihres Aufenthaltes in der Türkei erfahren haben. Die Türkei hat die Klägerin aber vor 2017 verlassen. Ungereimt sind auch die Angaben zum Kontaktabbruch mit ihrer Mutter. Vor dem Bundesamt hat die Klägerin angegeben, dass der Kontakt bereits seit November 2021 abgerissen sei. In der mündlichen Verhandlung am 7. März 2024 gab die Klägerin hingegen an, dass der Kontakt Ende 2022 abgebrochen sei. Von einem Kontaktabbruch in der Zwischenzeit berichtet die Klägerin nicht. Gleiches gilt für die Heirat mit ihrem jetzigen Ehemann, die Anfang 2017 stattgefunden haben soll. Zum Nachweis dieser Eheschließung legt die Klägerin eine auf den 1. Februar 2017 datierte Urkunde vor. Diese Urkunde soll die Eheschließung der Klägerin mit ihrem dritten Ehemann vor einem namentlich genannten Richter des Distriktgerichts von H_____ bescheinigen. Die Klägerin wird darin als am 25. Februar 1990 geborene und in M____ wohnhafte Hausfrau bezeichnet. Entgegen ihren eigenen Angaben hat sich die Klägerin in M____ nur auf der Durchreise befunden, war dort nie dauerhaft wohnhaft. Am 1. Februar 2017, also dem Datum der beurkundeten Eheschließung, befand sich die Klägerin nicht mehr in Somalia. Eine Eheschließung vor diesem Richter („in front of“) war also nicht möglich. Soweit sie vor Gericht angibt, dass es sich um eine Ferntrauung durch Stellvertreter gehandelt habe, während sie und ihr Ehemann in einer B____ Moschee gewesen seien, ist eine Vertretung aus der Urkunde, die nur von zwei Zeugen spricht, nicht ersichtlich. Im Übrigen konnte die Klägerin am 1. Februar 2017 nicht in einer B____ Moschee sein, weil sie nach eigenen Angaben vor dem Bundesamt erst am 24. Februar 2017 in das Bundesgebiet aus der Schweiz eingereist sein will.

Ungereimt sind auch die Angaben zur Finanzierung der Ausreise. Vor dem Bundesamt gab die Klägerin an, dass ihre Mutter ein Grundstück in M____ verkauft habe, um einen Handel zu betreiben. Den Erlös habe sie aber der Klägerin für die Ausreise gegeben. Vor Gericht behauptet die Klägerin, dass ihre Mutter ein Haus in M____ verkauft habe, um ihre Reise zu finanzieren. Stellt man auf die Sicht der Klägerin ab, liegt es fern, dass sie die Begriffe Haus und Grundstück synonym verwendet. Abgesehen davon divergiert auch der jeweils angegebene Grund für den Verkauf.

Angesichts des Vorstehenden kommt es auf weitere Ungereimtheiten bzw. Widersprüche etwa im Zusammenhang mit der behaupteten Flucht aus J____ nach M____ nicht mehr an.

Ist dem Vorbringen zur Vorverfolgung mangels Glaubwürdigkeit der Klägerin kein Glauben zu schenken, ist zu ihren Gunsten insoweit auch keine Vorverfolgung anzunehmen.

Beachtliche Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrelevanter Verfolgung durch Al-Schabaab aus sonstigen Gründen macht die Klägerin schon selbst nicht geltend.

Der Klägerin, die sich im Jahre 2020 einer Deinfibulation und einer Klitoriselevation unterzogen hat, steht auch nicht deshalb Flüchtlingsschutz zu, weil ihr etwa eine erneute Genitalverstümmelung droht.

Es kann auf sich beruhen, ob die Klägerin auf Grund der von ihr im Alter von etwa 9 Jahren erlittenen Genitalverstümmelung trotz eines 17jährigen Verbleibs in Somalia als vorverfolgt anzusehen ist. Selbst bei Unterstellung einer Vorverfolgung steht ihr kein Flüchtlingsschutz zu. Eine erneute Genitalverstümmelung droht nämlich nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gilt auch bei Vorverfolgung (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5.09 –, BVerwGE 136, 377-388, Rn. 22). Der Vorverfolgte wird allerdings von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung (mehr) (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5.09 –, BVerwGE 136, 377-388, Rn. 23).

Gegen die Wiederholung der Genitalverstümmelung streiten vorliegend stichhaltige Gründe. Gegen die Wiederholung der Genitalverstümmelung spricht zunächst das Alter der Klägerin. Sie ist 34 Jahre alt. Die Quellenangaben zu Süd- und Zentralsomalia divergieren lediglich hinsichtlich der Frage, ob die Genitalverstümmelung im Alter von 5 bis 10, 5 bis 9, 10 bis 14, 10 bis 13 oder 4 bis 14 vorgenommen wird. Mädchen, die die Pubertät erreicht haben, sollen jedenfalls nicht mehr einer Genitalverstümmelung unterzogen werden, da dies gesundheitlich zu riskant ist. In solchen Fällen soll der gesellschaftliche Druck durch die Verwandtschaft wegfallen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Somalia, 2023, S. 184). Gegen eine Wiederholung streitet ferner, dass die Klägerin aus Süd- und Zentralsomalia stammt, wo der gesellschaftliche Druck im Vergleich zu Somaliland und zu Puntland und damit die Häufigkeit etwa der Infibulation mit 72 % am geringsten ist (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Somalia, 2023, S. 181). Gegen die Wiederholung spricht auch, dass die Klägerin entweder aus M____ oder aus J____, der mit 45.000 Einwohnern größten Stadt der Region M____ stammt. Es gibt nämlich auch einen Unterschied zwischen ländlichen und urbanen Gebieten. In der Stadt ist es für die Eltern kein Problem zuzugeben, dass die Tochter nicht beschnitten ist. In größeren Städten ist es im Übrigen möglich, den unbeschnittenen Status ganz zu verbergen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Somalia, 2023, S. 183). Letzteres ist ein weiterer Grund gegen die Wiederholung der Verstümmelung. Denn es ist schon nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Defibulation und die Klitoriselevation im Falle der Klägerin überhaupt bekannt würden. Für ihre soziale Umgebung besteht kein Anlass zur Annahme, dass sie sich einer Operation unterzogen hat. Selbst bei Mädchen, kommt es zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Genitalverstümmelung festzustellen. Dies gilt auch für Rückkehrer (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Somalia, 2023, S. 183). Erst recht gilt dies für eine erwachsene Frau, wie die Klägerin, von der in ihrem sozialen Umfeld bekannt ist, dass sie in ihrer Jugend beschnitten war. Soweit die Klägerin geltend macht, dass ihre Operation offenbar würde, wenn sie erneut heiraten müsste, greift dies nicht durch. Dies gilt bereits deshalb, weil die Klägerin nach ihrem Verständnis – unbeschadet der Zweifel des Gerichts an der Eheschließung – schon verheiratet sein will. Unabhängig davon hat sie gegenüber dem Bundesamt im Zusammenhang mit den Formalitäten ihrer Eheschließung selbst vorgetragen, dass sie als geschiedene Ehefrau, zumal nach dem Tod ihres Vaters, bei der Heirat ihren Willen selbst äußern könne. Selbst wenn ihre Eheschließung mit Herrn S_____ auch in Somalia als unbeachtlich gelten sollte, wäre sie als geschiedene Frau keinesfalls zur Wiederheirat gezwungen. Durch eine Scheidung wird eine Frau nicht stigmatisiert. Scheidungen sind in Somalia nicht unüblich. Bereits 1991 war mehr als die Hälfte der über 50jährigen Frauen mehr als einmal verheiratet. Die Zahlen geschiedener Frauen und von Wiederverheirateten sind gestiegen. Bei einer Scheidung bleiben die Kinder üblicherweise bei der Frau, diese kann wieder heiraten oder die Kinder alleine großziehen. Bei der Auswahl ihres Ehepartners sind Geschiedene in der Regel freier als bei der ersten Eheschließung. Auch bei Al-Schabaab sind Scheidungen erlaubt (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Somalia, 2023, S. 172). Dass die Klägerin von sich aus, einen anderen Mann heiraten möchte, trägt sie selbst nicht vor. Eine bloß abstrakte Möglichkeit reicht zur Annahme der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht aus. Im Übrigen wäre es ihr zuzumuten, einen Partner zu wählen, der sie nicht zur Genitalverstümmelung zwingt. Soweit die Klägerin gegenüber dem Bundesamt behauptet, eine Frau in Somalia müsse stets „zugenäht“ sein, wird dies schon durch den selbst eingereichten Behandlungsbericht vom 27. November 2020 des Krankenhauses W_____ widerlegt. Dort heißt es nämlich, dass in ihrem Falle nach der Geburt des zweiten Kindes keine erneute Reinfibulation vorgenommen wurde. Diese Behauptung der Klägerin widerspricht auch der Erkenntnislage. Im somalischen Kontext wird eine Infibulation durchgeführt, um die Jungfräulichkeit vor der Ehe zu „beweisen“. Dementsprechend macht es keinen Sinn, eine verheiratete Frau nach der Geburt zu reinfibulieren (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Somalia, 2023, S. 194). Für geschiedene Frauen und für Witwen gibt es keinen Grund, eine Jungfräulichkeit vorzugeben (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Somalia, 2023, S. 194).

Kann die Klägerin nach alledem weder wegen einer Verfolgung durch Al-Schabaab oder ihren Ehemann noch mit Blick auf eine erneute Genitalverstümmelung Flüchtlingsschutz beanspruchen, scheidet unter diesen Gesichtspunkten aus den gleichen Gründen auch subsidiärer Schutz nach § 4 AsylG aus.

Subsidiärer Schutzstatus wegen der schlechten humanitären Lage in Somalia scheidet ebenfalls aus. Dies gilt selbst dann, wenn die humanitären Bedingungen in ihrem Heimatland für die Klägerin wegen ihrer persönlichen Lebensumstände derart widrig sein sollten, dass eine Rückführung nach Somalia eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellte. Es fehlt jedenfalls an einem Akteur im Sinne von § 4 Abs. 3 in Verbindung mit § 3c AsylG, von dem zielgerichtet eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ausgeht (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. November 2023 – 4 B 8.22 – Juris Rn. 30).

Der insoweit unverfolgt ausgereisten Klägerin steht auch auf der Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG kein subsidiärer Schutz zu.

Danach gilt als ernsthafter Schaden auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Mit dieser – die Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU umsetzenden – dritten Fallgruppe erfasst der subsidiäre Schutz Gefahrenlagen in Bezug auf das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, die im Rahmen von bewaffneten Konflikten entstehen und nach der Grundkonzeption der Genfer Flüchtlingskonvention für sich genommen nicht als Verfolgung zu qualifizieren sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 – 1 C 11.19 - Buchholz 402.251 § 4 AsylG Nr 1 = Juris Rn. 16; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. November 2023 – OVG 4 B 8.22 – Juris Rn. 36).

Für die Frage, welche Region als Zielort seiner Rückkehr anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Zielort der Abschiebung ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, Urteil vom 14.7.2009 – 10 C 9.08 – Juris Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 17.2.2009 – C-465/07 [Elgafaji]; BVerwG, Urteil vom 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12, LS 1 und Rn. 13/14; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – Juris = Asylmagazin 2016, 29; BayVGH, Urteil vom 17.7.2018 – 20 B 17.31659 – Juris Rn. 25; VG Würzburg, Urteil vom 13. November 2020 – W 9 K 19.32033 – Juris Rn. 51).

In Fällen, in denen – wie hier mangels jeder Glaubwürdigkeit – die Herkunftsregion unklar bleibt, muss sich die Klägerin auf sicherere Landesteile verweisen lassen (vgl. VG München, Urteil vom 4. Mai 2021 – M 11 K 18.33548 – Juris Rn. 22). Insoweit kommt die Hauptstadt M____ in Betracht. Auf M____ als Herkunftsort weisen auch Anhaltspunkte im Vorbringen der Klägerin hin. Als in M____ wohnhafte Hausfrau wird die Klägerin in der von ihr vorgelegten Heiratsurkunde bezeichnet. Es ist indes kein plausibler Grund erkennbar, geschweige denn von der Klägerin aufgezeigt, warum diese Angabe in der Urkunde frei erfunden werden sollte. Dass die Klägerin selbst von einer Wohnsitznahme in M____ ausgeht, erschließt sich auch aus ihrer Antwort auf die Frage, ob bzw. welchen Familienangehörigen sie nach ihrer Rückkehr begegnen könnte. Als Ort möglicher Begegnungen nennt die Klägerin nicht J____, sondern M____. Im Übrigen enthält ihr Vortrag mehrere Hinweise darauf, dass ihre Eltern in M____ einen festen Wohnsitz hatten, was nicht ausschließt, dass die Familie ursprünglich aus J____ stammt. Gegen J____ als bisherigen Lebensmittelpunkt der Klägerin spricht auch, dass die Schilderung ihrer Reise von J____ nach M____ widersprüchlich ist. So gab die Klägerin vor dem Bundesamt Shalan Bood als den Ort ihres Zwischenaufenthaltes bzw. Umstiegs an. Vor Gericht nennt sie hingegen K____ (phonetisch).

Ist nach alledem auf M____ als Herkunftsregion abzustellen, lässt sich dort eine „ernsthafte individuelle Bedrohung“ im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bzw. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU allein auf Grund bloßer Anwesenheit nicht feststellen.

Bei der Feststellung, ob eine „ernsthafte individuelle Bedrohung“ im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bzw. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU vorliegt, ist eine umfassende Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls, insbesondere derjenigen, die die Situation des Herkunftslands des Antragstellers kennzeichnen, erforderlich. Konkret können auch insbesondere die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der beteiligten Streitkräfte und die Dauer des Konflikts als Faktoren berücksichtigt werden, die bei der Beurteilung der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU zu berücksichtigen sind, ebenso wie andere Gesichtspunkte, etwa das geografische Ausmaß der Lage willkürlicher Gewalt, der tatsächliche Zielort des Antragstellers bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder Gebiet und die Aggression der Konfliktparteien gegen Zivilpersonen, die eventuell mit Absicht erfolgt (EuGH, Urteil vom 10. Juni 2021 - C-901/19 - Juris Rn. 42 ff.).

Die Situation in Somalia und konkret in M____ stellt sich wie folgt dar:

Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein sehr fragiler Staat. Es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind schwach und weiterhin im Aufbau befindlich. Die islamistische Al-Schabaab-Miliz kann einige ländliche Gebiete im Süden des Landes halten und stellt weiterhin die größte Bedrohung für die Sicherheit in Somalia dar. In vielen Gebieten der fünf föderalen Gliedstaaten Somalias und der Bundeshauptstadt M____ kommt es regelmäßig zu Kampfhandlungen. In den von Al-Schabaab befreiten Gebieten, zu denen auch M____ gehört, kommt es weiterhin zu Terroranschlägen durch diese islamistische Miliz. Insbesondere seit Jahresbeginn 2022 waren nahezu täglich Anschläge in M____ durch Al-Schabaab zu verzeichnen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. Juni 2022). Nach der Wahl von H____ zum Präsidenten im Mai 2022 hat sich die Atmosphäre in M____ verändert, die Stadt ist ruhiger geworden, zumindest hinsichtlich der politischen Auseinandersetzungen. Al-Schabaab ist im gesamten Stadtgebiet von Mogadischu präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich. Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische. Relevante Verwaltungsstrukturen gelten als von Al-Schabaab unterwandert. Der Gruppe gelingt es nach wie vor, selbst die am besten abgesicherten Ziele in der Stadt zu erreichen. So drang ein Kommando am 23. März 2022 auf das Flughafengelände vor und tötete dort fünf Personen. In M____ betreibt Al-Schabaab nahezu eine Schattenregierung: Betriebe werden eingeschüchtert und „besteuert“ und eigene Gerichte sprechen Recht. Al-Schabaab ist in der Lage, nahezu im gesamten Stadtgebiet verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzunehmen. M____ bleibt ein Brennpunkt terroristischer Gewalt. Al-Schabaab verübt gezielte Tötungen und Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen, einige wenige Mörserangriffe und kleinere sogenannte hit-and-run-Angriffe auf Positionen von Regierungskräften am Stadtrand sowie Attentate mit Handgranaten. Die Gruppe ist zudem weiterhin in der Lage, in M____ auch größere Sprengstoffanschläge durchzuführen. Üblicherweise zielt Al-Schabaab mit Angriffen auf Sicherheitskräfte einschließlich AMISOM/ATMIS und Vertreter des Staates. Es werden auch jene Örtlichkeiten angegriffen, die von Regierungsvertretern und Wirtschaftstreibenden sowie Sicherheitskräften frequentiert werden, z. B. Restaurants, Hotels oder Einkaufszentren. Nicht alle Teile von M____ sind bezüglich Übergriffen von Al-Schabaab gleich unsicher. Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierter Ort ist kein Ziel der Al-Schabaab. Die Hauptziele von Al-Schabaab befinden sich in den inneren Bezirken: militärische Ziele, Regierungseinrichtungen und das Flughafenareal. Die Außenbezirke hingegen werden von manchen als die sichersten Teile der Stadt erachtet, da es dort so gut wie nie zu größeren Anschlägen kommt. Allerdings kommt es dort öfter zu gezielten Tötungen. Zivilisten, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von Al-Schabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden, sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt (vgl. zu Vorstehendem BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Somalia, vom 27. Juli 2022).

Das Risiko, Schaden zu erleiden, ist nicht zuverlässig abschätzbar. Zum einen ist die exakte aktuelle Einwohnerzahl von M____ nicht bekannt. Zum anderen wird nur über die Zahl der Todesopfer von Anschlägen berichtet, nicht aber auch über die Zahl der bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu berücksichtigenden Verletzten und es erfolgt auch keine Unterscheidung zwischen zivilen Opfern und Opfern auf Seiten der Al-Schabaab bzw. der Sicherheitskräfte. Nach zugänglichen Quellen und Berechnungen gab es im Jahr 2018 in B____(Großraum M____) 489 Vorfälle mit 976 Toten und im Jahr 2019 308 Vorfälle mit insgesamt 738 Toten. Im ersten Quartal 2021 gab es 133 Todesopfer, was einer auf das gesamte Jahr 2021 gerechneten Zahl von 532 Todesfällen entspräche. Bei einer zugrunde gelegten Einwohnerzahl M____ von 1,84 (2018) bzw. 1,89 Millionen (2019) ergab sich so ein Tötungsrisiko von 1:1.885 für das Jahr 2018 und 1:2.560 für das Jahr 2019, das Risiko war 2021 geringer (Sächsisches OVG, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 5 A 78/19.A – Juris Rn. 31). Die - nicht exakt ermittelbare - Zahl ziviler Opfer des Konflikts ist nicht so hoch, dass allein deshalb schon eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson vorliegt. Die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzung ist nicht besonders hoch. Zwar gibt es quantitativ eine Vielzahl von Terroranschlägen. Deren Intensität erreicht jedoch regelmäßig nicht die Intensität militärischer Angriffe, wie sie für einen Bürgerkrieg typisch sind. Der Organisationsgrad von Al-Schabaab - der einzigen in Frage kommenden Konfliktpartei, die im Untergrund organisiert den Regierungskräften und AMISOM/ATMIS gegenüber steht - ist in M____ nicht besonders hoch, da das entsprechende Gebiet nicht mehr unter der Kontrolle von Al-Schabaab, sondern unter der Kontrolle der Regierung und von AMISOM/ATMIS steht, wenn Al-Schabaab auch - versteckt - im gesamten Stadtgebiet präsent ist und nach wie vor Anschläge durchführen kann und dies auch tut. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Atmosphäre in M____ nach der Wahl von H____ zum Staatspräsidenten am 15. Mai 2022 - zumindest hinsichtlich der politischen Auseinandersetzungen - deutlich ruhiger geworden ist. Die lange Dauer des Konflikts ist nicht gefahrerhöhend zu berücksichtigen, da Al-Schabaab vor zehn Jahren noch die Hälfte der Stadt kontrolliert hat, die gleichzeitig Schauplatz heftiger Grabenkämpfe war, und Al-Schabaab danach die Gebietshoheit in der Stadt verloren hat und seit 2014 das Leben wieder nach M____ zurückgekehrt ist und sich die Stadt unter der Kontrolle der Regierung und von AMISOM/ATMIS befindet. Gefahrerhöhend ist die sehr schlechte medizinische Versorgung in Somalia und auch in M____ zu berücksichtigen, die dazu führt, dass eventuelle Verletzungen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht oder nur unzulänglich behandelt werden können. Entscheidend gegen eine ernsthafte individuelle Bedrohung spricht, dass Al-Schabaab mit Angriffen üblicherweise auf Sicherheitskräfte und Vertreter des Staates („officials“) zielt und auch jene Örtlichkeiten angegriffen werden, die von Regierungsvertretern und Wirtschaftstreibenden sowie Sicherheitskräften frequentiert werden, z.B. Restaurants, Hotels oder Einkaufszentren, jedoch nicht alle Teile von M____ bezüglich Übergriffen von Al-Schabaab gleich unsicher sind. Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierter Ort ist kein Ziel der Al-Schabaab. Die Hauptziele von Al-Schabaab befinden sich in den inneren Bezirken: militärische Ziele, Regierungseinrichtungen und das Flughafenareal. Die Außenbezirke hingegen werden von manchen als die sichersten Teile der Stadt erachtet, da es dort so gut wie nie zu größeren Anschlägen kommt. Es gibt für die Klägerin im Falle eines Aufenthalts in M____ keine Veranlassung, sich in Stadtbezirken oder an Orten aufzuhalten, die typischerweise Ziel von Anschlägen von Al-Schabaab sind. Es kann ihr angesonnen werden, zum Selbstschutz auf gefahrgeneigte Tätigkeiten, etwa für die Regierung, zu verzichten. Diese „kleinteilige“ Betrachtungsweise innerhalb von M____ ist geboten, da es sich hierbei um einen relevanten Umstand des Einzelfalls bei der Feststellung, ob eine ernsthafte individuelle Bedrohung vorliegt, handelt. Der Umstand, dass auch der Flughafen von M____ zu den anschlagsgefährdeten Einrichtungen zählt und die Klägerin diesen bei einer Einreise auf dem Luftweg nicht meiden kann, ist von untergeordneter Bedeutung, da es sich um einen einmaligen Aufenthalt an diesem Ort handelt (vgl. Sächsisches OVG, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 5 A 78/19.A – a.a.O Rn. 33; VG Göttingen, Urteil vom 26. September 2022 – 3 A 683/17 – Juris Rn. 42; VG Münster, Urteil vom 3. April 2023 – 9 K 3723/21.A – Juris Rn. 63).

Besonders gewichtig für die Beurteilung des Sicherheitsrisikos ist, dass auch der UNHCR M____ für bestimmte Personengruppen unter dem Gesichtspunkt der Sicherheitslage als Ort internen Schutzes für zumutbar hält (UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing, Somalia, September 2022, Seiten 129 ff.). Die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente gehören zu den Instrumenten, die geeignet sind, die Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, die tatsächlichen Risiken für einen Asylbewerber im Fall seiner Überstellung zu bewerten. Im Rahmen dieser Beurteilung sind die genannten Dokumente angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, die bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften zu beachten ist, besonders relevant (vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 – C-528/11 – Juris Rn. 44; EuGh, Urteil vom 23. Mai 2019 – C-720/17 – Juris). Für die Beurteilung des internen Schutzes schreibt dies § 3 e Abs. 2 Satz 2 AsylG ausdrücklich vor. Soweit der UNHCR die Zumutbarkeit des Ausweichens auf M____ als Ort internen Schutzes von bestimmten sozio-ökonomischen Bedingungen, wie etwa Zugang zu Obdach oder Clanzugehörigkeit, abhängig macht, kommt es hierauf im vorliegenden Zusammenhang nicht an.

Der zulässige Hilfsantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, 7 AufenthG ist unbegründet. Ein Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 AufenthG besteht nicht.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist eine Abschiebung unzulässig, wenn sich dies aus der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt. Diese sog. zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse folgen aus Gefahren, die dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen.

Die humanitäre Lage bzw. die sozio-ökonomischen Verhältnisse können nur ganz ausnahmsweise eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK begründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, BVerwGE 146, 12-31, LS 3). Denn die EMRK schützt hauptsächlich bürgerliche und politische Rechte, nicht aber die sozialen Voraussetzungen zur Wahrnehmung dieser Rechte (BVerwG, Urteil vom 31.Januar 2013 - 10 C 15.12 -, BVerwGE 146, 12-31, Juris Rn. 25). Die humanitäre Lage kommt deshalb nur unter einer einschränkenden Voraussetzung als relevant in Betracht, nämlich wenn die allgemeinen Lebensbedingungen derart schlecht sind, dass sie ein sehr hohes Gefährdungsniveau herbeiführen (BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2019 – 1 B 2.19 -, Juris Rn. 10). Dies ist im Wege einer Abwägung zu ermitteln, in die alle dafür relevanten Aspekte einzubeziehen sind, um festzustellen, ob das notwendige Mindestmaß an Schwere gegeben ist. Das Mindestmaß an Schwere ist dann erreicht, wenn der Rückkehrer sich seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann oder keinen Zugang zu medizinischer Behandlung hat (so jüngst BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 1 B 48.21 - Rn. 6). Dies gilt auch für die Sicherung des existenziellen Grundbedürfnisses Wohnen und dort insbesondere den Schutz vor schlechter Witterung. Wenn durch den Zugang zu wechselnden Unterkünften Obdachlosigkeit hinreichend sicher vermieden werden kann, ist eine eigene, dauerhaft zur alleinigen Verfügung stehende Wohnung nicht erforderlich (siehe BVerwG, Urteil vom 18. Februar 2021 – 1 C 4.20 – Rn. 37 Buchholz 402.251, § 3e AsylG Nr. 1).

Die Prüfung der Voraussetzungen erfolgt unter Berücksichtigung der allgemeinen Gegebenheiten, insbesondere der wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung, sowie der persönlichen Umstände des Klägers. Maßgebliche Faktoren sind dabei Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, die familiäre Situation und Verwandtschaftsverhältnisse, soziale oder andere Schwächen, ethnische, kulturelle oder religiöse Überlegungen, politische und soziale Verbindungen und Vereinbarkeiten, Sprachkenntnisse, Bildungs-, Berufs- und Arbeitshintergrund und -möglichkeiten sowie ggf. erlittene Verfolgung und deren psychische Auswirkungen (BVerwG, Urteil vom 18. Februar 2021 – 1 C 4.20 – Rn. 31 Buchholz 402.251, § 3e AsylG Nr. 1). Einzubeziehen sind auch Zuwendungen Dritter, etwa von Hilfswerken (BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 1 B 48.21 – Juris Rn. 7) oder Rückkehrhilfen (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241). Die menschenrechtswidrige Beeinträchtigung muss in einem derart engen zeitlichen Zusammenhang eintreten, dass bei wertender Betrachtung noch eine Zurechnung zur Rückkehr – in Abgrenzung zu späteren Entwicklungen im Zielstaat oder Verhaltensweisen des Ausländers – gerechtfertigt ist (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241).

Gemessen an diesen Maßstäben steht der Klägerin bei einer Rückkehr nach Somalia wegen der sozio-ökonomischen Bedingungen unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 EMRK kein Abschiebungsverbot zu.

Ein Abschiebungsverbot wegen ernsthaften Risikos eines Verstoßes gegen Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK besteht nicht bereits dann, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Falle einer Rücküberstellung die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern erst, wenn die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist (BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2022 – 1 B 66.21 – Juris Rn. 18).

Dass der Klägerin in Somalia nach der Rückkehr abschiebungsbedingt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Existenz unterhalb des Mindestmaßstabes von Art. 3 EMRK droht, lässt sich nicht feststellen. Ob sie dort ihr Existenzminimum auf Dauer sichern können wird, ist für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht entscheidend (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 25).

Die allgemeinen Gegebenheiten in M____, insbesondere die wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung lassen die Prognose zu, dass die elementarsten Bedürfnisse grundsätzlich befriedigt werden können. Dem steht nicht entgegen, dass in Somalia die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln in weiten Landesteilen nicht gewährleistet ist.

Die Stadtbevölkerung ist von einer gravierenden Unterversorgung mit Nahrungsmitteln anteilig weniger betroffen als die Menschen in ländlichen Gebieten, da Sicherheitsprobleme eine Versorgung der ländlichen Gebiete mit Hilfsgütern in großem Umfang verhindern und die Landbevölkerung vom Regen abhängig ist, der in den letzten Jahren ausgefallen ist. In B____/M____ befanden sich im Mai 2022 77 % der Menschen in den IPC-Stufen 1 und 2, 20 % in der Stufe 3 und 3 % in der Stufe 4. Die Stufe 5 (Hungersnot) wurde in M____ nicht erreicht. Nach anderen Quellen waren Anfang 2022 etwa 14,5 % der Unter-Fünfjährigen in B____/M____ akut unterernährt, 2,6 % schwer akut unterernährt. Unter den Binnenflüchtlingen war dieser Prozentsatz mit 17,0 % bzw. 3,9 % geringfügig höher. Die Hungerproblematik betrifft vor allem Kinder, Frauen und ältere Menschen. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Menschen gerade wegen des Mangels an Nahrung in Städte wie insbesondere M____ flüchten (vgl. Sächsisches OVG, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 5 A 78/19.A – Juris Rn. 57).

Bestätigt wird dieses Bild auch durch den EASO-Report. Danach ist in M____ der Zugang zu grundlegenden Leistungen wie Elektrizität, Wasser, Hygiene, Unterkünften, Bildung und Gesundheitsversorgung besser ausgeprägt als in anderen Städten im Süden und Zentralsomalias (EASO-Report „Somalia Key socio-economic indicators“, 2021, S. 15). Der EASO-Report hält M____ deshalb als Ort internen Schutzes für zumutbar (EASO-Report „Somalia Key socio-economic indicators“, 2021, S. 11ff.).

Ein weiterer Hinweis darauf, dass die zur Sicherung eines Existenzminimums unabdingbaren Ressourcen überhaupt verfügbar sind, ist die Einschätzung des UNHCR, der M____ für bestimmte Personengruppen – eine Anbindung an soziale Strukturen vorausgesetzt - als Ort internen Schutzes unter dem Gesichtspunkt sozio-ökonomischer Bedingungen für zumutbar hält (UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing, Somalia, September 2022, Seiten 129 ff.). Die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente gehören zu den Instrumenten, die geeignet sind, die Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, die tatsächlichen Risiken für einen Asylbewerber im Fall seiner Überstellung zu bewerten. Im Rahmen dieser Beurteilung sind die genannten Dokumente angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, die bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften zu beachten ist, besonders relevant (vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 – C-528/11 – Juris Rn. 44; EuGh, Urteil vom 23. Mai 2019 – C-720/17 – Juris). Für die Beurteilung des internen Schutzes schreibt dies § 3 e Abs. 2 Satz 2 AsylG ausdrücklich vor.

Eingedenk dieser allgemeinen sozio-ökonomischen Verhältnisse in M____ lassen die persönlichen Umstände der Klägerin nicht erwarten, dass die drohende Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Würde der Klägerin in einem solchen engen zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung eintritt, dass bei wertender Betrachtung noch eine Zurechnung zu dieser Abschiebung - in Abgrenzung zu späteren Entwicklungen im Zielstaat oder gewählten Verhaltensweisen der Klägerin - gerechtfertigt erscheint (vgl. zum Maßstab BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 21). Dies gilt, obwohl es sich vorliegend nicht feststellen lässt, ob der Klägerin zu keinem beliebigen Zeitpunkt nach der Rückkehr nach Somalia eine Art 3 EMRK widersprechende Lage droht. Denn eine solche Feststellung ist für die Frage, ob ein der Abschiebung zurechenbarer Verstoß gegen Art. 3 EMRK beachtlich wahrscheinlich ist, nicht maßgeblich (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 25).

Die Klägerin kann Rückkehrhilfen in Anspruch nehmen. Diese reichen so weit in die Zukunft, dass eine etwa nach ihrem Verbrauch eintretende Verelendung nicht mehr der Abschiebung zurechenbar ist, weil sie nicht mehr als „schwerwiegende, schnelle und irreversible“ Verschlechterung des Zustandes des Klägers (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 26) gewertet werden können. Unabhängig davon besteht für die Zeit danach keine besonders hohe Wahrscheinlichkeit der Verelendung.

Für die Rückkehr nach M____u kann die Klägerin auf Rückkehrhilfen zurückgreifen. Im Rahmen des REAG/GARP-Programms erhält die Klägerin bei einer Ausreise neben der Übernahme von Transportkosten Reisebeihilfen in Höhe von 200 €. Weiter erhalten u. a. volljährige somalische Staatsangehörige eine erste Starthilfe in Höhe von 1.000 € unmittelbar vor der Ausreise. Darüber hinaus ist eine medizinische Unterstützung im Wert von maximal 2000 € für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten nach der Ausreise möglich, um die gesundheitliche Anschlussversorgung bzw. den Zugang zum örtlichen Gesundheitssystem im Zielland sicherstellen. Zusätzlich kann der Kläger Leistungen aus dem Reintegrationsprogramm JRS (Joint Reintegration Services) erhalten. Nach diesem Programm ist eine Unterstützung sowohl für freiwillig rückkehrende als auch für rückgeführte Personen möglich. Die Leistungen werden grundsätzlich als Sachleistungen gewährt und enthalten eine Kurzzeit-Unterstützung (bis zu drei Tage nach der Ankunft) und eine Langzeit-Unterstützung (bis zu 12 Monate nach der Ausreise). Zur Kurzzeit-Unterstützung gehören die Flughafenabholung, Weitertransport zum Zielort, notwendige Übernachtungen vor der Zielorterreichung und medizinischer Zusatzbedarf. Die Langzeit-Unterstützung umfasst u. a. eine Wohnungsunterstützung, medizinischen Bedarf bei schweren Erkrankungen, Beratung zu Arbeitsmöglichkeiten und Hilfestellung bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, Unterstützung bei der Gründung eines (eigenen) Geschäftes und rechtliche Beratung und administrative Unterstützung. Die Höhe der Unterstützung orientiert sich an 2.000 € bei freiwilliger Rückkehr und 1.000 € bei einer rückgeführten Person.

Erforderlich ist ferner, die Rückkehrhilfen in eine konkretere zeitliche Perspektive einzuordnen (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 28). Angesichts eines durchschnittlichen Pro-Kopf-Jahreseinkommens von 875 US-Dollar und des Umstands, dass 70 % der Bevölkerung mit weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag auskommen muss, genügt allein die Starthilfe von 1.000 € zuzüglich der Reisebeihilfe von 200 € auch unter Berücksichtigung höherer Kosten in der Anfangsphase und einem eventuell höheren Preisniveau in M____ im Vergleich zum gesamten Land zur Finanzierung der grundlegenden Bedürfnisse für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr.

Nach einem derart langen Zeitraum ist eine Verschlechterung des Zustandes des Klägers nicht mehr der Abschiebung zurechenbar. Eine Abgrenzung abschiebungsbedingter Widrigkeiten zu späteren Entwicklungen im Zielstaat oder gewählten Verhaltensweisen des Ausländers, insbesondere dem Aufbau von Netzwerken oder dem Ergreifen von Chancen auf dem Arbeitsmarkt, (vgl. zu diesem Maßstab BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10/21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 21) ist nicht mehr möglich. Die Annahme einer ausreichenden realen Gefahr darf nämlich nicht nur auf bloßen Spekulationen beruhen, denen eine hinreichende Tatsachengrundlage fehlt (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 13).

Unabhängig vom Vorstehenden könnte Abschiebungsschutz ausnahmsweise nur dann gewährt werden, wenn bereits zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten behördlichen oder gerichtlichen Tatsachenentscheidung davon auszugehen ist, dass dem Ausländer nach dem Verbrauch der Rückkehrhilfen in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine Verelendung mit hoher Wahrscheinlichkeit droht. Je länger der Zeitraum der durch Rückkehrhilfen abgedeckten Existenzsicherung ist, desto höher muss die Wahrscheinlichkeit einer Verelendung nach diesem Zeitraum sein (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 – BVerwGE 175, 227-241, Rn. 25).

Angesichts eines Zeitraumes von über einem Jahr müsste die Verelendung mit einer besonders hohen Wahrscheinlichkeit drohen. Als maßgebliche Faktoren sind dabei Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, die familiäre Situation und Verwandtschaftsverhältnisse, soziale oder andere Schwächen, ethnische, kulturelle oder religiöse Überlegungen, politische und soziale Verbindungen und Vereinbarkeiten, Sprachkenntnisse, Bildungs-, Berufs- und Arbeitshintergrund und -möglichkeiten sowie ggf. erlittene Verfolgung und deren psychische Auswirkungen zu berücksichtigen.

Die Klägerin macht nicht geltend, einem besonders benachteiligten Clan anzugehören. Es handelt sich um eine gesunde, erwachsene und arbeitsfähige Frau. Sie weist die nötige Gewandtheit, um selbst in ihr fremder Umgebung, so in der Türkei, zurechtzukommen. Das Gericht geht des Weiteren davon aus, dass die Klägerin auf beachtliche familiäre Unterstützung zurückgreifen kann. Eigenen Angaben zu Folge lebt in Somalia ihre Mutter, die sich auch um ihre beiden Kinder kümmert. Ferner gab die Klägerin vor Gericht an: „Meine Familie ist groß“. In M____ könne sie sogar zufällig Familienmitglieder treffen. Sie habe mehrere Brüder und Halbbrüder sowie eine Schwester. Angesichts der Unglaubwürdigkeit der Klägerin bestehen Zweifel daran, dass die Familie sie wegen der Heirat ihres dritten Ehemannes verstoßen hat. Diese Zweifel werden zusätzlich dadurch genährt, dass die Klägerin nicht ansatzweise substantiiert, welchem Clan Herr S_____angehören soll und warum sich dies mit der Clanzugehörigkeit der Klägerin nicht vertragen soll. Zudem bestehen erhebliche Zweifel daran, dass die Eheschließung überhaupt stattgefunden hat. Angesichts der Unglaubhaftigkeit der Vorverfolgung bestehen auch Zweifel daran, dass Mutter der Klägerin den früheren Wohnsitz aufgegeben und sich außerhalb von M____ niedergelassen hat. Soweit die Klägerin behauptet, dass der Kontakt zu ihrer Mutter abgebrochen sei, ist diese Erklärung wegen der oben beschriebenen Ungereimtheiten in diesem Zusammenhang und der Unglaubwürdigkeit der Klägerin ebenfalls als verfahrensangepasst zu werten. Selbst wenn dem so wäre, besteht die Möglichkeit, auch nach Mogadischu Geld zu überweisen. Überweisungen von der Familie gehören neben dem traditionellen Sicherungsnetzen und Verteilungsmechanismen auf der Gemeindeebene sowie sozialen Schutzmaßnahmen seitens internationaler Organisationen zu den Grundpfeilern zur Bewältigung von Notlagen (Ecoi.net – Themendossier zu Somalia: Humanitäre Lage vom 26. Februar 2021, Seite 6). Diese Art von Hilfe ist in Somalia gängig. Rücküberweisungen aus der Diaspora stellen für bis zu 40% der Bevölkerung eine unverzichtbare Einnahmequelle dar. Diese werden vor allem für Lebensmittel verwendet und auch mit anderen Menschen geteilt, die keine Rücküberweisungen erhalten (BFA, S. 115 ff.). Es ist in Somalia ohne Weiteres möglich, Geldzuwendungen auf elektronischem Wege zu bewirken. In Somalia existiert ein florierendes Überweisungssystem (Ecoi.net – Themendossier zu Somalia: Humanitäre Lage vom 26. Februar 2021, Seite 8). Dass es der Familie an finanziellen Ressourcen fehlt, hat die Klägerin zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es ist nicht die Aufgabe des Tatsachengerichts ist, einem Asylkläger nachzuweisen, dass er im Zielland der Abschiebung seinen existentiellen Lebensunterhalt sichern kann. Der Schutzsuchende trägt im Gegenteil die materielle Beweislast für die ihm günstige Behauptung, ihm drohe dort die Verelendung. Dazu muss er insbesondere alle in seine Sphäre fallenden erheblichen Tatsachen zur Überzeugung des Gerichts vortragen (OVG für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 24. Mai 2023 – 4 LB 443/18 OVG – Juris Rn. 164; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Februar 2023 – A 11 S 1329/20 – Juris Rn. 210).

In der Gesamtschau all dieser Umstände lässt sich nicht feststellen, dass der Klägerin nach Verbrauch der Rückkehrhilfe mit besonders hoher Wahrscheinlichkeit Verelendung droht. Nicht entscheidend ist hingegen, ob das Existenzminimum der Klägerin in Somalia nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 25).

Künftige, derzeit nicht abschätzbare Entwicklungen, wie etwa eine weltweite Lebensmittelknappheit, können der hier inmitten stehenden Prognose schon deshalb nicht zu Grunde gelegt werden, weil diese nicht auf Spekulationen beruhen darf (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 13). Im Übrigen fehlte es bei Eintreten einer solchen weltweiten Entwicklung an der Zurechnung zur Abschiebung. Die Gefahr muss indes in dem Sinne konkret sein, dass die drohende Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Würde der Person in einem solchen engen zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung durch den Vertragsstaat eintritt, dass bei wertender Betrachtung noch eine Zurechnung zu dieser Abschiebung - in Abgrenzung zu späteren Entwicklungen im Zielstaat oder gewählten Verhaltensweisen des Ausländers - gerechtfertigt erscheint (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 21).

Liegen die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots wegen schlechter humanitärer Bedingungen nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art 3 EMRK (Juris: MRK) nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung allein relevante extreme Gefahrenlage aus. Das nationale Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung bei Allgemeingefahren unterliegt strengeren Maßstäben, sodass es unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage denklogisch keinen weitergehenden Schutz gewähren kann als § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (so auch VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 13. Januar 2021 – A 1 K 6530/18 – Juris).

Die Abschiebungsandrohung begegnet mit Blick auf § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG keinen Bedenken. Auf den Schutz von Ehe kann sich die Klägerin nicht berufen. Ob eine Eheschließung in Form der Ferntrauung, wie sie von der Klägerin geschildert wurde, mit Art. 13 Abs. 3 EGBGB vereinbar und damit im Inland anzuerkennen ist, kann auf sich beruhen, jedenfalls steht der Vorgang der Eheschließung nicht fest. Die Zeitangaben in der Urkunde stehen in einem unauflösbaren Widerspruch zum Umstand, dass sich die Klägerin zu diesem Zeitpunkt nicht im Bundesgebiet, geschweige denn in Berlin befunden hat, wo die Ferntrauung stattgefunden haben soll. Der Urkunde selbst kann keine Beweiskraft zugemessen werden. Für Somalier ist es einfach, echte Dokumente (fast jeden) unwahren Inhalts zu besorgen (Auswärtiges Amt, Lagebericht Somalia, Stand: Mai 2022, Seite 26). Zur Schutzbedürftigkeit der tatsächlichen Lebensgemeinschaft mit Herrn S_____ trägt die Klägerin nichts vor. Nicht nur bei der Frage, warum sie nicht nach Somalia zurückkehren möchte, sondern auch auf die Frage, warum sie in Deutschland verbleiben will, erwähnt die Klägerin die Beziehung zu Herrn S_____ mit keinem Wort. Dies lässt nicht den Schluss zu, dass der Abschiebung familiäre Bindungen entgegenstehen. Auch der beigezogenen Gerichtsakte des Klageverfahrens von Herrn S_____ (5 K 799/21.A), dessen Abschiebungsandrohung nach Italien vollziehbar ist, kann abgesehen von dem – im Übrigen verspätet vorgetragenen – bloßen Umstand der Eheschließung kein Hinweis auf das Gewicht dieses Belanges entnommen werden.

Nach dem Vorstehenden bestehen auch gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot keine Bedenken.

Die Kostenentscheidung für das gerichtskostenfreie Verfahren aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung: