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Pflegestufe - Rechtsnachfolge - Gerichtskosten


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 27. Senat Entscheidungsdatum 16.08.2012
Aktenzeichen L 27 P 82/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 14 SGB 9, § 15 SGB 9, § 183 SGG, § 197a SGG

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 09. November 2011 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten des Verfahrens vor dem Sozialgericht sind nicht zu erstatten.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens vor dem Landessozialgericht.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung zur Zahlung eines Betrages von 2.135,43 € für zu erbringende Leistungen der sozialen Pflegeversicherung der Pflegestufe III für den Zeitraum von 1. November 2002 bis zum 31. Juli 2003 an den am 2. Juni 1917 geborenen und am 14. Juli 2003 verstorbenen Vater der Klägerin, Herrn B C.

Ausweislich eines Gutachtens des Bezirksamtes C-W vom 10. Juli 2002 „zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI“ stellten die begutachtende Ärztin O M R in Dr. R-M sowie die Pflegefachkraft W nach körperlicher Untersuchung des Versicherten in dessen häuslicher Umgebung von demselben Tag fest, dass bei dem Versicherten, der an einer Herzinsuffizienz, arterieller Hypertonie und Wirbelsäulenbeschwerden bei Z. n. nach Lungenödem und einer bösartigen Erkrankung des lymphatischen Systems litt, ein Hilfebedarf von wöchentlich im Tagesdurchschnitt 296 Minuten im Bereich der Grundpflege (Körperpflege 105 Minuten, Ernährung 119 Minuten und Mobilität 72 Minuten) und 66 Minuten im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung besteht.

Auf den am 14. November 2002 bei der Beklagten gestellten Antrag auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung ließ diese den Vater der Klägerin durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) begutachten. Die mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragte Ärztin R W gelangte nach körperlicher Untersuchung des Versicherten in der häuslichen Umgebung vom 12. Dezember 2002 in ihrem Gutachten von demselben Tag zu der Einschätzung, dass der wöchentlich im Tagesdurchschnitt bestehende Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege 157 Minuten (Körperpflege 70 Minuten, Ernährung 42 Minuten und Mobilität 45 Minuten) und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung 120 Minuten betrage, so dass die Vorrausetzungen für die Gewährung von Leistungen der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftigkeit) gegeben seien.

Dementsprechend bewilligte die Beklagte dem verstorbenen Vater der Klägerin mit Bescheid vom 20. Januar 2003 ab dem 1. November 2002 Leistungen unter Zugrundelegung der Pflegestufe II. Hiergegen erhob der Vater der Klägerin am 10. Februar 2012 Widerspruch, mit dem er Leistungen der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftigkeit) geltend machte. Nach dem Tod des Vaters der Klägerin führten dessen Erben, die Klägerin sowie deren Mutter, Frau FC, das Verfahren weiter. Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hierauf haben die Klägerin und ihre Mutter Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der sie Pflegeleistungen unter Zugrundelegung der Pflegestufe III für den Verstorbenen für die Zeit vom 1. November 2002 bis zum 31. Juli 2003 geltend gemacht haben.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der den Verstorbenen behandelnden Ärzte eingeholt und eine Pflegedokumentation der häuslichen Krankenpflege A GmbH, die den Versicherten vom 31. März bis zum Tod am 14. Juli 2003 gepflegt hat, beigezogen.

Mit Gerichtsbescheid vom 9. November 2011 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2006 antragsgemäß verurteilt, der Klägerin, die ihre im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens am 16. November 2007 verstorbene Mutter beerbt hat, einen Betrag in Höhe von 2.135,43 € zu zahlen, der Beklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt und die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin für notwendig erklärt. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Erstattung verauslagter Sachleistungen und von Pflegegeld in der geltend gemachten Höhe. Für den Zeitraum vom 1. November 2002 bis zum 31. Juli 2003 seien dem Verstorbenen Leistungen der Pflegestufe III zu gewähren gewesen, weil sein wöchentlich im Tagesdurchschnitt erforderlicher Pflegebedarf mindestens 5 Stunden betragen habe, wobei mindestens vier Stunden auf die Grundpflege entfallen seien. Dies ergäbe sich aus den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen Dr. R-M und Wr in ihrem Gutachten vom 10. Juli 2002.

Gegen den ihr am 15. November 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 14. Dezember 2011 Berufung eingelegt.

Zur Begründung trägt sie insbesondere vor, dass das Gutachten vom 10. Juli 2002 unplausibel und unzutreffend sei. Angesichts eines vorhandenen Blasenkatheters sei beim Verstorbenen im Bereich der Körperpflege ein Hilfebedarf beim Richten der Kleidung und Wechsel von Inkontinenzmaterial nach Wasserlassen nicht angefallen. Auch sei der Hilfebedarf im Bereich der Ernährung in dem Gutachten vom 10. Juli 2002 mit 110 Minuten viel zu hoch angesetzt, da nur Teilhilfen bei der Nahrungsaufnahme erforderlich gewesen seien. Der Grundpflegebedarf sei wöchentlich im Tagesdurchschnitt mit max. 189 Minuten zu bemessen.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 9. November 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist unzutreffend. Denn der Bescheid des Beklagten vom 20. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2006 ist rechtmäßig und verletzt auch die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der verstorbene B C hatte keinen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung unter Zugrundelegung der Pflegestufe III für die Zeit vom 1. November 2002 bis zum Ende des Monats seines Versterbens im Juli 2003, so dass ein Zahlungsanspruch der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Vaters in der geltend gemachten Höhe nicht besteht. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Gemäß §§ 36 ff. des XI. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI) setzt die Gewährung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege Pflegebedürftigkeit sowie die Zuordnung zu einer Pflegestufe voraus. Pflegebedürftigkeit liegt hierbei nach § 14 Abs. 1 SGB XI vor, wenn der Betroffene wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf, die nach § 14 Abs. 3 SGB XI in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen besteht. Als gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im vorgenannten Sinne gelten nach § 14 Abs. 4 SGB XI im Bereich der Körperpflege, der neben den Bereichen der Ernährung und der Mobilität zur Grundpflege gehört, das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren und die Darm- oder Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen. Die Zuordnung zur Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige), wie sie vorliegend geltend gemacht wird, setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB XI voraus, dass der Betroffene bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss hierbei wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 5 Stunden (300 Minuten) betragen, wobei auf die Grundpflege mindestens 4 Stunden (240 Minuten) entfallen müssen.

Dies zu Grunde gelegt lässt sich entgegen der Auffassung des Sozialgerichts zur Überzeugung des Senats nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststellen, dass der Pflegebedarf des Verstorbenen im Zeitraum vom 1. November 2002 bis zum Ende des Monats seines Versterbens im Juli 2003 die zeitlichen Vorgaben der Schwerstpflegebedürftigkeit erfüllt und dass insbesondere der wöchentlich im Tagesdurchschnitt erforderliche Grundpflegebedarf mindestens 4 Stunden (240 Minuten) betrug. Der Nachweis einer entsprechenden Pflegebedürftigkeit ist nicht geführt; dies geht zu Lasten der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Vaters, die sich auf das Vorliegen einer Schwerstpflegebedürftigkeit beruft. Denn dem etwa 4 Monate vor der Antragstellung im vorliegenden Verfahren eingeholten Gutachten der Ärztin Dr. R-M und der Pflegefachkraft W, die zu einem Grundpflegebedarf von 296 Minuten gelangen, steht das etwa 5 Monate später erstellte Gutachten der Ärztin W gegenüber, die lediglich einen Grundpflegebedarf von 157 Minuten ermittelt hat, so dass die Vorgaben der Pflegestufe III nicht erreicht werden. Gründe, weshalb dem Gutachten der Sachverständigen Dr. R- Mr/W der Vorzug einzuräumen ist und daher mit diesem Gutachten das Erreichen eines Grundpflegebedarfes von mindestens 240 Minuten als erwiesen angesehen werden kann, liegen unter Abgleichung der Gutachten nicht vor. Die Umstände, dass das zuvor genannte Gutachten zur „Feststellung der Pflegebedürftigkeit“ erstellte wurde, und die Sachverständigen die „massive Verschlechterung des Gesundheitszustandes“, den „Abbau der körperlichen und geistigen Kräfte“, die „überwiegende“ Bettlägerigkeit des Verstorbenen sowie den „deutlich reduzierten Allgemeinzustand“ berücksichtigen, lassen zwar das Erreichen eines Grundpflegebedarfes der Pflegestufe III als möglich erscheinen. Eine gesicherte Erkenntnis einer entsprechenden Pflegebedürftigkeit kann hierauf indes angesichts des zeitnah erstellten Gutachtens der Ärztin W, die den Verstorbenen unter den gleichen Bedingungen wie die Sachverständigen Dr. R-M/W insbesondere in der häuslichen Umgebung begutachtet hat, nicht erfolgreich gestützt werden.

Ungeachtet des bei dieser Sachlage fehlenden Nachweises des Vorliegens der zeitlichen Voraussetzungen der Pflegestufe III im Bereich der Grundpflege, ist das Gutachten der Sachverständigen Dr. Rr-Mr/W auch mit erheblichen Zweifeln behaftet, die gegen die Richtigkeit ihrer Feststellungen sprechen, so dass auch aus diesem Grunde dem Gutachten nicht zu folgen wäre. So weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass die im Bereich der Köperpflege bestehende Differenz zwischen den Gutachten von weiteren 34 Minuten für das Richten der Kleidung und Windeln nach Wasserlassen und von plus 27 Minuten im Bereich der Mobilität für den Transfer (wohl) für Toilettengänge nicht nachvollziehbar ist, weil der Verstorbene nach den Feststellungen im Verfahren über einen Blasenkatheter verfügte, so dass Toilettengänge zum Wasserlassen allenfalls in reduziertem Umfang angefallen sein dürften. Auch ist der im Bereich der Ernährung von den Gutachtern Dr. R-M/Wangesetzte Hilfebedarf von weiteren 80 Minuten für die Nahrungsaufnahme nicht nachvollziehbar, da nach Aktenlage vieles dafür spricht, dass insoweit nur eine Teilübernahme der Verrichtungen notwendig war, während in dem zuvor genannten Gutachten undifferenziert sowohl von einer Teil- als auch einer Vollübernahme der Verrichtungen gesprochen wird.

Ist der Nachweis einer Schwerstpflegebedürftigkeit des Verstorbenen mithin angesichts der divergierenden Gutachtenlage nicht erbracht, sieht der Senat keinen Anlass zu weiteren diesbezüglichen Ermittlungen. Erfolgversprechende Aufklärungen lassen sich insoweit angesichts des Umstandes, dass der Pflegebedürftige im Juli 2003 verstorben ist und um Leistungen für einen mehr als 9 Jahre zurückliegenden Zeitraum gestritten wird, nicht führen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass weitere verwertbare medizinische Erkenntnisse aus dieser Zeit zur Beurteilung des Umfanges der Pflegebedürftigkeit des Verstorbenen (noch) beigebracht werden können, aufgrund derer der Nachweis eines höheren Grundpflegebedarfes im hier strittigen Zeitraum geführt werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht, soweit es das Verfahren vor dem Sozialgericht betrifft, auf § 183 SGG. Insoweit besteht Gerichtskostenfreiheit, weil die Mutter der Klägerin das Verfahren vor dem Sozialgericht als Sonderrechtsnachfolgerin des Verstorbenen gemäß § 56 Abs. 1 des I. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) geführt hat. Diese privilegierte Rechtsstellung ist der Klägerin nach dem Versterben ihrer Mutter im erstinstanzlichen Verfahren als deren Erbin erhalten geblieben. Es ist daher unschädlich, dass die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren originär die Stellung einer Sonderrechtsnachfolgerin nicht innehatte. Angesichts der fehlenden Erfolgsaussichten der Klage sind die erstinstanzlich der Klägerin entstandenen außergerichtlichen Kosten nicht zu erstatten.

Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren beruht indes auf § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Kostenfreiheit für die Klägerin besteht insoweit nicht, weil sie für den nachfolgenden Rechtszug nicht mehr nach § 56 Abs. 1 SGB I kostenprivilegiert ist. Als unterlegene Partei hat sie daher sowohl die im Berufungsverfahren anfallenden Gerichtskosten als auch die außergerichtlichen Kosten der Verfahrensbeteiligten zu tragen.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.