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vorläufige Dienstenthebung, Prognose, Wahrscheinlichkeit, überwiegende Wahrscheinlichkeit, Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, Verlust der Beamtenrechte, Ermittlungsverfahren, Glaubwürdigkeitsgutachten, Unzumutbarkeit einer weiteren Diensttätigkeit, Schulfrieden, Verbot der Führung der Dienstgeschäfte


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 80. Disziplinarsenat Entscheidungsdatum 11.03.2024
Aktenzeichen OVG 80 S 1/24 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2024:0311.OVG80S1.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 146 Abs 4 Satz 1 VwGO, § 146 Abs 4 Satz 3 VwGO, § 38 Abs 1 Satz 1 DiszG, § 38 Abs 1 Satz 2 DiszG, § 63 Abs 1 BDG, § 63 Abs 2 BDG, § 39 BeamtStG

Leitsatz

1. Über den Antrag auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung ist grundsätzlich anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Beschlussfassung zu entscheiden, was durch das Rechtsmittelrecht allerdings insoweit eine Einschränkung erfährt, als dass die Überprüfung der angegriffenen Entscheidung auf die binnen der gesetzlichen Frist dargelegten Einwände reduziert ist.

2. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung bestehen, wenn bei der summarischen Prüfung der angegriffenen Anordnung im gerichtlichen Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Es ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit der Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung sprechenden Gründe überwiegen; der Erfolg des Antrags muss nicht wahrscheinlicher sein als der Misserfolg. Es reicht aus, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg.

3. Die Unzumutbarkeit der weiteren Diensttätigkeit reicht - auch vor dem Hintergrund laufender Ermittlungen und den Auswirkungen des die vorläufige Dienstenthebung begründenden Vorwurfs auf den Schulfrieden - nicht ohne Weiteres für eine vorläufige Dienstenthebung aus, kann hingegen ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte tragen.

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4. Januar 2024 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten der Beschwerde.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Antragsgegner mit der Beschwerde dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 3 VwGO), auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist (jeweils i. V. m. § 41 DiszG, § 67 Abs. 3 BDG), rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses. Gemessen an dem durch das Beschwerdevorbringen begrenzten Prüfungsstoff hat das Verwaltungsgericht die Anordnung des Antragsgegners vom 9. November 2023 über die vorläufige Dienstenthebung (verbunden mit der nicht zum Gegenstand der Beschwerde erhobenen Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge), zu Recht ausgesetzt. Denn die vom Antragsgegner dargelegten Gründe, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben sein soll (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO), greifen nicht durch.

Das Verwaltungsgericht hat mit Bezug auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DiszG ausgeführt, dass auf Basis der präsenten Beweismittel eine vorläufige Bewertung des Verhaltens des Antragstellers vorzunehmen ist und angesichts dessen nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 DiszG) oder seine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe mit der Folge des Verlusts der Beamtenrechte (§ 24 Abs. 1 BeamtStG) angenommen werden kann. In dem noch laufenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren stünden Aussage gegen Aussage und die Staatsanwaltschaft habe hinsichtlich der Hauptbelastungszeugin ein Glaubwürdigkeitsgutachten beauftragt. Von deren Aussage abgesehen gebe es keine weiteren, den Antragsteller belastenden Umstände. Seine der Darstellung der Hauptbelastungszeugin entgegentretende Einlassung sei jedenfalls nicht gänzlich unplausibel. Angesichts dieser Erkenntnislage lasse sich die vorläufige Dienstenthebung auch nicht auf § 38 Abs. 1 Satz 2 DiszG stützen.

Über den Antrag auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung (§ 41 DiszG, § 63 Abs. 1 BDG) – und somit auch über die Beschwerde gegen die hierauf ergangene Entscheidung eines Verwaltungsgerichts – ist grundsätzlich anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Beschlussfassung zu entscheiden (BVerwG, Beschlüsse vom 12. August 2021 – 2 VR 6.21 – juris Rn. 8 und zu § 126 Abs. 5 Satz 3 WDO vom 22. Juli 2002 – 2 WDB 1.02 – juris Rn. 5; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. September 2011 – OVG 83 DB 1.11 – BA S. 3; OVG Münster, Beschluss vom 14. November 2007 – 21d B 1024/07.BDG – juris Rn. 4; st. Rspr. zum Verbot der Führung der Dienstgeschäfte gemäß § 39 BeamtStG, vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. Oktober 2023 – OVG 4 S 21/22 – juris Rn. 15 und Beschluss vom 10. Januar 2024 – OVG 4 S 44/23 – BA S. 2), was durch das Rechtsmittelrecht allerdings insoweit eine Einschränkung erfährt, als dass die Überprüfung der angegriffenen Entscheidung auf die binnen der gesetzlichen Frist dargelegten Einwände reduziert ist (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Januar 2024 – OVG 4 S 44/23 – BA S. 2 f.). Die Aussetzung erfolgt gemäß § 41 DiszG, § 63 Abs. 2 BDG, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung bestehen. Das ist der Fall, wenn bei der summarischen Prüfung der angegriffenen Anordnung im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Es ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit der Anordnung nach § 38 DiszG sprechenden Gründe überwiegen; der Erfolg des Antrags muss nicht wahrscheinlicher sein als der Misserfolg. Es reicht aus, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. November 2019 – 2 VR 3.19 – juris Rn. 22).

Dabei ist für § 38 Abs. 1 Satz 1 DiszG geklärt, dass die voraussichtliche Entfernung aus dem Dienst anzunehmen ist, wenn das Gericht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme erkennen wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. November 2019 – 2 VR 3.19 – juris Rn. 21). Das sieht der Antragsgegner ebenso. Seine Ausführungen dazu, warum er im vorliegenden Fall die Entfernung aus dem Dienst für überwiegend wahrscheinlich hält, greifen nicht durch. Die Prognose ist nicht allein anhand der Aussage der Hauptbelastungszeugin zu treffen. Weitere belastbare Gründe für die Prognose des Antragsgegners sind nicht ersichtlich. Seine Erwägungen, warum die vom Antragsteller zu seiner Entlastung vorgetragenen Gesichtspunkte nicht zutreffen könnten, sind spekulativ. Auch war das Verwaltungsgericht nicht gehalten, wie der Antragsgegner meint, das Verfahren bis zur Erstellung des im Ermittlungsverfahren beauftragten Glaubwürdigkeitsgutachtens auszusetzen, da in dem gerichtlichen Verfahren des § 63 BDG eine Prüfung des Sachverhalts allein auf Grundlage präsenter Beweismittel und des dargelegten Ermittlungsstands erfolgt (OVG Münster, Beschluss vom 14. November 2007 – 21d B 1024/07.BDG – juris Rn. 31 ff.; Urban, in: Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017, § 63 Rn. 15).

Die weiteren Ausführungen des Antragsgegners zu einer vorläufigen Dienstenthebung auf der Grundlage von § 38 Abs. 1 Satz 2 DiszG gehen daran vorbei, dass auch nach dieser Vorschrift eine Disziplinarmaßnahme zu erwarten sein muss. Das Verwaltungsgericht hat diese Tatbestandsvoraussetzung verneint, weil derzeit überhaupt keine Prognose darüber abgegeben werden könne, ob eine Disziplinarmaßnahme und gegebenenfalls welche zu erwarten sei. Der Antragsgegner setzt sich damit nicht auseinander.

Die vom Antragsgegner geltend gemachte Unzumutbarkeit einer weiteren Diensttätigkeit des Antragstellers vor dem Hintergrund der laufenden Ermittlungen und den Auswirkungen des Vorwurfs auf den Schulfrieden reicht nicht ohne Weiteres für eine vorläufige Dienstenthebung aus. Sie könnte hingegen ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte (§ 39 BeamtStG) tragen. Diese Vorschrift bleibt auch nach Einleitung eines Disziplinarverfahrens anwendbar (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. März 2024 – OVG 4 S 53/23 – für juris vorgesehen). Die Beteiligten könnten auch eine vorübergehende Umsetzung des Antragstellers an eine andere Schule erwägen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 41 DiszG, § 77 Abs. 1 BDG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 3 DiszG i. V. m. § 152 Abs. 1 VwGO).