Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 03.04.2024 | |
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Aktenzeichen | OVG 3 S 57/23 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2024:0403.OVG3S57.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 50 Abs. 3 Satz 2 BbgSchulG , § 99 Abs. 2 BbgSchulG , § 103 Abs. 4 Satz 2 BbgSchulG, § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG , § 108 Abs. 2 BbgSchulG , Nr. 5 VV Unterrichtsorganisation |
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 17. August 2023 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag der Antragsteller, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Sohn der Antragsteller vorläufig ab dem Schuljahr 2023/2024 den Besuch der Y_____-Grundschule in V_____ zu gestatten, wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen die Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die erstinstanzliche Entscheidung ist aus den mit der Beschwerde dargelegten Gründen, die den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmen (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), zu ändern.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Eine Vorwegnahme der Hauptsache darf dabei nur erfolgen, wenn dies geboten ist, um effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten (Art. 19 Abs. 4 GG; vgl. W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 123 Rn. 13 ff.). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass der Antragsteller den zu sichernden Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO). Hieran gemessen hat die Beschwerde Erfolg. Die Antragsteller haben jedenfalls einen Anordnungsanspruch, den Antragsgegner zu verpflichten, ihrem Sohn R_____ ab dem Schuljahr 2023/2024 vorläufig den Besuch der Y_____-Grundschule in V_____ als einer nicht zuständigen Schule zu gestatten, nicht dargelegt und glaubhaft gemacht.
Grundschülerinnen sowie Grundschüler haben grundsätzlich die für ihre Wohnung oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt zuständige, durch Satzung des Schulträgers bestimmte Schule zu besuchen (§ 106 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5 Abs. 1 Nr. 1 BbgSchulG). Das ist nach dem Wohnsitz der Antragsteller in der Gemeinde E_____ unstreitig die Grund- und Oberschule E_____ [vgl. § 3 der Satzung über die Bildung von Schulbezirken für die Grundschulen des Amtes E_____ vom 6. Januar 2015]. Das staatliche Schulamt kann jedoch aus wichtigem Grund den Besuch einer anderen Schule gestatten, insbesondere wenn die zuständige Grundschule nur unter Schwierigkeiten erreicht werden kann, pädagogische Gründe hierfür sprechen oder soziale Gründe vorliegen und die Aufnahmekapazität der anderen Schule nicht erschöpft ist (§ 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG).
Der Antragsgegner macht mit Erfolg geltend, dass dem Antragsbegehren bereits die Erschöpfung der Aufnahmekapazität an der gewünschten Y_____-Grundschule in V_____ entgegensteht.
Nach den insoweit nicht substantiiert in Zweifel gezogenen Ausführungen des Antragsgegners wurde für das Schuljahr 2023/2024 in der fraglichen Grundschule lediglich eine Klasse in der ersten Jahrgangsstufe eingerichtet. Die unter Zugrundelegung der Richtwerte und Bandbreiten nach Nr. 5 Abs. 1 und 3 i.V.m. Anlage 1 der Verwaltungsvorschriften über die Unterrichtsorganisation (VV-Unterrichtsorganisation) danach zur Verfügung stehenden 28 Schulplätze sind durch 27 im Schulbezirk der Y_____-Grundschule lebende Schülerinnen und Schüler (vgl. § 4 der Schulbezirkssatzung des Amtes O_____ vom 30. März 2006) sowie eine Schülerin, der der Besuch dieser Grundschule gemäß § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG gestattet worden ist, bereits vollständig in Anspruch genommen. Dies ergibt sich jedenfalls aus der von der Schulleiterin der Y_____-Grundschule unter dem 23. August 2023 unterzeichneten Schülerliste, die sich im Übrigen mit der Liste deckt, die der Antragsgegner bereits mit der Ergänzung des Verwaltungsvorgangs (Schriftsatz vom 8. August 2023) eingereicht hatte und der sich auch die Anschriften der Kinder entnehmen lassen.
Von einer höheren Aufnahmekapazität kann hier - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - nicht deshalb ausgegangen werden, weil das Amt O_____ als Schulträger der Grundschule für diese eine Zweizügigkeit festgelegt und dem Bestreben der Schulleiterin zugestimmt hat, die Gesamtkapazität der Schule ab dem Schuljahr 2023/2024 um 10 Plätze auf insgesamt 190 Schülerinnen und Schüler zu erhöhen. Denn damit ist die maßgebliche Aufnahmekapazität, die für das konkret zu betrachtende Schuljahr zur Verfügung steht, (noch) nicht festgelegt. Eine solche Festsetzung obliegt nicht dem Schulträger, der nach § 99 Abs. 2 Satz 1 und 2 BbgSchulG über die Errichtung, Änderung und Auflösung einer Schule beschließt, die Schule verwaltet und dabei Schulanlagen, Gebäude, Einrichtungen, Lehrmittel und das sonstige Personal stellt. Er ist damit zwar maßgeblich für den äußeren Rahmen des Schulbetriebs zuständig und bestimmt damit einen Teil der für die Kapazitätsfestlegung nach § 50 Abs. 3 Satz 2 BbgSchulG relevanten Gesichtspunkte, vor allem die räumliche Ausstattung. Ein weiterer und entscheidender Teil der Bedingungen dafür, wie viele Schülerinnen und Schüler im jeweiligen Schuljahr neu in eine Schule aufgenommen werden können, entzieht sich aber der Kompetenz des Schulträgers. Denn für die Zuordnung der Lehrkräfte und des sonstigen pädagogischen Personals, für deren Kosten das Land nach § 108 Abs. 2 BbgSchulG aufzukommen hat, ist die staatliche Schulverwaltung in Form des Bildungsministeriums und der Staatlichen Schulämter verantwortlich, die gemäß § 109 Abs. 4 und 5 BbgSchulG den Schulen dieses Personal zuweisen. Da das Brandenburgische Schulgesetz - anders als andere Schulgesetze (vgl. § 109 Abs. 2 SchulG des Landes Berlin) - die Festsetzung der Aufnahmekapazität nicht ausdrücklich zuweist, sondern in § 50 Abs. 3 Satz 2 BbgSchulG nur die Aufgabe beschreibt („Die Aufnahmekapazität ist so zu bemessen, …“), kommt der Schulleiterin bzw. dem Schulleiter, der bzw. dem nach Nr. 5 Abs. 1 VV-Unterrichtsorganisation die Klassenbildung obliegt, entscheidende Bedeutung bei der Ausübung des grundsätzlich weiten organisatorischen Ermessens bei der Festlegung der konkret im Schuljahr verfügbaren Kapazität zu.
Soweit die Antragsteller erstinstanzlich im Schriftsatz vom 4. August 2023 (wenn auch ohne Glaubhaftmachung) vorbringen, dass die Schulleiterin der Y_____-Grundschule erklärt habe, dass nach den Raumbedingungen wie auch nach den vorhandenen Lehrkräften eine weitere erste Klasse gebildet werden könnte, ändert dies nichts an der Tatsache, dass sie ihr Organisationsermessen gerade nicht in diesem Sinne ausgeübt hat, sondern es bei der Bildung nur einer ersten Klasse geblieben ist.
Dass sich aus der Festlegung der VV-Unterrichtsorganisation ein Kapazitätsrahmen von 28 Schülerinnen und Schülern ergibt, unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Der Senat hat wiederholt entschieden, dass die Festlegung von Bandbreiten und Frequenzrichtwerten für die Bildung und Fortführung von Schulklassen durch Verwaltungsvorschriften oder Rundschreiben des für Schule zuständigen Ministeriums in der Ermächtigungsnorm des § 103 Abs. 4 Satz 2 BbgSchulG eine ausreichende gesetzliche Grundlage findet. Einer weiteren Regelung durch den Gesetzgeber bedurfte es im Hinblick auf den organisatorisch-pädagogischen Gestaltungsspielraum, der durch die sachnähere Verwaltung auszuüben ist, nicht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Juli 2005 - OVG 8 S 66.05 - juris Rn. 14 ff.; Beschluss vom 8. Oktober 2020 - OVG 3 S 92/20 - juris Rn. 7; Beschluss vom 19. Oktober 2020 - OVG 3 S 94/20 - juris Rn. 7; Beschluss vom 4. Februar 2021 - OVG 3 S 123/20 - juris Rn. 5).
Die Antragsteller haben keinen Anspruch, dass an der Y_____-Grundschule eine weitere erste Klasse eingerichtet wird oder die Klassenfrequenz überschritten wird, um ihr Wechselbegehren zu ermöglichen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats besteht kein Anspruch auf Ausweitung der Kapazität (vgl. nur OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. September 2017 - OVG 3 S 70.17 - juris Rn. 3; Beschluss vom 23. Oktober 2018 - OVG 3 S 60.18 - juris Rn. 13; Beschluss vom 11. September 2019 - OVG 3 S 82.19 - juris Rn. 4; Beschluss vom 19. Oktober 2020 - OVG 3 S 94/20 - juris Rn. 9). Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Rechts der Eltern zu Pflege und Erziehung des Kindes nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 27 Abs. 2 VerfBbg. Zwar umfasst dieses Elternrecht grundsätzlich die freie Wahl zwischen den verschiedenen Schularten und Bildungswegen, jedoch bezogen auf allein diejenigen, die der Staat im öffentlichen Schulwesen zur Verfügung stellt (vgl. BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 1972 - 1 BvR 230/70, 1 BvR 95/71 - juris Rn. 84). Auch insoweit steht die Schulwahl verfassungsrechtlich unter dem Vorbehalt der Kapazitätsauslastung (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. August 2020 - OVG 3 S 55/20 - juris Rn. 2 f.; Beschluss vom 3. November 2020 - OVG 3 S 90/20 - juris Rn. 12).
Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass zu entscheiden, ob im Rahmen des § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG Fälle denkbar sein können, in denen der geltend gemachte wichtige Grund die Hinnahme einer Kapazitätsüberschreitung der gewünschten Schule gebietet. Denn auch wenn man mit dem Verwaltungsgericht die hier von den Antragstellern geltend gemachten Umstände (sexueller Missbrauch der volljährigen Halbschwester des Kindes durch den früheren Lebensgefährten der Antragstellerin zu 1., mit dem ein wegen des gemeinsamen Wohnorts mögliches Zusammentreffen an der Grund- und Oberschule E_____ vermieden werden soll) als hinreichend tragfähige soziale Gründe im Sinne des § 106 Abs. 4 Satz 3 Nr. 4 BbgSchulG wertete, ergeben sich daraus allein Gesichtspunkte, die gegen einen Verbleib des Sohns der Antragsteller in der zuständigen Grundschule sprechen könnten. Dass diese sozialen Gründe jedoch einzig durch einen Wechsel gerade zur _____-Grundschule in V_____ zu bewältigen sind, gibt das Vorbringen der Antragsteller nicht hinreichend her. Der Antragsgegner moniert mit der Beschwerde zu Recht, dass die Antragsteller - die insoweit maßgeblich die vereinfachte Betreuung durch die Möglichkeit anführen, den Sohn R_____ gemeinsam mit seinem älteren Halbbruder K_____, der die Y_____-Grundschule bereits besucht, zu und von der Schule transportieren zu können - eine substantiierte und schlüssige Darstellung der Betreuungssituation in der Familie nicht geleistet haben. Weder das schriftsätzliche Vorbringen noch die eidesstattlichen Versicherungen der Antragsteller liefern ein vollständiges Bild über die Rahmenbedingungen bezüglich Arbeitsort, Arbeitszeit und Schichtplan im Verhältnis zu den Schulzeiten, nach denen die Antragsteller den Schulbesuch der Kinder zu organisieren haben, und woraus abzuleiten wäre, dass beide Kinder dieselbe Schule besuchen müssen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).