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Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (bejaht), Ausländerrecht, Befreiung von Visumpflicht, kein Ausweisungsinteresse wegen Identitätstäuschung, Sicherung des Lebensunterhalts (für Haushaltsgemeinschaft bejaht), Titelerteilungssperre steht wegen striktem Rechtsanspruch nicht entgegen


Metadaten

Gericht VG Potsdam 3. Kammer Entscheidungsdatum 26.04.2024
Aktenzeichen VG 3 K 806/19 ECLI ECLI:DE:VGPOTSD:2024:0426.3K806.19.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 10 Abs 3 Satz 1 AufenthG, § 2 Abs 3 Satz 1 AufenthG, § 28 Abs 1 Nr 3 AufenthG, § 5 Abs 1 Nr 2 AufenthG, § 5 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AufenthG, § 39 Nr 1 AufenthV

Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheids vom 30. Juli 2018 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 19. Februar 2019 verpflichtet, der Klägerin zu 1. eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG und dem Kläger zu 2. eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG zu erteilen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.

Tatbestand

Die Kläger, kenianische Staatsangehörige, begehren die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen.

Die Klägerin zu 1. reiste (erstmals) im Oktober 2009 mit einem bis zum 14. Januar 2010 befristeten Visum zur Erwerbstätigkeit in das Bundesgebiet ein. Im Oktober 2010 meldete sie sich unter falschen Personalien als asylsuchend. In ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, zu deren Beginn sie an Ihre Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage hingewiesen wurde, gab sie an, am 18. Oktober 2010 in das Bundesgebiet eingereist zu sein. Der Asylantrag wurde abgelehnt; die dagegen gerichtete Klage nahm die Klägerin zu 1. im Februar 2012 zurück. Anlässlich der Geburt ihres zweiten Kindes, dem Kläger zu 2., im Dezember 2011 – das 2007 geborene Kind lebt in Kenia –, legte die Klägerin zu 1. ihre richtigen Personalien offen. Nach der Geburt ihres dritten Kindes im Januar 2015, das über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügt und für das sie gemeinsam mit dem deutschen Vater die elterliche Sorge ausübt, erteilte der Beklagte ihr im September 2017 eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG, die seitdem mehrfach verlängert bzw. deren Fortgeltung gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG fingiert wurde; zurzeit ist die Klägerin zu 1. (wie auch der Kläger zu 2.) im Besitz einer bis zum 11. März 2025 gültigen humanitären Aufenthaltserlaubnis.

Unter dem 9. November 2017 beantragten die Kläger (wiederholt) die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen, für die Klägerin zu 1. gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG und für den Kläger zu 2. gemäß § 32 AufenthG.

Mit Bescheid vom 30. Juli 2018 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Dem Anspruch der Klägerin zu 1. stünde die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 AufenthG entgegen. Danach komme die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur im Fall eines strikten Rechtsanspruchs in Betracht, der nicht gegeben sei. Es fehle an der Regelerteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum. Zwar könne vom Visumerfordernis abgesehen werden, dann bestünde aber kein strikter Rechtsanspruch auf die begehrte Aufenthaltserlaubnis. Hinsichtlich des Klägers zu 2. fehle es an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 2019 wurde der dagegen erhobene Widerspruch der Kläger zurückgewiesen. Es fehle neben dem Visumerfordernis auch an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das unter einer falschen Identität durchgeführte Asylverfahren begründe für die Klägerin zu 1. ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 8a AufenthG. Soweit sie am 18. Oktober 2010 ohne Visum eingereist sei, sei kein Ausnahmetatbestand nach § 39 AufenthV, insbesondere nicht § 39 Nr. 1 AufenthV, erfüllt. Zwar sei die Klägerin zu 1. im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, diese sei nach § 25 Abs. 5 AufenthG aber nur stellvertretend erteilt worden, weil die begehrte Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG mangels Vorliegen der Voraussetzungen nicht habe erteilt werden können. Dies könne nicht zur Privilegierung des § 39 Nr. 1 AufenthG führen; die Vorschrift sei teleologisch dahin zu reduzieren, dass sie solche Fälle nicht erfasse, in denen eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis anstelle der dem eigentlichen Aufenthaltszweck dienenden Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei. Für einen Anspruch des Klägers gemäß § 32 Abs. 1 AufenthG fehle es daran, dass die Klägerin zu 1. nicht im Besitz einer in der Vorschrift genannten Aufenthaltserlaubnis sei. Ein Anspruch des Klägers zu 2. gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG bestehe nur, wenn mit dem deutschen Elternteil eine familiäre Lebensgemeinschaft hergestellt werden soll; hier sei aber kein Zuzug zum deutschen Vater bezweckt.

Am 27. März 2019 haben die Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen ausführen, die Titelerteilungssperre gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG greife im Fall der Klägerin zu 1. nicht. Für die Ausnahmeregelung des § 39 Nr. 1 AufenthV sei unerheblich, dass ihr die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG nur „stellvertretend“ erteilt worden sei. Der Lebensunterhalt der Kläger sei gesichert; die Klägerin zu 1. habe im Monat Februar 2024 über ein Nettoeinkommen von 1.965,08 Euro verfügt sowie für ihre drei in Deutschland lebenden Kinder – das letzte wurde im Oktober 2018 geboren – Kindergeld in Höhe von 750,00 Euro, Unterhaltsvorzuschuss in Höhe von 1.051,00 Euro und einen Kinderzuschlag von 296,00 Euro bezogen. Die monatliche Miete betrage 590,90 Euro, Krankenversicherungsschutz bestehe über die Familienversicherung.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 30. Juli 2018 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 19. Februar 2019 zu verpflichten, der Klägerin zu 1. eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und dem Kläger zu 2. nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder §§ 32, 33 AufenthG zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf die angefochtenen Bescheide.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (4 Beiakten) verwiesen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die Einzelrichterin kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben, § 101 Abs. 2 VwGO.

I. Die Klage ist zulässig, insbesondere auch hinsichtlich des Klägers zu 2. Der minderjährige und damit prozessunfähige Kläger zu 2. ist ordnungsgemäß durch seine Eltern gesetzlich vertreten (vgl. § 1629 Abs. 1 Satz 1 BGB). Zwar sind grundsätzlich nur beide Eltern, sollten sie das Sorgerecht – wie hier (vgl. notariell beurkundete Erklärung vom 30. März 2017, Bl. 96 BA 1) – gemeinsam ausüben, gemeinschaftlich zur Vertretung befugt (vgl. § 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB). Ausreichend ist aber, dass ein Elternteil mit (auch konkludenter) Zustimmung des anderen Teils alleine handelt (Amend-Traut, in: Gell/Krüger/Lorenz/Reymann (Hrsg.), BeckOGK, Stand: Dezember 2022, BGB § 1629 Rn. 10). Eine Zustimmung des Vaters des Klägers zu 2. liegt mit seiner dem Gericht am 8. März 2024 vorgelegten (undatierten) Erklärung vor.

II. Die Klage ist begründet.

Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, sodass die Ablehnung ihres Antrags vom 9. November 2017 mit Bescheid des Beklagten vom 30. Juli 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Februar 2019 rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.

1. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen an die Klägerin zu 1. steht nicht die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen. Danach darf einem Ausländer, dessen Asylantrag – wie im Fall der Klägerin zu 1. – unanfechtbar abgelehnt wurde, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Allerdings kann sich die Klägerin zu 1. auf § 10 Abs. 3 Satz 3, 1. Halbsatz AufenthG, der die Sperrwirkung des Satzes 1 im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels überwindet, berufen. Ein Anspruch im vorgenannten Sinne liegt nur dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2020 – 1 C 12.19 –, juris Rn. 52; Urteil vom 12. Juli 2018 – 1 C 16.17 –, juris Rn. 27; Urteil vom 12. Juli 2016 – 1 C 23.15 –, juris Rn. 21).

Ein solcher strikter Rechtsanspruch steht der Klägerin nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zur Seite. Danach ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat.

Die besonderen Erteilungsvoraussetzungen der Vorschrift sind unstreitig gegeben; die Klägerin zu 1. übt die elterliche Sorge ihrer 2015 geborenen deutschen und im Bundesgebiet lebenden Tochter aus.

Auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG liegen vor.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist im Fall der Klägerin zu 1. kein Ausweisungsinteresse gegeben, § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Der Umstand, dass die Klägerin zu 1. im erfolgslos durchgeführten Asylverfahren über ihre Identität getäuscht hat, begründet kein (schweres) Ausweisungsinteresse im Sinne des §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG. Nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse im Sinne des § 53 Abs. 1 Buchst. a AufenthG schwer, wenn der Ausländer – wie hier – in einem Verwaltungsverfahren gegenüber Behörden eines Schengen-Staates falsche Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels gemacht hat. Die Klägerin meldete sich im Oktober 2010 unter falschen Personalien als asylsuchend mit dem Ziel, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt zu bekommen. Die Vorschrift setzt aber voraus, dass der Ausländer von der das Verwaltungsverfahren durchführenden Behörde zuvor darauf hingewiesen wurde, dass Falschangaben aufenthaltsrechtliche Rechtsfolgen zur Folge haben. Zwar ergibt sich ein solches Belehrungserfordernis ausdrücklich nur aus § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b AufenthG, wonach ein Ausweisungsinteresse dann gegeben ist, wenn der Ausländer trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde. Dass die Belehrungspflicht allein in Nr. 8 Buchst. b AufenthG aufgeführt ist, ist aber einem redaktionellen Versehen geschuldet (VGH Mannheim, Beschluss vom 5. April 2023 – 12 S 1936/22 –, juris Rn. 15 f.; OVG Münster, Beschluss vom 18. Dezember 2019 – 18 A 1974/17 –, juris Rn. 15 ff.; OVG Magdeburg, Beschluss vom 10. Oktober 2016 – 2 O 26/16 –, juris Rn. 13). Sie gilt gleichermaßen auch im Rahmen von § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenhG. Denn nach der Begründung zum Gesetzentwurf (BT-Drs. 18/4097, S. 52) ergibt sich, dass der Gesetzgeber den früheren Tatbestand des § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG a.F., in der sich die Hinweispflicht sowohl auf die dort in Buchst. a als auch auf die in Buchst. b genannten Handlungen des Ausländers bezieht, unverändert übernehmen wollte (OVG Magdeburg, Beschluss vom 10. Oktober 2016 – 2 O 26/16 –, juris Rn. 13; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, 14. Aufl. 2022, AufenthG, § 54 Rn. 87).

An der Belehrung der Klägerin zu 1. fehlt es hier, weil sich den Verwaltungsvorgängen nicht entnehmen lässt, dass sie bei Befragungen zu ihrer Identität darauf hingewiesen wurde, dass diesbezügliche falsche Angaben auch ausländerrechtliche Folgen haben können. Dies entspricht auch nicht der Praxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Auch der Beklagte hat nach entsprechendem Hinweis der Einzelrichterin nichts Gegenteiliges vorgetragen.

Soweit der Beklagte im Widerspruchsbescheid einwendet, die Klägerin zu 1. sei am 18. Oktober 2010 ohne das erforderliche Visum eingereist, sodass es an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG fehle, trifft letzteres nicht zu. Denn die Klägerin zu 1. ist nach § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV von der Visumpflicht befreit. Danach kann ein Ausländer über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen, wenn er eine Aufenthaltserlaubnis besitzt. So liegt der Fall hier. Die Klägerin zu 1. ist seit September 2017 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG, die seitdem mehrfach verlängert bzw. deren Fortgeltung gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG fingiert wurde; zurzeit ist die Klägerin zu 1. im Besitz einer bis zum 11. März 2025 gültigen humanitären Aufenthaltserlaubnis.

Die Vorschrift ist im vorliegenden Fall, in denen einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt worden ist und er als Inhaber dieser gültigen Aufenthaltserlaubnis eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug beantragt, auch anwendbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2020 – 1 C 12.19 –, juris Rn. 54 ff.; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. März 2019 – OVG 11 B 5.17 –, juris Rn. 41; a.A. noch die für das Ausländerrecht vormals zuständige Kammer des VG Potsdam, Urteile vom 12. Januar 2016 – VG 8 K 2622/14 – juris Rn. 25 und vom 31. Mai 2017 – VG 8 K 2926/14 –, juris Rn. 20). Trotz der Formulierung („kann“) eröffnet § 39 AufenthV der Behörde kein Ermessen (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. März 2019 – OVG 11 B 5.17 –, juris Rn. 41 unter Verweis auf OVG Münster, Beschluss v. 21. Dezember 2007 – 18 B 1535/07 –, juris Rn. 20 ff.); es handelt sich um einen zwingenden Tatbestand, sodass das Visum erst gar nicht „erforderlich“ im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist (vgl. Maor, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand: Oktober 2023, AufenthG § 5 Rn. 24).

Auch liegen alle weiteren allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen vor. Die Klägerin zu 1. erfüllt die Passpflicht nach § 3 AufenthG (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG). Dem Beklagten liegt der bis 2030 gültige Reisepass der Klägerin zu 1. vor. Damit sind die Identität der Klägerin zu 1. ebenso geklärt wie ihre Staatsangehörigkeit (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AufenthG). Für eine Gefährdung oder Beeinträchtigung von Interessen der Bundesrepublik Deutschland durch den Aufenthalt der Klägerin zu 1. ist nichts ersichtlich oder vorgetragen (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG).

Der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) bedarf es nicht, weil nach § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG die Aufenthaltserlaubnis abweichend hiervon zu erteilen ist. Im Übrigen ist ihr Lebensunterhalt gesichert (dazu unter 2.).

2. Hinsichtlich des Klägers zu 2. ergibt sich ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht aus § 28 Abs. 1 Satz Nr. 2 AufenthG, weil dieser nicht die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit seinem deutschen Vater bezweckt (vgl. Tewocht, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand: März 2021, AufenthG, § 28 Rn. 20). Insoweit wird auf die Begründung des Widerspruchbescheids des Beklagten vom 19. Februar 2019, denen die Einzelrichterin gemäß § 117 Abs. 5 VwGO folgt, verwiesen.

Allerdings steht dem Kläger ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG zu. Danach ist dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG besitzt.

Die besonderen Erteilungsvoraussetzungen sind erfüllt. Insoweit reicht es für den Kindernachzug gemäß § 32 AufenthG grundsätzlich aus, wenn den Eltern ein nationales Visum erteilt worden ist und in Aussicht steht, dass ihnen ein in § 32 Abs. 1 AufenthG genannter Aufenthaltstitel erteilt werden wird (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Dezember 2016 – OVG 3 S 106.16 –, juris Rn. 3). Es wäre reiner Formalismus, zunächst die Erteilung einer der in § 32 AufenthG aufgeführten Titel abzuwarten (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Dezember 2016 – OVG 3 S 106.16 –, juris Rn. 3; Beschluss vom 22. Dezember 2016 – OVG 3 S 98.16 –, juris; und Beschluss vom 21. Dezember 2015 – OVG 3 S 95.15 –, juris Rn. 2; Tewocht, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand: Oktober 2021, AufenthG, § 32 Rn. 7a.1). Nichts anderes kann dann gelten, wenn der Ausländer, zu dem der Zuzug erfolgen soll, nicht im Besitz eines nationalen Visums, sondern – wie die Klägerin zu 1. – über ein anderes Aufenthaltsrecht, hier nach § 25 Abs. 5 AufenthG, verfügt (vgl. auch die Generalklausel § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG).

Auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen liegen vor. Der Kläger zu 2. erfüllt die Passpflicht nach § 3 AufenthG (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG). Dem Beklagten liegt der bis 2028 gültige Reisepass des Klägers zu 2. vor. Damit sind die Identität und Staatsangehörigkeit des Klägers zu 2. geklärt (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AufenthG). Für eine Gefährdung oder Beeinträchtigung von Interessen der Bundesrepublik Deutschland durch den Aufenthalt des Klägers zu 2. ist ebenso nichts ersichtlich (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG).

Der Lebensunterhalt des Klägers zu 2. ist gesichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG).

Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt gesichert, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Hierbei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln. Dabei richten sich sowohl die Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens als auch der Unterhaltsbedarf bei erwerbsfähigen Ausländern und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, grundsätzlich nach den entsprechenden Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II; vgl. nur BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – 10 C 4.12 –, juris Rn. 25; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. November 2014 – OVG 2 B 13.12 –, juris Rn. 20).

Im Fall des Klägers zu 2., der zusammen mit der Klägerin zu 1. und zwei Geschwistern in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, ergibt sich ein Gesamtregelbedarf der vierköpfigen familiären Leben- und Haushaltsgemeinschaft in Höhe von zumindest 1.698,00 Euro (= 563 Euro + 2 x 389,00 Euro + 357,00 Euro). Hinzuzufügen sind die Unterkunftskosten in Höhe von 590,90 Euro, sodass sich ein Unterhaltsbedarf von 2.288,90 Euro ergibt. Dieser Bedarf kann aus eigenem Erwerbseinkommen der Klägerin zu 1. bestritten werden. Sie verfügte im Monat Februar 2024 über einen Nettoverdienst von insgesamt 1.965,08 Euro, zudem bezieht sie nach ihren unwidersprochenen Angaben Kindergeld in Höhe von 750,00 Euro, Unterhaltsvorzuschuss in Höhe von 1.051,00 Euro und einen Kinderzuschlag von 296,00 Euro, wobei der Bezug dieser Mittel nicht als Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gilt (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 2 und 7 AufenthG). Insgesamt ergeben sich Einkünfte in Höhe von 4.062,08 Euro. Nach den unwidersprochenen Angaben der Kläger ist ein Krankenversicherungsschutz vorhanden. Es besteht eine positive Prognose, dass die Klägerin zu 1. den Gesamtbedarf der Haushaltsgemeinschaft auf Dauer eigenständig wird sichern können. Dafür spricht, dass sie über einen Berufsabschluss als Sozialassistentin verfügt. Die Anstellung bei der ...GmbH, bei der sie seit Februar 2023 sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, lässt vermuten, dass sie in diesem Beruf auch tätig ist. Soweit sie vorübergehend Sozialleistungen bezogen hat, befand sie sich nach ihren unwidersprochenen Angaben zu diesem Zeitpunkt in Elternzeit, sodass dies der positiven Prognose nicht entgegensteht. Im Übrigen hat der Beklagte den Ausführungen der Kläger nichts entgegengesetzt, sodass sich das Gericht auch nicht zu weiteren Nachforschungen veranlasst gesehen hat.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht Potsdam, Friedrich-Ebert-Straße 32, 14469 Potsdam, zu stellen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, einzureichen.

Vor dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten durch nach § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung zugelassene Bevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG (vgl. auch Nr. 8.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit). Der Auffangstreitwert wird für beide Kläger jeweils gesondert in Ansatz gebracht.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen den Beschluss ist die Beschwerde zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt oder die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen wird.

Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Potsdam, Friedrich-Ebert-Straße 32, 14469 Potsdam, innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen.