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Entscheidung 3 W 28/24


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 3. Zivilsenat Entscheidungsdatum 21.03.2024
Aktenzeichen 3 W 28/24 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2024:0321.3W28.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 20.01.2024, Az. 52 VI 1226/20, wird zurückgewiesen.

2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Beschwerdewert: 341.000 €.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Erteilung eines die Antragstellerin als testamentarische Alleinerbin nach dem Erblasser ausweisenden Erbscheins. Die Antragstellerin ist die Ziehtochter des Erblassers, die Beteiligte zu 2 seine Schwester.

Mit handschriftlichem Testament vom 19.03.2020 verfügte der Erblasser, dass seine Ziehtochter „all seinen Besitz“, bestehend aus Grundbesitz, Mobiliar, Haushaltsgegenständen, einem Kleingarten nebst Bungalow und Kontoguthaben, erben solle.

Der Erblasser litt abgesehen von mehreren körperlichen Gebrechen unter einer (manisch -) depressiven bis hin zu einer bipolaren Störung, betrieb Alkoholmissbrauch und befand sich seit vielen Jahren in fachärztlicher Behandlung bei Prof. Dr. med. habil. („Name 01“), u.a. einem Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie klinische Psychologie.

Der Erblasser verstarb am 02.07.2020 durch Selbstmord. Er hinterließ einen Abschiedsbrief vom 30.06.2020 (BI. 70 f d.A). In diesem schrieb er u.a. wörtlich: „Ich bin nicht verrückt, ich habe diese Entscheidung über lange Zeit geplant und dabei ständig nachgedacht, welchen anderen Weg es für mich geben kann. Ich bin zu keiner Lösung gekommen, mein Leben ist für mich nicht mehr lebenswert..."

Darüber hinaus übersandte er („Name 01“) einen vom 01.04.2020 datierten Abschiedsbrief, BI. 103 f d. A, in dem er u.a. ausführte: „Das Mobbing, meine Krankheiten, meine Arthrose, die mir die Zukunft vorhersagt und meine Existenzängste nur verstärkt hat, meine Atemschwierigkeiten und und und, vor allem das Fehlen jeglichen Enthusiasmus, jeglichen Lebenswillens, haben seit Monaten dazu geführt, dass sich mein Entschluss immer mehr gefestigt hat. Ich mußte, wollte nur noch alle Erbschaftsangelegenheiten regeln, was alles nur vor sich hergeschoben hat...."

Gegen den Erbscheinantrag der Beteiligten zu 1 hat die Beteiligte zu 2 eingewandt, der Erblasser sei bei Errichtung seines Testaments aufgrund seiner psychischen Erkrankungen nicht testierfähig gewesen.

Der erstinstanzlich schriftlich befragte behandelnde Arzt („Name 01“) hat mit Schreiben vom 23.04.2021 (BI. 102 d. A) eingeschätzt, dass der von ihm letztmalig am 12.02.20220 behandelte Erblasser „in dem relevanten Zeitraum testierfähig war und in der Lage, die Tragweite seiner Handlungen zu erkennen“, was er dem Inhalt des an ihn übersandten Abschiedsbriefs entnehme, ohne zu einer abschließenden fachpsychiatrischen Einschätzung kompetent zu sein.

Das Amtsgericht hat vor diesem Hintergrund ein fachpsychiatrisches Sachverständigengutachtens über die Testierfähigkeit des Erblassers bei Testamentserrichtung eingeholt. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Sachverständigengutachtens der Frau Dr. med. („Name 02“)vom 01.02.2022 BI. 189 ff. d.A und deren Anhörung im Gerichtstermin vom 20.12.2023, Protokoll BI. 422 ff. d. A, verwiesen.

Die Nachlassrichterin hat den beantragten Feststellungsbeschluss am 20.01.2024 erlassen. Zur Begründung ihrer Entscheidung hat sie ausgeführt, die durchgeführten Ermittlungen hätten zu ihrer Überzeugung ergeben, dass der Erblasser bei Abfassung des verfahrensgegenständlichen Testaments testierfähig gewesen sei. Allein der Freitod des Erblassers rechtfertige nicht die Annahme der Testierunfähigkeit. Hingegen habe die Sachverständige in ihrem Gutachten nachvollziehbar dargelegt, dass trotz der Vorerkrankungen keinerlei Hinweis dafür vorliege, dass der Erblasser etwa aufgrund dieser nicht in der Lage gewesen sei, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Vielmehr habe der Erblasser die Erbschaftsangelegenheit, wie er auch in seinem Abschiedsbrief mitgeteilt habe, geplant und auch daran gedacht, die Erblasserin in seinem Kleingartenverein unterzubringen. Die Sachverständige habe auch kein wahnhaftes Erleben feststellen können Zwar sei eine Komorbidität anzunehmen gewesen und eine psychiatrisch relevante Persönlichkeitsstörung in Form einer affektiven Störung mit sowohl depressiven als auch manischen Phasen (bipolare Störung) sowie ein Alkoholproblem zu attestieren. Diese Erkrankungen hätten jedoch, wie die Sachverständige in ihrer Anhörung glaubhaft und nachvollziehbar angegeben habe, keine konkreten Anhaltspunkte für eine abstrakte Beeinträchtigung der Testierfähigkeit des Erblassers ergeben. Soweit die Beteiligte zu 2 darauf verwiesen habe, die medizinischen Unterlagen des behandelnden Psychologen seien aufgrund ihrer schweren Lesbarkeit nicht vollständig ausgewertet worden, verbleibe es dabei, dass die Sachverständige ihrer Einschätzung nach genügend Tatsachenmaterial zur sicheren Beantwortung der Beweisfrage zur Verfügung hatte. Von der weiteren Befassung eines Sachverständigen auf der Grundlage der vollständig lesbar verschrifteten Unterlagen des behandelnden Psychologen („Name 01“) und der Anforderung weiterer Krankenunterlagen (Entlassungsberichte, Hausarzt) seien vor diesem Hintergrund keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten, zumal der Psychologe aufgrund seiner fachkundigen Einschätzung die Testier- und Handlungsfähigkeit des Erblassers bejaht habe. Gemäß § 2358 Abs. 1 BGB seien zwar im Rahmen der - in Nachlasssachen gesteigerten - Amtsermittlungspflicht alle erforderlichen Ermittlungen durchzuführen; über das Maß und den Umfang der im Einzelfall durchzuführenden Ermittlungen habe das Gericht jedoch nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Keinesfalls müsse dabei - sei es von Amts wegen oder aufgrund eines Beweisantrages - allen nur denkbaren Möglichkeiten nachgegangen werden. Die Ermittlungen seien vielmehr abzuschließen, wenn der Sachverhalt so vollständig aufgeklärt sei, dass von einer weiteren Beweisaufnahme kein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis mehr erwartet werden könne (vgl. BayObLG, FamRZ 1996, 566, 568; OLG Frankfurt, FamRZ 1998, 1061, 1063).

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beteiligte zu 2 mit ihrer Beschwerde, die rügt, das Amtsgericht habe die gebotene umfassende Sachverhaltsaufklärung unterlassen, indem es die ihrerseits benannten Zeugen nicht vernommen und eine Neubegutachtung der Testierfähigkeit des Erblassers auf der Grundlage der zuvor vollständig transkribierten ärztlichen Aufzeichnungen („Name 01“) abgelehnt habe.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 29.02.2024 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Das Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg. Zurecht und auf ausreichender Tatsachengrundlage ist das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung zu der Einschätzung gelangt, der Erblasser sei bei der Abfassung seines Testamentes vom 19.03.2020 testierfähig gewesen, so dass der beantragte Erbschein zu erteilen sei.

Testierunfähig ist nach § 2229 Abs. 4 BGB derjenige, der wegen krankhafter Störungen der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörungen nicht dazu in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.

Der Alkoholismus des Erblassers begründet nicht schon als solcher dessen Testierunfähigkeit. Bei Alkoholismus liegt eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit im Sinne von § 104 Nr. 2 BGB bzw § 2229 Abs. 4 BGB nur vor, wenn die Sucht als solche Symptom einer schon vorhandenen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche ist oder der durch die Sucht verursachte Abbau der Persönlichkeit den Wert einer Geisteskrankheit oder Geistesschwäche, einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit, erreicht hat. Die Alkoholsucht für sich allein begründet hingegen keine krankhafte Störung der Geistestätigkeit, die zum Ausschluss der freien Willensbestimmung führen könnte (BayObLG FamRZ 2003, 121).

Es liegen keine belastbaren Anzeichen dafür vor, dass der Erblasser bei Errichtung des Testaments derart alkoholisiert war, dass er vorübergehend unter einer seine Testierfähigkeit ausschließenden Bewusstseinsstörung gelitten hat. Der Umstand, dass der Erblasser in seinem Schreiben vom 01.04.2020 seinen täglichen Alkoholkonsum mit 10 bis 12 Flaschen Bier angegeben hat, lässt keinen Schluss auf eine Volltrunkenheit bei Testamentsabfassung zu, da weder die üblichen noch die Trinkzeiten des Erblassers am nämlichen Tag bekannt bzw. ermittelbar sind und der Erblasser zudem alkoholgewöhnt war sowie weder der Inhalt noch das Schriftbild des Testaments auf irgendeine Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeiten des Erblassers zu diesem Zeitpunkt hindeuten: Der Text ist flüssig und mit fester Handschrift inhaltlich stringent abgefasst.

Hiernach steht die Testierunfähigkeit ursächlich begründend allein die Frage nach den Auswirkungen der manisch-depressiven Erkrankung des Erblassers in Rede. Auch davon, dass sich diese die Testierfähigkeit zur Zeit der Testamentserrichtung beeinträchtigend bei dem Erblasser ausgewirkt hat, kann indes nicht ausgegangen werden. Depressionen können zwar abhängig von Dauer, Intensität und Periodik pathologisch sein und, jedenfalls zeitweise, zur Testierunfähigkeit führen (RG WarnR 1928 Nr. 167), insbesondere in den manischen Phasen, wenn und soweit diese von die eigene Willensentschließung ausschließenden Vorstellungen geprägt sind. Hiervon ist im Ergebnis des Sachverständigengutachtens der Frau Dr. („Name 02“) vom 01.02.2022 allerdings nicht auszugehen, worauf bereits das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend hingewiesen hat. Die Sachverständige hat ausgeführt, dass „trotz der Erkrankungen“ des Erblassers „keinerlei Hinweis darauf zu entnehmen“ sei, „dass der Proband etwa aufgrund einer der Erkrankungen nicht in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.“ Im Gegenteil habe er, so die Sachverständige überzeugend, „die gesamte Erbschaftsangelegenheit akribisch geplant und auch noch daran gedacht, beim Kleingartenverein den Weg für die Erbin zu ebnen“. Hinweise auf ein wahnhaftes Erleben ließen sich aus der Akte nicht entnehmen, eher auf chronische Streitigkeiten, die aber real vorhanden gewesen seien. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung an. Der Erblasser hat in seinem Schreiben vom 01.04.2020 gerade darauf hingewiesen, dass er die Erbschaftsangelegenheit noch habe regeln „müssen“, bevor er den Weg des Freitods gegangen ist. Hinweise auf ein wahnhaftes Verhalten haben sich tatsächlich nicht ergeben und sind von der Beteiligten zu 2 auch als solche nicht vorgetragen worden. Das von ihr als Stalking beschriebene Verhalten ist schon nach den geschilderten Umständen eher als eine übersteigerte Reaktion auf eine vom Erblasser als enttäuschend empfundene Änderung ihrer Lebenssituation - Rückkehr zum Ehepartner - in Kombination mit narzisstischen Anklängen in der Persönlichkeitsstruktur des Erblassers zu werten. Geschildert wird in erster Linie verbal und körperlich aggressives Verhalten des Erblassers, werden nicht aber wahnhafte Äußerungen oder Verhaltensweisen. Die nämlichen Schilderungen beziehen sich im übrigen auf einen dem Zeitpunkt der Testamentserrichtung weit vorausgehenden Zeitraum, nämlich die Jahre bis Anfang 2012, so dass aus ihnen nicht auf die weitere Entwicklung des Krankheitsbildes beim Erblasser bis zum März 2020 rückschließen lässt, das gerade auch durch einen Wechsel von manischen und depressiven Phasen geprägt war. In welcher Phase sich der Erblasser bei Abfassung des Testaments befand, ist dabei schlechthin nicht mehr ermittelbar. Insofern gewinnt die Aussage des langjährigen mit dem Krankheitsbild vertrauten Psychotherapeuten des Erblassers erhebliches Gewicht, dieser sei vor dem Hintergrund des Inhalts seines Abschiedsbriefes „in dem relevanten Zeitraum testierfähig und in der Lage [gewesen], die Tragweite seiner Handlungen zu erkennen“.

Einer weiteren Sachaufklärung bedurfte es nicht.

Die Sachverständige Dr. („Name 02“) hat zwar im Rahmen ihrer mündlichen Ausführungen zu Protokoll des Amtsgerichts vom 20.12.2023 (Bl. 422 ff, 424 dA) eingeräumt, dass die ärztlichen Unterlagen des Psychologen des Erblassers für sie teilweise schwer lesbar gewesen seien. Ihr stand indes eigener Einschätzung zufolge genügend Tatsachenmaterial zur Beantwortung der in ihr Wissen gestellten Beweisfrage zur Testierfähigkeit des Erblassers zur Verfügung. Dabei hat sie ausweislich des Inhalts ihres schriftlichen Gutachtens neben den Angaben der Beteiligten auch die Befunde der Hausärztin des Erblassers mitberücksichtigt, die der Erblasser jedoch vor allem vor dem Hintergrund von HNO-Erkrankungen aufgesucht hatte, während („Name 01“) sein Hauptansprechpartner gewesen ist (vgl. das Sitzungsprotokoll vom 20.12.2023, S. 3).

Angesichts dessen ist nicht zu ersehen, inwieweit eine vollständige Transskription der handschriftlichen Notizen Prof. („Name 01“)s die Erkenntnisgrundlage der Sachverständigen entscheidend würde erweitern oder verändern können, der sich in der Gesamtschau des gesamten Akteninhalts ein schlüssiges Gesamtbild ergab, für die es auch nicht auf weit zurückliegende Umstände ankommen kann, hat sich die Entscheidung doch auf den Testierzeitraum zu fokussieren. Entsprechend bedarf es auch keiner Vernehmung der von der Beteiligten zu 2 benannten Zeugen, beziehen sich die in deren Wissen gestellten, aus eigenem Erleben erinnerlichen Sachverhalte doch auf den Zeitraum bis 2012 bis 2016 und jedenfalls nicht auf denjenigen der Testamentsabfassung. Auf das Schreiben der Beschwerdeführerin vom 07.01.2021, Bl. 37 ff dA, wird verwiesen. Zum Umfang der Amtsaufklärungspflicht hat das Amtsgericht im übrigen zutreffend ausgeführt, so dass sich weitere Darlegungen insoweit erübrigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, der Beschwerdewert entspricht dem Wert des reinen Nachlasses nach dem Inhalt des Erbscheinantrags, §§ 40, 61 GNotKG.