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Entscheidung 6 W 59/23


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 6. Zivilsenat Entscheidungsdatum 27.03.2024
Aktenzeichen 6 W 59/23 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2024:0327.6W59.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Potsdam - Rechtspfleger - vom 23.06.2023, Az. 11 O 385/20, aufgehoben. Der Antrag des Klägers auf Kostenfestsetzung vom 21.03.2023 zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Frage, ob die Beklagte auch Anwaltskosten für eine sonstige Einzeltätigkeit in einem gerichtlichen Verfahren ohne Verfahrensauftrag nach den Gebührentatbeständen Nr. 3403, 3405 VV RVG zu erstatten hat, die dem Kläger für die Tätigkeit seines Rechtsanwalts aus dem Berufungsrechtszug in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof in Rechnung gestellt worden sind.

Der Rechtsanwalt des Klägers ist beim Bundesgerichtshof nicht zugelassen. Im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist er von dem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt der Beklagten gebeten worden, selbst vorläufig noch keinen am Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt zu beauftragen. Dem ist der Kläger nachgekommen. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist von der Beklagten vor ihrer Begründung zurückgenommen worden.

II.

Die nach § 11 Abs. 1 RPflG, § 104 Abs. 3, § 567 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, § 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten ist begründet.

1.    Zu Unrecht hat das Landgericht die Beklagte nach §§ 565, 516 Abs. 3 i.V.m. § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO für verpflichtet gehalten, dem Kläger die mit Kostenfestsetzungsantrag vom 21.03.2023 nach den Gebührentatbeständen Nr. 3403, 3405 VV RVG in Höhe einer 0,5-fachen Gebühr zur Feststellung beantragten Kosten (255,85 €) seines Rechtsanwalts zu erstatten.

a)    Im Streitfall bestand im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zwischen den Parteien allerdings bereits ein Prozessrechtsverhältnis und war der Kläger daher befugt, einen Anwalt zu beauftragen und sich von ihm über das weitere Vorgehen beraten zu lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 17.12.2002 - X ZB 9/02, NJW 2003, 756, 757). Die für eine Einzeltätigkeit in Rede stehende Verfahrensgebühr nach Nr. 3403 VV entsteht gerade auch für sonstige Tätigkeiten in einem gerichtlichen Verfahren, wenn der Rechtsanwalt nicht zum Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigten bestellt ist. Ist der erst- und zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wie im Streitfall nicht als Verfahrensbevollmächtigter beauftragt worden, kann er daher, sofern ihm ein Auftrag für eine Einzeltätigkeit in diesem Verfahren erteilt worden ist, grundsätzlich die Vergütung gemäß Nr. 3403 VV RVG beanspruchen (vgl. BGH, Beschluss vom 10.07.2012 - VI ZB 7/12, juris Rn. 5; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22.05.2014 - 9 W 11/14, juris Rn. 3). Demgegenüber betrifft die Nr. 3506 VV RVG die Verfahrensgebühr für das Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, die der Kläger ausdrücklich nicht geltend macht, so dass es hier auch nicht darauf ankommt, ob ein nicht beim Bundesgerichtshof zugelassener Rechtsanwalt eine Partei, anders als im Revisionsverfahren selbst, im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren überhaupt vertreten kann.

b)    Gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 ZPO ist die gebotene Prüfung der Notwendigkeit der Kosten am Maßstab einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung auszurichten. Es ist stets zu prüfen, ob aufgewendete Prozesskosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig waren. Diese Frage hat sich daran auszurichten, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die kostenauslösende Maßnahme im damaligen Zeitpunkt (ex ante) als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte tun. Sie trifft lediglich die Obliegenheit, unter mehreren gleichgearteten Maßnahmen die kostengünstigere auszuwählen. Die aus der Sicht einer wirtschaftlich denkenden Partei nicht als erforderlich erscheinenden Aufwendungen sind dagegen nicht zu erstatten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17.12.2002 - X ZB 27/02, NJW 2003, 1324, 1325; vom 03.06.2003 - VIII ZB 19/03, NJW 2003, 2992, 2993 und vom 09.10.2003 - VII ZB 17/03, NJW 2004, 73).

aa)    Es bestehen insoweit allerdings keine Bedenken, die Bestimmung des § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO auch in Fällen wie den vorliegenden anzuwenden, in denen die Partei in einem Rechtsmittelverfahren nur einen Rechtsanwalt ohne umfassenden Verfahrensauftrag beauftragt hat, denn dass eine Partei, gegen die ein Rechtsmittel geführt wird, generell anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen darf, folgt gerade aus § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17.12.2002 - X ZB 9/02 - NJW 2003, 756 f. und vom 04.05.2006 - III ZB 120/05, juris Rn. 13). Die weitere und im Ergebnis zu verneinende Frage (vgl. BGH, Beschluss vom 10.07.2012 - VI ZB 7/12, juris Rn. 11 ff.), ob eine Kostenerstattung für die Tätigkeit eines nur mit einer Einzeltätigkeit beauftragten Rechtsanwalts auch dann verlangt werden kann, wenn die Partei nachfolgend zusätzlich einen umfassend bevollmächtigten respektive beim Bundesgerichtshof postulationsfähigen Rechtsanwalt beauftragt, stellt sich vorliegend nicht. Dazu ist es nicht gekommen, weil der Kläger darauf - wie von der Beklagten erbeten - zunächst verzichtet und die Beklagte die Nichtzulassungsbeschwerde noch vor ihrer Begründung zurückgenommen hat.

bb)    Der Rechtsanwalt des Klägers hat für diesen jedoch keine gesondert vergütungsfähige Tätigkeit im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erbracht.

(1)    Die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3403 VV RVG erfasst jede Tätigkeit in einem gerichtlichen Verfahren, es sei denn, es greifen andere Bestimmungen des Vergütungsverzeichnisses ein. Es handelt sich um eine Auffangregelung für Einzeltätigkeiten. Im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof kann eine beauftragte Einzeltätigkeit im Sinne dieser Vorschrift etwa darin liegen, dass der Anwalt den Auftrag erhält, „alles zu tun, um die Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde sofort zu erreichen“ (BGH, Beschluss vom 04.05.2006 - III ZB 120/05, juris Rn. 6). Sie kann prinzipiell auch darin liegen, dass im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren der Berufungsanwalt gegenüber dem Bundesgerichtshof zur Frage der Zulassung der Revision inhaltlich Stellung nimmt und für seinen Mandanten danach kein beim Bundesgerichtshof zugelassener Rechtsanwalt mehr bestellt wird (BGH, Beschluss vom 10.07.2012 - VI ZB 7/12, juris Rn. 11 ff.). Eine solche Beauftragung und entsprechende Handlungen hat der Anwalt des Klägers nicht vorgetragen, sondern mit Schriftsatz vom 11.04.2023 nur folgende Tätigkeiten: „Empfang der Nichtzulassungsbeschwerde, Empfang der Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde der gegnerischen BGH-Anwälte sowie entsprechender Beschluss des BGH, Betreuung des Klägers im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren, Zulässigkeitsprüfung, Beratung des Klägers zur weiteren Vorgehensweise“ (aaO S. 2; Bl. 533 d.A.). Diese Tätigkeiten genügen nicht, um eine Gebühr nach Nr. 3403 VV RVG auszulösen.

(2)    Für die bloße Entgegennahme der Nichtzulassungsbeschwerdeschrift und ihre Mitteilung an den Auftraggeber erhält der zweitinstanzliche Rechtsanwalt keine Vergütung nach Nr. 3403 VV RVG, denn diese Tätigkeiten gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG zum Berufungsverfahren und werden durch die dort anfallende Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3200 VV RVG abgegolten (BGH, Beschluss vom 10.07.2012 - VI ZB 7/12, juris Rn. 5). Gleiches gilt in einem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof, wenn der Berufungsanwalt - wie im Streitfall vorgetragen - von dem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Anwalt des Gegners gebeten wird, mit der eigenen Bestellung eines Revisionsanwaltes abzuwarten und der Berufungsanwalt diese Bitte seinem Auftraggeber übermittelt (BGH, aaO; KG, MDR 1979, 319), oder wenn der zweitinstanzliche Anwalt, dem die Revisionsschrift der Gegenseite zugestellt worden ist, wie im Streitfall vorgetragen noch selbst prüft, ob das Rechtsmittel zulässig eingelegt wurde (BGH, aaO; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2008, 658). Anerkannt ist, dass auch die Besprechung des Berufungsurteils mit dem Auftraggeber und die Belehrung über das zulässige Rechtsmittel noch dem abgeschlossenen Rechtszug zuzuordnen sind. Diese Prüfungstätigkeit ist einfach. Es handelt sich um eine Tätigkeit, die ein Rechtsanwalt vielfach auch dann ohne Aufforderung hierzu im Interesse seiner Partei ausüben wird, wenn er weiß, dass der Mandant in der nächsten Instanz möglicherweise einen anderen Anwalt beauftragen wird (OLG Karlsruhe, aaO). Entscheidend ist dabei, dass es um Tätigkeiten von eher geringem Umfang geht, die in der Regel sowohl vom Anwalt als auch vom Auftraggeber als eine Art Annex der Tätigkeit in der bisherigen Instanz verstanden werden und noch nicht als eine (vergütungspflichtige) Tätigkeit für die nächste Instanz, für die gegebenenfalls die Beauftragung eines anderen Anwalts in Betracht kommt (BGH, aaO; OLG Saarbrücken, aaO; OLG Karlsruhe, aaO).

(3)    Auch die hier vorgetragene Betreuung/Beratung des Klägers zur weiteren Vorgehensweise und damit sinngemäß dahingehend, der Nichtzulassungsbeschwerde anwaltlich entgegentreten zu müssen und erforderlichenfalls einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt zu bestellen, stellt sich noch als eine Art Annex der bisherigen Tätigkeit dar. Diese in eine Zwischenphase - zwischen Erlass der Entscheidung und Mandatsübernahme durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt - fallenden Tätigkeiten sind ebenfalls als mit den Gebühren für den vorangegangenen Rechtszug abgegolten anzusehen (ebenso OLG Saarbrücken, Beschluss vom 22.05.2014 - 9 W 11/14, juris Rn. 3; vgl. BGH, aaO; OLG Karlsruhe, aaO). Das gilt insbesondere dann, wenn das gegnerische Rechtsmittel - wie im Streitfall - noch vor seiner Begründung zurückgenommen wird, so dass seine inhaltliche Prüfung von vornherein nicht veranlasst war.

2.    Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Eine Wertfestsetzung ist nicht veranlasst, denn ein Kostenwert ist von Amts wegen nur festzusetzen, wenn sich die Gerichtsgebühren nach einem Gegenstandswert berechnen (§ 63 Abs. 1 Satz 1 GKG). Im Verfahren der sofortigen Beschwerde gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss ist dies wegen der zu erhebenden Festgebühr nicht der Fall (Nr. 1812 KV GKG).

3.    Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO mit Blick auf die zitierte höchstrichterliche Rechtsprechung nicht vorliegen.