Gericht | OLG Brandenburg 1. Senat für Bußgeldsachen | Entscheidungsdatum | 15.04.2024 | |
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Aktenzeichen | 1 ORbs 11/24 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2024:0415.1ORBS11.24.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Neuruppin vom 12. Oktober 2023 wird gemäß §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe als offensichtlich unbegründet verworfen, dass der Betroffene des vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 56 km/h schuldig ist.
Der Betroffene trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
I.
Das Amtsgericht Neuruppin verurteilte den Betroffenen am 12. Oktober 2023 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 56 km/h zu einer Geldbuße in Höhe von 480,00 € und ordnete unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit des § 25 Abs. 2a StVG ein einmonatiges Fahrverbot gegen ihn an.
Den Feststellungen des Bußgeldgerichts zufolge hatte der Betroffene am 11. Februar 2022 gegen 00:33 Uhr mit einem weißen Pkw der Marke … …, …-Klasse, …-Modell, die Bundesautobahn A … in Fahrtrichtung … befahren. In einer Baustelle kurz hinter der Raststätte … … hätten die Polizeibeamten H... und S... den Betroffenen wahrgenommen, denn dieser habe sie mit überhöhter Geschwindigkeit überholt. Am Ende der Baustelle sei die zulässige Geschwindigkeit per Verkehrsschild anstelle von 80 km/h auf 120 km/h beschränkt worden. Der Betroffene habe sein Fahrzeug auf über 200 km/h beschleunigt, sodass sich die Beamten zu einer Nachfahrt entschlossen hätten. Die Nachfahrt habe von Kilometer 220 bis Kilometer 218 angedauert, die Beamten hätten einen Abstand von etwa 200 Metern zum Fahrzeug des Betroffenen eingehalten, bis ihnen der Betroffene mit einer Geschwindigkeit von 220 km/h wegzufahren gedroht habe. Diese Geschwindigkeit hätten der nicht justierte Tacho und die digitale Anzeige des Streifenwagens angezeigt, die von beiden Polizisten hätten wahrgenommen werden können. An der Anschlussstelle …-… hätten die Beamten den Betroffenen einer Verkehrskontrolle unterzogen. Nach Abzug der Messtoleranz von 20 % ergebe sich eine von dem Betroffenen mindestens gefahrene Geschwindigkeit von 176 km/h. Bei Anwendung der erforderlichen und zumutbaren Sorgfalt hätte der Betroffene seine Geschwindigkeitsüberschreitung bemerken und unterlassen können. Die Beamten hätten die Nachfahrt mit einer Onboard-Kamera gefilmt, die Aufzeichnung sei aber – wie auch andere – durch einen Computerabsturz auf der Polizeiwache gelöscht worden.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner am 13. Oktober 2023 bei Gericht angebrachten Rechtsbeschwerde, die er nach am 08. November 2023 erfolgter Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe unter dem 06. Dezember 2023 begründet hat. Der Betroffene rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er macht insbesondere geltend, die Feststellungen des Bußgeldgerichts trügen das Erkenntnis nicht. Bei Feststellung von Verkehrsverstößen durch Nachfahren müssten Straßen-, Sicht- und Verkehrsverhältnisse eine ständige Beobachtung des vorausfahrenden Fahrzeugs ermöglichen, es sei ein sich jedenfalls nicht verringernder Abstand einzuhalten. Bei einem Erfordernis größeren Sicherheitsabstands als 100 Meter sei jedenfalls ein höherer Toleranzabzug als 20 % vorzunehmen. Zudem fehle es an konkreten Feststellungen zur zugrunde gelegten Qualität des Fahrzeuglichts, mit dessen Hilfe die Zeugen den Abstand überprüft hätten. Dies gelte zumal deshalb, weil das Abblendlicht einen Abstand von 200 Metern nicht ausleuchte. Die Einhaltung der Erfordernisse einer Nachfahrt seien durch das Zusammentreffen von Dunkelheit, einem unzulässigen Nachfahrabstand und einer hohen Geschwindigkeit zumindest erschwert gewesen, hiermit habe sich das Amtsgericht rechtsfehlerhaft nicht auseinandergesetzt. Dasselbe gelte für die mehrfachen Überholvorgänge beider Fahrzeuge. Logische Fehler in den Zeugenaussagen habe das Bußgeldgericht unberücksichtigt gelassen, Feststellungen dazu, wie ein Nachfahrabstand von 200 Metern hergestellt worden sei, nicht getroffen. Tatsächlich habe das Polizeifahrzeug sich dem Auto des Betroffenen noch angenähert, als die Geschwindigkeit gemessen worden sei. Der Verlust der Videoaufzeichnung sei rechtsfehlerhaft nicht aufgeklärt worden, die Aufzeichnung hätte über ein einzuholendes Sachverständigengutachten den Betroffenen entlastende Umstände offenbart und so zu einem für ihn günstigeren Verfahrensausgang geführt. Anfragen des Gerichts und der Verteidigung nach Einsicht in das Video seien lange unbeantwortet geblieben. Im Fall der Vorlage des Videos hätte der Betroffene bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung eine sachverständige Auswertung veranlasst und einen entsprechenden Beweisantrag in der Hauptverhandlung gestellt. Das Fehlen dieser Möglichkeit hätte zumindest bei der Bestimmung der Rechtsfolgen berücksichtigt werden müssen, woran es fehle.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Der Betroffene hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Rüge einer Verletzung formellen Rechts ist bereits nicht zulässig ausgeführt worden, § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG in Verbindung mit § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Der Betroffene erhebt mit seinem Vorbringen, das Bußgeldgericht hätte die Umstände um den Verlust der Videoaufzeichnung u.a. aufklären müssen, die Aufklärungsrüge nach § 261 StPO. Diese Rüge ist nur dann in zulässiger Form erhoben, wenn der Beschwerdeführer nicht nur die Tatsache, die das Gericht zu ermitteln unterlassen hat, sondern auch das Beweismittel bezeichnet, dessen sich der Tatrichter hätte bedienen sollen (BGHSt 2, 168; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage, zu § 261, Rz. 102). Daran fehlt es vorliegend. Der Betroffene legt nicht dar, welche(s) Beweismittel das Bußgeldgericht hätte nutzen müssen, um etwa den Verbleib der – nach den Feststellungen aufgrund eines Computerproblems gelöschten – Videoaufzeichnung aufzuklären.
2. Die auf die Sachrüge vorgenommene Überprüfung des Urteils hat Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen nicht ergeben.
Das Hinterherfahren mit Tachometervergleichung kann als Beweis für einen Geschwindigkeitsverstoß ausreichen und zwar auch dann, wenn der Tachometer des nachfahrenden Fahrzeugs ungeeicht und nicht justiert war (KG, Beschluss vom 27. Oktober 2014 – 3 Ws (B) 467/14 – Rz. 2, Juris; OLG Celle NZV 2005, 158; OLG Hamm VRS 102, 302; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage, zu § 3 StVO, Rz. 62). Dabei handelt es sich allerdings nicht um ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren (vgl. hierzu grundlegend BGHSt 39, 291) mit der Folge, dass sich der Tatrichter in jedem Einzelfall mit der Zuverlässigkeit der Messung und der Einhaltung der Voraussetzungen für die Verwertbarkeit auseinandersetzen muss (KG a. a. O.) Insoweit hat die Rechtsprechung Richtlinien für die beweissichere Feststellung einer durch Nachfahren ermittelten Geschwindigkeitsüberschreitung entwickelt. Danach müssen die Messstrecke ausreichend lang, der Abstand des folgenden Fahrzeugs gleichbleibend und möglichst kurz und die Geschwindigkeitsüberschreitung wesentlich sein (KG a. a. O.; BayObLG DAR 2000, 320; OLG Hamm DAR 1997, 285; Hentschel/König/Dauer, a. a. O.). Bei in Dunkelheit durchgeführter Messung sind zusätzlich Angaben über die Beobachtungsmöglichkeiten der Polizeibeamten erforderlich (KG a. a. O.; BayObLG a. a. O.; OLG Hamm a. a. O.).
Hieran gemessen, bestehen gegen die Beweiswürdigung des Tatrichters zur Verwertbarkeit der Geschwindigkeitsmessung keine durchgreifenden Bedenken. Das Amtsgericht hat festgestellt, dass die Messstrecke zwei Kilometer lang war (von Kilometer 220 bis Kilometer 2018) und der Abstand des Streifenwagens zum vorausfahrenden Auto des Betroffenen bei einer vom Tachometer abgelesenen Geschwindigkeit von 220 km/h etwa 200 Meter betrug. Der Senat verkennt nicht, dass dieser Abstand hoch ist. Der Rechtsbeschwerde ist auch zuzugeben, dass das bei der Nachtfahrt erforderliche Abblendlicht diesen Abstand nicht vollständig ausleuchtet. Die Länge des Abstands ist indessen in Relation zur Länge der Messstrecke und zur gefahrenen Geschwindigkeit zu setzen. Die Messstrecke ist vorliegend mit zwei Kilometern besonders lang. Unter weiterer Berücksichtigung der Ausführungen des Amtsgerichts, der Zeuge PB H..., der als Beifahrer im nachfahrenden Polizeifahrzeug gesessen habe, habe bei trockener Straße und ohne Niederschlag trotz der Dunkelheit, aber aufgrund der sehr guten Scheinwerfer des Streifenwagens die Leitpfosten entlang der Fahrbahn erkennen und aufgrund seiner jahrelangen Erfahrung im Verkehr den Abstand sehr gut ermitteln können, genügen die Feststellungen den Anforderungen der Rechtsprechung bei Nachfahrten. Hierbei ist zu beachten, dass der Zeuge H... seit Oktober 2021 bei der Autobahnpolizei beschäftigt ist und vorher zwölf Jahre als Fahrlehrer für Lkw und Pkw bei der Bundeswehr tätig war. Nicht außer Acht zu lassen ist ferner, dass bei Geschwindigkeiten oberhalb von abgelesenen 200 km/h ein langer Abstand aus Sicherheitsgründen geradezu geboten ist, noch dazu bei nächtlicher Dunkelheit. Dieses Erfordernis kann aber nicht dazu führen, dass bei derart hohen Geschwindigkeiten eine Geschwindigkeitsmessung per Nachfahrt generell ausgeschlossen ist.
Erschwernisse der Messung durch seitens beider Fahrzeuge vorgenommene Überholvorgänge sind aus den Urteilsfeststellungen nicht ersichtlich, insbesondere lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, dass sich teils andere Fahrzeuge zwischen dem Auto des Betroffenen und dem Streifenwagen befunden hätten. Feststellungen dazu, wie der Nachfahrabstand von 200 Metern entstanden ist, waren nicht geboten, die Verwertung des nach den Urteilsfeststellungen nicht mehr vorhandenen Videos mit Blick auf die durchgeführte Beweisaufnahme nicht erforderlich. Eine Verletzung der Verteidigungsrechte des Betroffenen ergibt sich aus dem Nichtvorhandensein einer Videoaufzeichnung des Verkehrsverstoßes nicht, vielmehr war eine Beweiserhebung durch Einvernahme der nachfahrenden Polizeibeamten gleichermaßen möglich.
Insgesamt hat das Amtsgericht aufgrund der erhobenen Beweise tragfähig festgestellt, dass die Straßen-, Sicht- und Verkehrsverhältnisse dem Zeugen H... eine ständige Beobachtung des Fahrzeugs des Betroffenen, der Konstanz des zu diesem eingehaltenen Abstands und das Ablesen der gefahrenen Geschwindigkeit ermöglichten.
Ein über 20 % hinausgehender Sicherheitsabschlag war mit Blick auf die tragfähigen Feststellungen nicht geboten.
3. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass ordnungsgemäß aufgestellte Verkehrszeichen wahrgenommen werden und ein fahrlässiges Übersehen die Ausnahme darstellt. Deshalb braucht die Möglichkeit, dass der Betroffene das Vorschriftszeichen übersehen hat, nur in Rechnung gestellt zu werden, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben (vgl. BGH NJW 1997, 3252; OLG Celle NZV 2014, 232), die vorliegend weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sind. Bei einem beachteten Verkehrsschild kann zudem angenommen werden, dass ein Kraftfahrer seine gefahrene Geschwindigkeit anhand eines Blicks auf den Tachometer wiederholt kontrolliert. Vorliegend ist zudem zu berücksichtigen, dass der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 46,6 % überschritten hat. Bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit drängt sich eine vorsätzliche Begehungsweise umso mehr auf, je massiver das Ausmaß der Überschreitung ist. Dabei kommt es nach der Rechtsprechung nicht auf die absolute, sondern auf die relative Geschwindigkeitsüberschreitung an, also auf das Verhältnis zwischen der vorgeschriebenen und der gefahrenen Geschwindigkeit. Je höher die prozentuale Überschreitung ist, desto eher wird sie von einem Kraftfahrer, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit kennt, aufgrund der stärkeren Fahrgeräusche und der schneller vorbeiziehenden Umgebung bemerkt (vgl. OLG Karlsruhe NZV 2006, 437; KG NZV 2004, 598; Senat, Beschluss vom 21. Juni 2021 – 1 OLG 53 Ss-OWI 245/21).
Gemessen hieran, ist vorliegend davon auszugehen, dass der Betroffene die erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung bewusst in Kauf genommen hat. Ein Bewusstsein von dem konkreten Ausmaß der Überschreitung ist nicht Voraussetzung für vorsätzliches Verhalten (vgl. Thüringer OLG, Beschluss vom 29. Oktober 2007 – 1 Ss 130/07 –, Juris). Bei der hier vorliegenden Geschwindigkeitsüberschreitung um 46,6 % im Verhältnis zu zulässigen Höchstgeschwindigkeit ist kein Raum mehr für die Annahme lediglich (grob) fahrlässigen Handelns.
Das Verschlechterungsverbot steht der insoweit vorgenommenen Änderung des Schuldspruchs nicht entgegen (Göhler, OWiG, 18. Auflage, zu § 79, Rz. 37).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.