Gericht | OLG Brandenburg 12. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 13.02.2024 | |
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Aktenzeichen | 12 U 163/23 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2024:0213.12U163.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 30.08.2023 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer – Einzelrichter – des Landgerichts Potsdam, Az. 8 O 248/22, gemäß 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Hierzu erhält der Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
I.
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am XX.XX.2022 gegen XX:XX Uhr im Bereich der Ausfahrt vom Parkplatzgelände der Firma … in der (Straße) in (PLZ, Ort) ereignet hat und bei dem es zu einer Kollision zwischen dem vom Kläger gefahrenen und in seinem Eigentum stehenden Pkw M___ mit dem amtlichen Kennzeichen … und der von der Beklagten zu 1. geführten und auf die Beklagte zu 2. zugelassenen Zugmaschine MAN, amtliches Kennzeichen …, und dem bei der Beklagten zu 3. haftpflichtversicherten Auflieger Krone, amtliches Kennzeichen …, kam, als der Beklagte zu 1. nach rechts in die (Straße) abbog. Der Kläger befand sich zu diesem Zeitpunkt mit seinem Fahrzeug rechts neben dem Auflieger in einer Engstelle zwischen dem Auflieger und der rechten Bordsteinkante. Die Parteien werfen sich gegenseitig vor, den Unfall allein verursacht und verschuldet zu haben. Darüber hinaus besteht Streit über die sach- und fachgerechte Reparatur eines aus einem Verkehrsunfall vom 12.01.2022 resultierenden Vorschadens. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dem Kläger stünden gegen die Beklagten keine Ansprüche auf Schadensersatz zu. Es könne dahinstehen, ob die Schäden aus dem Unfall vom 12.01.2022 vor dem streitgegenständlichen Unfall behoben worden seien. Ein etwaiger Anspruch des Klägers sei nach Maßgabe der §§ 18 Abs. 3, 17 Abs. 2, 1 StVG vollständig zu kürzen. Der Beklagte zu 1. habe weder objektiv gefährlich noch subjektiv regelwidrig gehandelt. Er habe mittels dem rechten Fahrtrichtungsanzeiger kundgemacht, nach rechts abbiegen zu wollen. Dass er nach rechts einen gewissen Freiraum gelassen habe, sei nicht zu beanstanden. Dass der Kläger irrig angenommen habe, der Beklagte zu 1. habe nach links abbiegen wollen, habe er schon nicht behauptet. Er sei auch der Behauptung der Beklagten, der Beklagte zu 1. habe seiner Rückschaupflicht genügt, nicht entgegengetreten. Dagegen habe der Kläger objektiv gefährlich und subjektiv regelwidrig gehandelt, indem er zur Überzeugung des Gerichts rechts am Lkw der Beklagten vorbeigefahren sei. Aus der vom Zeugen … zur Verfügung gestellten Videoaufnahme sei deutlich zu erkennen, dass der Beklagte zu 1. sich zunächst dem Einmündungsbereich genähert habe und der Kläger rechts am Lkw vorbeigefahren sei. Mit diesem Fahrmanöver habe er sich sehenden Auges in den besonders gefahrträchtigen „toten Winkel“ des Beklagten zu 1. begeben. Damit habe er versucht, den Beklagten zu 1. entgegen § 5 Abs. 1 StVO rechts zu überholen. Das Überwiegen des Verursachungsbeitrages des Klägers folge aus der Schwere dieser Pflichtverletzung. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt der Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Der Kläger hat gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 31.08.2023 zugestellte Urteil mit einem am 26.09.2023 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die er mit einem am 27.10.2023 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Der Kläger verfolgt seine Ansprüche unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages weiter. Er meint, er sei seiner Beweislast hinsichtlich der Abgrenzbarkeit des Vorschadens durch Vorlage der Reparaturrechnung vom 03.02.2022 nachgekommen und habe damit den Nachweis geführt, dass der Schaden im Frontbereich auf der Fahrerseite fach- und sachgerecht behoben worden sei. Ferner sei der Vorschaden technisch und rechnerisch eindeutig abgrenzbar. Das Landgericht sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass der Beklagte zu 1. weder objektiv gefährlich noch subjektiv regelwidrig gehandelt habe. Er könne sich nicht darauf berufen, dass er nicht in der Lage gewesen sei, das neben ihm stehende klägerische Fahrzeug zu erkennen. Ein aufmerksamer Fahrer müsse im Rahmen der gebotenen Rücksichtnahme gemäß § 1 Abs. 2 StVO einen „toten Winkel“ berücksichtigen und sich durch Spiegel oder Einsatz von Beifahrern Einblick in nicht zugängliche Sichtbereiche verschaffen. Hierfür habe für den Beklagten zu 1. konkreter Anlass bestanden, da er kurz vor dem Unfall das klägerische Fahrzeug überholt habe. Dies gelte insbesondere, weil er an der Kreuzung vollständig zum Halten gekommen sei und rechts einen gewissen Freiraum gelassen habe, der groß genug gewesen sei, dass sich dort noch ein weiteres Fahrzeug habe aufhalten können. In einer solchen Situation entspreche es der Lebenserfahrung, dass sich Fahrzeuge, die von hinten kommen, in den Freiraum eingliederten. Der Beklagte zu 1. habe sich daher durch geeignete Maßnahmen vergewissern müssen, dass sich kein Fahrzeug oder andere Verkehrsteilnehmer im toten Winkel befunden hätten. Der Unfall sei daher für ihn, den Kläger, unabwendbar gewesen.
Der Kläger kündigt sinngemäß die Anträge an,
unter Abänderung des am 31.08.2023 verkündeten Urteils des Landgerichts Potsdam die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
1. an ihn 8.183,75 € nebst fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. an ihn vorgerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 887,03 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten kündigen den Antrag an,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil. Der Kläger habe den Unfall allein verursacht und verschuldet, da er verkehrswidrig versucht habe, den Beklagten zu 1. rechts zu überholen. Auch werde weiterhin eine vollständige sach- und fachgerechte Reparatur des Vorschadens in Abrede gestellt.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gemäß den §§ 517 ff. ZPO eingelegte Berufung ist nach einstimmiger Auffassung des Senats offensichtlich unbegründet. Die Rechtssache weist auch weder grundsätzliche Bedeutung auf, noch rechtfertigen die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Eine mündliche Verhandlung ist auch nicht aus sonstigen Gründen geboten. Es ist daher die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO beabsichtigt.
Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung.
Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagten kein Schadensersatzanspruch aus den §§ 7 Abs. 1, 17, 18 Abs. 1 S. 1 StVG oder aus § 823 Abs. 1 BGB jeweils i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG zu.
Zwar ist das im Eigentum stehende Fahrzeug des Klägers bei dem Betrieb des Sattelzuges beschädigt worden. Der Kläger hat aber bereits nicht dargelegt, dass der Unfall für ihn unabwendbar im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war. Dass der Beklagte zu 1. vor ihm in den Einmündungsbereich der Parkplatzausfahrt gefahren ist und dabei seine Absicht, nach rechts abbiegen zu wollen, durch Betätigung des rechten Fahrrichtungsanzeigers kundgetan hat, hat der Kläger nicht bestritten. Er hat auch nicht geltend gemacht, den rechten Fahrtrichtungsanzeiger des Sattelzuges nicht bemerkt zu haben. Angesichts dessen hätte der Kläger den Unfall ohne weiteres vermeiden können, indem er sich hinter den Sattelzug eingeordnet und abgewartet hätte, bis der Beklagte zu 1. seinen Abbiegevorgang abgeschlossen hatte.
Inwieweit der Unfall auch für den Beklagten zu 1. unabwendbar im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war, kann dahinstehen. Denn jedenfalls ist bei der ansonsten nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG vorzunehmenden Abwägung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge von einer Alleinverursachung des Unfalls durch den Kläger aufgrund eines groben Verstoßes gegen § 5 Abs. 1 StVO auszugehen, welches es rechtfertigt, die Betriebsgefahr des Sattelzuges vollständig hinter den Verursachungsbeitrag des Klägers zurücktreten zu lassen. Die vom Landgericht vorgenommene Abwägung ist nicht zu beanstanden. Die Berufungsbegründung zeigt keine Gesichtspunkte auf, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten.
Der Kläger hat einen groben Verstoß gegen § 5 Abs. 1 StVO begangen, indem er in die zwischen dem Sattelzug und der Bordsteinkante entstandene Lücke gefahren ist und versucht hat, den Sattelzug rechts zu überholen. Unstreitig wies die Ausfahrt keine parallelen Rechtsabbiegerspuren auf. Der Beklagte zu 1. hatte sich mit den Sattelzug ordnungsgemäß gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 StVO rechts zum Abbiegen eingeordnet. Dass zwischen dem Sattelzug und der Bordsteinkante ein gewisser Freiraum verblieben ist, ist angesichts der Größe des Sattelzuges ohne weiteres nachvollziehbar, um ordnungsgemäß nach rechts abbiegen zu können. Entgegen der Auffassung des Klägers entspricht es unter diesen Umständen auch nicht der Lebenserfahrung, dass sich andere Fahrzeuge in den verbliebenen Freiraum hineindrängen. Mit einem solchen grob verkehrswidrigen Verhalten musste der Beklagte zu 1. unabhängig davon, ob sich der Kläger mit seinem Fahrzeug im „toten Winkel“ befand, nicht rechnen, zumal er den rechten Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hatte und daher darauf vertrauen durfte, dass andere Verkehrsteilnehmer, die hinter ihm fahren, seine Absicht, nach rechts abbiegen zu wollen, erkannt hatten. Nur vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass der Kläger auch zur Schadenshöhe nicht substantiiert vorgetragen hat. Unstreitig wies das klägerische Fahrzeug einen auf einem Vorunfall basierenden Vorschaden – wohl im Heckbereich – auf. Bei unstreitigen Vorschäden in den durch den Unfall betroffenen Bereich und bestrittener unfallbedingter Kausalität des geltend gemachten Schadens muss der Geschädigte im einzelnen ausschließen, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs bereits vorhanden waren, wozu er im einzelnen zu der Art der Vorschäden und deren behaupteter Reparatur vortragen muss (vgl. OLG Köln Schaden-Praxis 2011, 187; KG DAR 2016, 461; r+s 2015, 571; NZV 2010, 348; Senat, Urteil vom 03.03.2022 – 12 U 194/20, juris Rn. 4; Wimber in Burmann/Heß u.a., Straßenverkehrsrecht 27. Aufl. § 249 BGB Rn. 87 m.w.N.). Mit der bloßen Behauptung, ein Vorschaden sei sach- und fachgerecht beseitigt worden, ohne zu den Einzelheiten der Reparatur vorzutragen, genügt der Geschädigte seiner Darlegungslast in der Regel nicht (vgl. KG, Urteil vom 27.08.2015 – 22 U 152/14, juris Rn. 40; OLG Düsseldorf, Schaden-Praxis 2015, 265; OLG Hamm NJW-RR 2018, 1296). Auch wenn es sich nicht um überlagerte Schadensbereiche handelt, d.h. um Vorschäden gerade im Anstoßbereich, oder um vom geltend gemachten Unfallschaden nicht eindeutig abgrenzbare Vorschäden, ist in Bezug auf die Auswirkungen von Vorschäden auf den Wiederbeschaffungswert auch zu sämtlichen übrigen konkret geltend gemachten Vorschäden in anderen Schadensbereichen entsprechend vorzutragen (vgl. OLG Bremen NJW-RR 2021, 1468, juris Rn. 32 m.w.N.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.05.2015 – I-1 U 116/14, juris Rn. 41). Denn ohne detaillierte Kenntnis über den Umfang des Vorschadens und seine gegebenenfalls erfolgte Reparatur kann der aktuelle Wiederbeschaffungswert nicht bestimmt werden. Dies ist auch im Falle einer fiktiven Abrechnung auf Gutachtenbasis wie im Streitfall von Bedeutung, weil der Ersatzanspruch des Geschädigten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes begrenzt ist, sodass nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei einer nicht fachgerechten Reparatur der Vorschäden die geltend gemachten Reparaturkosten den tatsächlichen Wiederbeschaffungswert übersteigen. Daher ist der Geschädigte verpflichtet, die Vorschäden im einzelnen, d.h. die konkret beschädigten Fahrzeugteile und die Art ihrer Beschädigung sowie die für die Beseitigung erforderlichen einzelnen Reparaturschritte und die tatsächlich vorgenommenen Reparaturarbeiten schlüssig darzulegen, die Vorlage von Rechnungen genügt insoweit nicht (vgl. OLG Köln NZV 2018, 273; OLG Düsseldorf a.a.O. Rn. 38).
Mangels Hauptanspruch besteht auch kein Anspruch auf Zahlung von Zinsen oder Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
III.
Da die Berufung nach alledem keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle einer Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (Nr. 1222 des KV zum GKG).