Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 16.01.2024 | |
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Aktenzeichen | OVG 11 B 9/20 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2024:0116.OVG11B9.20.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 30 Abs 3 Nr 4 AsylG, § 5 Abs 1 AufenthG , § 5 Abs 4 AufenthG , § 8 Abs 1 AufenthG, § 10 Abs 2 AufenthG , § 10 Abs 3 Satz 2 AufenthG, § 34 Abs 2 AufenthG, § 35 Abs 1 Satz 2 AufenthG, § 35 Abs 3 Satz 1 Nr 1 und 2 AufenthG, § 35 Abs 3 Satz 3 AufenthG, § 54 Abs 1 Nr 2 AufenthG, § 129a Abs 5 Satz 1 StGB, § 129b Abs 1 StGB |
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. März 2020 wird, soweit es den erstinstanzlichen Klageantrag zu 1 abgewiesen hat, geändert.
Unter Aufhebung der Ziffern 1 und 2 des Bescheides des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 27. Juli 2016 wird der Beklagte verpflichtet, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers bis zum 6. Dezember 2024 zu verlängern.
Die Kosten des ersten Rechtszugs tragen die Beteiligten je zur Hälfte. Die Kosten der Berufung trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar, für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (Aufenthaltsrecht der Kinder).
Der 1983 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und lebt in Berlin. Im Oktober 1995 zog er zu seinem in Deutschland lebenden Vater. Ihm wurde erstmalig am 5. März 1997 eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug für zwei Jahre erteilt. Die Aufenthaltserlaubnis wurde mehrfach, zuletzt gemäß § 34 Abs. 3 AufenthG mit Verfügung der Ausländerbehörde (früher: Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten; jetzt: Landesamt für Einwanderung) vom 21. März 2013 bis zum 20. März 2015 verlängert.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Kammergerichts, denen die Beteiligten insoweit nicht entgegentreten, war der Kläger jedenfalls im Jahre 2014 Mitglied des im November 2010 gegründeten und seit dem Frühjahr 2017 verbotenen Berliner Moscheevereins K_____(Verein), dessen satzungsgemäßes Ziel es unter anderem war, „den Islam originalgetreu und unbeschränkt kundzutun“, und der als Sprachrohr des jihadistischen Salafismus einzustufen war. Der Verein verstand sich als eine Bruderschaft („Jamaat“) im Sinne einer verschworenen Gemeinschaft ideologisch gefestigter Muslime. Die Jamaat vermittelte der terroristischen Vereinigung x_____ x_____ Kämpfer und war eine ihrer zentralen Anlaufstellen in Deutschland für die Beschaffung finanzieller Mittel und militärischer Ausrüstung. Funktionäre und Mitglieder des Vereins einte ihre radikal-islamistische Glaubensrichtung des Salafismus, die den Ur-Islam, wie er im siebten und achten Jahrhundert im heutigen Saudi-Arabien existiert haben soll, zu neuem Leben erwecken sowie Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft nach mittelalterlichen Regeln umgestalten wollte. Zur Umsetzung dessen zogen auch Mitglieder des Vereins als Kämpfer in den gewaltsamen islamistischen Jihad nach Syrien, um sich dort der O_____ anzuschließen, unter anderem R_____, ein Cousin des Klägers. Ebenfalls zur Unterstützung der O_____ beschafften Mitglieder des Vereins Finanzmittel – etwa durch Geldsammlungen im Verein und unter Gleichgesinnten –, um sie Glaubensbrüdern auf dem Weg zur bzw. bei dem Einsatz in der O_____ zukommen zu lassen oder die Organisation mit den Beträgen direkt zu fördern. Teilweise wurden zudem jihadwillige Mitglieder auf dem Weg zur O_____ persönlich begleitet, um ihnen die Reise dorthin zu erleichtern (vgl. KG, Urteil vom 29. November 2022 – x_____ – UA, S. 16 bis 18).
Am 9. Dezember 2014 leitete das Landeskriminalamt (LKA) ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat ein. Am 6. März 2015 informierte es die Ausländerbehörde hierüber. Grundlage waren Erkenntnisse, die den Verdacht begründeten, der Kläger sei Mitglied einer islamistischen Gruppierung und habe nicht unerhebliche Vermögenswerte gesammelt bzw. entgegengenommen, die dazu bestimmt gewesen seien, ausgereiste Mitglieder dieser Gruppierung logistisch in der Verwirklichung ihrer Ziele, nämlich der Ausbildung in einem terroristischen Trainingslager und der anschließenden Teilnahme an Kampfhandlungen im syrischen Bürgerkrieg auf Seiten jihadistischer Kriegsparteien, zu unterstützen, wobei er zumindest in zwei Fällen die zu diesem Zweck gesammelten Gelder selbst in die Türkei weitergeleitet habe (vgl. Erkenntnismitteilung des LKA an die Ausländerbehörde vom 16. September 2015, Bl. 170 der Ausländerakte [AA]).
Am 13. März 2015 beantragte der Kläger vor Ablauf der Gültigkeitsdauer seiner Aufenthaltserlaubnis am 20. März 2015 deren Verlängerung. Mit Bescheid vom 27. Juli 2016, zugestellt am selben Tage, lehnte die Ausländerbehörde die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Klägers ab (Ziffer 1), erließ eine Abschiebungsandrohung mit der Zielstaatsbestimmung „Türkei“ (Ziffer 2) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall der Abschiebung auf zwei Jahre (Ziffer 3). Sie begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Regelerteilungsvoraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Sicherung des Lebensunterhalts sei nicht nachgewiesen. Zudem bestehe ein besonders schwer wiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Ein atypischer Fall, in dem von diesen Regelerteilungsvoraussetzungen abgesehen werden könnte, liege nicht vor. Auch könne hiervon nicht im Ermessenswege abgesehen werden. Daher sei die Aufenthaltserlaubnis zwingend abzulehnen.
Gegen die Ziffern 1 und 2 des Bescheides hat der Kläger am 27. August 2016 Klage beim Verwaltungsgericht (VG 24 K 300.16 Berlin) erhoben.
Am 19. Dezember 2016 stellte der Kläger anlässlich eines polizeilichen Abschiebungsversuchs ein Asylgesuch und am 28. Dezember 2016 einen förmlichen Asylantrag, welchen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 8. März 2017 als offensichtlich unbegründet ablehnte. Zur Begründung führte das Bundesamt aus, dass der Kläger seinen Asylantrag nur deshalb gestellt habe, um eine drohende Aufenthaltsbeendigung abzuwenden, obwohl er zuvor ausreichend Gelegenheit gehabt habe, einen Asylantrag zu stellen. Die hiergegen erhobene Klage (VG 37 K 70.18 A Berlin) nahm der Kläger am 22. Mai 2019 zurück.
Mit Verfügung der Senatsverwaltung für Inneres und Sport vom 8. Februar 2017 verbot der Beklagte den Verein auf Grundlage von § 14 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 VereinsG und löste ihn auf. Der Verein sammele in nicht unerheblichem Umfang Spenden für terroristische Gruppierungen bzw. für diesen Gruppierungen angeschlossene Mitglieder des Vereins und führe ihnen diese zu. Zudem rekrutiere er Kämpfer für den bewaffneten Jihad in Syrien. Diese seien bei der Ausreise nach Syrien unterstützt und teilweise dorthin begleitet worden. Weiterhin unterstützten führende Vereinsmitglieder den bewaffneten Kampf der Terrororganisation O_____ durch Überlassung militärisch nutzbarer Gerätschaften. Zudem erfolge durch den Verein und seine Mitglieder eine Verherrlichung des Jihads und des religiös motivierten Terrorismus. Dem Verein sei die Verbreitung jihadistischer Propaganda zuzurechnen (vgl. Verbotsverfügung vom 8. Februar 2017, Verfahrensakten der Generalstaatsanwaltschaft bzw. des Kammergerichts in der Strafsache gegen den Kläger [Strafakte] – Az.: x_____ – Bd. XIV Bl. 233 ff.).
Bei einem Kontaktgespräch zwischen dem Kläger und zwei Beamten des LKA am 13. September 2019 berichtete der Kläger ausweislich des Berichts des LKA und nach dem geschilderten Eindruck der Beamten wahrheitsgemäß unter anderem, er sei etwa 2013 durch seinen Cousin in die „Szene“ eingeführt worden. Er habe damals übermäßig Alkohol konsumiert und den Weg des Glaubens gefunden, um von der schiefen Bahn abzukommen. Er bereue noch immer, dass er diese Zahlungen damals getätigt habe. Er bete schon eine lange Zeit nicht mehr und suche keine Moschee oder andere Örtlichkeit mehr auf, die mit der damaligen „Szene“ zu tun habe. Von Personen mit radikalen Ansichten habe er sich distanziert (Bericht des LKA zum Kontaktgespräch vom 13. September 2019, Strafakte Bd. XIII Bl. 79 ff.).
Mit Urteil vom 12. März 2020, zugestellt am 20. April 2020, hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Der mit dem erstinstanzlichen Klageantrag zu 1 begehrten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis unter Aufhebung der Abschiebungsandrohung stehe jedenfalls die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegen. Systematik und Zweck des § 10 AufenthG sprächen ebenso wie dessen Historie dafür, dass die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG auch dann eingreife, wenn es um die Verlängerung eines Aufenthaltstitels gehe, der bereits vor Stellung des als qualifiziert offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylantrages erteilt oder verlängert worden sei. Den weiteren erstinstanzlichen Klageantrag zu 2, gerichtet auf Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 2 AufenthG, hat das Verwaltungsgericht ebenfalls als unbegründet abgewiesen.
Hinsichtlich der Abweisung des erstinstanzlichen Klageantrags zu 1 hat das Verwaltungsgericht die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Mit Schriftsatz vom 18. Mai 2020, beim Verwaltungsgericht eingegangen am 19. Mai 2020, hat der Kläger insoweit Berufung eingelegt.
Im Rahmen des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens (Generalstaatsanwaltschaft Berlin, Az.: 6_____) kündigte der Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom 22. September 2021 (Strafakte Bd. XIII Bl. 87) gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft an, nach Akteneinsicht eine Einlassung abzugeben bzw. für eine Vernehmung zur Verfügung zu stehen. Mit anwaltlichem Schreiben vom 16. Februar 2022 (Strafakte Bd. XIII Bl. 115) kündigte er ferner seine Absicht an, in einer baldigen Hauptverhandlung zu seiner Schuld zu stehen, und regte an, die Sache zeitnah anzuklagen.
Mit Anklageschrift vom 5. Juli 2022 (Bl. 861 ff. GA) erhob die Generalstaatsanwaltschaft Berlin Anklage gegen den Kläger. Sie warf ihm insbesondere vor, er habe zum inneren Kreis des Vereins gehört, wenn er auch kein Funktionsträger gewesen sei. Er habe sich durch drei selbstständige Handlungen nach § 89c Abs. 2 Nr. 4 StGB a.F. strafbar gemacht. Konkret habe er am 20. Oktober 2014 über einen internationalen Zahlungsdienstleister 850,00 EUR an eine Person überwiesen, die zu dieser Zeit als Finanzagent der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) fungiert habe. In dieser Funktion habe diese Person Gelder an Mitglieder der Vereinigung in Syrien weitergeleitet. Am 12. November 2014 habe der Cousin des Klägers diesen um Geld für seinen Bruder gebeten, der kurz zuvor in ein Trainingslager des IS nach Syrien ausgereist war. Der Kläger habe diese Bitte weitergeleitet, woraufhin ein weiteres Vereinsmitglied am 14. November 2014 850,00 EUR an den Finanzagenten des IS überwiesen habe. Am 27. November 2014 habe der Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 800,00 EUR zur Weiterleitung an einen weiteren Cousin überwiesen. Der Kläger sei dabei jeweils fest entschlossen gewesen, das Geld Mitgliedern der terroristischen Vereinigung IS zur Verfügung zu stellen, damit diese sich dort an bewaffneten Kämpfen oder Anschlägen gegen staatliche syrische Strukturen und die dortige Bevölkerung hätten beteiligen können. Ihm sei bewusst gewesen, dass er damit den IS unterstütze, was er auch gewollt habe.
Mit Schreiben vom 15. November 2022 (Strafakte Bd. XIV Bl. 380 ff.) ließ sich der Kläger im Strafverfahren ein und bestätigte darin die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft im Wesentlichen. Weiterhin führte er unter anderem aus, er habe es geschafft, sich aus der salafistischen Szene loszulösen. Er habe mit dem alten Umfeld abgeschlossen und Menschen aus diesem Umfeld seit acht Jahren kaum mehr gesehen. In Zukunft wolle er in seinem Leben ein neues Kapitel aufschlagen und sich neu in der Gesellschaft integrieren. Mit dem Sachverhalt habe er persönlich abgeschlossen und wolle auch juristisch damit abschließen. Er wolle ein neues Leben ohne Straftaten führen. Er bereue die Taten nicht nur, vielmehr schäme er sich zutiefst. Er sei ein Mann gewesen, der sich von falschen Freunden und Beziehungen habe leiten lassen. Er bereue in der Hinsicht alles; die Spenden als auch die Unterstützung. Er wolle fortan ein Vorbild für alle sein, die versehentlich diesen falschen Weg gegangen seien. Er habe in diesem Zusammenhang immer, wo es gegangen sei, Möglichkeiten gesucht, seine Erfahrungen zu teilen und die Menschen, vor allem Jugendliche, vor dem „Gift“ des Salafismus zu warnen. So habe er auch versucht, im Jahr 2019 mit dem LKA zu kooperieren, um seine Veränderung unter Beweis zu stellen. Er wünschte, das alles wäre nicht passiert.
Am 29. November 2022 verurteilte das Kammergericht – Staatsschutzsenat – den Kläger im Ergebnis einer Verständigung im Strafverfahren rechtskräftig wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung. Nach den Feststellungen des Kammergerichts hatte der zuvor unbestrafte Kläger dargetan, dass er sich ob der damaligen Haltung schäme. Sämtliche Angeklagten hätten sich vom islamistischen Gedankengut abgewandt und aus der salafistischen Szene gelöst. Die Angeklagten hätten die Taten vollumfänglich eingeräumt und bedauert. Sie hätten sich zu ihrer Schuld bekannt und einen konsequenten Schlussstrich unter jenes lang zurückliegende Kapitel ihres Lebens gezogen. Für den Kläger habe ganz besonders gesprochen, dass er bereits vor Anklageerhebung gegenüber den Ermittlungsbehörden anwaltlich habe erklären lassen, er werde in einer Hauptverhandlung zu seiner Schuld stehen, und er habe eine zeitnahe Anklageerhebung angeregt. Zuvor habe er sich bereits gegenüber dem LKA zur Zusammenarbeit bereit erklärt. Es sei nicht zu verkennen gewesen, dass das vorliegende Verfahren für die Angeklagten das letzte Relikt aus jener Phase gewesen sei und allein sein Schwebezustand einem endgültigen Schlussstrich, den die Angeklagten, insbesondere der Kläger, längst hätten ziehen wollen, entgegengestanden habe (vgl. KG, Urteil vom 29. November 2022 – x_____ – UA, S. 7 f., 21, 23, 25 und 28).
Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger vor, bereits seinem Wortlaut nach beziehe sich § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nur auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Der Begriff der Verlängerung werde nur in § 10 Abs. 2 AufenthG verwendet. Auch der in der Gesetzesbegründung verwendete Begriff des Erlangens erfasse nach seinem natürlichen Wortsinn, etwas zu erreichen, zu gewinnen oder zu bekommen, nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Das AufenthG unterscheide auch an anderer Stelle formal zwischen der Erteilung und der Verlängerung eines Aufenthaltstitels. Mit Erteilung sei dabei stets die Ersterteilung eines Aufenthaltstitels gemeint. Auch die Gesetzessystematik spreche gegen das Verständnis des Verwaltungsgerichts. Aus § 10 Abs. 1 und 2 AufenthG ergebe sich eindeutig, dass Ausländer, die erstmalig im Bundesgebiet seien und keine Aufenthaltserlaubnis besäßen oder besessen hätten, anders zu behandeln seien als Personen, die bereits im Besitz eines Aufenthaltstitels seien. § 10 Abs. 3 AufenthG knüpfe an § 10 Abs. 1 AufenthG an und wende sich deshalb an die erste Gruppe. Dass die Absätze 1 und 3 auf der einen Seite und Absatz 2 auf der anderen Seite unterschiedliche Zeiträume erfassten, ändere nichts daran, dass dort jeweils eine andere Personengruppe angesprochen sei. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift sprächen für ein enges Verständnis der Vorschrift. Sie normiere ein sehr „scharfes Schwert“, dessen Anwendung nur gegenüber der Personengruppe der „Neuankömmlinge“ und nicht gegenüber der nach § 10 Abs. 2 AufenthG privilegierten Gruppe der hier schon länger legal lebenden Ausländer gerechtfertigt sei. Auch die sog. Pull-Wirkung, zu deren Verringerung die Norm des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bestimmt sei, sei im vorliegenden Fall der Verlängerung eines Aufenthaltstitels nicht von Relevanz.
Der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis stehe auch nicht ein besonders schwer wiegendes Ausweisungsinteresse gem. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegen, so dass der Versagungsgrund des § 5 Abs. 4 AufenthG nicht vorliege.
Der Kläger legte unter dem Datum vom 19. September 2022 eine eidesstattliche Versicherung vor (Bl. 982 ff. GA), mit der er vorträgt, dass er keine Kontakte mehr in die sog. „salafistische Szene“ und sich von seinem damaligen religiösen Umfeld komplett losgelöst habe. Da er mit der Sache habe reinen Tisch machen wollen, habe er im Jahr 2019 ein Kontakt-Gespräch mit dem LKA geführt. Er habe damals gegenüber dem LKA die Überweisungen ins Ausland eingeräumt und sich selbst belastet. Er bereue es und habe es auch schon damals 2019 bereut. Er wolle mit der Sache einfach abschließen. Religion spiele für ihn in Bezug auf andere Menschen keine Rolle mehr. Er habe keinerlei religiöse Verbindungen mehr in eine „islamistische Szene“ und werde diese auch künftig meiden. Er habe keine Kontakte mehr in diese „Szene“, besuche keine Moschee und betätige sich auch sonst nicht religiös.
Weiter trägt er vor, das Kammergericht habe ihn mit Urteil vom 29. November 2022 zwar wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung verurteilt. Aufgrund der Feststellungen des Kammergerichts sei jedoch klar, dass er sich vollständig aus der salafistischen Szene gelöst habe. Er bereue seine Handlungen zutiefst und habe diese Reue nicht nur durch eine umfassende Einlassung, sondern auch durch eine gerichtlich feststellte Kooperation mit den Ermittlungsbehörden – lange vor Anklageerhebung – unter Beweis gestellt. Eine derart glaubwürdige sowie überzeugende Reue komme wohl nur selten vor, weshalb das Kammergericht den Kläger auch innerhalb seines Urteils – auch gegenüber den anderen Angeklagten – besonders herausgestellt habe. Aus dem Urteil des Kammergerichts folge, dass von ihm keinerlei Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mehr ausgehe, weshalb ein Ausweisungsinteresse nicht mehr gegeben sei. Im Übrigen habe er zwischenzeitlich Ansprüche nach Art. 6 ARB 1/80 erworben. Jedenfalls könne er sich deshalb auf die Stillhalteklausel nach Art. 13 ARB 1/80 berufen, weil § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG und § 5 Abs. 4 AufenthG Beschränkungen im Sinne dieser Klausel darstellten.
Schließlich lägen auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen vor. Auf die von dem Kläger eingereichten Unterlagen zur Sicherung des Lebensunterhalts (insbesondere Beistück: Anlagen zum Schriftsatz vom 10. Juli 2023), auf die Fotokopie seines türkischen Reisepasses (Bl. 1257 der Gerichtsakte [GA]) und auf die Fotokopie seines Sprachzertifikats „telc Deutsch B1“ vom 5. September 2023 (Bl. 1262 GA) wird Bezug genommen.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. März 2020 zu ändern, soweit es den Klageantrag zu 1 abgewiesen hat, und den Beklagten unter Aufhebung der Ziffern 1 und 2 des Bescheides des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 27. Juli 2016 zu verpflichten, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu verlängern;
hilfsweise zu verpflichten, den Antrag des Klägers vom 13. März 2015 auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Der Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bezieht sich zur Begründung auf die seiner Ansicht nach zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, welcher der Erteilung eines Aufenthaltstitels vorliegend entgegenstehe. Ergänzend macht er ein besonders schwer wiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG geltend und beruft sich insoweit auf § 5 Abs. 4 AufenthG. Es sei offenkundig, dass ein Beschuldigter im Strafverfahren Aussagen treffen dürfe und werde, die für ihn günstig seien, um ggf. im Falle einer Verurteilung Vorteile bei der Strafzumessung zu haben. Allein eine Aussage gegenüber dem Strafgericht, die diesem genügen möge, reiche für das hiesige Verfahren nicht aus. Die Anforderungen für ein Abstandnehmen von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln seien danach nicht erfüllt.
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 2. August 2023 ergänzend informatorisch angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll Bezug genommen (Bl. 1220-1226R GA).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die hierzu übersandten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Neben der von dem Beklagten übersandten Ausländerakte (AA; Az.: 8_____) haben dem Senat folgende Gerichts- und Verfahrensakten vorgelegen: die Asylakte (Az.: 6_____), die Gerichtsakte im Asylverfahren (Q_____ Berlin), die Verfahrensakten der Generalstaatsanwaltschaft bzw. des Kammergerichts in der Strafsache gegen den Kläger (Strafakte; Az.: x_____) sowie das Urteil des Kammergerichts vom 20. Juli 2017 in der Strafsache I_____ u.a. (Az.: x_____). Bezug genommen wird insbesondere auf den Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 23. Juni 2023 (Bl. 1141 f. GA) sowie auf die von dem Beklagten eingeholten Auskünfte des LKA vom 21. August 2023 (Bl. 999 AA) und der Senatsverwaltung für Inneres und Sport – Abteilung Verfassungsschutz – vom 24. August 2023 (Az.: N_____; Bl. 1002 AA).
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne (weitere) mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
Sein Hauptantrag, den Beklagten unter Aufhebung der Ziffern 1 und 2 des Bescheides der Ausländerbehörde zu verpflichten, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu verlängern, ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Die Klage ist auch begründet. Die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis durch den angefochtenen Bescheid (Ziffer 1) ist rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO), denn er hat einen Anspruch auf deren Verlängerung (I.). Auch die Abschiebungsandrohung in dem angefochtenen Bescheid (Ziffer 2) ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) (II.). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist deshalb insoweit zu ändern.
I.
Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31. Mai 2018 – OVG 11 B 18.16 – juris, Rn. 21 ff.; BVerwG, Urteil vom 15. August 2019 – BVerwG 1 C 23.18 – juris, Rn. 12) einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage von § 35 Abs. 3 Satz 2 Var. 2 und Satz 3 i.V.m. § 35 Abs. 1 Satz 2 Aufenthaltsgesetz (in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008, BGBl. I S. 162, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 2023, BGBl. I Nr. 390, – AufenthG –).
1. Rechtsgrundlage für die vom Kläger beantragte Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ist nicht § 34 Abs. 3 AufenthG. Nach § 34 Abs. 2 Satz 1 AufenthG wird die einem Kind erteilte Aufenthaltserlaubnis zu einem eigenständigen, vom Familiennachzug unabhängigen Aufenthaltsrecht, wenn das Kind volljährig wird. Sie kann nach § 34 Abs. 3 AufenthG verlängert werden, solange die Voraussetzungen für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis und der Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU noch nicht vorliegen. Anspruchsgrundlage ist im vorliegenden Fall jedoch die hier einschlägige Vorschrift des § 35 Abs. 3 Satz 2 Var. 2 und Satz 3 i.V.m. § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG setzt voraus, dass eine schon während der Minderjährigkeit erteilte Aufenthaltserlaubnis nach Eintritt der Volljährigkeit zu einem Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis führt. Der persönliche Anwendungsbereich dieser Regelung erstreckt sich auf volljährig gewordene ausländische Kinder, die erst so spät in das Bundesgebiet nachgezogen sind, dass sie sich bei Vollendung des 16. Lebensjahres noch nicht seit fünf Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach dem 6. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes befanden, bei denen dieser Tatbestand jedoch später eingetreten ist (Bergmann/Dienelt/Dienelt, 14. Auflage 2022, AufenthG § 35 Rn. 15; BVerwG, Urteil vom 15. August 2019 – BVerwG 1 C 23.18 – juris, Rn. 18 ff. m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 13. September 2011 – BVerwG 1 C 17.10 – juris, Rn. 22). Der am 10. Februar 1983 geborene und im Jahr 1995 in das Bundesgebiet eingereiste Kläger fällt in den Anwendungsbereich des § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, da er bei Vollendung des 16. Lebensjahres am 10. Februar 1999 noch nicht fünf Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug war, die ihm erstmalig am 5. März 1997 erteilt wurde.
§ 35 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG kommt zur Anwendung, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG gegeben sind, einem Anspruch jedoch ein Erteilungshindernis nach § 35 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegensteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. August 2019 – BVerwG 1 C 23.18 – juris, Rn. 14), vor allem wenn ein auf dem persönlichen Verhalten des Ausländers beruhendes Ausweisungsinteresse besteht (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1) oder der Ausländer in den letzten drei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten verurteilt worden ist (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Var. 2 AufenthG). In diesen Fällen kann die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden (§ 35 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Ist im Falle der Nr. 2 die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden, wird die Aufenthaltserlaubnis in der Regel bis zum Ablauf der Bewährungszeit verlängert (§ 35 Abs. 3 Satz 3 AufenthG). So liegt der Fall hier (2.).
Darüber hinaus müssen gemäß § 8 Abs. 1 AufenthG auch für die Verlängerung des dem Kläger erteilten Aufenthaltstitels die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG grundsätzlich erfüllt sein (NK-AuslR/Müller, 3. Auflage 2023, AufenthG § 8 Rn. 6; BeckOK AuslR/Maor, 39. Ed. 1. Oktober 2023, AufenthG § 8 Rn. 1), soweit diese nicht durch speziellere Vorschriften verdrängt werden (NK-AuslR/Leuschner, 3. Auflage 2023, AufenthG § 5 Rn. 1). Auch diesen Voraussetzungen sind erfüllt (3.). Ein atypischer Fall im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 3 AufenthG liegt nicht vor (4.). Der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis steht auch nicht die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegen (5.).
2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 35 AufenthG liegen vor.
a) Zunächst sind die – inzident zu prüfenden – Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis als eigenständiges, unbefristetes Aufenthaltsrecht der Kinder nach § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG gegeben.
Nach § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist einem volljährigen Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach dem Abschnitt 6 des Aufenthaltsgesetzes besitzt, abweichend von § 9 Abs. 2 AufenthG eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er seit fünf Jahren im Besitz der Aufenthaltserlaubnis ist (Nr. 1; unten aa), er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt (Nr. 2; unten bb) und sein Lebensunterhalt gesichert ist oder er sich in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss oder einem Hochschulabschluss führt (Nr. 3; unten cc).
aa) Der volljährige Kläger ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach dem Abschnitt 6, nämlich einer Aufenthaltserlaubnis, die ihm zuletzt auf der Grundlage von § 34 Abs. 3 AufenthG verlängert wurde. Der Geltungszeitraum seiner Aufenthaltserlaubnis ist zwar am 20. März 2015 abgelaufen. Sein rechtzeitiger Verlängerungsantrag vom 13. März 2015 hat jedoch die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ausgelöst, wonach der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend gilt, wenn ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt. Diese Fiktionswirkung ist zwar mit der – nicht bestandskräftigen, sondern hier streitgegenständlichen – Ablehnung des Antrags des Klägers mit dem angefochtenen Bescheid fortgefallen. Jedoch wird die Fiktionswirkung mit Eintritt der Rechtskraft des vorliegenden Urteils wiederaufleben (vgl. § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. September 2016 – OVG 11 S 27.16 – juris, Rn. 2; ebenso GK-AufenthG/Marx, Stand: 133. Erg.-Lief. Mai 2023, § 9 Rn. 88 ff.), was im Rahmen der Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen zu antizipieren ist. Anderenfalls könnte eine fehlerhafte, versagende Entscheidung der Ausländerbehörde nach Ablauf der Geltungsdauer des bisherigen Aufenthaltstitels trotz rechtzeitigen Verlängerungs- oder Erteilungsantrags die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Anspruchs beseitigen, was dem Grundsatz des fairen Verfahrens und dem Anspruch auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) zuwiderliefe (vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 30. März 2010 – BVerwG 1 C 6.09 – juris, Rn. 26; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 7. November 2018 – 11 S 2018/18 – juris, Rn. 12).
Diese Aufenthaltserlaubnis besitzt der Kläger auch seit fünf Jahren. Insoweit sind die Zeiten des hier zu prüfenden Anspruchs auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wiederum anzurechnen (vgl. BVerwG, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, a.a.O.). Dem Kläger wurde erstmalig am 5. Oktober 1997 eine Aufenthaltserlaubnis bis zum 9. Februar 1999 erteilt, die in der Folge mehrfach verlängert wurde. Er besaß insbesondere im Zeitraum vom 23. Februar 2010 bis zum 20. März 2015 und damit auch zum Zeitpunkt der Antragstellung am 13. März 2015 ununterbrochen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 32 bzw. § 34 AufenthG.
bb) Der Kläger verfügt auch über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache. Dies ist gemäß § 2 Abs. 11 AufenthG der Fall, wenn seine Sprachkenntnisse dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen entsprechen, was der Kläger durch die Vorlage eines Sprachzertifikats „telc Deutsch B1“ vom 5. September 2023, welches das Prädikat „Gut“ (249/300 Punkte) ausweist, hinreichend nachgewiesen hat.
cc) Ferner ist der Lebensunterhalt gesichert. Davon ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dann auszugehen, wenn der Ausländer seinen Lebensunterhalt, einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel (mit Ausnahme der in Satz 2 der Norm genannten) bestreiten kann. Maßgeblich ist nicht der tatsächliche Bezug öffentlicher Mittel, sondern allein, ob der Ausländer über hinreichende Mittel verfügt, die einen solchen Anspruch ausschließen (st.Rspr., etwa BVerwG, Urteil vom 26. August 2008 – BVerwG 1 C 32.07 – juris, Rn. 21).
Die Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens und der Bedarf richten sich bei erwerbsfähigen Ausländern und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, grundsätzlich nach den entsprechenden Regelungen des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II). Innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft, deren gesamter Bedarf nicht aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt wird, gilt jede Person im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig (§ 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II) und hat im Regelfall einen Leistungsanspruch in Höhe dieses Anteils. Daher ist der Lebensunterhalt des Ausländers in der Regel nicht gesichert, wenn der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft, deren Mitglied er ist, nicht durch eigene Mittel bestritten werden kann (BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – BVerwG 10 C 4.12 – juris, Rn. 25 ff.).
Für die Berechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens sind von dem gemäß § 11 Abs. 1 SGB II zu ermittelnden Bruttoeinkommen die in § 11b SGB II genannten Beträge abzuziehen (BVerwG, a.a.O., Rn. 31 ff. m.w.N.).
Die Bedarfsberechnung bestimmt sich grundsätzlich nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II. Danach umfassen die Leistungen des Bürgergeldes den Regelbedarf, die Mehrbedarfe sowie den Bedarf für Unterkunft und Heizung. Aufenthaltsrechtlich nicht anzusetzen sind die in § 28 SGB II enthaltenen Bedarfe für Bildung und Teilhabe (BVerwG, a.a.O. Rn. 28), die vorliegend aber ohnehin nicht im Raum stehen.
Der Bedarf der nur aus dem Kläger bestehenden Bedarfsgemeinschaft beträgt 1.034,35 EUR und setzt sich zusammen aus dem Regelbedarf in Höhe von 563,00 EUR (§ 20 Absatz 2 Satz 1 SGB II) und den Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 471,35 EUR.
Dem Bedarf steht ein anrechenbares Einkommen von mindestens 1.358,71 EUR gegenüber. Der Kläger hat durch die Vorlage von Arbeitsverträgen, Lohnabrechnungen und den Nachweis von Zahlungseingängen auf seinem Bankkonto hinreichend dargelegt, dass er über Bruttoeinnahmen aus zwei Arbeitsverhältnissen in Höhe von insgesamt mindestens monatlich 2.400,00 EUR verfügt. Hiervon sind Steuern in Höhe von 187,25 EUR, Sozialversicherungsabgaben in Höhe von 506,04 EUR, Freibeträge in Höhe von insgesamt 248,00 EUR und eine Werbungskostenpauschale in Höhe von 100,00 EUR in Abzug zu bringen. Der Kläger ist ausweislich der vorgelegten Lohnabrechnungen gesetzlich krankenversichert. Die Überdeckung beträgt damit mindestens 324,36 EUR.
b) Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, denn er wurde mit rechtskräftig gewordenem Urteil des Kammergerichts vom 29. November 2022 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung verurteilt, vgl. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Der Kläger hat damit – soweit die Voraussetzungen im Übrigen erfüllt sind – einen Regelanspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 35 Abs. 3 Satz 3 AufenthG.
c) Es besteht auch kein auf dem persönlichen Verhalten des Ausländers beruhendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, das zur Folge hätte, dass der Kläger statt des Regelanspruchs nach § 35 Abs. 3 Satz 3 AufenthG (nur) einen Anspruch auf eine ermessenfehlerfreie Entscheidung über die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 35 Abs. 3 Satz 2 AufenthG hätte.
aa) Für das Erteilungshindernis nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG müssen eine konkrete Gefährdung und ein aktueller Ausweisungsgrund vorliegen. Durch die Bezugnahme auf das persönliche Verhalten des Ausländers, auf welchem das Ausweisungsinteresse und damit die ausländerrechtliche Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG beruhen muss, ist eine rein generalpräventiv begründete Annahme eines Ausweisungsinteresses ohne Rücksicht auf eine Wiederholungsgefahr hier nicht zulässig (vgl. VGH Bayern, Beschluss vom 1. Juni 2006 – 24 BV 04.2561 – juris, Rn. 3; Bergmann/Dienelt/Dienelt, 14. Auflage 2022, AufenthG § 35 Rn. 23; BeckOK AuslR/Tewocht, 39. Ed. 1. Oktober 2023, AufenthG § 35 Rn. 19 m.w.N.; vgl. auch Nr. 35.3.5 AufenthG-VwV).
bb) Der Senat kann im vorliegenden Fall offen lassen, inwieweit ein Rückgriff auf das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG über § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG möglich und geboten ist und inwieweit dieser Rückgriff den Regelanspruch aus § 35 Abs. 3 Satz 3 AufenthG verdrängt und nur noch Raum für einen Ermessensanspruch aus § 35 Abs. 3 Satz 2 AufenthG lässt, wenn der Ausländer zwar wegen einzelner Taten im Zusammenhang mit seiner Angehörigkeit zu einer Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt, bzw. mit seiner Unterstützung einer derartigen Vereinigung verurteilt worden ist, die verfolgten Unrechtshandlungen jedoch nicht sein gesamtes Angehörigkeits- bzw. Unterstützungsspektrum abdecken. Ebenso kann der Senat offen lassen, ob vorsätzliche Straftaten im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG dabei (erneut) berücksichtigt werden dürfen.
Denn jedenfalls kann im vorliegenden Einzelfall insgesamt – selbst wenn die abgeurteilten Straftaten hierbei beachtlich sein sollten – das Bestehen eines Ausweisungsinteresses im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts nicht (mehr) festgestellt werden.
(1.) Nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG besonders schwer, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Abs. 1 StGB bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Abs. 2 StGB vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.
(2.) Der Kläger hat im Sinne dieser Vorschrift sicherheitsgefährdend gehandelt.
Mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG hat der Gesetzgeber kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert (BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 – BVerwG 1 C 3.16 – juris, Rn. 34).
Der Kläger war jedenfalls im Jahre 2014 Mitglied des R_____, welcher den islamistischen Terrorismus in Form der Gruppierung O_____ unterstützt hat (KG, Urteil vom 29. November 2022 – x_____ – UA, S. 8 bis 18; KG, Urteil vom 20. Juli 2017 – x_____ – UA, S. 10 bis 35), und hat ihm somit im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angehört. Das sicherheitsgefährdende Handeln des Klägers beschränkte sich damit in ausländerrechtlicher Hinsicht nicht auf die durch das Kammergericht abgeurteilten Unterstützungshandlungen, die Gegenstand des Strafverfahrens waren. Er hat vielmehr auch durch seine Mitgliedschaft und sein Engagement an sich, was bei der informatorischen Anhörung vor dem Senat auch erneut deutlich wurde, das Bestehen des Vereins und damit die fortgesetzte Verfolgung von dessen Zielen, nämlich die Unterstützung des islamistischen Terrorismus, erst mitermöglicht. Insbesondere hat er den Verein zum Gebet, zur Führung religiöser Gespräche, zum Informationsaustausch und zur Kontaktpflege sehr regelmäßig aufgesucht, war mit den führenden Vereinsfunktionären I_____ und K_____ bekannt und in das Vereinsleben insgesamt umfassend eingebunden. Die Generalstaatsanwaltschaft zählte ihn zum „inneren Kreis“. Nach dem Bescheid über das Vereinsverbot vom 8. Februar 2017 gehörte er der „Jamaat“ an (Strafakte Bd. XIV Bl. 239). Hierdurch hat er der Finanzierung des internationalen Terrorismus und diesem selbst in Geist und Tat Vorschub geleistet und den Verein damit zugleich im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG unterstützt.
Der Kläger hat nach den umfassenden tatsächlichen Feststellungen des Kammergerichts im Urteil vom 29. November 2022, die im Wesentlichen seiner Einlassung im Strafverfahren entsprechen und denen er nicht entgegentritt, im Rahmen seiner Mitgliedschaft im R_____ am 20. Oktober 2014 850,00 EUR an einen Finanzagenten der O_____ in der Türkei überwiesen, am 12. November 2014 eine Bitte um Unterstützung dieser Vereinigung weitergeleitet, woraufhin ein Dritter am 14. November 2014 850,00 EUR an ein Mitglied der O_____ überwiesen hat, und er hat am 27. November 2014 durch Dritte zur Verfügung gestellte Mittel in Höhe von 800,00 EUR an ein Mitglied der O_____ überwiesen. Das Kammergericht hat ihn wegen dieser Taten nach § 129a Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 129b Abs. 1 StGB wegen (im Inland begangener) Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in drei Fällen rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung das Kammergericht gemäß § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt hat. Aus dem Vortrag im hiesigen Verfahren und dem Akteninhalt im Übrigen ergeben sich keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte dafür, an den gründlichen und überzeugenden Feststellungen des Kammergerichts zu zweifeln. Vielmehr räumt der Kläger die Taten weiterhin vollumfänglich ein. Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass er hierdurch sowohl den R_____ als auch die GruppierungL_____selbst im ausländerrechtlichen Sinne unterstützt hat. Beide stellen unzweifelhaft Vereinigungen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG dar.
(3.) Nach § 54 Abs.1 Nr. 2 AufenthG können seine Mitgliedschaft in dem später verbotenen Verein K_____, der die Gruppierung O_____ unterstützt hat, und seine vom Kammergericht abgeurteilten Unterstützungshandlungen kein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse (mehr) rechtfertigen, wenn der Kläger erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat.
Hierfür genügt eine reine Passivität des Ausländers nicht. Es bedarf eindeutiger Erklärungen und Verhaltensweisen, die zum Ausdruck bringen, dass er sich nunmehr von zurückliegenden Aktivitäten erkennbar aus innerer Überzeugung glaubhaft distanziert. Aufgrund einer zeitlich-inhaltlichen Zäsur im Leben des Ausländers müssen die früheren Aktivitäten als einen für diesen abgeschlossenen Sachverhalt erscheinen. Allein der Umstand, dass die Unterstützungshandlungen schon mehrere Jahre zurückliegen, genügt nicht, um das in der Person des Ausländers zutage getretene Gefahrenpotenzial als nicht mehr gegeben anzusehen. Das Abstandnehmen setzt vielmehr voraus, dass äußerlich feststellbare Umstände vorliegen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Ausländer seine innere Einstellung verändert hat und aufgrund dessen künftig von ihm keine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland mehr ausgeht. Das Erfordernis der Veränderung der inneren Einstellung bedingt es, dass der Ausländer in jedem Fall einräumen muss oder zumindest nicht bestreiten darf, in der Vergangenheit durch sein Handeln die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet zu haben (BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2017 – BVerwG 1 C 28.16 – juris, Rn. 30, zugleich zur Fortgeltung der früheren Rechtsprechung; VGH Bayern, Urteil vom 27. Oktober 2017 – 10 B 16.1252 – juris, Rn. 53; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17. Juni 2019 – 11 S 2118/18 – juris, Rn. 12; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. März 2016 – 19 A 2330/11 – juris, Rn. 65, jeweils m.w.N.; Bergmann/Dienelt/Bauer, 14. Auflage 2022, AufenthG § 54 Rn. 46 m.w.N.).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der Kläger nach der freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Senats (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln erkennbar und glaubhaft Abstand genommen.
Diese Einschätzung beruht auf folgenden Erwägungen:
Unter Zugrundelegung des gesamten Vorbringens der Beteiligten und des gesamten Akteninhalts – auch der beigezogenen Akten – ergibt sich für den Senat mit hinreichender Deutlichkeit, dass der Kläger im Laufe eines Einsichts- und Verhaltensänderungsprozesses seit dem Jahr 2015 seine Angehörigkeit im Verein bewusst und gewollt beendet, seine Unterstützungshandlungen eingestellt und sich endgültig aus der salafistischen Szene gelöst hat. Angestoßen durch das Bemerken strafrechtlicher Ermittlungen im Umfeld des Vereins Ende 2014 und durch negative ausländerrechtliche Erfahrungen in Form der Nichtverlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis im März 2015 hat der Kläger die Rolle des Vereins in seinem Leben und im Hinblick auf den internationalen Terrorismus sowie seine eigene Einstellung zu dem Verein hinterfragt, seine bis dahin nach seinen Angaben sehr regelmäßigen Vereinsmoscheebesuche eingestellt und zumindest nach 2015 keine Moschee mehr besucht. Die letzten, durch polizeiliche Ermittlungsberichte dokumentierten Besuche der Vereinsmoschee datieren auf den 14., 15. und 28. August 2015 sowie auf den 25. September 2015 (eidesstattliche Versicherung des Klägers vom 19. September 2022, Bl. 983 GA; Bericht des LKA vom 29. September 2015, Bl. 170 AA; Observationsbericht des LKA vom 7. Februar 2017, Strafakte Bd. IV Bl. 82). Der letzte durch polizeiliche Ermittlungsberichte dokumentierte Kontakt zu einer Person aus dem islamistischen Spektrum x_____ datiert auf den 21. September 2016 (Observationsbericht, a.a.O., Bl. 83). Über die vom Kammergericht abgeurteilten Finanzierungsunterstützungshandlungen hinaus sind weitere Unterstützungshandlungen davor oder danach nicht bekannt geworden.
Das Verhalten des Klägers beschränkte sich dabei nicht allein auf einen Abbruch seiner Kontakte und damit nicht auf reine Passivität. Vielmehr sind entgegen der Auffassung des Beklagten auch äußerlich feststellbare Umstände vorhanden, die für einen mit dem zuvor geschilderten objektiven Abstandnehmen einhergehenden, inneren Gesinnungswechsel streiten und – wenn auch im Rahmen eines Prozesses – eine zeitlich-inhaltliche Zäsur im Leben des Klägers erkennen lassen, so dass deutlich wird, dass sein sicherheitsgefährdendes Handeln für ihn als ein abgeschlossener Sachverhalt steht. Besondere Bedeutung misst der Senat dabei der Tatsache zu, dass der Kläger am 13. September 2019 nicht nur zu einem Kontaktgespräch mit zwei Beamten des LKA bereit war, sondern in diesem Gespräch auch ausweislich des hierzu angefertigten Berichts die von ihm getätigten Zahlungen eingestanden und auch seine Mitgliedschaft in dem Verein K_____ und seinen Umgang mit J_____ und N_____ beschrieben hat. Zu diesem Zeitpunkt war noch keine Anklage erhoben, so dass nicht davon gesprochen werden kann, der Kläger habe erst unter dem Druck einer bevorstehenden Verurteilung zu seinen Taten gestanden. Zugleich hat der Kläger in diesem Gespräch – und nach dem geschilderten Eindruck der Beamten auch wahrheitsgemäß – ausgeführt, er bereue noch immer, dass er diese Zahlungen damals getätigt habe. Er bete schon eine lange Zeit nicht mehr und suche keine Moschee oder andere Örtlichkeit auf, die mit der damaligen „Szene“ zu tun habe. Von Personen mit radikalen Ansichten habe er sich distanziert. Der Kläger hat den Beamten ferner ohne zu zögern seine Mobilfunknummer gegeben (Bericht des LKA zum Kontaktgespräch vom 13. September 2019, Strafakte Bd. XIII Bl. 79).
Weiter hat der Senat maßgeblich berücksichtigt, dass der Kläger mit Schreiben seines Strafverteidigers an die Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom 22. September 2021 (Strafakte Bd. XIII Bl. 87) – und damit ebenfalls noch vor Anklageerhebung in dem Strafverfahren – angekündigt hat, sich in der Sache einzulassen bzw. für eine Vernehmung zur Verfügung zu stehen. Mit weiterem Schreiben vom 16. Februar 2022 (Strafakte Bd. XIII Bl. 115) hat er angekündigt, in der Hauptverhandlung zu seiner Schuld zu stehen, eine zeitnahe Anklageerhebung angeregt und um eine angemessene Strafe gebeten. Mit Schreiben an das Kammergericht vom 15. November 2022 (Strafakte Bd. XIV Bl. 380) hat er sich sodann umfassend eingelassen. Dabei hat er unter anderem ausgeführt, er habe es geschafft, sich aus der salafistischen Szene zu lösen und mit dem alten Umfeld abzuschließen. Er wolle in seinem Leben ein neues Kapitel aufschlagen und sich neu in der Gesellschaft etablieren. Er bereue seine Taten, schäme sich zutiefst und habe immer Möglichkeiten gesucht, andere vor dem „Gift“ des Salafismus zu warnen. Auch insoweit liegen erhebliche, äußerlich feststellbare Umstände vor, die es als überzeugend erscheinen lassen, dass der Kläger seine innere Einstellung verändert hat und von ihm keine Gefahr mehr ausgeht. Er räumt sein sicherheitsgefährdendes Handeln ein und bestreitet es nicht (mehr). Soweit sein früherer Prozessbevollmächtigter erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 5. Januar 2017 noch vorgetragen hat, die Generalstaatsanwaltschaft habe auch nach schon seit über zwei Jahren dauernden Ermittlungen bis heute keine Anklage gegen ihn erhoben, so dass zu vermuten stehe, dass sich ein hinreichender Tatverdacht nicht habe begründen lassen (Bl. 109 GA), und dass mit diesem Geld angeblich irgendwelche anderen Zwecke als die einer „Akika-Opfergabe“ verfolgt werden sollten, habe sich der Kenntnis des Klägers entzogen (Bl. 110 GA), ist dieses Vorbringen überholt und liegt darin überdies keine persönliche Erklärung des Klägers selbst und damit kein persönliches Bestreiten. Dasselbe gilt, soweit dieser Vortrag mit erstinstanzlichem Schriftsatz des früheren Prozessbevollmächtigten noch vom 10. Dezember 2019 wieder aufgegriffen worden war (Bl. 431 GA), zumal der Kläger zwischenzeitlich schon längst mit dem LKA in Kontakt getreten war und seine Reue über die Überweisungen den Sicherheitsbehörden selbst gegenüber zum Ausdruck gebracht hatte.
Diese Einschätzung des Senats wird bestätigt durch die Feststellungen des Kammergerichts in dessen Urteil vom 29. November 2022. Danach hat der zuvor unbestrafte Kläger in dem dortigen Strafverfahren dargetan, dass er sich ob der damaligen Haltung schäme. Sämtliche Angeklagten hätten sich vom islamistischen Gedankengut abgewandt und aus der salafistischen Szene gelöst. Die Angeklagten hätten die Taten vollumfänglich eingeräumt und bedauert. Sie hätten sich zu ihrer Schuld bekannt und einen konsequenten Schlussstrich unter jenes lang zurückliegende Kapitel ihres Lebens gezogen. Für den Kläger habe ganz besonders gesprochen, dass er bereits vor Anklageerhebung gegenüber den Ermittlungsbehörden anwaltlich habe erklären lassen, er werde in einer Hauptverhandlung zu seiner Schuld stehen, und dass er eine zeitnahe Anklageerhebung angeregt habe. Zuvor habe er sich bereits gegenüber dem LKA zur Zusammenarbeit bereit erklärt. Es sei nicht zu verkennen gewesen, dass das vorliegende Verfahren für die Angeklagten das letzte Relikt aus jener Phase gewesen sei und allein sein Schwebezustand einem endgültigen Schlussstrich, den die Angeklagten, insbesondere der Kläger, längst habe ziehen wollen, entgegengestanden habe (vgl. KG, Urteil vom 29. November 2022 – x_____ – UA, S. 7 f., 21, 23, 25 und 28). Danach ist auch das Kammergericht überzeugend zu der Einschätzung gelangt, dass eine zeitlich-inhaltliche Zäsur im Leben des Klägers erkennbar ist und seine Unterstützungshandlungen für ihn einen abgeschlossenen Sachverhalt darstellen.
Aus den Angaben des Klägers im Rahmen der informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 2. August 2023 ergeben sich keine tatsächlichen Anhaltspunkte, die diese Einschätzung des Senats zum Abstandnehmen des Klägers von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln in Zweifel zögen. Insbesondere haben sich daraus weder Anhaltspunkte für die (fortgesetzte oder erneute) Angehörigkeit zu oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ergeben noch Anhaltspunkte für Kontakte zu Personen des islamistischen Spektrums. Vielmehr hat der Kläger unter anderem etwa angegeben, dass er keinen Kontakt mehr zu seinem Cousin R_____ habe, der für ihn eine bedeutende Bezugsperson darstellte und ihn im Jahre 2013 an den Verein herangeführt hat, und dass er heute bereue, Teil des Vereins gewesen zu sein. Diese Angaben bestätigen die bereits aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens im Übrigen gewonnene Überzeugung des Senats, dass dem Kläger die terrorismusfinanzierende Funktion des Vereins und der Zweck der von ihm getätigten Überweisungen klar ist und er sich dafür schämt.
Schließlich enthalten auch die Auskünfte der Sicherheitsbehörden, die der Beklagte auf den Beschluss des Senats vom 2. August 2023 hin gemäß § 73 Abs. 2 AufenthG eingeholt hat, keine neueren tatsächlichen Anhaltspunkte, die gegen das Abstandnehmen des Klägers von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln streiten. Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport – Abteilung Verfassungsschutz – hat am 24. August 2023 mitgeteilt, ihr lägen keine Erkenntnisse i.S.d. § 5 Abs. 4 i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, die über die mit Urteil des Kammergerichts vom 29. November 2022 (Az. x_____) abgeurteilten Taten hinausgingen (Bl. 1002 AA). Dies ist eindeutig. Das LKA hat dem Beklagten am 21. August 2023 mitgeteilt, dass abweichende Erkenntnisse zum glaubhaften Abstandnehmen des Klägers von seinem sicherheitsgefährdenden Verhalten, die den eigenen Einlassungen in und weiteren Erkenntnissen aus der Hauptverhandlung entgegenstünden, im LKA 8 nicht bekannt seien (Bl. 999 AA). Trifft diese Auskunft die im Beschluss des Senats vom 2. August 2023 aufgeworfene Frage auch nicht genau, entnimmt der Senat dieser Auskunft gleichwohl, dass dem LKA keine weiteren, über die im vorliegenden Verfahren bekannten Tatsachen hinausgehenden Erkenntnisse vorliegen, die Versagungsgründe gemäß § 5 Abs. 4 AufenthG i.V.m § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG begründen könnten. Denn hätten dem LKA weitere Erkenntnisse vorgelegen, wären dies gleichzeitig Erkenntnisse für das Nichtvorliegen des erkennbaren und glaubhaften Abstandnehmens gewesen. Schließlich enthält auch der Restvorgang der Ausländerakte keine neueren Meldungen der Strafverfolgungsbehörden oder des LKA.
3. Auch die allgemeinen Titelerteilungsvoraussetzungen liegen vor.
a) Nachdem ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG – wie gezeigt – nicht vorliegt, ist der Titelversagungsgrund des § 5 Abs. 4 AufenthG (vgl. zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf die Erteilung aller Aufenthaltstitel einschließlich Niederlassungserlaubnissen VGH Bayern, Beschluss vom 11. März 2020 – 10 ZB 19.229 – juris, Rn. 6; VGH Bayern, Urteil vom 2. September 2013 – 10 B 10.1713 – juris, Rn. 51; vgl. auch BeckOK AuslR/Maor, 39. Ed. 1. Oktober 2023, AufenthG § 5 Rn. 45) nicht erfüllt.
b) Die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) wird durch die Spezialregelung in § 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG verdrängt, ist aber ohnehin – wie gezeigt – auch erfüllt.
c) Auf sonstige Ausweisungsinteressen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) kommt es im Falle des Vorliegens der Erteilungsvoraussetzungen für eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 Abs. 1 AufenthG nicht an. Zwar gelten die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich auch für die Niederlassungserlaubnis. Im Falle des § 35 Abs. 1 AufenthG wird die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG jedoch durch die bereichsspezifische Sonderregelung des § 35 Abs. 3 Satz 1 AufenthG verdrängt (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 16. November 2010 – BVerwG 1 C 21.09 – juris, Rn. 12, zu § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AufenthG).
d) Die Erfüllung der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) hat der Kläger durch die Vorlage der Fotokopie eines gültigen türkischen Reisepasses hinreichend nachgewiesen.
4. Der Kläger hat einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis bis zum Ablauf der Bewährungszeit am 6. Dezember 2024, denn ein atypischer Fall im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 3 AufenthG liegt nicht vor.
Ob die Voraussetzungen der Regelverlängerung im Einzelfall erfüllt sind, unterliegt als gesetzliches Tatbestandsmerkmal der vollen gerichtlichen Überprüfung. Die Worte „in der Regel“ in § 35 Abs. 3 Satz 3 AufenthG beziehen sich auf Regelfälle, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleichliegender Fälle unterscheiden. Den Gegensatz bilden Ausnahmefälle. Ausnahmefälle sind durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht des gesetzlichen Regelverlängerungsgrundes beseitigt. Liegt ein Regelfall vor, ist der Ausländerbehörde kein Ermessen bei der Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis eingeräumt; diese wird vielmehr von Gesetzes wegen verlängert, wie sich aus der auch sonst bei zwingenden Vorschriften im Ausländergesetz verwendeten Terminologie „wird verlängert“ ergibt. Liegt kein Regelfall vor, ist demgegenüber die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis rechtlich weder vorgeschrieben noch ausgeschlossen; sie liegt dann vielmehr gemäß § 35 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im pflichtgemäßen Ermessen. Dies ergibt sich zunächst aus der Systematik des § 35 Abs. 3 AufenthG: In den von der Regel abweichenden Fällen tritt die in § 35 Abs. 3 Satz 3 AufenthG vorgesehene Rechtsfolge einer zwingenden Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht ein. Da das Gesetz für diese Fälle eine verpflichtende Ablehnung der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nicht vorsieht, verbleibt es dann bei der Grundregel des § 35 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, wonach eine Aufenthaltserlaubnis verlängert werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juli 1993 – BVerwG 1 C 25.93 – juris, Rn. 35 f., zur Parallelproblematik beim Regelversagungsgrund; ferner GK-AufenthG/Marx, a.a.O., § 35 Rn. 77 ff.).
Ein solcher Ausnahmefall liegt nach Überzeugung des Senats nicht vor. Dies gilt auch angesichts des vom Kläger verwirklichten Straftatbestands der Unterstützung terroristischer Vereinigungen im Ausland. Denn, wie oben dargelegt, gehen sowohl der Staatsschutzsenat des Kammergerichts als auch der erkennende Senat davon aus, dass der Kläger von seinem strafbaren und sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat. Andere Umstände, die Anlass dafür sein könnten, vorliegend einen atypischen Fall anzunehmen, sind weder vom Beklagten substantiiert vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
5. Schließlich steht auch die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts und des Beklagten nicht entgegen.
Nach dieser Vorschrift darf einem Ausländer, dessen Asylantrag nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 AsylG unanfechtbar als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist, vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Vorliegend ist der Asylantrag des Klägers bestandskräftig als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden, weil er den Asylantrag – nach der Auffassung des Bundesamtes – gestellt hat, um eine drohende Aufenthaltsbeendigung abzuwenden, obwohl er zuvor ausreichend Gelegenheit hatte, einen Asylantrag zu stellen (§ 30 Abs. 3 Nr. 4 AsylG).
a) Die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist vorliegend nicht bereits deshalb durchbrochen, weil der Kläger gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG einen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis hat, denn der Regelanspruch aus § 35 Abs. 3 Satz 3 AufenthG („in der Regel“) ist kein „gesetzlicher Anspruch“ in diesem Sinne.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass ein von einer ausländerrechtlichen Vorschrift vorausgesetzter Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ein strikter Rechtsanspruch sein muss, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Ein Anspruch aufgrund einer Ermessensvorschrift genügt auch dann nicht, wenn das Ermessen im Einzelfall „auf Null“ reduziert ist. Erforderlich zur Durchbrechung der Regelerteilungssperre ist vielmehr ein strikter Rechtsanspruch, bei dem alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (BVerwG, Beschluss vom 16. Februar 2012 – BVerwG 1 B 22.11 – juris, Rn. 4; Hailbronner, AuslR, Stand: April 2023, § 10 AufenthG, Rn. 23; Bergmann/Dienelt/Dienelt, 14. Auflage 2022, AufenthG § 10 Rn. 32; NK-AuslR/Müller, 3. Auflage 2023, AufenthG § 10 Rn. 30). Zu einem Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG führen „nicht Regelansprüche“ oder Ansprüche aufgrund von Sollvorschriften (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2015 – BVerwG 1 C 31.14 – juris, Rn. 20 f. m.w.N.). Ein Regelanspruch oder ein Anspruch aus einer „Soll“-Regelung ist wegen der normativen Offenheit in Bezug auf Umstände, die einen Fall als atypisch erscheinen lassen, kein vollständig, sondern nur „im ersten Schritt“ gebundener Anspruch (vgl. zur „Soll“-Regelung BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2015 – BVerwG 1 C 31.14 – juris, Rn. 21; hierauf verweisend auch Bergmann/Dienelt/Dienelt, 14. Auflage 2022, AufenthG § 10 Rn. 14).
b) Die Titelerteilungssperre erfasst jedoch nicht den – vorliegenden – Fall der Verlängerung eines Aufenthaltstitels.
Ob § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nur die Erteilung oder – wie das Verwaltungsgericht annimmt – auch die Verlängerung eines Aufenthaltstitels sperrt, ist umstritten. Überwiegend wird von einer Sperre nur für die erstmalige Erteilung ausgegangen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 8. März 2019 – 2 M 148/18 – juris, Rn. 18, und OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16. September 2009 – 2 L 118/08 – juris, Rn. 37; Hailbronner, a.a.O., Rn. 31; NK-AuslR/Müller, 3. Auflage 2023, AufenthG, § 10 Rn. 21). Es wird jedoch auch vereinzelt vertreten, die Sperre umfasse nicht nur die Erteilung, sondern auch die Verlängerung eines bereits erteilten Aufenthaltstitels (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 26. Juli 2007 – 12 ME 252/07 – juris, Rn. 7).
Aus einer Auslegung der Norm ergibt sich, dass § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG auf die Verlängerung eines erteilten oder verlängerten Aufenthaltstitels keine Anwendung findet.
Hierfür spricht zunächst der klare Wortlaut der Vorschrift (so auch NK-AuslR/Müller, 3. Auflage 2023, AufenthG § 10 Rn. 21). Die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG spricht, wie auch § 10 Abs. 1 AufenthG, von der Erteilung des Aufenthaltstitels, nicht von einer Verlängerung. Einem solchen Verständnis steht § 8 AufenthG nicht entgegen, der für die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis die Geltung der Vorschriften über die Erteilung anordnet. Diese Vorschrift selbst unterscheidet nämlich fachterminologisch zwischen Erteilung und Verlängerung. Zudem schließt sie die Geltung einer von der Regel des § 8 AufenthG abweichenden Spezialvorschrift nicht aus. Demgegenüber führt § 10 Abs. 2 AufenthG, der letztlich eine Abweichung von der Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 AufenthG vorsieht, neben der Erteilung die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis ausdrücklich auf. Nach dieser Vorschrift kann ein nach der Einreise des Ausländers von der Ausländerbehörde erteilter oder verlängerter Aufenthaltstitel nach den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes ungeachtet des Umstandes verlängert werden, dass der Ausländer einen Asylantrag gestellt hat. Dass diese – hier einschlägige – Abweichung von der Titelerteilungssperre dann keine Anwendung (mehr) finden soll, wenn der Asylantrag des Ausländers unanfechtbar abgelehnt worden ist (so OVG Niedersachsen, a.a.O.), lässt sich dem Wortlaut des § 10 Abs. 2 AufenthG genau so wenig entnehmen wie sich dieses Ergebnis systematisch aus der bloßen Reihenfolge der Absätze in § 10 AufenthG schließen lässt (vgl. auch Hailbronner, a.a.O., § 10 AufenthG, Rn. 31). Die Vorschrift ist vielmehr systematisch erkennbar unzureichend aufgebaut.
Sinn und Zweck geben deshalb den Ausschlag. Die Titelerteilungssperren des § 10 Abs. 1 und 3 AufenthG sollen dem Missbrauch des Asylverfahrens zu asylverfahrensfremden Zwecken entgegenwirken. Es soll grundsätzlich keine Möglichkeit geben, im Wege eines unbegründeten Asylbegehrens einen längerfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu erlangen. Dieser Zweck betrifft jedoch nicht den Fall der Verlängerung eines nach der Einreise des Ausländers von der Ausländerbehörde erteilten Aufenthaltstitels. Er wird auch durch die Asylantragstellung allein nicht hervorgerufen, zumindest soweit ein Anspruch auf Verlängerung des erteilten Aufenthaltstitels besteht. In diesem Fall beruht der Aufenthalt nämlich nicht auf der Asylantragstellung, sondern weiterhin auf einer nach der Einreise bereits getroffenen aufenthaltsrechtlichen Entscheidung (so überzeugend OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 8. März 2019 – 2 M 148/18 – juris, Rn. 18), weshalb nicht die Verlängerung eines Aufenthaltstitels, sondern nur die Begründung eines rechtmäßigen Aufenthalts durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels dem Zweck der Vorschrift zuwiderlaufen könnte. Dies wird im vorliegenden Fall umso deutlicher, in dem dem Kläger im Jahre 1997 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde, er im Jahre 2016 einen mittlerweile bestandkräftig abgelehnten Asylantrag gestellt, er jedoch – unbesehen der Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG – einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis hat, welchen er bereits vor fast sieben Jahren und damit sogar noch vor Stellung seines Asylantrags gerichtlich geltend gemacht hat.
Eine Betrachtung der Gesetzgebungshistorie bestätigt diese Sichtweise. § 10 Abs. 3 AufenthG legt nach der Vorstellung des Gesetzgebers in Anlehnung an die frühere Regelung in § 30 Abs. 5 AuslG fest, dass unanfechtbar abgelehnte Asylbewerber nur noch eingeschränkt die Möglichkeit haben sollen, einen Aufenthaltstitel zu erlangen (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 73), womit der Gesetzgeber erkennbar die erstmalige Erlangung meint. Insoweit wollte schon der Gesetzgeber des § 30 Abs. 5 AuslG eine konsequente Durchsetzung der Ausreisepflicht erreichen, bevor eine Abschiebung durch Legalisierung des Aufenthalts nicht mehr durchgeführt werden kann. Deshalb sollte in der ausländerrechtlichen Praxis grundsätzlich ausgeschlossen werden, dass Ausländer durch unbegründete Asylbegehren und durch exzessives Ausnutzen aller Verfahrensmöglichkeiten erreichen können, auf Dauer im Bundesgebiet zu bleiben (BT-Drs. 11/6321, S. 67). Mit dieser Vorstellung zielt der Gesetzgeber ersichtlich nicht auf Ausländer ab, die sich auf ausländerrechtlicher Grundlage bereits legal im Bundesgebiet aufhalten, da diese Ausländer in der Regel entweder bereits über einen Aufenthaltstitel verfügen, oder, soweit dessen Geltungsdauer noch nicht abgelaufen ist, durch rechtzeitigen Verlängerungsantrag von der Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG profitieren. Eine Abschiebung zur Verhinderung der Legalisierung eines illegalen Aufenthalts spielt für diese Fallgruppe keine Rolle. Danach spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber bei dem „grundsätzlich“ gewollten Ausschluss eines zukünftigen Daueraufenthalts Fälle wie den vorliegenden im Blick hatte, in dem der Ausländer bereits ein – über die asylrechtliche Aufenthaltsgestattung hinausgehendes – ausländerrechtliches Aufenthaltsrecht hat.
II.
Auf dieser Grundlage liegen auch die Voraussetzungen für die Abschiebungsandrohung (Ziffer 2 des Bescheides) nach den §§ 58, 59 AufenthG nicht vor. Mit der Aufhebung der Titelerteilungsablehnung fehlt es an der Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1 AufenthG), da die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG dann bis zur Erteilung des Aufenthaltstitels fort gilt.
Da die Klage mit dem Hauptantrag zulässig und begründet ist, ist über den Hilfsantrag nicht zu entscheiden.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Soweit die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die erstinstanzlichen Kosten des Verfahrens bereits rechtskräftig geworden ist (Klage betreffend den erstinstanzlichen Klageantrag zu 2), hatte der Senat diesen Teil der erstinstanzlichen Kostenentscheidung in die insgesamt neu zu fassende, einheitliche Entscheidung über die erstinstanzlichen Kosten einzubeziehen und eine entsprechende Quote nach Maßgabe der Streitwertfestsetzungen zu bilden.
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 1 und 2 ZPO.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zugelassen. Hinsichtlich der Frage, ob § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht nur einer (Neu-)Erteilung, sondern auch der Verlängerung eines nach Einreise erteilten Aufenthaltstitels entgegensteht, gibt es keine Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und widerstreitende Rechtsprechung der Obergerichte. Diese entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Frage kann sich in einer nennenswerten Anzahl von Fällen stellen. Die Zulassung der Revision kann dem Bundesverwaltungsgericht die Gelegenheit geben, sich hierzu zu äußern.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen die Entscheidung steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu.
Die Revision ist bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen. Die Revisionsfrist ist auch gewahrt, wenn die Revision innerhalb der Frist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, eingelegt wird. Die Revision muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen.
Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, einzureichen. Die Revisionsbegründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen angeben, die den Mangel ergeben.
Rechtsanwälte, Behörden, juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie Vertretungsberechtigte, die über ein elektronisches Postfach nach § 55a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 VwGO verfügen, sind zur Übermittlung elektronischer Dokumente nach Maßgabe des § 55d VwGO verpflichtet.
Im Revisionsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Revision. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. In Angelegenheiten, die ein gegenwärtiges oder früheres Beamten-, Richter-, Wehrpflicht-, Wehrdienst- oder Zivildienstverhältnis betreffen, und in Angelegenheiten, die in einem Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern im Sinne des § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes stehen einschließlich Prüfungsangelegenheiten, sind auch die in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bezeichneten Organisationen einschließlich der von ihnen gebildeten juristischen Personen gemäß § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 7 VwGO als Bevollmächtigte zugelassen; sie müssen durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln. Ein als Bevollmächtigter zugelassener Beteiligter kann sich selbst vertreten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen; das Beschäftigungsverhältnis kann auch zu einer anderen Behörde, juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem der genannten Zusammenschlüsse bestehen. Richter dürfen als Bevollmächtigte nicht vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören.
BESCHLUSS
Der Streitwert der Berufung wird gemäß § 52 Abs. 2 und § 47 Abs. 1 GKG auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 2 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).