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Straße, öffentliche Straße, Verlegung einer Abwasserleitung, Straßenbaulastträger, Eigentümerbefugnisse, Anordnungsanspruch, Anordnungsgrund


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 1. Senat Entscheidungsdatum 24.04.2024
Aktenzeichen OVG 1 S 67/23 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2024:0424.OVG1S67.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 13 BbgStrG , § 23 BbgStrG , § 66 BbgWG , § 116 BbgWG a. F. , § 93 WHG , § 56 WHG, § 123 VwGO, § 905 BGB

Leitsatz

Für die Verlegung einer Abwasserleitung im Straßengrund einer für den öffentlichen Verkehr gewidmeten Straße ist gemäß § 13 Abs. 4 BbgStrG die Zustimmung des Trägers der Straßenbaulast erforderlich und ausreichend; der Zustimmung des privaten Grundstückseigentümers bedarf es daneben nicht.

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 11. Juli 2023 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag der Antragstellerin, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Baumaßnahmen in Bezug auf die Herstellung einer zentralen Schmutzwasserentsorgung auf ihrem Grundstück vorläufig einzustellen, wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2 500 EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, zwingt zu einer Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses. Danach hat die Antragstellerin weder einen Anordnungsanspruch (I) noch einen Anordnungsgrund (II) glaubhaft gemacht, so dass eine einstweilige Anordnung nicht hätte erlassen werden dürfen, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).

I. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks Gemarkung P_____. Dieses Grundstück, zumindest der Teil, in dem die streitige Abwasserleitung verlegt werden soll, ist gemäß § 2 Abs. 1 i. V. m. § 6 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 48 Abs. 7 des Brandenburgischen Straßengesetzes (BbgStrG) als öffentliche Straße gewidmet und als x_____ im Straßenverzeichnis der Gemeinde Wandlitz erfasst. Die Antragstellerin ist insoweit den substantiierten Darlegungen des Antragsgegners im erstinstanzlichen Verfahren nicht entgegengetreten. Die Gemeinde W____ ist zuständiger Träger der Straßenbaulast und hat dem Antragsgegner die Verlegung der Abwasserleitung innerhalb der dafür im Straßengrund (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 BbgStrG) vorgesehenen Leitungstrasse gestattet.

Hierzu war die Gemeinde gemäß § 13 Abs. 4 BbgStrG befugt, ohne dass es auch der Zustimmung der Antragstellerin bedurft hätte. Nach dieser Regelung stehen dem Träger der Straßenbaulast bis zum Erwerb der für die Straße in Anspruch genommenen Grundstücke die Rechte und Pflichten des Eigentümers der Ausübung nach in dem Umfang zu, wie es die Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs erfordert. Mag die Nutzung des Straßengrundes für die Verlegung der Abwasserleitung kein Gemeingebrauch, sondern eine sonstige Nutzung im Sinne des § 23 Abs. 1 BbgStrG sein, die sich nach bürgerlichem Recht richtet, ändert dies nichts daran, dass es dem Straßenbaulastträger und nicht dem Eigentümer obliegt, die Befugnis zur Nutzung zu erteilen; allein er ist insoweit „Vertragspartner“ (so zutreffend Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020 Rn. 478; ders. in: Müller/Schulz, FStrG, 3. Aufl. 2022, § 8 Rn. 81; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. November 2017 – 9 S 24.16 – juris Rn. 7; VG Cottbus, Urteil vom 5. November 2015 – 6 K 607/11 – juris Rn. 20 f.sowie Urteil vom 15. Juni 2023 – 6 K 1342/18- juris Rn. 39-41; für das vergleichbare bayerische Recht BayVGH, Beschlüsse vom 19. Februar 1997 – 8 CE 96.3960 – juris Rn. 6 ff. sowie vom 5. November 2012 – 8 CS 12.802 – juris Rn. 9; Häußler, in: Zeitler, Bay Straßen- und Wegegesetz, Stand 1/2023, Art. 13 Rn. 11 ff., jeweils m.w.N.; a. A. VG Cottbus, Urteil vom 16. Juni 2022 – 5 K 451/16 – juris Rn. 42; unklar Majcherek, in: Marschall, FStrG, 6 Aufl. 2012 Rn. 46).

Das Ausgangsgericht verkennt, dass der Begriff der „Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs“ in § 13 Abs. 4 BbgStrG nicht mit dem Begriff des „Gemeingebrauchs“ in § 14 Abs. 1 Satz 1 BbgStrG und der „Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs“ im Sinne des § 23 Abs. 1 BbgStrG gleichgesetzt werden darf, sondern weitergehend ist (so zutreffend Häußler, a. a. O. Rn. 14). Ob die Verlegung von Leitungen im Straßengrund die Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs beeinträchtigt, kann regelmäßig nicht vom Eigentümer des Straßengrundstücks, sondern nur von dem Träger der Straßenbaulast beurteilt werden. Eine Aufteilung der Befugnisse zwischen Straßenbaulastträger und privatem Eigentümer wäre nicht mit den Interessen des Straßenbaulastträgers, die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu gewährleisten, sowie mit der nur äußerst beschränkten Stellung des privaten Eigentümers einer öffentlich gewidmeten Straße vereinbar (so zu Recht Sauthoff, a. a. O. Rn. 478). Entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung vermittelt § 13 Abs. 4 BbgStrG dem Träger der Straßenbaulast nicht lediglich ein „Abwehrrecht im Hinblick auf die Leitungsverlegung“ (BA S. 6), sondern überträgt ihm bereits vor dem vom Gesetz in § 13 Abs. 1 BbgStrG regelmäßig vorgesehenen Eigentumserwerb die Rechte und Pflichten des Eigentümers „der Ausübung nach“, wovon auch die Einräumung von Nutzungsrechten umfasst ist, sofern diese – wie in Fällen der Leitungsverlegung – die vorherige Prüfung etwaiger Einwirkungen auf die Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs voraussetzt. Anhaltspunkte dafür, dass das Gesetz jeweils ein zwei- oder gegebenenfalls sogar dreistufiges Verfahren vorschreibt, nämlich die Vereinbarung zwischen dem jeweiligen Grundstückseigentümer und dem Träger der Abwasserentsorgung gemäß § 23 Abs. 1 BbgStrG, die parallele Prüfung durch den Träger der Straßenbaulast und notfalls die Einschaltung der Wasserbehörde für den Erlass einer Duldungsverfügung gemäß § 93 Satz 1 WHG, lassen sich dem Gesetz nicht entnehmen. Die Historie der einschlägigen Regelungen spricht gegen eine solche Annahme:

§ 93 wurde durch das Gesetz zur Neuregelung des Wasserrechts vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2585) in das Wasserhaushaltsgesetz 2009 aufgenommen. Zuvor war eine entsprechende Regelung für Brandenburg in § 116 Abs. 1 Satz 1 des Brandenburger Wassergesetzes (BbgWG) vorgesehen. Danach konnte zugunsten eines Unternehmers der Be- oder Entwässerung oder der Abführung von Abwasser eine Duldungsverfügung gegenüber dem Eigentümer oder Nutzungsberechtigten ergehen. Dies galt jedoch gemäß § 116 Abs. 1 Satz 2 BbgWG ausdrücklich nicht für straßenrechtlich gewidmete Verkehrsflächen. Der Gesetzgeber sah angesichts des seinerzeit bereits geltenden § 13 Abs. 4 BbgStrG (vom 11. Juni 1992, GVBl I 1992 Nr. 11) offenbar kein Bedürfnis dafür, eine Duldungspflicht auch für die privaten Eigentümer gewidmeter Verkehrsflächen vorzusehen, um dem entgegenwirken zu können, „daß die Entwässerung oder Bewässerung eines Grundstücks willkürlich und sozialschädlich von einem Nachbarn verhindert werden kann“ (so die Begründung zum Entwurf des – letztlich als § 116 verabschiedeten – § 117 BbgStrG-E, LT-Drs. 1/2769 S. 179). Die Aufhebung des § 116 BbgWG durch das Gesetz vom 19. Dezember 2011 (GVBl. I Nr. 33) erfolgte, weil die neuen Regelungen in den §§ 93 ff. WHG 2009 als abschließend angesehen wurden (LT-Drucks. 5/3021 S. 14). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass damit zugleich eine Beschränkung des Regelungsgehalts des § 13 Abs. 4 BbgStrG erfolgen sollte, der unangetastet blieb.

Da sich widersprechende Entscheidungen unterschiedlicher Behörden tunlichst zu vermeiden sind und eine Duldungsverfügung gemäß § 93 Satz 1 WHG ihre Erforderlichkeit voraussetzt, spricht vieles für die Richtigkeit der Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, nach der sie nicht ergehen darf, sofern das betroffene Grundstück als öffentliche Straße gewidmet ist (BayVGH, Beschluss vom 5. November 2012, a. a. O. Rn. 8; zustimmend Czychowski/Reinhardt, WHG, 13. Aufl. 2023, § 93 Rn. 3). Jedenfalls ist eine solche Duldungsverfügung neben der hier vorliegenden Zustimmung des Straßenbaulastträgers zur Durchleitung des Abwassers gemäß § 13 Abs. 4 BbgStrG nicht erforderlich und daher hier auch nicht ergangen.

II. Zutreffend rügt die Beschwerde ferner, die Antragstellerin habe auch einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann die hier in Rede stehende Sicherungsanordnung ergehen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.

Zwar könnte die Durchführung der Abwasserleitung durch das Grundstück der Antragstellerin ihr Eigentumsrecht beeinträchtigen. Der Sache nach würde es sich hierbei allerdings lediglich um eine Beeinträchtigung ihrer „formellen“ Eigentümerstellung handeln, ohne dass damit irgendwelche weitergehenden faktischen Beschränkungen ihre Eigentümerbefugnisse verbunden wären. Denn bereits die Widmung der in Rede stehenden Fläche zu einer öffentlichen Straße schließt es aus, dass die Antragstellerin das Grundstück tatsächlich in einer Weise nutzen kann, die mit der Verlegung und sodann mit der verlegten Abwasserleitung konfligieren könnte. Sollte sie im Hauptsacheverfahren obsiegen, wäre die Leitung entfernbar oder könnte, falls das bloße Vorhandensein ihre Interessen nicht beinträchtigen sollte (§ 905 Satz 2 BGB), stillgelegt werden. Mit einer Kontaminierung ihres Grundstücks mit austretendem Abwasser ist bei einer neuen fachkundig verlegten Abwasserleitung nicht zu rechnen. Etwaig entgangene Nutzungsentschädigungen könnten ihr im Falle des Obsiegens in der Hauptsache nachgezahlt werden. Ein darüberhinausgehendes Interesse an der Verhinderung der Leitungsverlegung hat sie nicht dargetan.

Der Antragsgegner hat demgegenüber ein erhebliches Interesse daran, der ihm obliegenden Aufgabe der Abwasserbeseitigung (§ 56 Satz 1 WHG i. V. m. § 66 Abs. 1 Satz 1 BbgWG) nicht erst in einigen Jahren, sondern zeitnah zu entsprechen und den Anschluss der Straßenanlieger an die zentrale Abwasserbeseitigung zu ermöglichen. Angesichts der überwiegenden Wahrscheinlichkeit seines Obsiegens in der Hauptsache gebührt diesem Interesse der Vorrang vor dem Sicherungsinteresse der Antragstellerin.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).