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Anordnung zur Einholung eines Sachverständigengutachtens, Aufklärung eines konkreten Verdachts einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben, hier: Zweifel an der Standsicherheit eines Gebäudes, Grenzen der zumutbaren Inanspruchnahme, Störerauswahl nach Dereliktion, unzureichende Darlegung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat Entscheidungsdatum 15.03.2024
Aktenzeichen OVG 10 S 33/23 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2024:0315.OVG10S33.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 146 VwGO, § 58 BbgBO, § 17 Abs 3 OVG, Art 14 GG

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 17. November 2023 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen eine für sofort vollziehbar erklärte (Ziff. 2) Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 2. März 2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juli 2023, mit der ihm bezüglich des Grundstücks __ in __ (Gemarkung __, Flur __, Flurstücke __ und __) unter Androhung eines Zwangsgeldes (Ziff. 3) die Vorlage eines Standsicherheitsgutachtens für das Vorderhaus (Ziff. 1) und unter Androhung der Ersatzvornahme (Ziff. 4 des Widerspruchsbescheids) der Verschluss offener Dachstellen zwischen Vorder- und Hinterhaus (Ziff. 1.1.)) aufgegeben worden ist. Der Antragsteller und sein Bruder, die das Eigentum an dem Grundstück im Jahr 2002 durch Erbfolge erwarben, betrieben seit dem Jahr 2012 die Dereliktion des Grundstücks, die im Jahr 2017 im Grundbuch eingetragen wurde.

Seinem Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage – VG 3 K 724/23 – hinsichtlich der Ordnungsverfügungen wiederherzustellen sowie hinsichtlich der Zwangsmittelandrohungen anzuordnen, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17. November 2023 bezüglich der Ziffern 1.1., 3. und 4. der Bescheide stattgegeben, im Übrigen hat es ihn abgelehnt.

II.

Die Beschwerde, mit der der Antragsteller sein erstinstanzlich erfolglos gebliebenes Eilrechtschutzbegehren bezüglich der Verpflichtung zur Vorlage eines Standsicherheitsgutachtens (Ziff. 1) weiterverfolgt, hat keinen Erfolg. Die innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe, auf deren Überprüfung das Oberverwaltungsgericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine diesbezügliche Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses.

1. Gegen den vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Prüfungsmaßstab, die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffende Entscheidung über die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen sofort vollziehbaren Verwaltungsakt sei auf der Grundlage einer Interessenabwägung des privaten Aufschubinteresses und des öffentlichen Vollziehungsinteresses unter Berücksichtigung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache zu treffen, wobei der Antrag abzulehnen sei, wenn Überwiegendes für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes spreche und ein Vollziehungsinteresse bestehe, wendet sich die Beschwerde nicht.

2. Ebenso wenig greift sie die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts an, die in § 58 Abs. 2 Satz 1 BbgBO statuierte Ermächtigung der Bauaufsichtsbehörde, über die Einhaltung baurelevanter öffentlicher Normen zu wachen, begründe die Befugnis, bei einem auf objektiven Umständen beruhenden Gefahrenverdacht, der die Schwelle einer erheblichen Gefahr für Leben und Gesundheit erreiche – insbesondere bei aufgrund objektiver Umstände bestehenden Zweifeln an der Standsicherheit eines Gebäudes – eine nähere Aufklärung in dieser Hinsicht zu verlangen.

3. Soweit der Antragsteller sich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts wendet, vorliegend sei ein hinreichender Gefahrenverdacht in Gestalt konkreter Zweifel an der Standsicherheit des in ___, Straße ___, belegenen Gebäudes gegeben, hat sein Beschwerdevorbringen keinen Erfolg.

a. Das Verwaltungsgericht hat zunächst ausgeführt, konkrete Zweifel an der Standsicherheit ergäben sich aus dem Gutachten vom 30. Juni 2013 des Sachverständigen I_____, das in Textziffer 3.6 sechs einzelne Schäden – a) Schädlingsbefall im Dachstuhl und den Dielenfußböden, b) gebrochene Deckenbalken der Decke im Schlafzimmer Erdgeschoss, c) großflächige Feuchtigkeitsschäden in sämtlichen aufgehenden Wänden, d) vorhandene Rissbildung im Bereich der gesamten Bebauung, e) teilweise vollständig durch Holzfäule zerstörte Deckenbalkenköpfe, f) infolge fehlender Verankerung von Dachsparren mit den Deckenbalken nach außen gedrückter Außenwand – benenne, den Zustand des Fachwerks am vorderen Hausteil als kritisch einschätze und die Dacheindeckung für mangelhaft halte.

Soweit der Antragsteller dagegen einwendet – zum einen allgemein, zum anderen konkret bezogen auf Rissbildungen in der Bebauung und die Verformung der Außenwand –, hieraus ließen sich keine Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Standsicherheit im Jahr 2013 herleiten, wird dies den Darlegungsanforderungen nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht gerecht, nach denen er sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen muss, statt der Bewertung des Verwaltungsgerichts lediglich die eigene Bewertung gegenüberzustellen.

Soweit der Antragsteller weiter einwendet, der angesprochene Schädlingsbefall sei baulich nicht eindeutig zuzuordnen und die gebrochene bzw. angefaulten Deckenbalkenteile seien keine Elemente des Dachtragewerks, legt sein Vortrag ebenfalls nicht dar, warum die Standsicherheit des Gebäudes keinen Zweifeln unterliegen würde.

Soweit die Beschwerde darauf verweist, dass der Eckstiel an der Nordwestecke des Fachwerkhauses keine tragende Funktion habe, verkennt sie, dass die Ausführungen des Verwaltungsgerichtes zum Fachwerk sich nicht allein auf eine Ecke, sondern auf den gesamten vorderen Hausteil beziehen.

Welche Bedeutung die Beschwerde dem Umstand beimisst, dass auf der Holzbalkendecke im Obergeschoss kein Schornstein errichtet worden sei, bleibt unklar.

Schließlich vermag die bloße Bezugnahme auf erstinstanzlichen Vortrag „hierzu“, der unberücksichtigt geblieben sei, die erforderliche Darlegung der Unrichtigkeit des Ausgangsbeschlusses nicht zu ersetzen.

b. Soweit die Beschwerde sich gegen die weitere erstinstanzliche Würdigung des Sachverständigengutachtens vom 26. Juli 2019 und des Ergebnisses einer Ortsbegehung vom 9. Mai 2023 wendet und in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass diese sich auf Zeitpunkte nach der Dereliktion beziehen, verkennt sie, dass das Verwaltungsgericht diese späteren Feststellungen – ausweislich der Formulierungen „gleichermaßen nicht unwesentliche Baumängel dokumentiert“ und „auch hierbei wurden … die Baumängel bestätigt“ – lediglich zur Verifizierung der vorgenannten Sachverständigenfeststellungen aus dem Jahr 2013 herangezogen hat. Kommt es mithin nicht darauf an, ob diese späteren Feststellungen für sich genommen Zweifel an der Standsicherheit zu begründen vermögen, so gehen auch die diesbezüglichen Einwendungen des Antragstellers ins Leere.

c. Ebenso wenig erschüttert die Beschwerde die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Befund konkreter Zweifel an der Standsicherheit nicht durch das Gutachten des I_____ vom 21. Juni 2023 in Frage gestellt werde. Soweit die Beschwerde einwendet, dieses stelle nicht das geforderte Standsicherheitsgutachten, sondern Parteivortrag dar, der sich ausschließlich mit den Vorgutachten auseinandersetze, verkennt sie, dass hiervon auch das Verwaltungsgericht ausgegangen ist, wie seine Formulierung „soweit der Antragsteller diesem Befund mit dem von ihm in Auftrag gegebenen Gutachten … entgegentritt“ belegt. Zur rechtlichen Würdigung dieses Parteivortrages durch das Verwaltungsgericht verhält sich die Beschwerde hingegen nicht.

4. Die Beschwerde führt auch nicht zum Erfolg, soweit sie sich gegen die erstinstanzlichen Ausführungen zur Ermessensausübung wendet.

a. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Gutachtenauflage geeignet und erforderlich sei, um gesicherte Aussagen über die Standsicherheit des Gebäudes und die zur Gefahrenabwehr gebotenen Maßnahmen zu erhalten, stellt die Beschwerde zu Recht nicht in Abrede.

b. Ebenso wenig erschüttert das Beschwerdevorbringen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Annahme, dass der Antragsgegner die Anordnung gemäß § 17 Abs. 3 OBG in zumutbarer Weise gegen den Antragsteller richten durfte.

aa. Das Verwaltungsgericht hat der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Grenzen der Zustandshaftung des Eigentümers (Beschluss vom 16. Februar 2000 – 1 BvR 242/99 – BVerfGE 102, 1 ff.) entnommen, dass die Zumutbarkeit einer Anordnung zur Gefahrenabwehr im Regelfall davon abhänge, dass der finanzielle Aufwand dafür den Verkehrswert des Grundstücks nach Gefahrenbeseitigung nicht übersteige und sich andernfalls danach richte, ob der Eigentümer das Risiko der entstandenen Gefahr bewusst in Kauf genommen habe oder Risikoumstände beim Grundstückserwerb bzw. im Verlauf der Nutzung erkennbar gewesen seien. Ausgehend davon ist das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Antragsteller sich für die hier in Rede stehenden Maßnahmen nicht auf eine Begrenzung seiner Zustandshaftung berufen könne. Er habe den gefahrgeneigten Zustand des Gebäudes wegen einer langjährigen Nichtnutzung sowie nicht hinreichender Instandhaltungs- bzw. Instandsetzungsmaßnahmen herbeigeführt oder jedenfalls nicht verhindert. Nach der im Eilverfahren gebotenen Prüfdichte sei ausweislich des Gutachtens von 2013 und der vom Antragsteller initiierten Sicherungsmaßnahmen davon auszugehen, dass die Gefahr schon vor der Dereliktion bestanden habe. Schließlich sei nicht substantiiert vorgetragen, dass es bereits durch die Gutachterkosten und nicht erst durch den späteren Sanierungsaufwand zu einer unzumutbaren Schmälerung seines Eigentums/Vermögens kommen werde. Die mit seiner räumliche Nähe begründete Störerauswahl des Antragstellers sei unter dem Aspekt einer effektiven Gefahrenabwehr sachgerecht, da dem Antragsteller, der sich für das Objekt selbst verantwortlich gefühlt, den Schriftverkehr mit Behörden und Gutachtern geführt und Sicherungsmaßnahmen initiiert habe, eine besondere Kenntnis des Objekts unterstellt werden könne.

bb. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 OBG, dass die Gefahr vorliegend von einer herrenlosen Sache ausging, an der (auch) der Antragsteller das Eigentum aufgegeben hatte, stellt die Beschwerde zu Recht nicht in Abrede. Ebenso wenig wendet sie sich gegen die erstinstanzliche Wiedergabe des abstrakten verfassungsrechtlichen Maßstabes. Ihre Einwendungen gegen dessen vermeintliche Nichtberücksichtigung im konkreten Fall greifen nicht durch, dazu im Einzelnen:

Der Umstand, dass der Antragsteller mit seinem Bruder kraft Erbfolge und nicht durch Rechtsgeschäft Eigentümer des Grundstücks geworden war, macht seine Inanspruchnahme für sich genommen nicht unverhältnismäßig. Weder legt die Beschwerde dar, dass der Wert des Grundstücks bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls unterhalb der mit der verfahrensgegenständlichen Gefahraufklärungsanordnung verbundenen Gutachterkosten gelegen hätte, noch tritt sie der Annahme des Verwaltungsgericht entgegen, dass die Erben den gefahrgeneigten Zustand des Gebäudes durch eine langjährigen Nichtnutzung sowie nicht hinreichende Instandhaltungs- bzw. Instandsetzungsmaßnahmen in den Jahren zwischen dem Erbfall 2002 und der Dereliktionserklärung 2012 mitverursacht haben.

Die Annahme des Antragstellers, er habe bis zur Unterdenkmalschutzstellung des Gebäudes im Jahr 2005 nicht befürchten müssen, „in hohem Maße für den Erhalt des Gebäudes verantwortlich zu sein“, verkennt, dass die Gutachtenanordnung vorliegend lediglich die einem jeden Grundstückseigentümer obliegende bauordnungsrechtliche Verpflichtung nach § 3 Satz 1 BbgBO sichert, bauliche Anlagen so in standzuhalten, dass insbesondere Leben und Gesundheit nicht gefährdet werden.

Soweit der Antragsteller weiter einwendet, für die Beauftragung eines Sachverständigen komme es nicht darauf an, wo der Auftraggeber seinen Wohnsitz habe, verkennt er, dass das Verwaltungsgericht nicht isoliert darauf abgestellt hat, dass der Antragsteller in unmittelbarer Nachbarschaft des Gebäudes wohne, sondern es die Effektivität der Inanspruchnahme auf die damit einhergehende Vorbefassung und Objektkenntnis des Antragstellers gestützt hat.

Soweit der Antragsteller im Übrigen auf seine Ausführungen in drei erstinstanzlichen Schriftsätzen „einschließlich des enthaltenen Sachvortrags sowie der angebotenen Beweismittel“ verweist, wird dies den Darlegungsanforderungen nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht gerecht.

5. Erfolglos wendet sich die Beschwerde schließlich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass an der sofortigen Vollziehung der Beseitigungsverfügung ein besonderes öffentliches Interesse bestehe. Diesbezüglich hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, angesichts des Zustandes des Gebäudes und der dokumentierten Mängel könne die Frage, ob die Standsicherheit des Gebäudes erheblich beeinträchtigt sei und wie dem ggf. entgegenzuwirken sei, nicht bis zum Abschluss eines gegebenenfalls mehrjährigen Rechtsschutzverfahrens offenbleiben. Insoweit erschöpft sich das Beschwerdevorbringen darin, „insbesondere auch für die Frage der Eilbedürftigkeit“ auf den erstinstanzlichen Vortrag zu verweisen, und verfehlt damit ebenfalls die Darlegungsanforderungen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG; sie trägt dem Umstand Rechnung, dass Gegenstand des zweitinstanzlichen Verfahrens lediglich die sofortige Vollziehbarkeit von Textziffer 1. der Ordnungsverfügung vom 2. März 2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juli 2023 ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).