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Versammlung, Auflagen, Protestcamp


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 1. Senat Entscheidungsdatum 16.05.2024
Aktenzeichen OVG 1 S 30/24 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2024:0516.OVG1S30.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Art 8 GG, § 15 VersG, § 14 BWaldG, § 15 LWaldG Bbg

Leitsatz

1. Ein öffentlich zugänglicher Wald ist grundsätzlich ein geeigneter Versammlungsort im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG 2. Zu den Anforderungen an versammlungsrechtliche Auflagen.

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 19. März 2024 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsgegner.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 10 000 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, rechtfertigt keine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen verschiedene für sofort vollziehbar erklärte versammlungsrechtliche Auflagen im Bescheid des Antragsgegners vom 15. März 2024 wiederherzustellen, zu Recht entsprochen; der Senat nimmt gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden Gründe der Entscheidung Bezug. Die dagegen erhobenen Einwände der Beschwerde greifen nicht durch.

1. Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Dass die Antragstellerin und die sonstigen Teilnehmer der Versammlung einen solchen Zweck verfolgen, sich nämlich öffentlich und öffentlichkeitswirksam gegen die Erweiterung einer Industrieanlage wenden, stellt die Beschwerde nicht in Abrede. Auch die Dauer des Protestes über mehrere Wochen stellt seine Qualifizierung als Versammlung nicht in Frage (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2022 – 6 C 9/20 – BVerwGE 175, 346 Rn. 18 ff. m.w.N. zur Rspr. des BVerfG).

a) Anders als der Antragsgegner im angefochtenen Bescheid vom 15. März 2024 stellt die Beschwerde nunmehr die Geeignetheit des Waldes als Ort einer dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG unterfallenden Versammlung in Frage.

Das Grundrecht gewährleistet auch das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll (st. Rspr. des BVerfG, vgl. Urteil vom 22. Februar 2011 – 1 BvR 699/06 – BVerfGE 128, 226 Rn. 62 ff. – Fraport – auch zum Folgenden). Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen – gegebenenfalls auch mit Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen – am wirksamsten zur Geltung bringen können. Allerdings verschafft die Versammlungsfreiheit kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Sie gewährt keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Die Durchführung von Versammlungen etwa in Verwaltungsgebäuden oder in eingefriedeten, der Allgemeinheit nicht geöffneten Anlagen ist durch Art. 8 Abs. 1 GG ebenso wenig geschützt wie etwa in einem öffentlichen Schwimmbad oder Krankenhaus. Demgegenüber verbürgt die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist. Dies betrifft – unabhängig von einfachrechtlichen Bestimmungen des Straßenrechts – zunächst den öffentlichen Straßenraum, wobei die allgemeinen straßen- und straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen partiell überlagert werden, sofern dies für eine effektive Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit erforderlich ist. Entsprechendes gilt für Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums, an denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen. Dort wo öffentliche Kommunikationsräume eröffnet werden, kann der unmittelbar grundrechtsverpflichtete Staat nicht unter Rückgriff auf frei gesetzte Zweckbestimmungen oder Widmungsentscheidungen den Gebrauch der Kommunikationsfreiheiten aus den zulässigen Nutzungen ausnehmen. Orte allgemeinen kommunikativen Verkehrs sind solche, die der Öffentlichkeit allgemein geöffnet und zugänglich sind. Ausgeschlossen sind demgegenüber Orte, zu denen der Zugang individuell kontrolliert wird und die der Allgemeinheit ihren äußeren Umständen nach nur zu ganz bestimmten Zwecken zur Verfügung stehen und entsprechend ausgestaltet sind (BVerfG, a. a. O. Rn. 70; ferner Beschluss vom 9. Dezember 2020 – 1 BvR 2734/20 – juris Rn. 10).

Daran gemessen ist davon auszugehen, dass der von der Antragstellerin für die Versammlung ausgewählte Standort dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG unterfällt. Das Protestcamp befindet sich in einem Wald im Eigentum des Landes Brandenburg in unmittelbarer Nähe der Industrieansiedlung, gegen deren Erweiterung sich die Versammlung richtet. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Bundeswaldgesetz und § 15 Abs. 1 Satz 1 Landeswaldgesetz ist jedermann das Betreten des Waldes zum Zwecke der Erholung gestattet. Damit ist der Allgemeinheit zugleich ein Raum öffentlicher Kommunikation eröffnet. Die gesetzliche Beschränkung auf „Zwecke der Erholung“ ändert daran nichts, denn Beides schließt sich nicht von vornherein aus. Wie die Antragstellerin zutreffend bemerkt, fehlt es an einer Ausgestaltung, aufgrund derer der Allgemeinheit den äußeren Umständen nach der Wald nur zu ganz bestimmten Zwecken zur Verfügung steht, zu denen die öffentliche Kommunikation gerade nicht gehören soll, wie dies in der Regel etwa bei einem Friedhof der Fall ist (zu einer Ausnahme selbst für einen solchen vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Juni 2014 – 1 BvR 980/13 – NJW 2014, 2706 Rn. 19). Zu Recht wird daher in der obergerichtlichen Rechtsprechung auch der öffentlich zugängliche Wald als geeigneter Ort einer dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG unterfallenden Versammlung angesehen, ohne dass noch zwischen dem Wald und den ihn bildenden Bäumen unterschieden wird (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 22. Oktober 2020 – 2 B 2546/20 – juris Rn. 22 zu einem Wald im Privateigentum; OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 2. Februar 2022 – 3 M 207/21 – juris Rn. 10 und vom 2. Juli 2021 – 2 M 78/21 – juris Rn. 33; inzident auch Sächsisches OVG, Beschluss vom 8. November 2022 – 5 B 195/22 – juris; vgl. weitergehend Kaiser, in: Dreier, GG, 4. Aufl. 2023, Art. 8 Rn. 40: ausreichend sei die tatsächliche Zugänglichkeit).

b) Auch die im Protestcamp errichteten Baumhäuser und sonstigen Einrichtungen der Infrastruktur sind bei summarischer Prüfung vom Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG umfasst.

Eine infrastrukturelle Einrichtung eines – wie hier – als Versammlung zu beurteilenden Protestcamps unterfällt dem unmittelbaren, durch das Versammlungsgesetz ausgestalteten Schutz durch Art. 8 GG nicht nur dann, wenn sie einen inhaltlichen Bezug zu der mit dem Camp bezweckten Meinungskundgabe aufweist, sondern auch dann, wenn sie für das konkrete Camp logistisch erforderlich und ihm räumlich zuzurechnen ist (BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2022, a. a. O. Rn. 27 ff.; Beschlüsse des Senats vom 7. Juni 2019 – 1 S 54.19 – n. v. und 21. August 2020 – 1 S 99.20 – juris Rn. 10; vgl. ferner Fischer, NVwZ 2022, 353 ff.).

Die Antragstellerin betont, die Errichtung der Baumhäuser weise einen inhaltlichen Bezug zum Thema der Versammlung auf; ihnen komme eine maßgebliche symbolische Bedeutung für die beabsichtigte „Rettung des Waldes“ zu. Das lässt sich bei summarischer Prüfung nicht von vornherein als unplausible Schutzbehauptung bewerten und ist von der in Art. 8 Abs. 1 GG eingeräumten Befugnis, über die Art und Weise der Meinungskundgabe zu bestimmen, umfasst. Davon abgesehen vermag die Beschwerde nicht durchgreifend in Frage zu stellen, dass die Baumhäuser und sonstigen Infrastruktureinrichtungen des Protestcamps jedenfalls ausschließlich der Versorgung der Versammlungsteilnehmer dienen und nicht auch zu Zwecken, die mit dem Protestcamp nicht im Zusammenhang stehen.

2. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, soweit sie die einzelnen vom Erstgericht beanstandeten Auflagen des Bescheides betrifft.

a) Im Tenor des Bescheides vom 15. März 2024 heißt es wie folgt:

„2. Die „Durchführung der Versammlung wird von folgenden Auflagen abhängig gemacht:

a) Die Versammlung wird für den Zeitraum vom 16.03.2024 bis einschließlich 21.03.2024 bestätigt.“

Angemeldet hatte die Antragstellerin die Versammlung für den Zeitraum vom 16. März 2024 bis einschließlich zum 20. Mai 2024. Das Verwaltungsgericht hat diese Regelung dahingehend ausgelegt, es handele sich um eine Verkürzung der Versammlungsdauer in Gestalt einer Auflage gemäß § 15 Abs. 1 VersG.

Die Beschwerde macht demgegenüber geltend, es handele sich bei dem genannten Passus im Tenor des Bescheides nicht um eine Verkürzung der Versammlungsdauer, sondern um eine „vorläufig“ befristete Bestätigung der Versammlung, derer es jedoch nicht bedurft hätte und durch deren beschränkte Dauer die Antragstellerin nicht beschwert sei. Mit ihr habe der Antragsgegner lediglich zum Ausdruck gebracht, dass nach dem 21. März 2024 eine „Verlängerung der Versammlung wahrscheinlich nicht mehr ohne weitere Beschränkungen hinzunehmen sein (werde)“ (S. 47 der Beschwerdeschrift).

Dies zugrunde gelegt, fehlt der Beschwerde insoweit das für ihre Zulässigkeit erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Sollte es sich bei dem Passus zu Ziffer 2 a) tatsächlich lediglich um einen vorsorglichen – deklaratorischen – Vorbehalt späterer weiterer Beschränkungen der Versammlung handeln, nicht aber um eine konstitutive Regelung (im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfGBbg) ihrer Dauer, wäre der Antragsgegner durch die – dann ins Leere gehende – Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin nicht beschwert.

Allerdings ist dem Verwaltungsgericht darin beizupflichten, dass es sich bei verständiger Würdigung des Passus aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers nicht lediglich um einen deklaratorischen Hinweis auf mögliche spätere weitere Einschränkungen handelt, sondern um eine konstitutive Regelung zur Versammlungsdauer. Nach dem Verständnis der Beschwerde hätte es der Regelung neben der bereits zeitlich beschränkten Bestätigung der Versammlung in Ziffer 1 des Bescheidtenors nicht bedurft. Die Regelung wurde jedoch zusätzlich der ausdrücklich verschiedene „Auflagen“ treffenden Ziffer 2 des Bescheidtenors zugeordnet und in der Begründung des Bescheides als „Verkürzung der Versammlungsdauer“ bezeichnet. Mit den Gründen, die das Verwaltungsgericht veranlasst haben, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen eine solchermaßen verstandene konstitutive Verkürzung der Versammlung wiederhierzustellen, setzt sich die Beschwerde (konsequenterweise) nicht auseinander und kann auch deshalb insoweit keinen Erfolg haben.

b) Die Beschwerde hat auch hinsichtlich der Auflage zu Ziffer 2 b) des Bescheides vom 15. März 2024 keinen Erfolg. Darin hat der Antragsgegner den Versammlungsort sofort vollziehbar auf den bisherigen Bereich der Versammlung beschränkt, die von der Antragstellerin angemeldete Erweiterung der Versammlungsfläche um einen etwa 50 Meter breiten Streifen nach Süden jedoch untersagt. Das Erstgericht hat diese Beschränkung des Versammlungsortes vorläufig suspendiert. Die im Verwaltungsverfahren eingeholten Stellungnahmen der unteren Naturschutzbehörde, des Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz und des Kampfmittelbeseitigungsdienstes erlaubten nicht die Annahme einer unmittelbaren Gefahr in einem Maße, dass ein Eingriff in den zentralen Gewährleistungsgehalt des Grundrechts der Versammlungsfreiheit gerechtfertigt sei. Selbst wenn der Tatbestand des § 15 Abs. 1 VersG insoweit erfüllt sei, fehle es bei der anzustellenden Ermessensausübung an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, also mit der Angemessenheit der Beschränkung (BA S. 5 f.).

Die mit der Beschwerde dagegen vorgebrachten Erwägungen greifen nicht durch:

Die Beschwerde meint, zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit i. S. d. § 15 Abs. 1 VersG zähle jedenfalls auch der Bestand des materiellen Ordnungsrechts. Das trifft im Ansatz zu, denn der Begriff der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG stimmt mit demjenigen der allgemeinen Polizeigesetze überein und umfasst neben dem Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Eigentum des Einzelnen die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 233/81 u.a. – BVerfGE 69, 315 – Brockdorf – juris Rn. 77; BVerwG, Urteil vom 21. April 1989 – 7 C 50.88 – BVerwGE 82, 34 – juris Rn. 15; Barczak, in: Ridder/Breitbach/Deiseroth, Versammlungsrecht, 2. Aufl. 2020, § 15 VersG Rn. 142 ff.; Groscurth, in: Peters/Janz, Handbuch Versammlungsrecht, 2. Aufl. 2021, Abschnitt G Rn. 55 ff.). Allerdings folgt aus der grundrechtlichen Gewährleistung der Genehmigungsfreiheit der Versammlung (Art. 8 Abs. 1 GG), dass ihre Durchführung nicht von behördlichen Erlaubnissen abhängig gemacht werden kann (sog. Konzentrationswirkung, vgl. Wittmann, in: Ridder/Breitbach/Deiseroth, Versammlungsrecht, 2. Aufl. 2020, § 15 VersG Rn. 61 m.w.N.; Fischer, NVwZ 2022, 353 <354> jeweils m.w.N.), etwa einer Erlaubnis nach § 29 Abs. 2 StVO (dazu BVerwG, Urteil vom 21. April 1989, a. a. O. Rn. 14 f.). Zugleich schließt der Vorrang der versammlungsrechtlichen Eingriffsbefugnisse den Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht aus (sog. Sperrwirkung, vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 27. März 2024 – 6 C 1.22 – Rn. 32 ff. m.w.N. zur Rspr. auch des BVerfG), und zwar auch, soweit dem Schutzbereich des Grundrechts unterfallende Infrastruktureinrichtungen eines Protestcamps betroffen sind (BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2022, a. a. O. Rn. 24; ferner etwa Fischer, a. a. O.). Der Rückgriff auf das allgemeine Gefahrenabwehrrecht kommt daher nur insoweit in Betracht, als das Versammlungsrecht lückenhaft ist, was etwa hinsichtlich der Vollstreckung versammlungsrechtlicher Verfügungen der Fall sein kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Mai 2019 – 6 B 149/18 – juris Rn. 8). Ob, wie die Beschwerde für möglich hält, neben einer Zuständigkeit der Versammlungsbehörde auch die Zuständigkeit der Sonderordnungsbehörde gegeben sein kann, um „allgemeine, nicht versammlungsspezifische Verfügungen selbst zu erlassen, auch wenn hierdurch mittelbar Vorgaben gemacht werden, die auch eine Versammlung betreffen“ (S. 45 der Beschwerdeschrift), bedarf hier keiner Entscheidung, da eine sonderbehördliche Verfügung nicht getroffen wurde. Zwar mag der Grundsatz der Spezialität des Versammlungsrechts prinzipiell einen Rückgriff auf sonderordnungsbehördliche Befugnisse zulassen, soweit das Versammlungsrecht keine Regelung enthält; zu bedenken ist jedoch, dass sich die Begrenzungen für die Anwendung des allgemeinen Polizeirechts – nichts anderes gilt für das Sonderordnungsrecht – auch und vor allem aus der Schutzwirkung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit ergeben (BVerwG, Urteil vom 27. März 2024, a. a. O. Rn. 34 f.) und diese Schutzwirkung durch großzügigere Eingriffsbefugnisse im Sonderordnungsrecht nicht unterlaufen werden darf.

Auch wenn eine Störung der öffentlichen Sicherheit i. S. d. § 15 Abs. 1 VersG in Gestalt einer Verletzung ordnungsrechtlicher Vorschriften tatbestandlich vorliegt, folgt daraus noch nicht, dass die Versammlungsbehörde zu einschränkenden Maßnahmen befugt ist. Dadurch bliebe die Reichweite des Versammlungsgrundrechts letztlich – unter Beachtung des Wesensgehalts – der einfach-rechtlichen Ausgestaltung des materiellen Ordnungsrechts überlassen (BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985, a. a. O. Rn. 69 f.). § 15 Abs. 1 VersG genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen daher nur dann, wenn bei seiner Anwendung neben dem Erfordernis einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit aufgrund objektiv erkennbarer Umstände bei der Ausübung des Entschließungs- und Auswahlermessens der herausgehobenen Bedeutung des Freiheitsrechts Rechnung getragen wird. Das erfordert stets eine Abwägung der kollidierenden Rechtsgüter unter Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters (vgl. BVerfG, a. a. O. Rn. 76 ff.; Fischer, a. a. O.). Dies verkennt auch die Beschwerde nicht (S. 42 f. der Beschwerdebegründung).

Daran gemessen stellt die Beschwerde die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung hinsichtlich der Auflage zu Ziffer 2 b) des angefochtenen Bescheides nicht durchgreifend in Frage:

Auch die Beschwerde weist lediglich in allgemeiner Form auf den Umstand hin, dass die Nutzung des Waldstücks als Protestcamp über die ansonsten lediglich zugelassene Nutzung des Waldes hinausgeht und potenziell negative Auswirkungen auf den Landschaftsschutz hat. Eine konkrete Gefährdung geschützter Arten oder gar deren nicht reversible Schädigung zeigt die Beschwerde nicht auf. Die Antragstellerin weist demgegenüber unwidersprochen darauf hin, dass die angemeldete Erweiterung der Versammlungsfläche um ca. einen Hektar lediglich weniger als ein 24.000stel der Fläche des Landschaftsschutzgebiets in Anspruch nimmt, während die Maßnahme, gegen die sich das Protestcamp richtet, eine dauerhafte Reduzierung der Waldfläche um ein Vielfaches dieser Fläche zur Folge hätte. Soweit die Beschwerde betont, dass sich die Erweiterung der Versammlungsfläche nicht auf eine Inanspruchnahme des Waldbodens beschränken würde, sondern dort auch die Errichtung weiterer Baumhäuser zu besorgen sei, ist darauf hinzuweisen, dass letztere Gegenstand der Auflage zu Ziffer 2 e) des Bescheides ist. Die Auflage zu Ziffer 2 b) untersagt demgegenüber jegliche Ausdehnung der Versammlungsfläche, ungeachtet dessen, ob dort Bauten oder sonstige Infrastruktureinrichtungen errichtet werden oder nicht. Sie verhindert damit zugleich eine Entzerrung der Inanspruchnahme der bisherigen Versammlungsfläche.

Auch der geltend gemachte Kampfmittelverdacht verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Soweit der Senat die mit Schriftsatz vom 23. April 2024 vorgelegte Luftbildauswertung zutreffend deutet, sind drei Bombentrichter lediglich an der südwestlichen Grenze der Versammlungsfläche zu besorgen, so dass es möglich gewesen wäre, die Auflage auf diese Fläche zu beschränken. Zu Recht weist die Antragstellerin dessen ungeachtet darauf hin, dass die Kampfmittelbelastung etwa in O____ deutlich höher sein dürfte, ohne dass dort Menschenansammlungen generell untersagt wären. Der angefochtene Bescheid untersagt in Ziffer 2 g) bestandskräftig das Ausheben von Gruben und Gräben. Tiefbaumaßnahmen, welche die Gefährdung durch Kampfmittel erhöhen würden, können daher vom Antragsgegner ohne Weiteres unterbunden werden. Desgleichen ist das Befahren der Versammlungsfläche mit Fahrzeugen bestandskräftig untersagt (Ziffer 2 i)), so dass auch dadurch Kampfmittel nicht zur Explosion gebracht werden können.

Der erstinstanzlichen Beanstandung unzureichender Ermessensausübung (BA S. 6) vermag die Beschwerde nicht mit Erfolg entgegenzuhalten, weitere Ermessenserwägungen könnten im Widerspruchsverfahren angestellt werden. Die Versammlung ist lediglich bis des 20. Mai 2024 angemeldet, so dass der Bescheid vom 15. März 2024 mit Ablauf jenes Tages seine Wirksamkeit verliert und das Widerspruchsverfahren einzustellen sein wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1989 – 8 C 30.87 – BVerwGE 81, 226 <229>), sollte bis dahin kein Widerspruchsbescheid ergangen sein, wofür mit der Beschwerde nichts vorgetragen ist. Davon abgesehen kann im hiesigen Eilrechtsschutzverfahren nicht unterstellt werden, dass etwaige nachgeholte Ermessenserwägungen frei von Ermessensfehlern sein werden.

c) Ebenso wenig hat die Beschwerde hinsichtlich der Auflagen zu Ziff. 2 d), e) und f) Erfolg.

Darin hat der Antragsgegner der Antragstellerin vollziehbar jede Nutzung der vorhandenen Bauten in den Bäumen untersagt und deren Rückbau bis zum 18. März 2024, 13:00 Uhr, angeordnet (Ziff. 2 d)), die Errichtung neuer vergleichbarer Bauten sowie anderer Bauten und das Einbringen weiteren Baumaterials in den Versammlungsraum untersagt (Ziff. 2 e)), ferner den Aufenthalt unterhalb der Bauten für nicht gestattet erklärt und der Antragstellerin aufgegeben, den Bereich zu sichern und abzusperren (Ziff. 2 f)). Zur Begründung hat sich die Behörde maßgeblich auf die bauplanungsrechtliche und bauordnungsrechtliche Unzulässigkeit der Baumhäuser als bauliche Anlagen und ihre fehlende Genehmigungsfähigkeit gestützt. Das Verwaltungsgericht hat außerversammlungsgesetzliche Erlaubnisvorbehalte als suspendiert angesehen und die von der Behörde angeführten Einwände nicht für ausreichend befunden, eine hinreichend konkrete unmittelbare Gefahr i. S. d. § 15 Abs. 1 VersG anzunehmen; ferner hat es Ermessensdefizite der Behörde konstatiert.

Die Beschwerde hält für zweifelhaft, ob „mit der Anwendbarkeit des Versammlungsrechts jeder baurechtliche Genehmigungsvorbehalt entfällt“ (S. 54 der Beschwerdeschrift), allerdings ohne dem weiter nachzugehen. Insoweit lässt die Beschwerde es an einer Auseinandersetzung mit der verfassungsrechtlichen Vorgabe der Erlaubnisfreiheit der Versammlung fehlen und genügt dem Auseinandersetzungsgebot des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht.

Im Wesentlich beruft sich die Beschwerde auf eine Verletzung materiellen Bauordnungsrechts in Gestalt einer Verletzung der allgemeinen Anforderungen nach § 3 BbgBO, fehlender Standsicherheit der Bauten (§ 12 BbgBO), fehlenden Brandschutzes (§ 14 BbgBO), fehlender Rettungswege (§ 33 BbgBO) sowie fehlender Umwehrungen (§ 38 BbgBO). Sie räumt – zutreffend – ein, dass nicht jeder Verstoß gegen Regelungen des Bauordnungsrechts zu einem versammlungsrechtlichen Einschreiten berechtigt, es vielmehr jeweils einer Abwägung zwischen der grundrechtlichen Versammlungsfreiheit und gegenläufigen Belangen von erheblicher Bedeutung bedarf (vgl. etwa S. 42 der Beschwerdeschrift).

Zuzugeben ist der Beschwerde, dass die genannten Regelungen des Bauordnungsrechts dazu bestimmt sind, elementare Rechtsgüter wie Leib und Leben zu schützen, und Verstöße hiergegen prinzipiell geeignet sein können, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit zurücktreten zu lassen. Die Darlegungslast für das Vorliegen solcher Verstöße trifft indes die Versammlungsbehörde, denn § 15 Abs. 1 VersG verlangt eine aufgrund erkennbarer Umstände mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar drohende Gefahr für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter (vgl. etwa Sächsisches OVG, Beschluss vom 8. November 2022 – 5 B 195/22 – juris Rn. 36 m.w.N.). Erst wenn die Veranstalter oder Teilnehmer der Versammlung der Behörde die Durchführung erforderlicher Gefahrerforschungsmaßnahmen unmöglich machen, kann sich dies umkehren und etwa die Vorlage eines Standsicherheitsnachweises verlangt werden (vgl. etwa OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 2. Februar 2022 – 3 M 207/21 – juris Rn. 21).

Daran gemessen hat das Verwaltungsgericht zu Recht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die genannten Auflagen wiederhergestellt:

Allerdings ist dem Antragsgegner darin beizupflichten, dass die von der Antragstellerin vorgelegte „Standsicherheitsprüfung“ des Zimmermanns und Spielgeräteherstellers X_____ vom 17. März 2024, der ohnehin nur 15 der nach Angaben der Beteiligten zwischenzeitlich mindestens 19 Baumhäuser einer Prüfung unterzogen hat, sich konkret in erster Linie zu den für die Befestigung der Baumhäuser verwendeten Seilen und ihrer Tragkraft verhält, nicht aber zu sämtlichen für die Standsicherheit relevanten Baumaterialien. Dies beanstandet die Bauordnungsbehörde zu Recht, legt indes eine substantiierte – falls erforderlich: auf das jeweilige Baumhaus bezogene – eigene Prüfung der Standsicherheit nicht vor.

Bereits aus den mit der Beschwerde vorgelegten Fotos von den Baumhäusern ist ersichtlich, dass die nach § 38 Abs. 1 BbgBO erforderlichen Umwehrungen und Brüstungen nicht durchgehend vorhanden sind. Gleiches gilt für das Vorhandensein von Brandschutzmaßnahmen (§ 14 BbgBO) und Rettungswegen (§ 33 BbgBO). Hierbei ist indes zu berücksichtigen, dass die in diesen Regelungen aufgestellten Anforderungen in erster Linie für die Errichtung dauerhafter Bauwerke Geltung beanspruchen und nicht unbesehen mit der Folge einer Beschränkung der Versammlungsfreiheit auf bauliche Anlagen der hier zu beurteilenden Art angewendet werden können. Dies bedarf keiner Vertiefung, denn zu Recht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass der Auflagenbescheid hinsichtlich der die Bauwerke betreffenden Auflagen an Ermessensfehlern leidet, die bislang nicht geheilt sind. Dies gilt bereits deshalb, weil maßgeblich für den Erlass der Auflagen auch bauplanungsrechtliche Erwägungen waren – u. a. der Hinweis auf die Unzulässigkeit der Bauwerke im Industriegebiet – und diese das Nutzungs- und Errichtungsverbot jedenfalls hinsichtlich der bisherigen Gesamtdauer des Protestcamps vom 29. Februar bis 20. Mai 2024 von vornherein nicht tragen können. Auch wären mildere, die Versammlungsfreiheit weniger einschränkende Maßnahmen in Betracht gekommen, etwa Auflagen zur Umwehrung der einzelnen Anlagen, soweit nicht bereits erfolgt, zur Anbringung von Sicherungsnetzen und von Vorrichtungen für den sicheren Transport erkrankter Personen. Soweit die Beschwerde auf die Gefahr eines Waldbrandes durch die Nutzung einer unerlaubt eingerichteten „Raucherecke“ abstellt, ist der Antragsgegner auf die Durchsetzung der bestandskräftigen Auflage zu Ziff. 2 h) des Bescheides zu verweisen.

Die Regelung in Ziff. 2 d) Satz 2 des Bescheides, die bis zum 15. März 2024 errichteten Baumhäuser bis zum 18. März 2024, 13.00 Uhr, zurückzubauen, ist bereits aufgrund des hierfür eingeräumten sehr kurzen Zeitraums unverhältnismäßig, nachdem diese Anlagen mit dem ersten Auflagenbescheid vom 1. März 2024 bis zu einer Anzahl von 15 Bauten akzeptiert worden waren. Das Verbot der Errichtung jeglicher „anderer Bauten“ in Ziff. 2 e) Satz 1 des Bescheides schließt auch die Errichtung von Infrastruktureinrichtungen aus, die den zuvor genannten Sicherheitsbedenken nicht ausgesetzt sind, etwa von standsicheren Anlagen am Boden oder in geringer Höhe. Hierzu fehlt es sowohl an einem tragfähigen Grund als auch an einer entsprechenden Ausübung des Ermessens. Entsprechendes gilt hinsichtlich des in Satz 2 der Regelung getroffenen vollumfänglichen Verbots, weiteres – auch unproblematisches – Baumaterial in den Versammlungsraum zu verbringen. Der Untersagung des Aufenthalts unterhalb der Bauten in Ziff. 2 f) bedürfte es nicht, wenn diese sich als standsicher erweisen und ausreichende Maßnahmen gegen das Herabfallen von Gegenständen getroffen worden sind.

Wie zuvor bereits ausgeführt (siehe zu 2 b)), ist eine Heilung der Ermessensdefizite in Gestalt eines Widerspruchsbescheides bislang nicht erfolgt und angesichts des bevorstehenden Eintritts der Erledigung des Widerspruchsverfahrens mit Ablauf des 20. Mai 2024 voraussichtlich auch nicht mehr zu erwarten.

d) Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt eine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses auch nicht hinsichtlich des suspendierten Sofortvollzugs der Auflage zu Ziff. 2 j) des Bescheides. Darin hat der Antragsgegner der Antragstellerin das Anbieten und Durchführen von Kletterübungen oder Kletterkursen untersagt und zur Begründung angeführt, derartige Maßnahmen stellten „keine Meinungsbildung i. S. d. Versammlungsgesetzes dar und (unterfielen) mithin nicht dem Schutzbereich des Art. 8 Grundgesetz“. Ausführungen zur herangezogenen Rechtsgrundlage für diese Verfügung, zum Vorliegen ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen und zu einer etwaig erforderlichen Ermessensausübung fehlen; vielmehr wird die Unterbindung als „unabdingbar“ angesehen (S. 8 des Bescheides vom 15. März 2024).

Die Beschwerde lässt offen, ob das Angebot von Kletterübungen und -kursen im Zusammenhang mit dem Protestcamp entgegen dem angefochtenen Bescheid als Element der Versammlung anzusehen ist oder die Maßnahme auf die gefahrenabwehrrechtliche Generalklausel gestützt werden kann. An einer den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügenden Auseinandersetzung mit der vom Verwaltungsgericht beanstandeten fehlenden Ermessensausübung fehlt es.

e) Hinsichtlich der vom Verwaltungsgericht vorläufig suspendierten Auflage zu Ziff. 2 k), mit der der Antragsgegner der Antragstellerin aufgegeben hat, „die jeweils geplanten versammlungsimmanenten Einzelaktionen (…) vor deren Durchführung der Versammlungsbehörde bzw. (…) der zuständigen Polizeiinspektion (…) mitzuteilen“, fehlt es nach dem maßgeblichen Beschwerdevorbringen bereits an einem Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde. Danach weise die Aufforderung lediglich deklaratorisch auf die ohnehin kraft Gesetzes bestehende Anmeldepflicht einer etwaigen neuen Versammlung hin. Der behördlichen Anordnung des Sofortvollzugs eines lediglich deklaratorischen Hinweises bedarf es nicht, ebenso wenig der Rückgängigmachung der – dann ins Leere gehenden – erstinstanzlichen Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG und entspricht der erstinstanzlichen Festsetzung, gegen die Einwände nicht erhoben worden sind.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).