Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 15. Senat | Entscheidungsdatum | 24.04.2012 | |
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Aktenzeichen | L 15 AY 4/12 B ER | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 86b SGG, § 3 AsylbLG, § 4 AsylbLG, § 10a AsylbLG, § 10b AsylbLG |
Dem Antragsteller wird zur Rechtsverteidigung gegen die Beschwerde des Beigeladenen Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwältin A J beigeordnet.
Die Beschwerde des Beigeladenen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 9. März 2012 wird zurückgewiesen.
Der Beigeladene hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das Beschwerdeverfahren zu tragen.
Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf §§ 153 Abs. 1, 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V. mit §§ 114 ff Zivilprozessordnung (ZPO). Ob die Rechtsverteidigung gegen die Beschwerde hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder mutwillig ist, war insoweit nicht zu prüfen (§ 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht ist jedenfalls im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Verpflichtung des Beigeladenen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorliegen. Mit der Beschwerde hat der Beigeladene nichts vorgetragen, was zu einer anderen Bewertung führen könnte.
Der Senat teilt zwar die Auffassung des Beigeladenen, dass die nach dem Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) erteilte räumliche Beschränkung erloschen ist, nachdem er einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erteilt hat (§ 56 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG). Allein daraus, dass damit die letzten rechtlichen Wirkungen des AsylbLG entfallen sind und der Antragsteller sich möglicherweise so lange rechtmäßig im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners aufhält, wie das verwaltungsgerichtliche Verfahren über die „Wohnsitzauflage“ nach dem AufenthG andauert, ergibt sich aber noch nicht, dass der Antragsgegner nach § 10a Abs. 1 Satz 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) der zuständige Träger für die dem Antragsteller - nach materiellem Recht fraglos zustehenden - Leistungen geworden wäre. Nach dem Wortlaut des Gesetzes kommt ebenso der Beigeladene als zuständiger Träger in Betracht, denn er ist „die nach § 10 bestimmte Behörde, in deren Bereich der Leistungsberechtigte auf Grund der Entscheidung der vom Bundesministerium des Innern bestimmten zentralen Verteilungsstelle verteilt oder von der im Land zuständigen Behörde zugewiesen worden ist“ (§ 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG).
Ausdrücklich sieht das Gesetz nicht vor, dass sich die Zuständigkeit nach Abschluss des Asylverfahrens ändert. Der Wille der Gesetzesurheber, mit § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG (nur) eine Zuständigkeit für „Asylsuchende“ zu begründen (BT-Dr. 13/2746, 18), spiegelt sich im Wortlaut des Gesetzes nicht wider; abgesehen davon bleibt offen, welcher Personenkreis genau gemeint war, weil weder das AsylbLG noch das AsylVfG den Begriff „Asylsuchende“ verwenden.
Ein Hinweis auf die gesetzessystematische Konzeption ergibt sich dagegen aus § 10b Abs. 3 AsylbLG in der bis 31. Juni 2005 geltenden Fassung. Danach bestand eine zeitlich begrenzte Erstattungspflicht der (nach § 10a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG zuständigen) Behörde des bisherigen Aufenthaltsorts, wenn „ein Leistungsberechtigter ohne Verstoß gegen eine asyl- oder ausländerrechtliche räumliche Beschränkung vom Ort seines bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts“ verzog. Daraus folgt für den Senat im Umkehrschluss, dass ein rechtswidriger Wechsel des Aufenthaltsortes nicht zu einer Änderung der Zuständigkeit führt, und zwar unabhängig davon, auf welcher Vorschrift des § 10a Abs. 1 AsylbLG die Zuständigkeit des vor dem Wechsel des Aufenthaltsorts zuständigen Trägers beruhte. Aus dem Umstand, dass die Erstattungsvorschrift zum 1. Juli 2005 - nach einer nicht begründeten Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses (BT-Dr. 15/5480) - aufgehoben worden ist, kann nicht abgeleitet werden, dass die Verteilung der Zuständigkeit als solche geändert werden sollte.
Wird darüber hinaus das erklärte Ziel der Zuständigkeitsregelungen nach § 10a Abs. 1 AsylbLG berücksichtigt, Klarheit darüber zu schaffen, wer die Kosten zu tragen hat (BT-Dr. 13/2746, 18), so wird ihm am ehesten dadurch Rechnung getragen, dass es jedenfalls so lange bei der Zuständigkeit des vor einem Aufenthaltswechsel zuständig gewesenen Leistungsträgers bleibt, wie Streit darüber besteht, ob der Aufenthaltswechsel rechtmäßig war. Damit bleiben im Übrigen die Zuständigkeiten für die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen und die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG bei einem Verwaltungsträger oder jedenfalls im Verwaltungsaufbau eines Landes zusammengefasst, was die Gefahr negativer Kompetenzkonflikte verringert. Die Zuständigkeit für Leistungen außerhalb des örtlichen Zuständigkeitsbereichs des Beigeladenen ergibt sich aus § 10a Abs. 1 Satz 3 AsylbLG.
Dass der Beigeladene vor dem Aufenthaltswechsel des Antragstellers entweder nach § 10a Abs. 1 Satz 1 oder nach § 10a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG zuständig war und dass der Aufenthaltswechsel zum damaligen Zeitpunkt - im Juli 2011 - in jedem Fall rechtswidrig war, steht nicht in Frage. Insoweit wird ergänzend auf den Beschluss des Senats vom 20. Dezember 2011 - L 15 AY 22/11 B ER - Bezug genommen.
Ob es an einem Anordnungsgrund fehlen würde, wenn der Beigeladene unter der Voraussetzung leistungsbereit wäre, dass sich der Antragsteller im Land Thüringen aufhält, kann offen bleiben, weil der Beigeladene eine entsprechende Erklärung nicht abgegeben hat. Nur vorsorglich weist der Senat deshalb darauf hin, dass die vom Antragsteller eingereichte ärztliche Bescheinigung vom 1. März 2012 nicht ausreichen würde, um eine Reiseunfähigkeit überwiegend wahrscheinlich zu machen. Hierzu müssen Tatsachen benannt werden, die einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich sind. Die Bescheinigung enthält aber nur eine quasi-gutachtliche Aussage, ohne dass erkennbar ist, auf welchen tatsächlichen Erkenntnissen sie beruht. Der ärztlichen Schweigepflicht unterliegt ein Arzt im Übrigen nur, solange er von seinem Patienten nicht davon befreit wird. Ist das Gericht aufgrund unzureichender Mitwirkung eines Verfahrensbeteiligten nicht in der Lage, die für eine ihm günstige Entscheidung notwendigen Umstände mit ausreichender Wahrscheinlichkeit festzustellen, so geht dies nach den auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden allgemeinen Grundsätzen der Beweislast zulasten desjenigen, der ein Recht geltend macht.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§ 177 SGG).