Gericht | VG Potsdam 3. Kammer | Entscheidungsdatum | 15.03.2024 | |
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Aktenzeichen | VG 3 L 149/24 | ECLI | ECLI:DE:VGPOTSD:2024:0315.3L149.24.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 5 Abs 1 HundehV, § 8 Abs 2 HundehV |
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 27. Februar 2024 gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 1. Februar 2024 wird hinsichtlich Ziffer 1 wiederhergestellt und hinsichtlich Ziffer 4 angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 2.537,50 Euro festgesetzt.
1. Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 27. Februar 2024 gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 1. Februar 2024 hinsichtlich Ziffer 1 bis 3 wiederherzustellen und hinsichtlich Ziffer 4 und 6 anzuordnen,
hat in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang Erfolg.
a) Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist hinsichtlich der Regelungen in Ziffer 2 und 3 der angefochtenen Ordnungsverfügung bereits unstatthaft, weil weder die sofortige Vollziehung behördlich angeordnet wurde (§ 80 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, Abs. 3 VwGO) – Ziffer 5 der Ordnungsverfügung setzt ausschließlich Ziffer 1 unter Sofortvollzug – noch die Regelungen kraft Gesetzes sofort vollziehbar sind (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) Insbesondere scheidet hinsichtlich Ziffer 3 eine sofortige Vollziehbarkeit gemäß § 80 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 16 VwVGBbg aus, weil es sich bei der Anordnung der Sicherstellung und Verwahrung nicht um Zwangsmittel handelt, da sie nicht zu den in § 27 Abs. 2 VwVGBbg genannten Zwangsmitteln zählen (Beschluss der Kammer vom 5. April 2018 – VG 3 L 1177/17 –, n.v., S. 4 EA; VG Cottbus, Beschluss vom 20. Oktober 2022 – VG 3 L 267/22 –, juris Rn. 22; a.A. Mosbacher, in: Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG, 12. Aufl. 2021, § 12 Rn. 3: Sicherstellung als unmittelbarer Zwang in Form der Selbstvornahme). Davon scheint mit Blick auf Ziffer 4 der Ordnungsverfügung, der zur Durchsetzung von Ziffer 3 dienen soll, wohl auch die Antragsgegnerin auszugehen. Damit entfaltet bereits der am 27. Februar 2024 erhobene Widerspruch hinsichtlich der Ziffern 2 und 3 die gewünschte aufschiebende Wirkung, vgl. § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO. In Bezug auf die Gebührenfestsetzung in Ziffer 6 der Ordnungsverfügung ist der Antrag unzulässig, weil es schon an einem zuvor bei der Behörde gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung fehlt, vgl. § 80 Abs. 6 VwGO. Hinsichtlich der Regelungen in Ziffer 4 – insoweit entfällt die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gemäß § 80 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 16 VwVGBbg – und Ziffer 1 ist der Antrag zulässig.
b) Soweit der Antrag zulässig ist, ist er begründet.
Das Gericht kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Falle der behördlich angeordneten sofortigen Vollziehung wiederherstellen und im Falle der gesetzlich angeordneten Vollziehung anordnen. Voraussetzung hierfür ist, dass sich aufgrund der vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung, bei der der Frage der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts besondere Bedeutung zukommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Oktober 2014 – 7 VR 4.13 –, juris Rn. 10), ein gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse überwiegendes Aussetzungsinteresse des Betroffenen ergibt. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, weil sich die Regelungen in Ziffer 1 und 4 der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen und allein gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig erweisen.
aa) Dies gilt zunächst hinsichtlich der auf § 5 Abs. 1 Satz 1 HundehV gestützten Haltungsuntersagung in Ziffer 1. Nach dieser Vorschrift hat die Ordnungsbehörde das Halten eines Hundes schriftlich zu untersagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Erlaubnisvoraussetzungen u.a. des § 10 Abs. 2 nicht erfüllt werden (erste Tatbestandsalternative) oder durch das Halten eine Gefahr für Leben oder Gesundheit von Menschen oder Tieren (zweite Tatbestandsalternative) ausgeht. Nach Satz 2 ist dies insbesondere anzunehmen, wenn der Hund von einer Person gehalten wird, die nicht die erforderliche Zuverlässigkeit für den Umgang mit Hunden besitzt.
Es kann dahinstehen, ob die Haltungsuntersagung vorliegend darauf gestützt zu sein mag, dass der Antragsteller keine Erlaubnis zum Halten von gefährlichen Hunden nach § 10 Abs. 1 HundehV eingeholt hat, er gleichwohl gefährliche Hunde hält, deshalb als unzuverlässig einzustufen ist (vgl. § 10 Abs. 2 Nr. 3 HundehV) und ob dieser Fall unter die erste oder – mit Blick auf § 5 Abs. 1 Satz 2 HundehV – zweite Tatbestandsalternative von § 5 Abs. 1 Satz 1 HundehV zu subsumieren ist. Offen bleiben kann auch, ob (alternativ) die erste Tatbestandsalternative deshalb zu bejahen ist, weil es an der Erlaubnisvoraussetzung des § 10 Abs. 2 Nr. 5 HundehV fehlt.
Zwar dürften die Hunde des Antragstellers als gefährlich im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 HundehV zu qualifizieren sein, sodass dieser einer Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 HundehV bedarf. Danach gelten als gefährliche Hunde u.a. Hunde, die als bissig gelten, weil sie einen Menschen oder ein Tier durch Biss geschädigt haben, ohne selbst angegriffen oder dazu durch Schläge oder in ähnlicher Weise provoziert worden zu sein.
Zunächst dürfte der Hund P___ als bissig und damit als gefährlich gelten, weil er – dies stellt auch der Antragsteller nicht in Abrede – am 6. November 2023 Herrn D___ ... an der linken Hand und dem linken Oberarm durch Bisse verletzt hat, als dieser mit seinem Hund L___ und seinem Kind am Grundstück des Antragstellers vorbeilief. Es dürfte auch anzunehmen sein, dass P___ nicht angegriffen oder durch Schläge oder in ähnlicher Weise provoziert worden ist. Es kann dahinstehen, ob L___, wie erstmalig im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht, „in hohem, schrillem Ton“ bellte (vgl. Seite 3 des Schriftsatzes vom 7. März 2024), wofür die Erkenntnisse im Verwaltungsvorgang keine Stütze bieten (vgl. insbesondere die Angaben des Geschädigten ...: „ohne Vorwarnung angegriffen“).
Denn ein Bellen stellt als arttypisches Verhalten ohne Hinzutreten weiterer Umstände keinen Angriff oder eine Provokation im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 HundehV dar (vgl. Beschluss der Kammer vom 3. Dezember 2014 – VG 3 L 1069/14 –, bestätigt durch: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. Juli 2015 – OVG 5 S 44.14 –, juris Rn. 5; vgl. auch Beschlüsse der Kammer vom 13. Februar 2024 – VG 3 L 48/24 –, S. 4 EA; vom 2. März 2022 – VG 3 L 882/21 –, S. 5 EA). Solche weiteren Umstände sind hier nicht ersichtlich und ergeben sich insbesondere nicht aus einer „erheblichen Vorbeziehung“ zwischen den Hunden des Antragstellers und dem verstorbenen Hund des Geschädigten, weil letzterer „an mehreren Tagen immer wiederkehrend bellte“ (vgl. den Schriftsatz des Antragstellers vom 7. März 2024, S. 3). Aus dem Wortlaut von § 8 Abs. 1 Nr. 2 HundehV („durch Schläge oder in ähnlicher Weise“) wird deutlich, dass andere Formen einer Provokation dem Merkmal der Schläge in ihrer Gewichtigkeit und Qualität zwar nicht gleichstehen, aber zumindest nahekommen müssen (VG Cottbus, Urteil vom 14. Mai 2020 – VG 3 K 1409/19 –, S. 6 EA). Davon ist bei einem „wiederkehrenden Bellen“ nicht auszugehen. Soweit der Antragsteller weiter behauptet, ein Angriff oder eine Provokation seiner Hunde habe in dem bedrohlichen und aggressivem Verhalten von L___ bestanden, die sich schließlich „aus den Armen“ ihres Halters losgerissen und dann „in einem dynamischen Geschehen“ M___ (zuerst) gebissen habe, widerspricht dieser Geschehensablauf den sonstigen vorliegenden Erkenntnissen. So geben sowohl der Geschädigte ... als auch die zufällig am Geschehensort anwesende und unbeteiligte Zeugin ..., hinsichtlich derer keine Belastungstendenzen erkennbar sind, an, dass die Hunde des Antragstellers auf den Hund L___ losgegangen seien. Der Geschädigte habe geäußert, seinen Hund schützend auf den Arm genommen zu haben. Auch die weiteren Umstände sprechen dagegen, dass L___ von Herrn ... getragen wurde und sich aus seinen Armen entriss. So ereignete sich der Vorfall, als Herr ... mit L___ Gassi ging. Üblicherweise befindet sich der Hund beim Gassi gehen nicht im Arm des Herrchens, zumal Herr ... zugleich auch einen Kinderwagen geschoben hat (vgl. den Tagebucheintrag der Polizei) und damit ohnehin allenfalls einen Arm frei gehabt haben dürfte. Im Übrigen scheint es aus Sicht der Kammer wenig nachvollziehbar, dass Frau ..., die Mutter des Antragstellers, aus einer Entfernung von fünf bis sechs Metern vom Fenster aus in der Lage gewesen sein soll, die Einzelheiten der Auseinandersetzung zwischen den Hunden gesehen zu haben. Nach alledem dürfte der Biss von L___ nur der Verteidigung des Angriffs von P___ (und M___) gedient haben. Entsprechendes gilt auch, soweit der Geschädigte ... und die Zeugin ... in das Geschehen eingegriffen haben. Auch die Hündin M___ dürfte als gefährlich einzustufen sein; sie dürfte jedenfalls den Hund L___ gebissen haben.
Soweit danach wohl die zweite Tatbestandsalternative des § 5 Abs. 1 Satz 1 HundehV erfüllt sein dürfte, stellt sich die Haltungsuntersagung als unverhältnismäßig dar. § 5 Abs. 1 HundehV räumt der Behörde zwar kein Ermessen ein. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt aber auch bei gebundenen Entscheidungen (Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 40 Rn. 234). Danach darf die Schwere eines Eingriffs im Rahmen einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe stehen. Im Ausnahmefall kann daher eine Haltungsuntersagung unverhältnismäßig sein, wenn ein weniger schwerwiegendes Mittel voraussichtlich bewirken kann, dass der Hund im Einklang mit den Vorgaben der Hundehalterverordnung gehalten werden kann. So liegt der Fall hier. Zwar kann der Antragsteller mangels Rechtsgrundlage nicht dazu verpflichtet werden, eine Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 HundehV einzuholen. Er hat aber mitgeteilt, inzwischen eine entsprechende Erlaubnis zum Halten von P___ und M___ beantragt zu haben. Dafür, dass er die Erlaubnisvoraussetzungen offensichtlich nicht erfüllt, ist nichts ersichtlich. Im Übrigen sind insbesondere die Anordnung einer Leinen- und Maulkorbpflicht (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 Satz 2 HundehV) sowie Anordnungen hinsichtlich der Sicherung und Einfriedung von Grundstücken, auf denen (gefährliche) Hunde gehalten werden (vgl. § 1 Abs. 1 und 2 HundehV), mildere Mittel. Ein milderes Mittel würde vorliegend nur dann ausscheiden, wenn die Hunde des Antragstellers aufgrund einer rassebedingten Gefährlichkeit nach § 8 Abs. 2 HundehV im Land Brandenburg nicht gehalten werden dürfen (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 3 HundehV). Soweit in der angefochtenen Ordnungsverfügung der Verdacht geäußert wird, bei den Hunden P___ und M___ handle es sich um American Staffordshire Terrier oder um eine Kreuzung mit dieser Rasse (vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 2 HundehV), liegt allenfalls – wobei es auch insoweit konkreter Anhaltspunkte bedarf – ein Gefahrenverdacht vor. Dieser berechtigt nur zur Ergreifung von Maßnahmen, um den Gefahrenverdacht weiter abzuklären, z.B. in Form der Einholung eines Rassegutachtens (vgl. zu weiteren Maßnahmen: Beschluss der Kammer vom 7. März 2022 – 3 L 855/21 –, juris Rn. 10 ff. m.w.N.). Ein Haltungsverbot gehört nicht dazu.
bb) Hinsichtlich der Androhung des unmittelbaren Zwangs in Ziffer 4 der angefochtenen Ordnungsverfügung ist der Antrag ebenfalls begründet, weil die Regelung rechtswidrig ist. Denn es fehlt bereits an einem sofort vollziehbaren Verwaltungsakt, vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VwVGBbg. Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung von Ziffer 3, auf die sich Ziffer 4 bezieht, nicht angeordnet. Auch ist die Anordnung der Sicherstellung und Verwahrung von Hunden, für die im Übrigen mit § 5 Abs. 2 HundehV eine spezielle Rechtsgrundlage vorhanden ist (zu den Voraussetzungen vgl. VG Cottbus, Beschluss vom 5. September 2022 – 3 L 147/22 –, juris Rn. 15), – wie oben ausgeführt – nicht kraft Gesetzes sofort vollziehbar.
c) Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Dieser ist anzuwenden, weil sich die übrigen antragsgegenständlichen Bescheidziffern nicht streitwerterhöhend auswirken.
2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 und 3 GKG i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Für die Anordnung der Haltungsuntersagung ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Hälfte des gesetzlichen Auffangstreitwerts in Höhe von 5.000 Euro anzusetzen (vgl. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit). Hinzuzuaddieren ist ein Viertel der Gebühr (ebd.).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen den Beschluss zu 1. steht den Beteiligten die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu. Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Potsdam, Friedrich-Ebert-Straße 32, 14469 Potsdam, innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
Vor dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten durch nach § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung zugelassene Bevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde.
Gegen den Beschluss zu 2. ist die Beschwerde zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt oder die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen wird. Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Potsdam innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen; der Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten bedarf es nicht.