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Entscheidung 4 U 34/23


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Zivilsenat Entscheidungsdatum 20.03.2024
Aktenzeichen 4 U 34/23 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2024:0320.4U34.23.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Unter teilweiser Aufhebung des Versäumnisurteils des Senats vom 11.10.2023 wird auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 19.01.2023 teilweise wie folgt abgeändert:

1. Das Versäumnisurteil des Landgerichts Potsdam vom 25.02.2022 wird aufrechterhalten, soweit der Beklagte zur Zahlung von 92.172,88 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 22.12.2021 verurteilt worden ist.

Im Übrigen wird das Versäumnisurteil des Landgerichts Potsdam vom 25.02.2022 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Dem Beklagten bleibt vorbehalten, nach Zahlung des ausgeurteilten Betrages (92.172,88 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.12.2021) seine Gegenansprüche, die sich nach Rang und Höhe mit dem Betrag decken, den die begünstigten Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten, gegen den Insolvenzverwalter bis zur Höhe des ausgeurteilten Betrages zu verfolgen.

Im Übrigen bleibt das Versäumnisurteil des Senats vom 11.10.2023 aufrechterhalten.

Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen haben der Kläger 35 % und der Beklagte 65 % zu tragen; hiervon ausgenommen sind die Kosten seiner Säumnis in der mündlichen Verhandlung des Landgerichts Potsdam vom 25.02.2022 und des Senats vom 11.10.2023, die der Beklagte zu tragen hat.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Jedoch können der Beklagte die Vollstreckung des Klägers und der Kläger die Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 120 % des gegen sie aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht vor der Vollstreckung die Gegenseite Sicherheit in Höhe von jeweils 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.    

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger nimmt als Insolvenzverwalter über das Vermögen der (Firma 1) Grundstücksverwaltung und Beratungs GmbH & Co.KG (im Folgenden: Schuldnerin) den Beklagten, der Geschäftsführer deren Komplementärin war, auf Zahlung gemäß § 130a HGB in Anspruch.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Schuldnerin sei seit 01.01.2017 zahlungsunfähig gewesen, denn zu diesem Zeitpunkt hätten fällige Verbindlichkeiten erheblichen Umfangs - mindestens i.H.v. 110.866,14 € - bestanden, die - insoweit unstreitig - bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht beglichen worden seien. Die vom Beklagten von dem Geschäftskonto der Schuldnerin bei der (Kreditinstitut 1) unstreitig veranlassten, in der Klageschrift (dort S. 8-42) aufgeführten, Zahlungen im Umfang von insgesamt 139.798,81 € seien, da nach Eintritt der Insolvenzreife veranlasst, mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht vereinbar gewesen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Zustellung der Klage am 27.01.2022 unter der darin angegebenen Anschrift (Straße, Nr.) in (Ort) sei wirksam, weil es sich um den Geschäftssitz der (Firma 1) Verwaltungsgesellschaft mbH und damit um den Arbeitsplatz des Beklagten gehandelt habe.

Der Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben und insofern geltend gemacht, die Klage sei ihm erst am 25.05.2022 zugestellt worden. Die durch Einlegung in den Briefkasten bewirkte Zustellung der Klageschrift am 27.01.2022 sei unwirksam, denn unter der betreffenden Anschrift – (Straße, Nr.) - habe er seit dem 16.09.2020 nicht (mehr) gewohnt.

Des Weiteren hat er gegen seine Inanspruchnahme im Wesentlichen eingewandt, Insolvenzreife sei nicht am 01.01.2017 eingetreten, denn der Jahresabschluss 2016 habe einen Überschuss von 18.612,63 € ausgewiesen und es seien noch Rechnungen im Umfang von mehr als 140.000 € bezahlt worden. Er bestreite auch die behaupteten fälligen Verbindlichkeiten. So sei die Forderung der (Kreditinstitut 2) nur in der Höhe berechtigt, in der sie in der Tabelle zur lfden Nr. 20 aufgeführt sei. Die Forderungen der (Kreditinstitut 3) (lfde Nrn 3, 6, 8 und 11) seien unbegründet, denn die geleaste bzw. per Mietkauf erworbene Hardware sei zurückgegeben worden und die verlangten Mehrkosten seien unberechtigt, weil die zurückgegebene Ware zu niedrig bewertet worden sei - was er nicht akzeptiert habe. Auch die (Firma 2) GmbH stelle unberechtigte Forderungen, über die bereits ein Klageverfahren geführt worden sei; obwohl wegen falscher Betriebskostenabrechnungen fristlos gekündigt worden sei, habe die (Firma 2) GmbH für weitere 5 Jahre Zahlungen gefordert. Der (Kreditinstitut 4) stünden keine Forderungen zu, denn diese habe das von der Schuldnerin nach nur 4 Monaten zurückgegebene Leasingfahrzeug inakzeptabel zu niedrig bewertet.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird mit der folgenden Ergänzung auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO): Der Kläger schrieb noch im Juni 2021 (...) die (Firma 1) Verwaltungsgesellschaft mbH unter der Anschrift (Straße, Nr.) in (PLZ, Ort) an, woraufhin sich der spätere Prozessbevollmächtigte des Beklagten als deren anwaltlicher Vertreter bestellt hat.

Mit Urteil vom 19.01.2023 hat das Landgericht ein zuvor am 25.02.2022 erlassenes Versäumnisurteil aufrechterhalten, mit dem der Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 139.798,81 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.12.2021 verurteilt worden ist. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe als Insolvenzverwalter über das Vermögen der (Firma 1) Grundstücksverwaltung und Beratungs GmbH & Co.KG gemäß §§ 177a, 130a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 HGB in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung i.V.m. § 80 Abs.1 InsO Anspruch auf Zahlung von 139.798,81 €.

Die Schuldnerin sei spätestens seit dem 01.01.2017 zahlungsunfähig i.S.d. § 17 InsO gewesen. Zu diesem Zeitpunkt hätten nicht unerhebliche, fällige Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung von der Schuldnerin unstreitig nicht beglichen worden seien. Da etwaige materielle Einwendungen gegen rechtskräftig festgestellte Forderungen ausgeschlossen seien, seien neben der vom Beklagten anerkannten Forderung lfde Nr. 20 auch die Forderung lfde Nr. 19 der (Kreditinstitut 2) GmbH zu berücksichtigen, die zusammen mehr als 36.000 € ausmachten. Als fällige Forderungen in dem vorgenannten Sinne gälten auch die zur Tabelle festgestellten Forderungen der (Kreditinstitut 3) (lfde Nrn 3, 6, 8, 11) i.H.v. mehr als 39.000 €, zu denen der Kläger die Verträge nebst Abrechnungen vorgelegt habe. Hiergegen habe der Beklagte seinerzeit keine Einwendungen erhoben und beschränke sich nunmehr darauf vorzutragen, er habe den Mehrkosten widersprochen, das Zahlungsverlangen bestritten bzw. die von den Aufkäufern vorgenommene Bewertung nicht akzeptiert. Hierin lägen keine materiell durchgreifenden Einwendungen gegen die festgestellten Forderungen. Eine erhebliche Einwendung erhebe der Beklagte auch nicht gegen die gleichermaßen durch Forderungsunterlagen unterlegte Forderung der (Firma 3) Leasing AG (18.000 €) mit der Behauptung, die Bewertung des Fahrzeugs sei inakzeptabel gewesen.

Schon diese Forderungen beliefen sich auf mehr als 93.000 € und stellten angesichts des Haftkapitals von 31.000 €, der Umsatzerlöse im Geschäftsjahr von 390.000 € und des im Zeitraum von Januar 2017 bis März 2018 nicht über 10.000 € liegenden Kontoguthabens eine Größenordnung dar, die auf Zahlungsunfähigkeit schließen lasse; auf eine etwaige Überschuldung komme es nicht an. Die Zahlungsunfähigkeit sei in der Folgezeit nicht beseitigt worden. Hierzu hätte der Beklagte substantiiert vortragen müssen, dass die Schuldnerin ihre Zahlungen im Allgemeinen wieder aufgenommen habe.

In Höhe der Klageforderung habe der Beklagte verbotene Zahlungen i.S.d. § 130a Abs. 1 Satz 1 HGB geleistet. Als solche zählten nicht nur bargeldlose Mittelabflüsse von einem kreditorisch geführten, sondern auch der Empfang von mit schuldbefreiender Wirkung durch Drittschuldner geleisteten Zahlungen auf einem debitorisch geführten Konto. Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall gemäß § 130a Abs. 1 Satz 2 HGB a.F. lägen nicht vor; ein solcher wäre nur bei Zahlungen anzunehmen, durch die entweder eine gesetzliche Interessenkollision vermieden werde, denen mindestens gleichwertige Erlöse gegenüberstünden, oder die erforderlich gewesen seien, um den sofortigen Zusammenbruch des Unternehmens zu verhindern. Die - ohnehin nur aufgrund von Pfändung geleisteten - Zahlungen an Krankenkassen und das Finanzamt seien in der Aufstellung des Klägers bereits berücksichtigt. Anhaltspunkte für ein mangelndes Verschulden des Beklagten als des seinerzeitigen organschaftlichen Vertreters seien nicht erkennbar.

Der Anspruch sei nicht verjährt. Die fünfjährige Verjährungsfrist gemäß § 130a Abs. 2 Satz 6 HGB a.F. beginne im Zeitpunkt der verbotenen Zahlung, ende mithin für die ältesten, im Januar 2017 geleisteten Zahlungen im Januar 2022. Die Verjährungsfrist sei indes durch die am 27.01.2022 unter der Anschrift "(Straße, Nr.)" in (Ort) bewirkte und gemäß § 167 ZPO auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung am 22.12.2021 zurückwirkende Zustellung der Klage gehemmt worden. Die Zustellung sei wirksam; hierfür erbringe der Inhalt der Zustellungsurkunde gemäß §§ 182 Abs. 1 Satz 2, 418 ZPO den Vollbeweis. Die Unrichtigkeit der Zustellungsurkunde habe der Beklagte nicht bewiesen, sie ergebe sich auch nicht aus gerichtsbekannten Umständen. Der spätere Postrücklauf über die Deutsche Post AG erschüttere die Beweiskraft der Urkunden nicht, weil nicht fernliege, dass die Sendungen zunächst in den Geschäftsbriefkasten eingelegt - und damit zugestellt - und sodann durch eine dritte Person, möglicherweise den Adressaten selbst, über einen Briefkasten der Deutschen Post zurückgesandt worden seien. Dass der Beklagte seinen Hauptwohnsitz jedenfalls ab 07.06.2021 auf seine neue Anschrift in Werden umgemeldet habe, sei irrelevant, weil die Zustellung in seinen Geschäftsräumen erfolgt sein solle. Die Nichtzustellbarkeit des Versäumnisurteils vom 25.02.2022 betreffe einen späteren Zeitraum und sei daher ebenfalls nicht bedeutsam. Im Übrigen wäre auch die erneute Zustellung unter der neuen Anschrift am 25.05.2022 noch als demnächst i.S.d. § 167 ZPO anzusehen, denn der Kläger habe sich in Bezug auf die Angabe der Anschrift des Beklagten nicht nachlässig verhalten, weil er unbestritten noch im Jahr 2021 unter der in der Klage angegebenen Anschrift mit dem Beklagten kommuniziert und keine konkreten Anzeichen für einen Wohnungswechsel gehabt habe.

Gegen dieses, ihm am 23.01.2023 zugestellte Urteil richtet sich die am 23.02.2023 eingelegte und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 24.04.2023 am selben Tag begründete Berufung des Beklagten, mit der er sein Klageabweisungsbegehren vollumfänglich aufrechterhält.

Die Forderungen aus 2017 seien verjährt. Die Zustellung der Klageschrift sei nicht wirksam erfolgt. Er habe unter Vorlage der Einwohnermeldeamtauskunft dargetan, dass er unter den Zustelladresse nicht wohne und auch keine Geschäftsadresse habe. Damit sei die Indizwirkung der Zustellungsurkunde widerlegt. Hinzu komme die allgemein bekannte fehlende Sorgfalt privater Zusteller. Die insolvente Gesellschaft habe unter der Zustelladresse zwar eine Geschäftsadresse unterhalten; dass auch der Geschäftsführer deren Komplementärin dort eine zustellfähige Adresse habe, habe der Kläger nicht annehmen dürfen, dies sei auch nicht der Fall gewesen. Das Landgericht hätte ihn dazu, wie es zur Rücksendung des Versäumnisurteils gekommen sei, anhören müssen; er hätte dann Zeugenbeweis dafür angeboten, dass eine Angestellte in dem Bürogebäude die Post zurückgesandt habe.

Das Landgericht sei auch rechtsfehlerhaft von einer Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin am 01.01.2017 ausgegangen. Der Beklagte habe mit der ein "Plus" ausweisenden Bilanz dargelegt, dass keine Überschuldung eingetreten sei; er habe auch hinreichend dargelegt, dass er seinerzeit - und nur auf die damalige Sicht komme es an - die Forderungen der Insolvenzgläubiger als nicht akzeptabel angesehen habe. Das Landgericht habe auch nicht thematisiert, inwieweit ein Schaden entstanden sei. Die an die gesetzliche Krankenversicherung geleisteten Zahlungen, beispielsweise 337,43 € am 15.12.2017 und 50 € am 05.05.2017 müssten ebenso wie sämtliche SEPA-Abbuchungen unberücksichtigt bleiben.

Der Beklagte war im Verhandlungstermin des Senats vom 11.10.2023 trotz ordnungsgemäßer Ladung säumig; der Senat hat daraufhin seine Berufung durch Versäumnisurteil vom selben Tag zurückgewiesen.

Gegen dieses, ihm am 16.10.2023 zugestellte Versäumnisurteil hat der Beklagte am 30.10.2023 Einspruch eingelegt.

Er beantragt nunmehr,

das Versäumnisurteil des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 11.10.223 (4 U 34/23), das Urteil des Landgerichts vom 19.01.2023 und das Versäumnisurteil des Landgerichts vom 25.02.2022 (6 O 357/21) aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

das Versäumnisurteil des Senats aufrechtzuerhalten.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und macht geltend, unter der Zustellanschrift "(Straße, Nr.)" seien ausweislich des Handelsregisterauszuges sowohl die (Firma 1) Hausverwaltung GmbH als auch die (Firma 1) Verwaltungsgesellschaft mbH (weiterhin) ansässig; die Zustellung habe mithin wirksam am Arbeitsplatz des Beklagten durchgeführt werden können. Der Beklagte handle unter dieser Anschrift ausweislich des Internetauftritts auch mit der (Firma 4) GbR, deren angestellter Geschäftsführer und Mitgesellschafter er sei.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sachvortags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Der Einspruch ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden, §§ 339, 340 Abs. 1 ZPO; er hat in der Sache teilweise Erfolg.

Die Berufung ist in Bezug auf die bis zum 24.05.2017 veranlassten Zahlungen begründet; im Übrigen, d.h. im Umfang eines Betrages von 92.172,88 €, ist die Berufung hingegen unbegründet. Dem Beklagten ist allerdings vorzubehalten, seine Gegenansprüche, die sich nach Rang und Höhe mit dem Betrag decken, den die begünstigten Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten, nach Erstattung an die Masse gegen den Insolvenzverwalter zu verfolgen; dieser Vorbehalt kommt nicht nur bei einer Haftung gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG (BGH, Urteil vom 08.01.2001 – II ZR 88/99), sondern auch bei einem Anspruch aus § 130a Abs. 2 HGB a.F. in Betracht, der den gleichen Inhalt hat wie der Anspruch aus § 64 Abs. 2 GmbHG.

Das Landgericht hat zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen eine Haftung des Beklagten gemäß § 130a Abs. 2 HGB (i.d. vom 22.12.2015 bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung, im Folgenden: a.F.) für die in der Klageschrift aufgeführten Zahlungen von insgesamt 139.798,81 € bejaht; infolge der vom Beklagten erhobenen Verjährungseinrede ist der Zahlungsanspruch des Klägers indes im Umfang von 47.625,93 € nicht durchsetzbar (§ 214 Abs. 1 BGB).

1.

Der Geschäftsführer der Komplementärgesellschaft einer GmbH & Co. KG haftet gemäß § 130a HGB (i.d. vom 22.12.2015 bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung, im Folgenden: a.F.) für Zahlungen, die er zu einer Zeit leistet, in der die Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet ist.

a) Der Beklagte war unstreitig bis zuletzt einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Komplementärin der Schuldnerin, also organschaftlicher Vertreter der zur Vertretung der Schuldnerin ermächtigten Gesellschafterin. Damit war er nach § 130a Abs. 1 HGB a.F. verpflichtet, spätestens drei Wochen nach Eintritt der Insolvenzreife der Schuldnerin Insolvenzantrag zu stellen. Dieser Pflicht ist er nicht nachgekommen.

aa) Die Schuldnerin war am 01.01.2017 zahlungsunfähig und damit insolvenzreif, §§ 16f InsO. Hiervon ist das Landgericht zu Recht ausgegangen und dagegen bringt die Berufung auch nichts vor.

(1) Mit seiner Berufung rügt der Beklagte, dass das Landgericht zu Unrecht die Überschuldung der Schuldnerin zum 01.01.2017 angenommen habe und verweist insoweit - wie bereits in erster Instanz - auf die von ihm als Anlage BK 1 zum Schriftsatz vom 22.06.2022 eingereichte "positive" Bilanz (Bl. 97 ff d.A.). Er verkennt indes, dass das Landgericht die Insolvenzreife nicht auf Überschuldung, sondern auf Zahlungsunfähigkeit gestützt hat.

(2) Gegen die Annahme der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin (spätestens) zum 01.01.2017 gibt es nichts zu erinnern.

Zahlungsunfähigkeit liegt nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Sie ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat, § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO. Liegt Zahlungseinstellung vor, begründet dies eine gesetzliche Vermutung für die Zahlungsunfähigkeit (HK-InsO/Kirchhof, aaO § 17 Rn. 24), die vom Prozessgegner zu widerlegen wäre. Zahlungseinstellung ist dasjenige äußere Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise eine Zahlungsunfähigkeit ausdrückt. Es muss sich also mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (BGH, Urteil vom 09.01.2003 - IX ZR 175/02 -). Hierfür reicht - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten aus. Dies gilt auch dann, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen (BGH, Urteile vom 12.10.2006 - IX ZR 228/03 - Rn 19; vom 25.01.2001 - IX ZR 6/00 - Rn 24; vom 17.05.2001 - IX ZR 188/98; vom 10.07.2003 - IX ZR 89/02 - Rn 15). Haben im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten erheblichen Umfangs bestanden, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht beglichen worden sind, ist regelmäßig von einer Zahlungseinstellung auszugehen (BGH, Urteile vom 19.11.2013 - II ZR 229/11 - Rn 21; vom 20.11.2001 - IX ZR 48/71 -; vom 26.01.2016 - II ZR 394/13 - Rn 14).

Im fraglichen Zeitpunkt am 01.01.2017 haben fällige Verbindlichkeiten erheblichen Umfangs bestanden, die unstreitig – überdies belegt durch die Insolvenztabelle (Anlage K 8) - bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht beglichen worden sind. Die zum 01.01.2017 fälligen Forderungen gegen die Schuldnerin beliefen sich auf insgesamt 110.077,61 €, was in Anbetracht der Umsatzerlöse im Geschäftsjahr 2016 von rund 390.000 € und in der Bilanz ausgewiesener sofort liquider Mittel von lediglich 3.264,84 € als erheblich anzusehen ist.

Die vom Beklagten gegen die Forderungen sowie gegen die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin vorgebrachten Einwendungen hat das Landgericht zu Recht als nicht durchgreifend angesehen. Hierzu im Einzelnen:

(a) Im Hinblick auf die unter der lfden Nr. 20 zur Tabelle festgestellte Forderung der (Kreditinstitut 2) GmbH i.H.v. 7.421,71 €, bei der es sich um die Restforderung aus einem vor dem Landgericht München I am 03.05.2015 geschlossener Vergleich handelt, macht der Beklagte ohnehin keine Einwände geltend.

(b) Der zur lfden Nr. 19 festgestellten weiteren Forderung der (Kreditinstitut 2) GmbH i.H.v. 28.644,47 € liegt der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Coburg vom 10.10.2014 zugrunde, mit dem zum 16.05.2014 fällige Darlehensforderungen i.H.v. 30.612,64 € (nebst Zinsen) tituliert worden sind. Hiergegen wandte der Beklagte mit Schriftsatz vom 22.06.2022 (Bl. 94 d.A.) lediglich ein, nach seiner Erinnerung habe die Versicherung den Brandschaden des geleasten Fahrzeugs weit nach dem Schadensfall doch noch reguliert; hierzu müsse er aber Einsicht in die 7 Jahre alten Unterlagen nehmen, an die er erst morgen gelange. Diese vermeintliche Erfüllung der Forderung hat der hierfür darlegungs- und beweispflichtige Beklagte in der Folgezeit nicht näher dargetan oder unter Beweis gestellt.

(c) Auch mit seinen Einwänden gegen die unter den lfden Nrn. 3, 6, 8 und 11 zur Tabelle festgestellten Forderungen der (Kreditinstitut 3 )GmbH i.H.v. insgesamt 39.238,73 € kann der Beklagte nicht durchdringen. Er hat hierzu im Schriftsatz vom 22.06.2022 (dort S. 2, Bl. 94 d.A.) ausgeführt, die geleaste bzw. per Mietkauf erworbene Ware sei aufgrund einer Einigung zurückgegeben worden, er habe der von der Bank geforderten Mehrkosten widersprochen und einen weiteren Verzugsschaden verlangt; die Aufkäufer hätten die zurückgegebene Ware zu niedrig bewertet, was er nicht akzeptiert habe. Der Beklagte macht mithin geltend, die Zahlung sei verweigert worden, weil er (als Geschäftsführer der Komplementärin der Schuldnerin) die Forderungen für unbegründet gehalten habe.

Die Behauptung des Geschäftsführers, die Gesellschaft sei lediglich zahlungsunwillig, reicht aber nicht, um die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit entfallen zu lassen. Die Zahlungsunwilligkeit ist vielmehr von dem Geschäftsführer zu beweisen. Dieser muss dann auch beweisen, dass die Gesellschaft zahlungsfähig war (BGH, Urteile vom 27.03.2012 - II ZR 171/10 - Rn 25 und vom 15.03.2012 - IX ZR 239/09 - Rn 18). Diesen Anforderungen genügt der Beklagte nicht im Ansatz. Er hat weder Beweis angetreten für seine - bestrittene - Behauptung, er habe den Bewertungen "der Aufkäufer" widersprochen, noch nähere Umstände dargelegt, die die Annahme rechtfertigten, die (Kreditinstitut 3) GmbH habe bei der Verwertung der Fahrzeuge gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen.

(d) Aus denselben Gründen greift die vom Beklagten gegen die unter lfde Nr. 47 angemeldete und zur Tabelle festgestellte Forderung der (Firma 3) Leasing GmbH i.H.v. 18.358,68 € (Anlage K 7) erhobene, vom Kläger bestrittene Einwendung, die Bewertung des bereits nach 4 Monaten zurückgegebenen Fahrzeuges sei inakzeptabel gewesen, nicht durch.

(e) Soweit es die unter lfde Nr. 44 zur Tabelle festgestellte Forderung der (Firma 2) GmbH i.H.v. 2.220,10 € betrifft, liegt dieser der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Magdeburg vom 12.12.2016 (Az.: 10 O 462/15) zugrunde mit der Folge, dass der Einwand des Beklagten, die Forderung sei unberechtigt gewesen, ausgeschlossen ist.

Auch der Einwand gegen die weitere, unter der lfden Nr. 41 festgestellte Tabellenforderung der (Firma 2) GmbH greift nicht durch. Der Beklagte hat gegen diese Forderung - rückständige Mietzinsforderungen einschließlich Betriebskostenvorschuss aus dem Zeitraum 01.07.2015 bis 01.12.2016 i.H.v. insgesamt 14.193,90 €, über die unter dem Az. 10 O 939/17 vor dem Landgericht Magdeburg ein Klageverfahren anhängig war – lediglich vorgebracht, die Schuldnerin habe, da die (Firma 2) GmbH "immer wieder absichtlich falsche Betriebskostenabrechnungen erstellt" habe, den Mietvertrag fristlos gekündigt, gleichwohl habe die Vermieterin über 5 Jahre Zahlungen gefordert, und mitgeteilt, Einsicht in die Unterlagen nehmen zu müssen, da er den genauen Ablauf und die Details nicht mehr eruieren könne. Weiterer Vortrag erfolgte indes auch nicht, nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 19.09.2022 (dort S. 4, Bl. 147 d.A.) das Vorliegen eines außerordentlichen Kündigungsrechts und den Ausspruch der Kündigung bestritten hat.

bb) Dass die Schuldnerin in der Folgezeit nach dem 01.01.2017 ihre Zahlungen wieder im Allgemeinen aufgenommen hat, wird vom Beklagten - wie bereits vom Landgericht festgestellt - nicht dargetan.

b) Zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen hat das Landgericht sämtliche mit der Klage geltend gemachte, vom Beklagten veranlasste Zahlungen als gegen das in § 130a Abs. 1 Satz 1 HGB normierte Zahlungsverbot verstoßend und daher die Haftung nach § 130a Abs. 2 Satz 2 HGB auslösend angesehen.

Da Anknüpfungspunkt für die Haftung gemäß § 130a Abs. 2 Satz 1 Fall 2 HGB der Verstoß gegen das in § 130a Abs. 1 Satz 1 HGB normierte Zahlungsverbot, mithin die Vornahme einer Zahlung nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ist, greift das Zahlungsverbot bereits nach Insolvenzreife und nicht erst mit der Entstehung der Insolvenzantragspflicht (BGH, Urteile vom 11.02.2020 - II ZR 427/18 - Rn 18; und vom 16.03.2009 - II ZR 280/07 - Rn 12). Verboten sind Zahlungen i.S.d. § 130a HGB mithin hier bereits ab dem 01.01.2017 und nicht erst mit Ablauf der 3-Wochenfrist des 15a Abs. 1 Satz 2 InsO.

Erstinstanzlich hat der Beklagte zu den einzelnen, in der Klageschrift aufgeführten und durch die Kontoauszüge Anlage K 9 belegten Zahlungen keine konkreten Einwendungen erhoben. Soweit er mit seiner Berufung geltend macht, die Zahlungen an die gesetzliche Krankenversicherungen wie z.B. am 15.12.2017 über 337,43 € und am 05.05.2017 über 50 € hätten unberücksichtigt bleiben müssen, weist der Kläger zutreffend darauf hin, dass eine Zahlung am 15.12.2017 i.H.v 337,43 € überhaupt nicht geltend gemacht wurde und es sich bei den 50 € um den Arbeitgeberanteil der insgesamt i.H.v. 100 € geleisteten Zahlung an die (Krankenversicherung) handle; nur hinsichtlich des Arbeitnehmeranteils besteht die Strafbarkeit nach § 266a StGB, die die vom Beklagten veranlasste Zahlung entschuldigt.

c) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht auch das Verschulden des Beklagten angenommen. Nach § 130a Abs. 2 Satz 2 HGB wird das Verschulden des Geschäftsführers vermutet, wenn er Zahlungen trotz Insolvenzreife leistet. Dem Geschäftsführer, der die Vermutung schuldhaften Verhaltens zu widerlegen hat, obliegt es, die Gründe vorzutragen und zu erläutern, die ihn gehindert haben, eine tatsächlich bestehende Insolvenzreife der Gesellschaft zu erkennen. Hierzu reicht es nicht, auf den - ohnehin erst am 22.11.2017 erstellten - Jahresabschluss zum 31.12.2016 und den darin ausgewiesenen Überschuss von 16.612,63 € zu verweisen.

d) Der Beklagte kann auch nicht mit seinem Einwand durchdringen, der Insolvenzverwalter hätte darlegen und beweisen müssen, dass und inwieweit durch ein pflichtwidriges Verhalten des Geschäftsführers ein Schaden entstanden ist, denn für die Schlüssigkeit der auf § 130a HGB gestützten Zahlungsklage gegen den Geschäftsführer ist der vom Beklagten vermisste Vortrag nicht erforderlich.

Die gegen die organschaftlichen Vertreter gerichteten Ansprüche gemäß § 130a Abs. 2 Satz 1 HGB a.F. sind nicht auf Ersatz eines der Gesellschaft entstandenen Schadens gerichtet, sondern auf die Erstattung derjenigen Mittel, die aus dem Vermögen der Gesellschaft abgeflossen sind (BGH, Urteile vom 11.02.2020 - II ZR 427/18 - Rn 21; und vom 26.03.2007 - II ZR 310/05 - Rn 7, juris), mithin einen "Ersatzanspruch eigener Art" begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 21.05.2019 - II ZR 337/17 - Rn 16 zu § 64 Satz 1 GmbHG, juris). Es ist deshalb für den Inhalt des Anspruchs nicht erheblich, wie sich die Vermögenslage der Gesellschaft darstellen würde, wenn der organschaftliche Vertreter pflichtgemäß gehandelt hätte.

2.

Teilweise Erfolg hat der Beklagte aber mit der Einrede der Verjährung. Ihm steht in Bezug auf die bis einschließlich 24.05.2017 veranlassten Zahlungen der Schuldnerin, die insgesamt einen Betrag von 47.625,93 € ausmachen, ein dauerndes Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 214 Abs. 1 BGB zu.

Es gilt die fünfjährige Verjährungsfrist des § 130a HGB Abs. 2 Satz 6 HGB a.F., die - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - mit der verbotenen Zahlung beginnt. In Bezug auf die ab dem 25.05.2017 vom Beklagten veranlassten Zahlungen der Schuldnerin ist der Anspruch gegen den Beklagten gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB durch die am 25.05.2022 – unzweifelhaft – erfolgte Zustellung der Klageschrift an den Prozessbevollmächtigten des Beklagten gehemmt worden.

Eine Hemmung der Verjährung durch Klageerhebung - andere Hemmungstatbestände oder ein Neubeginn der Verjährung sind weder ersichtlich noch dargetan - zu einem früheren Zeitpunkt scheidet aus den nachfolgenden Gründen aus, die der Senat im Wesentlichen bereits in seiner Terminsverfügung vom 02.11.2023 dargelegt hatte.

Die Zustellung der Klageschrift am 27.01.2022 bewirkte entgegen der Sichtweise des Landgerichts keine auf den Zeitpunkt der Einreichung der Klage am 22.12.2021 rückwirkende Verjährungshemmung.

a) Zwar hätte eine wirksame Klagezustellung am 27.01.2022 auf den Zeitpunkt der Einreichung der Klageschrift am 22.12.2021 zurückgewirkt, weil die Zustellung dann "demnächst" i.S.d. § 167 ZPO erfolgt wäre.

Der Kläger hat den mit Kostenrechnung vom 29.12.2021 angeforderten Kostenvorschuss am 14.01.2022 eingezahlt. Dass er den Gerichtskostenvorschuss nicht von selbst eingezahlt, sondern erst die Anforderung abgewartet hat, ist ihm ebensowenig anzulasten, wie der zwischen Einzahlung des Kostenvorschusses und Zustellung liegende Zeitraum. Ob eine geringfügige und deshalb regelmäßig hinzunehmende Verzögerung vorliegt, beurteilt sich nach einhelliger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteile vom 12.01.2016 - II ZR 280/14 - Rn 12; vom 3.09.2015 - III ZR 66/14 - juris Rn 19; vom 10.02.2011 - VII ZR 185/07 - Rn 8, juris) danach, um wie viele Tage sich der ohnehin erforderliche Zeitraum für die Zustellung der Klage als Folge einer Nachlässigkeit des Klägers verzögert hat.

Die dem Kläger zuzurechnende Verzögerung der Zustellung wegen der erst am 14.01.2022 erfolgten Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses betrug seit dem frühesten Ende der Verjährungsfrist - die ersten „verbotenen“ Zahlungen datieren vom 03.01.2017 - mit Ablauf des 03.01.2022 lediglich 11 Tage.

b) Die am 27.01.2022 erfolgte Zustellung der Klage war aber nicht wirksam.

Gemäß § 180 Satz 1 ZPO kann, wenn der Zustellungsadressat - wie hier - in seiner Wohnung oder dem Geschäftsraum nicht angetroffen wird und die Ersatzzustellung durch Übergabe in der Wohnung an einen erwachsenen Familienangehörigen, eine in der Familie beschäftigte Person oder einen erwachsenen ständigen Mitbewohner (§ 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) beziehungsweise in dem Geschäftsraum an eine dort beschäftigte Person (§ 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) nicht ausführbar ist, das Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist.

Die Ersatzzustellung nach §§ 178-181 ZPO setzt demnach voraus, dass eine Wohnung oder ein Geschäftsraum des Adressaten an dem Ort, an dem zugestellt werden soll, tatsächlich von dem Adressaten genutzt wird (einhellige Meinung, siehe nur BGH, Urteil vom 16.06.2011 - III ZR 342/09 - Rn 13, juris; Zöller-Schultzky, ZPO, § 180 ZPO Rn 3 mwN).

Daran fehlt es hier.

aa) Eine wirksame Zustellung der Klageschrift am 27.01.2022 ist nicht im Wege der Ersatzzustellung gemäß §§ 180, 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bewirkt worden.

Die Zustellungsurkunden Bl. 58 und 59 d.A. beurkunden nicht einen (vergeblichen) Zustellversuch in einer vermeintlichen Wohnung des Beklagten an der angegebenen Adresse (§ 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), sondern - durch die in dem Zustellungs-Formular entsprechend gewählte Variante - eine Ersatzzustellung gemäß § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO durch Einlegung in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten.

Hiervon abgesehen setzte die Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO voraus, dass der Adressat der zuzustellenden Sendung die Wohnung, in der der Zustellungsversuch unternommen wird, tatsächlich innehat, das heißt dort lebt und insbesondere auch schläft (vgl. BGH, Urteil vom 14.09.2004 - XI ZR 248/03 -). Eine Wohnung hatte der damalige Geschäftsführer der Schuldnerin unter der Adresse in der (Straße, Nr.) in (Ort) zum maßgeblichen Zeitpunkt am 27.01.2022 nicht (mehr), wie sich aus der als Anlage zur Einspruchsschrift vom 04.05.2022 eingereichten "erweiterten Meldebescheinigung" der Stadt … vom 07.06.2021 (Bl. 80f d.A.) ergibt; eine anderslautende Behauptung stellt auch der Kläger nicht auf.

bb) Auch nach §§ 180, 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO konnte die Ersatzzustellung unter der Adresse (Straße, Nr.) in (Ort) die Zustellungswirkungen nicht auslösen.

Ein Geschäftslokal ist vorhanden, wenn ein dafür bestimmter Raum - und sei er auch nur zeitweilig besetzt - geschäftlicher Tätigkeit dient und der Empfänger dort erreichbar ist (BGH, Urteil vom 19.03.1998, - VII ZR 172/97 -; Beschluss vom 02.07.2008 - IV ZB 5/08 - Rn 7). Unter Geschäftsraum wird mithin der Raum verstanden, der der geschäftlichen Tätigkeit des Adressaten dient, in dem der Adressat grundsätzlich erreichbar ist und der zumindest zeitweilig besetzt ist. Es muss sich also um einen Geschäftsraum des Zustelladressaten handeln.

Dass der Beklagte unter der Anschrift (Straße, Nr.) in (Ort) als (Einzel)Kaufmann einen Geschäftsraum innehatte, ist weder dargetan noch ersichtlich. Nach dem übereinstimmenden Sachvortrag beider Parteien unterhielten zum maßgeblichen Zeitpunkt (am 27.01.2022) unter dieser Adresse allerdings die Komplementärin der Schuldnerin - die (Firma 1) Verwaltungsgesellschaft mbH -, die (Firma 1) Hausverwaltung GmbH, deren Geschäftsführer und Mitgesellschafter der Beklagte war, sowie die (Firma 4) GbR Geschäftsräume. Der Senat hält aber daran fest, dass der Geschäftsraum einer GmbH oder einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts nicht zugleich als Geschäftsraum i.S.d. § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO des Geschäftsführers der Gesellschaft oder deren Gesellschafter anzusehen ist.

(1) Die Frage, ob der Geschäftsraum einer GmbH auch Geschäftsraum deren Geschäftsführers in diesen persönlich betreffenden Angelegenheiten ist, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet; eine höchstrichterliche Klärung steht noch aus.

So vertritt etwa das OLG Bamberg in einem Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 79 Abs. 1 OWiG die Auffassung, dass für einen Geschäftsführer einer GmbH, weil er regelmäßig (nur) Angestellter ("Gewerbegehilfe") der Gesellschaft und nicht selbst Gewerbetreibender sei, nichts anderes gelten könne als für andere in dem Erwerbsgeschäft tätige Personen, für die - dies ist einhellige Meinung - ein solcher Geschäftsraum nicht Ort einer diese Personen betreffende Ersatzzustellung sei (Beschluss vom 12.12.2005 - 3 Ss OWi 1354/2005 -; ebenso Hess. LAG, Beschluss vom 06.10.2006 - 4 Ta 435/06 -; Wieczorek/Schütze, ZPO, 2022, § 178 Rn 50).

Eine andere Auffassung rechnet einem GmbH-Geschäftsführer den Geschäftsraum der GmbH wie seinen eigenen zu (so VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.04.2018 - 10 S 358/18 - Rn 6; LG Darmstadt, Beschluss vom 26.10.2018 - 5 T 357/18 - Rn 17 Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 22.01.2024 – 101 SCH 172/23e – Rn 42; MüKoZPO Häublein/Müller ZPO § 178 Rn 21; Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 178 ZPO Rn 16). Dies wird damit begründet, dass der Gesetzgeber mit der am 01.07.2002 in Kraft getretenen Novellierung die Regelungen zur Ersatzzustellung unter Aufgabe der Unterschiede zwischen der Zustellung an natürliche und juristische Personen habe vereinheitlichen wollen, der Begriff des Geschäftsraums weit auszulegen sei und daher genüge, dass dem Zustelladressaten der Geschäftsraum wie ein eigener zugerechnet werden könne, was bei dem alleinigen Geschäftsführer einer GmbH der Fall sei. Auch sei die Erwartung begründet, dass eine Weitergabe der Zustellungssendung gewährleistet ist.

(2) Der Senat folgt der erstgenannten Auffassung.

Zwar knüpft § 180 ZPO in der ab dem 01.07.2002 geltenden Fassung nicht mehr wie die früher geltende Regelung des § 183 ZPO ("Für Gewerbetreibende, die ein besonderes Geschäftslokal haben, (...)") an eine bestimmte Berufs- oder Gewerbeausführung an. In der zur alten Rechtslage des § 183 ZPO ergangene Rechtsprechung, wonach der Gewerbebetrieb der GmbH als rechtlich selbständiger juristischer Person grundsätzlich nicht zugleich ein solcher der Gesellschafter (so noch OLG Hamm, NJW 1984, 2372; OLG Karlsruhe NJW 179, 15f) und/oder deren Geschäftsführer sei, stellte auf die Zugehörigkeit des "Geschäftslokals" zum "Gewerbetreibenden" ab. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 14/4554 S. 20) zu der ab dem 01.07.2002 geltenden Neufassung des § 180 ZPO erfasst die Vorschrift die Zustellung an einen Gewerbetreibenden, einen Rechtsanwalt, Notar und Gerichtsvollzieher ebenso wie die Zustellung in Geschäftsräumen einer Behörde, einer Gemeinde, Korporation oder eines Vereins; sie erfasst damit "über die derzeitige Rechtslage hinausgehend alle Fälle, in denen ein Zustellungsadressat einen Geschäftsraum unterhält und die Zustellung dort erfolgen soll". Insoweit besteht kein wesentlicher Unterschied zwischen dem früher gesetzlich gebrauchten Ausdruck "Geschäftslokal" und dem Begriff "Geschäftsraum".

Der Geschäftsführer einer GmbH unterhält in den Geschäftsräumen der Gesellschaft keinen "eigenen" Geschäftsraum, und zwar auch dann nicht, wenn er zugleich Gesellschafter ist. Ein bei der Gesellschaft (lediglich) angestellter Geschäftsführer ist aus Sicht des Senats in Bezug auf die Zustellung von ihn persönlich betreffenden Schriftstücken nicht anders zu behandeln als andere bei der Gesellschaft Angestellte, für die - auch nach der neuen Rechtslage - der Geschäftsraum der Gesellschaft nicht Ort für eine Ersatzzustellung sein kann (LSG Sachsen-Anhalt, Beschlüsse vom 21.11.2023 - L 7 SB 17/23 B (angestellte Fachärztin), vom 07.06.2013 - L 7 SB 67/10 B (angestellter Arzt) und vom 28.05.2013 - L 7 SB 48/10 B (angestellter Arzt); KG Berlin, Beschluss vom 21.12.2022 - 5 U 1039/20 - Rn 47 (angestellter Arzt); Thüringer LSG, Beschluss vom 18.05.2020 - L 1 U 459/19 B (als Kooperationspartner eines Instituts tätiger Arzt); Schultzky in Zöller, 25. Aufl. 2024, § 78 Rn 16). Denn in den Geschäftsräumen der GmbH übt deren Geschäftsführer die Erwerbstätigkeit für die von ihm vertretene (nicht prozessfähige) Person aus; die Geschäftsräume der Gesellschaft werden dadurch aber ebensowenig zu Geschäftsräumen der eigenen Berufs- oder Erwerbsausübung wie bei sonstigen Angestellten.

Der Geschäftsraum der GmbH dient auch nicht einer Berufs- oder Erwerbstätigkeit der GmbH-Gesellschafter. Die Gesellschafter einer GmbH sind weder automatisch Kaufleute, noch stellt die bloße Gesellschaftereigenschaft eine Berufs- oder Erwerbsausübung dar. Die Gesellschafter haben mit der Gründung und Eintragung der GmbH ein selbständiges, von den Gesellschaftern zu unterscheidendes Zuordnungsobjekt von Rechten und Pflichten geschaffen, das durch eigene Organe handelt (§ 35 GmbHG) und mit eigenem Vermögen ausgestattet ist. Regelmäßig unterhält der Gesellschafter einer GmbH auch keinen eigenen Geschäftsraum, um seine Gesellschaftertätigkeit auszuüben.

Für den GbR-Gesellschafter kann seit Anerkennung der (partiellen) Rechts- und Parteifähigkeit der Außen-GbR durch Urteil des BGH vom 29.01.2001 (- II ZR 331/00 -) nichts anderes gelten; demgemäß kommt es nicht darauf an, dass der Beklagte Mitgesellschafter der bis zum 29.04.2022 unter der Zustelladresse (Straße, Nr.) in (Ort) firmierenden (Firma 4) GbR war.

cc) Der Beklagte muss die - unwirksame - Ersatzzustellung vom 27.01.2022 auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gegen sich gelten.

Nach der Rechtsprechung des BGH - der auch der Senat folgt - ist anerkannt, dass es eine unzulässige Rechtsausübung darstellt, wenn der Zustellungsadressat, der einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt bewusst und zielgerichtet herbeigeführt hat, sich auf die Fehlerhaftigkeit einer Ersatzzustellung an diesem scheinbaren Wohnsitz beruft (BGH, Beschluss vom 12.03.2020 - I ZB 64/19 - Rn 17; Beschluss vom 14.05.2019 - X ZR 94/18 - Rn 11; gilt für den Scheingeschäftsraum: BGH, Beschluss vom 16.06.1993 - VIII ZB 39/92 - Rn 9, juris). Hierbei handelt es sich nicht um die Erleichterung einer wirksamen Zustellung im Wege der objektiven Zurechnung eines Rechtsscheins. Vielmehr wird dem Empfänger im Lichte des das gesamte Recht beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter engen - und deshalb verfassungsrechtlich unbedenklichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.10.2009 - 1 BvR 2333/09 - Rn 18) - Voraussetzungen lediglich versagt, sich auf die Unwirksamkeit einer Zustellung zu berufen.

Einen solchen Rechtsschein eines unter der Anschrift (Straße, Nr.) in (Ort) unterhaltenen Wohnraums oder (eigenen) Geschäftsraums hat der Beklagte aber nicht gesetzt und nach seinem eigenen Sachvortrag führte der Kläger die vorgerichtliche Korrespondenz unter der Anschrift (Straße, Nr.) in (PLZ, Ort) mit der - lediglich durch den Beklagten vertretenen – (Firma 1) Verwaltungsgesellschaft mbH.

dd) Die Unwirksamkeit der am 27.01.2022 bewirkten Klagezustellung ist auch nicht deshalb irrelevant, weil die am 25.05.2022 bewirkte Zustellung als noch demnächst i.S.d. § 167 ZPO anzusehen ist.

Entgegen der Sichtweise des Landgerichts lässt sich eine Nachlässigkeit des Klägers in Bezug auf die Anschrift des Beklagten nicht mit der Begründung verneinen, dass der Kläger keine konkreten Anhaltspunkte für einen Wohnungswechsel des Beklagten gehabt habe. Denn es wird auch vom Kläger nicht geltend gemacht, dass er unter der Anschrift (Straße, Nr.) die Wohnanschrift des Beklagten angenommen habe.

Tatsächlich ist im vorliegenden Fall ein nachlässiges Verhalten des Klägers oder seines Prozessbevollmächtigten, das zu der hier nicht lediglich geringfügigen Zustellungsverzögerung - Eingang der Klageschrift am 22.12.2021, Zustellung mehr als 5 Monate später - beigetragen hat, deshalb anzunehmen, weil die Frage, ob der Geschäftsraum einer GmbH zugleich der Geschäftsraum deren Geschäftsführer in diesen persönlich betreffenden Angelegenheiten ist, in Rechtsprechung und Literatur streitig und bislang höchstrichterlich noch nicht geklärt ist. Aus anwaltlicher Vorsicht hätte daher beim Beklagten selbst bzw. beim Einwohnermeldeamt die Wohnanschrift des Beklagten erfragt werden müssen und - wie die "erweiterte Meldebescheinigung" der Stadt … vom 07.06.2021 (Bl. 80f d.A.) aufzeigt - können.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 539 Abs. 3, 344, 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die zur vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) zuzulassen, weil die Frage, ob durch Einlegung in den zum Geschäftsraum einer GmbH oder einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts gehörenden Briefkasten eine Ersatzzustellung gemäß §§ 180, 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO an den Geschäftsführer oder Gesellschafter in einer diesen persönlich betreffenden Angelegenheit bewirkt werden kann, in einer Vielzahl von Fällen auftreten kann, in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet wird und eine höchstrichterliche Entscheidung bislang aussteht.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 47, 48 GKG auf 139.798,81 € festgesetzt.