Gericht | VG Cottbus 5. Kammer | Entscheidungsdatum | 06.02.2024 | |
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Aktenzeichen | VG 5 K 307/20.A | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2024:0206.5K307.20.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Einem alleinstehenden, arbetisfähigen Mann mit internationalem Schutz in Griechenland droht dort keine gegen Art. 4 EVGR-Scharta bzw. nach Art. 3 EMRK verstoßende Situation, weil in Griechenland Mangel auch an ungelernten Arbeitskräften herrscht. Internationaler Schutz in Griechenland; Erholung der griechischen Wirtschaft; Arbeitsmarktsituation; alleinstehender, arbeitsfähiger Mann; Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt
Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten gerichtskostenfreien Verfahrens.
Wegen der Kosten ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
Der am 2_____ 1992 in A____ geborene Kläger, syrischer Staatsangehörigkeit, wendet sich gegen die auf internationalen Schutz durch griechische Behörden gestützte Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig.
Nachdem der Kläger am 2. Oktober 2017 in Griechenland einen Asylantrag gestellt und dort am 5. Juni 2018 internationalen Schutz erhalten hatte, stellte er am 16. Juni 2019 in Finnland und zuletzt am 14. Januar 2020 im Bundesgebiet weitere Asylanträge. Gegenüber dem Bundesamt gab er in einem Fragebogen zu seinen Qualifikationen an, das Abitur erworben und ein Jahr lang das Studium der Agrikulturtechnik absolviert zu haben sowie zuletzt als Schneider gearbeitet zu haben. Ferner legte er gegenüber dem Bundesamt den finnländischen Bescheid über die Ablehnung seines dort gestellten Asylantrages vor. Im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates am 23. Januar 2020 gab der Kläger an, dass einer seiner Brüder in Griechenland und eine seiner Schwestern in Finnland leben würden. Syrien habe er im Juni 2017 verlassen und sei in die Türkei gereist, wo er 20 Tage geblieben sei. Anschließend habe er zwei Jahre lang in Griechenland gelebt. Nach einem Transitaufenthalt in Schweden habe er sich sechs Monate lang in Finnland aufgehalten, um anschließend am 10. Januar 2020 nach Deutschland einzureisen.
Bei der Anhörung zur Zulässigkeit seines Asylantrages am 24. Januar 2020 gab er gegenüber dem Bundesamt an, im Juni 2019 Griechenland verlassen zu haben. Er habe in Thessaloniki in einem Lager gewohnt. Die Lebensumstände seien dort schlecht gewesen. Er habe monatlich 150,00 Euro bekommen. Anfangs sei es im Lager ruhig gewesen, später habe es Probleme und Auseinandersetzungen gegeben. Er sei dort zusammen mit seiner Schwester gewesen. Einer seiner Brüder lebe in L____ in Griechenland. In Griechenland habe er erfolglos versucht, in Läden eine Anstellung zu finden. Nach Erhalt der Aufenthaltserlaubnis habe er gehofft, einen Sprachkurs besuchen zu können, es seien aber zu viele Asylbewerber da gewesen. Die allgemeine Situation für Flüchtlinge in Griechenland sei schlecht gewesen. Jeden Tag habe es Messerstechereien gegeben. Persönlich sei er jedoch nicht bedroht worden.
Mit Bescheid vom 31. Januar 2020 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag als unzulässig ab, verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes, forderte den Kläger zur Ausreise innerhalb einer Woche auf und drohte ihm widrigenfalls eine Abschiebung nach Griechenland an, wobei es eine Abschiebung nach Syrien ausschloss. Ferner verhängte es ein auf 30 Monate ab der Abschiebung befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot und setzte die sofortige Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung aus. Wegen der Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen.
Mit seiner am 12. Februar 2020 bei Gericht erhobenen Klage ficht der Kläger den ablehnenden Bescheid an. Zur Begründung beruft er sich im Wesentlichen darauf, dass die Lebensbedingungen in Griechenland einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichzusetzen seien. Zwei seiner Brüder würden in H____ bzw. in K____ leben und besäßen entsprechende Aufenthaltstitel. Wegen der schrecklichen Ereignisse in Syrien und der Zersplitterung der Familie in ganz Europa sei zu seinen Gunsten von einem Abschiebungsverbot auszugehen. Wegen seiner traumatischen Erlebnisse könne ihm eine Überstellung nach Griechenland nicht zugemutet werden. Ferner beruft er sich auf eine posttraumatische Belastungsstörung und legt hierzu eine ärztliche Bescheinigung vom 2. Februar 2021 vor. Ferner beruft er sich auf mehrere Berichte, etwa von AIDA, des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR und von Pro Asyl sowie auf mehrere Medienberichte und Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Münster, Lüneburg, Bremen und Berlin aus den Jahren 2021 sowie auf das Urteil des OVG Bautzen vom 27. April 2022 und schließlich mehrere erstinstanzliche Entscheidung aus den Jahren 2018 bis 2021.
Nachdem der Kläger die auf Anerkennung als Asylberechtigten und Zuerkennung internationalen Schutzes sowie Feststellung von Abschiebungsverboten gerichtete Verpflichtungsklage zurückgenommen hat, beantragt er schriftsätzlich,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 31. Januar 2020 aufzuheben.
Schriftsätzlich beantragt die Beklagte,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge Bezug genommen. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, sämtliche Akten einzusehen.
Soweit der Kläger seine auf Anerkennung als Asylberechtigten und Zuerkennung internationalen Schutzes sowie Feststellung von Abschiebungsverboten gerichtete Verpflichtungsklage zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Die Anfechtungsklage gegen die Ablehnungsentscheidung und die Abschiebungsandrohung ist unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
Die Unzulässigkeitsentscheidung über den Asylantrag findet in § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ihre Grundlage. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dies ist vorliegend der Fall. Ausweislich des Eurodac-Eintrages für den Kläger ist diesem am 5. Juni 2018 internationaler Schutz gewährt worden. Dies deckt sich mit dem klägerischen Vorbringen.
Dem Unzulässigkeitsverdikt steht auch kein höherrangiges Recht entgegen.
Dieses Unzulässigkeitsverdikt ist nur dann rechtswidrig, wenn eine Verletzung von Art. 4 der EU-GR-Charta droht (EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 – C-540/17 und C-541/17 – Rn. 35, 44).
Gemessen daran ist die Unzulässigkeitsentscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Maßgeblich sind dabei die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG).
Gegen eine Verletzung von Art. 4 der EU-GR-Charta streitet die im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems geltende Vermutung, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der EMRK steht. Dies gilt insbesondere bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie), in dem im Rahmen des mit dieser Richtlinie eingerichteten gemeinsamen Asylverfahrens der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zum Ausdruck kommt (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. – Juris Rn. 85) und dessen Umsetzung ins nationale Recht § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG dient.
Die Anwendung dieser Vermutung ist nicht disponibel, sondern zwingend (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a. – Rn. 41).
Die zur Widerlegung dieser Vermutung besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erst erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 – Juris Rn. 90). Daher ist das Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung befasst ist, mit der ein neuer Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abgelehnt wurde, in dem Fall, dass es über Angaben verfügt, die der Kläger vorgelegt hat, um das Vorliegen eines solchen Risikos in dem bereits internationalen Schutz gewährenden Mitgliedstaat nachzuweisen, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 – Juris Rn. 88).
Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, durch Erhebungen über konkrete Lohnhöhe und Lebenshaltungskosten dem Kläger nachzuweisen, dass er in Griechenland seinen existentiellen Lebensunterhalt sichern können wird. Denn ein ernsthaftes Risiko eines Verstoßes gegen Art. 4 der EU-GR-Charta und Art. 3 EMRK besteht nicht bereits dann, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Falle einer Rücküberstellung die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern nur für den Fall, dass die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist und der Drittstaatsangehörige dadurch Gefahr läuft, erheblich in seiner Gesundheit beeinträchtigt zu werden oder in einen menschenunwürdigen Zustand der Verelendung versetzt zu werden (BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 1 B 83.21 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 36 Rn. 12).
Die allgemeinen dem Gericht vorliegenden Informationen zur Lage in Griechenland lassen im Falle des Klägers nicht den Schluss zu, dass die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist.
Angesichts der Arbeitsmarktsituation ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ein erwerbsfähiger Mann ohne Unterhaltslasten außerstande ist, durch eigene Erwerbstätigkeit ein Existenzminimum oberhalb der Schwelle des Art. 4 EU-GR-Charta zu erwirtschaften. Darin folgt der Einzelrichter der Einschätzung in den Kammerurteilen vom 31. Januar 2024 (5 K 522/22.A, 5 K 10/23.A und 5 K 181/23.A).
Nach den neuesten Angaben des staatlichen Statistikamts Elstat ging die Arbeitslosenquote im September 2023 auf zehn Prozent zurück. Das war der niedrigste Stand seit September 2009, als die Quote 10,1 Prozent betrug. Die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt spiegelt die starke Konjunktur wider. Griechenlands Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte in den beiden vergangenen Jahren insgesamt um 14 Prozent zu. Eine Rezession ist nicht in Sicht. Für das Jahr 2023 erwartet die griechische Regierung ein Plus von 2,3 Prozent. Für 2024 rechnet Wirtschafts- und Finanzminister Kostis Hatzidakis sogar mit drei Prozent Wachstum (Handelsblatt vom 7. November 2023: „Arbeitslosigkeit in Griechenland fällt unter Vorkrisenniveau“). Auch Wirtschaftsexperten außerhalb der griechischen Regierung bestätigen diese Entwicklung. Eine Analyse des britischen Wirtschaftsmagazins »Economist« stellt fest, dass die griechische Wirtschaft im Vergleich zu 35 anderen OECD-Staaten, darunter auch Deutschland, zum zweiten Mal in Folge am besten abgeschnitten hat. Untersucht wurden dafür fünf Wirtschaftsindikatoren, nämlich die Inflation, die sogenannte Inflationsbreite, das Bruttoinlandsprodukt, Beschäftigungswachstum und die Börsenentwicklung (www.spiegel.de vom 28. Dezember 2023: „Economist“ kürt Griechenland zur besten Wirtschaft des Jahres“).
Die Beschäftigungschancen hängen nicht von Qualifikationen ab, die dem Kläger abgehen. Denn zu den Branchen mit der besten Entwicklung und dem höchsten Anstieg der Beschäftigung gehören auch das verarbeitende Gewerbe, Transportwesen und das Lagerwesen. Insbesondere für ungelernte Arbeitskräfte wirkt es sich aber aus, dass gerade in der Tourismusbranche, in der Landwirtschaft und im Bauwesen eine Vielzahl von Arbeitsplätzen angeboten wird (vgl. für die Tourismusbranche EURES, Arbeitsmarktinformationen: Griechenland vom 10. August 2023). Seit Mitte 2022 gibt es immer häufiger Berichte, denen zufolge in diesen Branchen (Landwirtschaft, Bau, Tourismus) auf Grund des Arbeitskräftemangels Arbeitgeber aktiv nach Arbeitskräften auch unter Schutzberechtigten suchen (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Februar 2023, Seite 7, Ziffer 3.4). In der Landwirtschaft herrscht ein Mangel an Arbeitskräften, der u.a. der Abwanderung von Landarbeitern aus Drittländern während der Corona-Krise geschuldet ist. Im Obst-, Gemüse und Olivenanbau sowie bei den Viehzüchtern sollen derzeit 70.000 Arbeitskräfte fehlen (Deutschlandfunk, Bericht vom 18. Dezember 2023, „Griechenland will 30.000 Migranten eine Arbeitserlaubnis erteilen“). In der Tourismusbranche fehlen rund 100.000 Beschäftigte. Während der Corona-Pandemie haben sich nämlich viele Arbeitnehmer umorientiert (GTAI, Wirtschaftsumfeld/Griechenland/Arbeitsmarkt, Bericht vom 10. Oktober 2023). Diese Nachfrage nach ungelernten Arbeitskräften hat der griechische Gesetzgeber zum Anlass genommen, am 19. Dezember 2023 ein Gesetz zu verabschieden, um zehntausende Arbeitserlaubnisse selbst an jene Migranten zu erteilen, die sich noch in Asylverfahren befinden oder illegal in Griechenland leben (vgl. RND, Bericht vom 20. Dezember 2023, „Griechenland: Zehntausende Migranten erhalten Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung“).
Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen und Migranten stellt nach dem Bericht der Deutschen Botschaft Athen (a.a.O. Seite 9, Ziffer 3.7.1) weiterhin kein augenscheinliches Massenphänomen dar, was unter Bezugnahme auf die diesbezügliche Auskunft vom 06.12.2018 an das VG Stade (Az. 10 A 1632/18) auf die Bildung von eigenen Strukturen und Vernetzung innerhalb der jeweiligen Landsmannschaften zurückgeführt wird, über welche auf informelle Möglichkeiten zurückgegriffen werden kann. Für die Erfüllung der an Art. 4 der EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK zu messenden Grundbedürfnisse gelten - gerade bei nichtvulnerablen Personen - nur an dem Erfordernis der Wahrung der Menschenwürde orientierte Mindestanforderungen. So kann etwa der Umstand, dass der betreffenden Person bezogen auf die Unterkunft ein Schlafplatz in einer von Kirchen, Nichtregierungsorganisationen oder Privatpersonen gestellten Notunterkunft oder in einer staatlich geduldeten "informellen Siedlung" zur Verfügung steht, genügen, sofern die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zumindest zeitweilig Schutz vor den Unbilden des Wetters bieten und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lassen (BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 1 B 83.21 –Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 36 Rn. 14).
In Ansehung dieser Verhältnisse in Griechenland lassen die individuellen Umstände des Klägers nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit besorgen, dass er dort der Verelendung preisgegeben würde. Insbesondere ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass er die sich dort bietenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt nicht ergreifen können wird. Der Kläger ist gesund, frei von Unterhaltslasten und erwerbsfähig. Es ist nicht erkennbar, dass ihm Kläger jene körperliche Robustheit fehlt, welche sich zur Bewältigung körperlich anspruchsvoller Tätigkeiten, wie sie etwa im Agrarsektor nachgefragt werden, als günstig erweist. Vielmehr hat er eigenen Angaben zu Folge bereits Agrikultur studiert, bringt damit für die Landwirtschaft ein Vorverständnis mit, das ihm den Zugang zu diesem Wirtschaftszweig erleichtern kann. Seine selbst organisierten Reisen aus der Türkei nach Griechenland, als auch innerhalb Europas lassen ferner ein hohes Maß an Gewandtheit und Organisationsgeschickt zu Tage treten, die ihm auch in Griechenland erlauben werden, etwa auftretende Schwierigkeiten in der Anfangsphase zu meistern, wobei nicht jede vorübergehende Obdachlosigkeit gegen Art. 4 der EU-GR-Charta verstößt (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. März 2023 – 13 A 10948/22.OVG – Juris Rn. 59; Bayerischer VGH, Beschluss vom 11. Oktober 2023 – 24 B 23.30525 – Juris Rn. 32).
Soweit sich der Kläger auf eine PTBS beruft und in diesem Zusammenhang eine ärztliche Bescheinigung des A_____ Klinikums vom 2. Februar 2021 vorlegt, stellt dies die Einschätzung zu den individuellen Verhältnissen nicht in Frage. Dies gilt schon deshalb, weil die ärztliche Bescheinigung nicht mehr hinreichend aktuell ist. Für die Annahme eines gesundheitsbedingten, auf PTBS gestützten Abschiebungsverbots verlangt die höchstrichterliche Rechtsprechung, dass die Gutachten aktuell sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Juli 2021 – 10 B 21.12 – Juris Rn. 7; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. August 2021 – 1 A 73/20.A – Juris Rn. 25; zu körperlichen Beschwerden: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Dezember 2021 – A 13 S 3196/19 – Juris Rn. 61). Vorliegend sind seit Vorlage der für die Feststellung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG maßgeblichen Stellungnahme mittlerweile mehr als 3 Jahre verstrichen. Dieser Zeitablauf genügt schon für sich genommen, um der Stellungnahme jedwede Aussagekraft für die gegenwärtige psychische Gesundheit des Klägers zu nehmen (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 14. November 2019 – 13a B 19.31153 – Juris Rn. 53: 8 Monate; Bayerischer VGH, Urteil vom 07. Juni 2021 – 13a B 21.30342 – Juris Rn. 53 und VG München, Urteil vom 18. November 2021 – M 27 K 18.31869 – Juris Rn. 24: knapp 2 Jahre; Bayerischer VGH, Urteil vom 06. Juli 2020 – 13a B 18.32817 – Juris Rn. 33: zweieinhalb Jahre). Im Übrigen kann für die Glaubhaftmachung einer Erkrankung, die die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK besorgen lässt (so zum Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG: OVG Lüneburg, Beschluss vom 13. März 2020 – 9 LA 46/20 – Juris Rn. 23 m.w.N.). auf die Maßstäbe des § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 zurückgegriffen werden. Diesen Anforderungen wird der vorgelegte ärztlich-psychologische Bericht vom 2. Februar 2021 nicht gerecht. Ein Attest muss Angaben darüber enthalten, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat (BVerwG, Beschluss vom 26. Juli 2012 – 10 B 21.12 – Juris Rn. 7). Der Bericht beschränkt sich auf die Mitteilung, dass der Kläger regelmäßig zur Sprechstunde komme, ohne die Häufigkeit, den Zeitraum und die Anzahl der Vorsprachen zu nennen. Ferner unterliegt er methodischen Zweifeln. Zunächst schweigt der Bericht zu der Methodik der Diagnose, insbesondere ob der Diagnose ein strukturiertes klinisches Interview zu Grunde liegt (vgl. S3-Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung ICD-10: F43.1, Seite 16). Soweit eine Diagnose von PTBS gestellt wird, unterbleibt eine Differentialdiagnostik gegenüber akuten Belastungsreaktionen, Anpassungsstörungen und relevanten psychischen Vorerkrankungen, wie sie im Rahmen der S3-Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung ICD-10: F43.1 gefordert wird. Schließlich entbehrt die vorgelegte Stellungnahme einer prognostischen Diagnose zu den Folgen einer Abschiebung. Insoweit fehlt jedwede Aussage dazu, ob die Alltagskompetenz des Klägers oder seine Erwerbsfähigkeit eingeschränkt ist, was entscheidend wäre, weil eine PTBS eo ipso kein Abschiebungshindernis begründet (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Januar 2017 – 12 S 83.16 -). Eine solche Bescheinigung vorzulegen, obliegt indes dem Kläger (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. März 2020 - 10 N 4.20 – Juris). Vorlage ungenügender Atteste löst keine Pflicht zur Amtsermittlung aus (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Mai 2017 – 12 M 91.16 -).
Dass dem Kläger in Griechenland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein menschenunwürdiger Zustand der Verelendung droht (vgl. zum Prognosemaßstab BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2022 – 1 B 83.21 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 36 Rn. 12), lässt sich ebenso wenig auf Grund seiner Vorerlebnisse oder mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung zur Lage in Griechenland prognostizieren.
Die individuellen Erlebnisse eines Klägers können zwar Anlass zur eingehenderen Prüfung geben (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Dezember 2020 – 7 A 11038/18 –Juris Rn. 37), sind aber für sich genommen keine Grundlage für die Widerlegung der Vermutung. Sie stellen schon keine objektiven Angaben im oben genannten Sinne dar. Ferner kommt ihnen, zumal wenn sie wie hier mehrere Jahre zurückliegen, nur in begrenztem Umfang Erkenntniswert zu, keinesfalls führen sie zu einer Beweislastumkehr (BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 – Buchholz 402.25 § 27a AsylVfG Nr. 2).
Gleiches gilt für die zur Lage von Inhabern internationalen Schutzes ergangene Rechtsprechung. Die unionsrechtliche Vermutung für eine Charta-konforme Behandlung kann nur auf der Grundlage gebührend aktualisierter Angaben widerlegt werden (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-297/17 – Juris Rn. 85 und 88; Urteil vom 30. November 2023 – C 228/21 u. a. – Rn. 136; BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 2022 – 1 B 73.22 – Juris Rn. 8). Deshalb kann in Verfahren der vorliegenden Art in der Regel nicht angenommen werden, dass eine obergerichtliche Grundsatzentscheidung zu einer bestimmten Tatsachenfrage nach längerem Zeitablauf noch unverändert Gültigkeit beanspruchen kann (eine Divergenz verneinend OVG Lüneburg, Beschluss vom 4. Dezember 2020 – 10 LA 264/19 – Juris Rn. 16). So verhält es sich insbesondere mit Blick auf das Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 23. November 2021 – 3 B 54.19 – Juris. Dieses Urteil beruht auf Erkenntnissen, welche in dem Zeitraum Ende 2020 bis Spätsommer 2021 publiziert wurden, also reale Verhältnisse wiedergeben, die mittlerweile drei Jahre oder länger zurückliegen. Es kommt hinzu, dass diese Erkenntnisse eine Situation widerspiegeln, die maßgeblich von der Corona-Pandemie geprägt gewesen ist, die sich ihrerseits besonders stark auf den Tourismussektor ausgewirkt hat und deshalb die Chancen ungelernter Arbeitskräfte ohne soziales Netzwerk besonders verschlechtert hat. Gleiches gilt auch für das Urteil des Sächsisches Oberverwaltungsgerichts vom 27. April 2022 – 5 A 492/21 A – Juris. Die dort zu Grunde gelegten Erkenntnisse stammen aus dem Zeitraum von 2017 bis August 2021. Die neueste Erkenntnisquelle berichtet demnach über Verhältnisse, die länger als zweieinhalb Jahre zurückliegen. Auch dieser Tatsachenstoff kann wegen des Zeitablaufs und mit Blick auf das Ende der Corona-Pandemie und insbesondere die seitdem eingetretene signifikante Änderung der wirtschaftlichen Lage nicht mehr als „gebührend aktualisierte Angaben“ i.S.d. EuGH-Rechtsprechung gewertet werden.
Abschiebungsverbote liegen nicht vor, weshalb die Abschiebungsandrohung keinen Bedenken begegnet.
Gem. § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Prüfungskompetenz der Beklagten und dementsprechend auch die des Gerichts beschränken sich nur auf zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote und Abschiebungshindernisse, sodass das Gericht allein die mögliche Verletzung zielstaatsbezogener relevanter Verbürgungen der EMRK prüft. Die Richtlinie 2008/115/EG findet keine Anwendung (vgl. EuGH, Urteil vom 24.02.2021 - C-673/19 -, Juris Rn. 45).
Im Falle einer Abschiebung nach Griechenland droht keine konventionswidrige Behandlung. Dagegen streitet die im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems geltende Vermutung, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der EMRK steht. Dies gilt insbesondere bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie in dem im Rahmen des mit dieser Richtlinie eingerichteten gemeinsamen Asylverfahrens der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zum Ausdruck kommt (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. – Juris Rn. 85). Diese Vermutung wird nach dem Vorstehenden vorliegend nicht widerlegt.
Ebenso wenig greift ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ein. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Das normative Vergewisserungskonzept des Art. 16a Abs. 2 GG umfasst auch solche Gefährdungen; einer Prüfung bedarf es deshalb vor einer Aufenthaltsbeendigung in sichere Drittstaaten, wozu auch Griechenland als Mitglied der EU gehört, auch insoweit nicht (vgl. zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 –, BVerfGE 94, 49-114, Rn. 186).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2 VwGO und § 83 b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung: