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Entscheidung 1 OAus 13/24


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Strafsenat Entscheidungsdatum 16.04.2024
Aktenzeichen 1 OAus 13/24 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2024:0416.1OAUS13.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen des vereinfachten Auslieferungsverfahrens zur Überstellung des Verfolgten … an Schweden zur Strafverfolgung wegen der im Europäischen Haftbefehl der schwedischen Staatsanwaltschaft in Malmö vom 1. März 2024 (AM 60919-23) dargelegten Straftaten vorliegen.

Die Entschließung der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg zu der beabsichtigten Bewilligung der Auslieferung des Verfolgten an Schweden zur Strafverfolgung wird nach vollinhaltlicher Überprüfung gerichtlich bestätigt.

Der Grundsatz der Spezialität ist zu beachten.

Gegen den Verfolgten … wird die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet.

Gründe

I.

Der Senat hat gegen den Verfolgten am 14. März 2024 einen Auslieferungshaftbefehl erlassen, infolge dessen er gegenwärtig in der Justizvollzugsanstalt … inhaftiert ist. Grundlage des Auslieferungshaftbefehls ist der Europäischen Haftbefehl der schwedischen Staatsanwaltschaft in Malmö vom 1. März 2024 (AM 60919-23), dem der Haftbefehl des Bezirksgerichts Lund vom 1. März 2024 (B 2370-23) zugrunde liegt. Mit dem vorgenannten Europäischen Haftbefehl ersuchen die schwedischen Behörden um Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung wegen „besonders schwerer Betäubungsmittelstraftaten“ sowie wegen versuchten Mordes, alternativ wegen Vorbereitung zur Begehung oder strafbarer Verabredung zur Begehung eines Mordes gemäß § 1 § 1 st 3 p und § 3 § 2 st des schwedischen Betäubungsmittelgesetzes, Kapitel 3 § 1 und Kapitel 23 § 1 § 2 und § 4 des schwedischen Strafgesetzbuches.

Wegen der konkreten Tatvorwürfe wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 14. März 2024 verwiesen.

Der Verfolgte wurde im Rahmen einer grenzpolizeilichen Einreisekontrolle auf dem Flughafen … am XX.XX.2024 festgenommen. Er wurde noch am selben Tag richterlich vor dem Amtsgericht Königs Wusterhausen vernommen. Hierbei hat er sich zu den Tatvorwürfen aus dem Europäischen Haftbefehl nicht geäußert und angegeben, über soziale Beziehungen in Deutschland nicht zu verfügen. Mit seiner Auslieferung nach Schweden im vereinfachten Verfahren hat er sich ebenso wenig einverstanden erklärt wie mit einem Verzicht auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes.

Bei seiner erneuten richterlichen Anhörung gemäß § 28 IRG am 8. April 2024 vor dem Amtsgericht Cottbus, an der jedoch der dem Verfolgen am 8. März 2024 nach § 40 Abs. 2 IRG beigeordnete Rechtsbeistand nicht teilgenommen hat, hat sich der Verfolgte nach wiederholter Belehrung durch die Ermittlungsrichterin über die Bedeutung des vereinfachten Auslieferungsverfahrens und über die Unwiderruflichkeit zustimmender Äußerungen und nach Bestätigung des Verfolgten, dass er die Belehrung verstanden habe, mit der Auslieferung an Schweden im vereinfachten Verfahren einverstanden erklärt. Nach Abgabe der Erklärung hat die Ermittlungsrichterin den Verfolgten nochmals dahingehend belehrt, dass die Einverständniserklärung unwiderruflich sei, und ihn befragt, ob er bei seiner Zustimmungserklärung bleibe, was der Verfolgte erneut bestätigt hat (S. 3 Vernehmungsprotokoll, Bl. 181 d.A.).

Im Zuge der richterlichen Vernehmung wurde dem Verfolgten auch die Absicht der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg bekanntgegeben, die Auslieferung an Schweden zu bewilligen, wozu der Verfolgte keine Erklärung abgegeben hat. Die dem Verfolgten bekannt gegebene Verfügung hat folgenden Inhalt:

„Hinsichtlich der begehrten Auslieferung des Verfolgten nach Schweden zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der dem Europäischen Haftbefehl der schwedischen Staatsanwaltschaft in Malmö vom 1. März 2024 (AM 60919-23) zu Grunde liegenden Taten beabsichtigt der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg, Bewilligungshindernisse nach § 83b IRG nicht geltend zu machen. Denn die in § 83b Abs. 1 Nr. 1 bis 4 IRG im Einzelnen aufgeführten Bewilligungshindernisse, die einer Auslieferung entgegenstehen würden, liegen beim Verfolgten nicht vor. Insbesondere sind die dem Verfolgten von den schwedischen Behörden zur Last gelegten Taten in Schweden begangen worden und haben mithin ausschließlich Auslandsbezug. Auch sind Gründe für die Ablehnung der Bewilligung nach § 83b Abs. 2 Nr. 1 IRG nicht ersichtlich.

Nach alledem liegen aus Sicht der Bewilligungsbehörde nach Abwägung aller für und gegen den Verfolgten sprechenden Umstände keine Gründe vor, die einer Übergabe des Verfolgten an die schwedischen Behörden zum Zwecke der Strafverfolgung entgegenstehen.“

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat unter dem Datum des 8. April 2024, eingegangen beim Brandenburgischen Oberlandesgericht am 10. April 2024, beantragt, festzustellen, dass die Voraussetzungen für eine vereinfachte Auslieferung vorliegen, die Entschließung der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg, keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen, gerichtlich zu bestätigen und die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen.

II.

Der Senat entscheidet gemäß den Anträgen der Generalstaatsanwaltschaft.

1. Die Auslieferung des Verfolgten bzw. die Übergabe an die schwedischen Justizbehörden zum Zwecke der Strafverfolgung ist nach dem durch das EuHbG vom 20. Juli 2006 umgesetzten Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten sowie nach den maßgeblichen Bestimmungen des Achten Teils des IRG auch des Weiteren nicht von vornherein unzulässig (vgl. § 15 Abs. 2 IRG). Gründe, die einer Auslieferung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.

Die Auslieferungsfähigkeit ist nach den §§ 3, 81 Nr. 1 IRG gegeben. Die dem Ersuchen zugrunde liegenden Tatgeschehen sind auch nach deutschem Recht strafbar (vgl. §§ 29 ff. BtMG, §§ 211, 22, 23, 26, 27, 30 Abs. 2 StGB), wobei die seitens der schwedischen Behörden aufgeführten Delikte den in Artikel 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten [ABI. (EG) 2002 Nr. L 190 S. 1] in Bezug genommenen Deliktsgruppen zugehörig sind und die beiderseitige Strafbarkeit nicht zu prüfen ist (§ 81 Nr. 4 IRG). Ferner sind die Taten nach schwedischem Recht mit einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren im Höchstmaß bedroht, so dass auch dem Erfordernis aus § 81 Nr. 1 IRG Genüge getan ist.

Die nach § 83a Abs. 1 Nr. 1 bis 6 IRG vorausgesetzten Angaben, insbesondere die jeweils erforderlichen Angaben zur Identität des Verfolgten und dessen Staatsangehörigkeit (§ 83a Abs. 1 Nr. 1 IRG), sind in dem Europäischen Haftbefehl enthalten. Auch sind in ausreichendem Maße die in § 83a Abs. 1 Nr. 5 IRG geforderten Beschreibungen der Umstände, unter denen die Straftaten begangen worden sein sollen, einschließlich der Tatzeit und des Tatortes enthalten. Der Umfang der Tatvorwürfe und die konkretisierten Straftatbestände sind hinreichend deutlich bestimmt, auch geht klar hervor, dass der Verfolgte zur Strafverfolgung ausgeliefert werden soll.

2. Hinsichtlich der Durchführung des vereinfachten Auslieferungsverfahrens und der avisierten Bewilligung der Auslieferung durch die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg ist infolge des Urteils des Europäischen Gerichtshof vom 24. November 2020 (Az. C-510/19) zum Begriff der „vollstreckenden Justizbehörde" nach Art. 6 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/JI) und der dadurch bedingten europarechtskonformen Auslegung von § 41 IRG, § 79 Abs. 2 IRG eine vollinhaltliche Überprüfung und Bestätigung durch den Senat veranlasst.

a) Zu Recht geht die Generalstaatsanwaltschaft vom Vorliegen einer vereinfachten Auslieferung nach § 41 IRG aus und beabsichtigt deshalb keine Durchführung eines Verfahrens über die Zulässigkeit der Auslieferung nach §§ 29 ff. IRG.

Der Verfolgte hat bei seiner richterlichen Vernehmung unter Teilnahme eines Dolmetschers für die schwedische Sprache vor dem Amtsgericht Cottbus am 8. April 2024 – wie bereits oben dargelegt – nach mehrfacher Belehrung und ausdrücklichem Hinweis auf die Unwiderruflichkeit dieser Erklärung nachdrücklich dargelegt, mit der Durchführung eines vereinfachten Auslieferungsverfahrens einverstanden zu sein. Zudem hat er nach Abgabe der Erklärung diese nach nochmaliger Belehrung durch die Ermittlungsrichterin erneut bestätigt.

Veranlassung, an der Wirksamkeit dieser Einverständniserklärung des Verfolgten zu zweifeln, besteht nicht. Bei der Frage nach der Zustimmung zum vereinfachten Auslieferungsverfahren, das der Verfahrensbeschleunigung dient, handelt es sich um einen sehr einfach gelagerten Sachverhalt, über den der Verfolgte ausweislich des Anhörungsprotokolls mehrfach durch die Ermittlungsrichterin, insbesondere über die Bedeutung des vereinfachten Auslieferungsverfahrens und über die Unwiderruflichkeit der Zustimmungserklärung, belehrt worden war.

Die Bestätigung des vereinfachten Auslieferungsverfahrens durch den Senat gilt auch vor dem Hintergrund, dass der Rechtsbeistand des Verfolgten bei der richterlichen Anhörung am 8. April 2024 nicht anwesend war; eine solche ist nicht zwingend. Nach dem Wortlaut des § 40 IRG i.d.F. vom 10. Dezember 2019  ist für die Wirksamkeit der Erklärung des Einverständnisses für eine vereinfachte Auslieferung vom Verfolgten keine Anwesenheit des Beistandes bei der Vernehmung, in der diese Erklärung abgegeben wird, erforderlich. § 40 IRG soll lediglich im Falle der „Festnahme“ eine Beistandsbestellung von Beginn des Verfahrens an sicherstellen. Der Verfolgte soll sich auch im Rahmen des Auslieferungsverfahrens jederzeit anwaltlichen Beistands bedienen können. Die Vernehmung vor einem Gericht wiederum soll sicherstellen, dass prozessual bindende Erklärung gerichtlich protokolliert werden. Die Notwendigkeit einer körperlichen Anwesenheit des Beistandes bei der gerichtlichen Vernehmung ist der Vorschrift gerade nicht zu entnehmen (ausf. OLG Frankfurt, Beschluss vom 21. Dezember 2020, 2 AuslA 175/20, zit. n. juris, dort Rn. 20 ff.).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der gesetzgeberischen Intention des EU-Gesetzgebers in der Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (ABl. L 297 vom 4.11.2016, S. 1) und der Richtlinie (EU) 2016/800 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind (ABl. L 132 vom 21.5.2016, S. 1). Auch in diesen Richtlinien wird lediglich das Recht der EU-Bürger auf anwaltlichen Beistand normiert. Zu Anwesenheitspflichten oder gar deren Wirksamkeitsvoraussetzung für Erklärungen von Beschuldigten/Verfolgten lassen sich den Richtlinien weder unmittelbar noch mittelbar Hinweise entnehmen (OLG Frankfurt a.a.O, zit. n. juris, dort Rn. 23 f.). Auch der Begründung im Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2128) lässt sich ein derartiger Wille des Gesetzgebers nicht entnehmen (vgl. BR-Drucks 364/19, S. 55 ff.).

Damit liegen die Voraussetzungen für eine vereinfachte Auslieferung nach § 41 Abs. 1 IRG vor.

b) Auch die beabsichtigte Entschließung der Generalstaatsanwaltschaft, keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen, ist nach vollinhaltlicher Prüfung durch den Senat zu bestätigen. Denn die in § 83b Abs. 1 Nr. 1 bis 4 IRG im Einzelnen aufgeführten Bewilligungshindernisse, die einer Auslieferung entgegenstehen könnten, liegen bei dem Verfolgten nicht vor. Insbesondere sind die dem Verfolgten von den schwedischen Justizbehörden zur Last gelegte Straftaten in Schweden begangen worden und haben ausschließlich Auslandsbezug. Auch sind Gründe für die Ablehnung der Bewilligung nach § 83b Abs. 2 Nr. 2 IRG nicht ersichtlich.

Nach Abwägung aller für und gegen den Verfolgten sprechenden Umstände liegen keine Gründe vor, die einer Übergabe des Verfolgten an die schwedischen Behörden zum Zwecke der Strafverfolgung entgegenstehen. Es bestehen somit keine Bedenken gegen die Bewilligung der Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung auf der Grundlage der dem Verfolgten im Europäischen Haftbefehl der schwedischen Staatsanwaltschaft in Malmö vom 1. März 2024 (AM 60919-23) näher bezeichneten Tatvorwürfe. Der Grundsatz der Spezialität wird zu beachten sein.

3. Die Fortdauer der Auslieferungshaft ist anzuordnen. Der Haftgrund der Fluchtgefahr besteht aus den im Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 14. März 2023 genannten Gründen fort. Der Verfolgte hat für den Fall seiner Verurteilung in Schweden mit der Verhängung einer mehrjährigen Freiheitsstrafe zu rechnen, was erfahrungsgemäß einen hohen Fluchtanreiz darstellt. Auch verfügt der Verfolgte nach eigenen Angaben hierzulande über keine sozialen Bindungen, die der Fluchtgefahr entgegenwirken könnten.

Weniger einschneidende Maßnahmen bieten nicht die nach § 25 Abs. 1 IRG erforderliche Gewähr, dass der Zweck der Auslieferungshaft auch durch sie erreicht werden könnte. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht bei der gegebenen Sachlage der Fortdauer der Auslieferungshaft gegen den Verfolgten nicht entgegen.