Gericht | OLG Brandenburg 1. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 08.05.2024 | |
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Aktenzeichen | 1 OAus 5/23 (S) | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2024:0508.1OAUS5.23S.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
I.
1. Mit dem Europäischen Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft der Republik („Republik 01“) vom 30. Juni 2022 - Az.: …; …. – ersuchen die („Republik 01“) Justizbehörden um Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung wegen Diebstahls sowie „vorsätzlicher Vernichtung und Schädigung fremden Vermögens“ gemäß §§ 175 Abs. 3, 180 Abs. 1, 185 Abs. 2 des („Republik 01“) Strafgesetzbuches. Dieser Europäische Haftbefehl beruht auf Haftentscheidungen des Bezirksgerichts („Ort 01“) vom 15. Oktober 2021 sowie vom 26. April 2021 (Az.: … und …).
Nach der deutschen Übersetzung der Sachverhaltsdarstellung in dem Europäischen Haftbefehl wird dem Verfolgten zur Last gelegt,
(1.) in der Nacht vom 20. zum 21. August 2018 einem gemeinsamen Tatplan entsprechend mit einem Mittäter gemeinschaftlich handelnd in der („Adresse 01“) die Tür des Kellerraums Nr. … aufgebrochen zu haben, in den Keller eingedrungen zu sein und von dort aus zusammen heimlich das Eigentum von („Name 01“) - eine Elektrosäge Rebir im Wert von 60 EUR, eine Kettensäge HPG CTC S58 im Wert von 90,08 EUR und einen 10-Liter-Kunststoffkanister im Wert von 2 EUR, in dem sich 8 Liter Benzin 95 im Wert von insgesamt 9,60 EUR befanden, gestohlen zu haben, wodurch dem Geschädigten („Name 01“) ein Sachschaden in Höhe von 161,68 EUR zugefügt wurde;
(2.) am 8. Dezember 2019 gegen 17:20 Uhr unter Alkoholeinfluss stehend sich einem gemeinsamen Tatplan entsprechend mit einem Mittäter in das Geschäft „…“ der „Firma …“ im Bezirk („Adresse 02“)begeben zu haben und dort gemeinschaftlich handelnd aus dem Regal mit den alkoholischen Getränken eine 1-Liter-Flasche Wodka „Korsenkorva“ im Wert von 13,89 EUR an sich genommen, in den mitgebrachten Rucksack des Mittäters gesteckt und anschließend das Geschäft, ohne die in der Tasche versteckte Ware vorzulegen und ohne sie zu bezahlen, verlassen zu haben und
(3.) am 2. Januar 2020 gegen 21:20 Uhr unter Alkoholeinfluss stehend in der („Name 02“) gehörenden Wohnung in („Adresse 03“), aus persönlichen Motiven einen Benzinkanister genommen, die Gegenstände im Zimmer mit Benzin übergossen und mit einem Feuerzeug angezündet zu haben, so dass sich das Benzin entzündete und ein Feuer von 30 Quadratmetern ausbrach, bei dem die Wohnung von („Name 02“) im Wert von 8.000 EUR, das Sofa von („Name 03“) im Wert von 20 Euro und ein Fernseher im Wert von 10 Euro, ein Router im Wert von 130 EUR, der („Name 04“) gehört, ein Mobiltelefon „Samsung Galaxy“ im Wert von 20 EUR und ein Mobiltelefon „Samsung Galaxy Mini“ im Wert von 20 EUR, ein Decoder im Wert von 67 EUR und andere Haushaltsgegenstände, die („Name 05“) gehören, abbrannten. Auf diese Weise soll der Verfolgte vorsätzlich fremdes Eigentum im Gesamtwert von 8.267 Euro beschädigt und zerstört haben.
2. Der Verfolgte befand sich zunächst zur Verbüßung dreier Freiheitsstrafen in der („JVA 01“). Gemeinsames Strafende war der 10. April 2024.
Am 27. März 2023 hat das Amtsgericht Zossen eine Festhalteanordnung gegen den Verfolgten erlassen. Bei seiner richterlichen Anhörung vor dem Amtsgericht Zossen am 27. März 2023 hat der Verfolgte angegeben, dass er seine Ausweispapiere verloren und zuletzt bei einem Freund in („Ort 02“) gewohnt habe. Er wisse nicht, wie lange er schon in der Justizvollzugsanstalt sei, in („Republik 01“) habe er keine Anschrift mehr. In („Republik 02“) habe er gelegentlich inoffiziell gearbeitet, über ein geregeltes Einkommen habe er nicht verfügt. Der Verfolgte hatte sich weder mit seiner Auslieferung nach („Republik 01“) im vereinfachten Verfahren einverstanden erklärt noch auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet.
3. Nach Erlass einer Festhalteanordnung durch das Amtsgericht Zossen am 27. März 2024 hat der Senat unter dem Datum des 5. April 2024 einen Auslieferungshaftbefehl erlassen, infolge dessen sich der Verfolgte seit dem 11. April 2024, nachdem er die Strafen aus den Verfahren der Staatsanwaltschaft Berlin vollständig verbüßt hat, in Auslieferungshaft in der („JVA 02“) befindet. Er ist zu dem Europäischen Haftbefehl und dem damit verbundenen Auslieferungsersuchen am 23. April 2024 gemäß §§ 28, 79 Abs. 2 Satz 3 IRG vor dem Amtsgericht Cottbus erneut vernommen worden. Hierbei hat er sich - wie bereits im Rahmen seiner am 27. März 2023 stattgefundenen Vernehmung - nicht mit seiner Auslieferung im vereinfachten Verfahren nach („Republik 01“) einverstanden erklärt und auch nicht auf den Spezialitätsgrundsatz verzichtet. Er erklärte persönlich, er habe keine Einwände gegen eine „Abschiebung“, er warte bereits seit mehreren Wochen auf den Tag, an dem er abgeholt und nach („Republik 01“) „abgeschoben“ werde.
Der Beistand des Verfolgten erklärte daraufhin, der Verfolgte sei derzeit offensichtlich psychisch schwer erkrankt.
Bei der richterlichen Anhörung am 23. April 2024 wurde dem Verfolgten die avisierte Absicht der Generalstaatsanwaltschaft des Landes bekanntgegeben, Bewilligungshindernisse nicht geltend zu machen. Die vorläufige Bewilligungserklärung, die dem Verfolgten vorgelesen und übersetzt wurde, hatte folgenden Inhalt:
„Hinsichtlich der begehrten Auslieferung des Verfolgten nach („Republik 01“) zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der dem Europäischen Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft der Republik („Republik 01“) vom 30. Juni 2022 (Az.: …; …) zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen, die Gegenstand der Haftentscheidungen des Bezirksgerichts („Ort 01“) vom 15. Oktober 2021 sowie vom 26. April 2021 (Az.: … und …) sind, beabsichtigt der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg, Bewilligungshindernisse nach § 83b IRG nicht geltend zu machen. Denn die in § 83b Abs. 1 Nr. 1 bis 4 IRG im Einzelnen aufgeführten Bewilligungshindernisse, die einer Auslieferung entgegenstehen würden, liegen beim Verfolgten nicht vor. Insbesondere sind die dem Verfolgten von den („Republik 01“) Behörden zur Last gelegten Taten in („Republik 01“) begangen worden und haben mithin ausschließlich Auslandsbezug. Auch sind Gründe für die Ablehnung der Bewilligung nach § 83b Abs. 2 Nr. 1 IRG nicht ersichtlich.
Nach alledem liegen aus Sicht der Bewilligungsbehörde nach Abwägung aller für und gegen den Verfolgten sprechenden Umstände keine Gründe vor, die einer Übergabe des Verfolgten an die („Republik 01“) Behörden zum Zwecke der Strafverfolgung entgegenstehen.
Es steht dem Verfolgten frei, zu dieser Entschließung zu Protokoll Stellung zu nehmen. Für eine mögliche schriftliche Stellungnahme gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg wird eine Frist von einer Woche gesetzt.“
Erklärungen hat der Verfolgte hierzu bisher nicht abgegeben.
4. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat unter dem Datum des 30. April 2024, eingegangen beim Brandenburgischen Oberlandesgericht am 3. Mai 2024, beantragt, die Auslieferung des Verfolgten an („Republik 01“) zur Strafverfolgung wegen der in dem Europäischen Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft der Republik („Republik 01“) vom 30. Juni 2022 (Az.: …; …) bezeichneten strafbaren Handlungen, die Gegenstand der Haftentscheidungen des Bezirksgerichts („Ort 01“) vom 15. Oktober 2021 sowie vom 26. April 2021 (Az.: … und …) sind, für zulässig zu erklären, der beabsichtigten Bewilligung der Auslieferung der Verfolgten an („Republik 01“) zur Strafverfolgung (unter Spezialitätsvorbehalt) zuzustimmen und die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen.
II.
Der Senat entscheidet entsprechend den Anträgen der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg.
1. Die Auslieferung des Verfolgten an die („Republik 01“) Justizbehörden zum Zwecke der Strafverfolgung erscheint nach dem durch das EuHbG vom 20. Juli 2006 umgesetzten Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten sowie nach den maßgeblichen Bestimmungen des Achten Teils des IRG nicht von vornherein unzulässig (§ 15 Abs. 2 IRG).
Gründe, die einer Auslieferung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich; die Auslieferungsfähigkeit ist nach den §§ 3, 81 Nr. 2 IRG gegeben.
a) Die beiderseitige Strafbarkeit ist zu bejahen (§§ 242, 243 Abs. 1 Nr. 1, 306a Abs. 1 Nr. 1, 53 StGB), wobei die („Republik 01“) Behörden die Brandstiftungstat vom 2. Januar 2020 den in Artikel 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten [ABI. (EG) 2002 Nr. L 190 S. 1] in Bezug genommenen Deliktsgruppen zurechnen, was eine Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit insoweit entbehrlich machen würde (§ 81 Nr. 4 IRG).
b) Ferner sind die Taten in („Republik 01“) mit einer Höchststrafe von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht. Ausweislich der Angaben in dem Europäischen Haftbefehl betragen die Höchststrafen für die Tatvorwürfe ein, fünf bzw. zehn Jahre Freiheitsstrafe.
c) Der übermittelte Europäische Haftbefehl enthält die nach § 83a Abs. 1 Nrn. 1-6 IRG erforderlichen Angaben. Er gibt die Identität des Verfolgten an, enthält die Bezeichnung und Anschrift der ausstellenden Justizbehörde, nennt die Art und die rechtliche Würdigung der Straftaten, einschließlich der gesetzlichen Bestimmungen, und beschreibt die Umstände, unter denen die Taten begangen sein sollen, mit Angabe der Tatzeit, des Tatortes und der Tatmodalitäten der Verfolgten ausreichend. Eine inhaltliche Überprüfung der Tatvorwürfe in dem Europäischen Haftbefehl findet im Rahmen des Auslieferungsverfahrens nicht statt.
d) Auslieferungshindernisse liegen nicht vor. Eine konkurrierende deutsche Gerichtsbarkeit besteht nicht (§ 9 Ziff. 1 IRG); weder ist wegen der dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegenden Taten in der Bundesrepublik („Republik 02“) oder einem anderen Mitgliedsstaat ein Urteil ergangen noch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Der Verfolgte hat die ihm vorgeworfenen Taten in („Republik 01“) begangen, diese haben somit ausschließlich Auslandsbezug. In Ansehung des Tatzeitraums 2018-2020 dürfte in („Republik 01“) die Verfolgungsverjährung noch nicht eingetreten sein; Verjährung ist auch nach deutschem Recht nicht gegeben (§ 9 Ziff. 2 IRG).
e) Der allgemeine Hinweis des Beistands auf eine erhebliche psychiatrische Erkrankung des Verfolgten, die nach seinen Angaben medikamentös behandelt wird, begründet ebenfalls kein Zulässigkeitshindernis.
f) Auch die bis dato als prekär bekannten Haftbedingungen in („Republik 01“) stehen der Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten nicht gemäß § 73 Satz 1 IRG entgegen. Nach lettischem Recht trifft jeder Gefangene dort Haftbedingungen an, die namentlich (auch) hinsichtlich der Größe und der Ausstattung der Hafträume sowie der medizinischen Versorgung der Gefangenen den Anforderungen der Europäischen Konvention für Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen / Mindestgrundsätzen für die Behandlung Gefangener vom 11. Januar 2006 entsprechen (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 31. März 2021 - 1 AR 4/21 (S) -, juris).
2. Die mit Blick auf das Erfordernis einer europarechtskonformen Auslegung des § 79 Abs. 2 IRG (vgl. hierzu Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 24. November 2020, Az.: C-510/19, zit. n. juris) gebotene vollinhaltliche Überprüfung der von der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg avisierten Entschließung, die Auslieferung des Verfolgten an („Republik 01“) bewilligen zu wollen, führt nach vollinhaltlicher Überprüfung zu deren Bestätigung. Die Bewilligungsentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft entspricht der Sach- und Rechtslage.
Die in § 83b Abs. 1 Nr. 1 bis 4 IRG im Einzelnen aufgeführten Bewilligungshindernisse, die einer Auslieferung entgegenstehen würden, liegen bei dem Verfolgten nicht vor.
3. Der Vorbehalt der Spezialitätsbindung wird zu beachten sein.
4. Die Fortdauer der Auslieferungshaft ist anzuordnen. Der Haftgrund der Fluchtgefahr besteht aus den im Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 5. April 2024 genannten Gründen fort. Da der Verfolgte im Falle einer Verurteilung mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zur rechnen und keine sozialen Bindungen in der Bundesrepublik („Republik 02“) bestehen, bieten weniger einschneidende Maßnahmen nicht die nach § 25 Abs. 1 IRG erforderliche Gewähr, dass der Zweck der Auslieferungshaft auch durch sie erreicht werden könnte. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht dem bei der gegebenen Sachlage nicht entgegen.