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Entscheidung 12 W 9/24


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 12. Zivilsenat Entscheidungsdatum 17.05.2024
Aktenzeichen 12 W 9/24 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2024:0517.12W9.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Aussetzungsbeschluss der 3. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 13.03.2024, Az. 13 O 18/23, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Klägerin macht Zahlungsansprüche wegen Spielverlusten im Zusammenhang mit Online-Glücksspielen geltend. Wegen des zugrundeliegenden Sachverhalts wird auf den angefochtenen Beschluss des Landgerichts Bezug genommen.

Nach Anhörung der Parteien hat das Landgericht mit Beschluss vom 13.03.2024 den Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in dem dort anhängigen Verfahren C-440/23 ausgesetzt. Das Landgericht folgt ausweislich der Begründung des Aussetzungsbeschlusses der Begründung des Bundesgerichtshofes (I ZR 53/23), insbesondere zu der Frage, ob § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 unionsrechtskonform sei. Auf den Beschluss des Landgerichts wird verwiesen.

Gegen diesen, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 14.03.2024 zugestellten Beschluss richtet sich die am 27.03.2024 beim Landgericht eingegangene sofortige Beschwerde mit der Begründung, die Voraussetzungen einer Aussetzung lägen nicht vor. Das Landgericht habe sich mit den im Schriftsatz vom 15.02.2024 dargelegten Gründen nicht auseinandergesetzt und das ihm zustehende Ermessen nicht bzw. fehlerhaft ausgeübt.

Mit Beschluss vom 01.04.2024 hat das Landgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat vorgelegt.

II.

Die gemäß §§ 252, 567 ff ZPO form- und fristgerecht eingelegte und statthafte sofortige Beschwerde der Klägerin ist unbegründet.

In entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 1 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – II ZB 16/20 –, Rn. 5; Beschluss vom 11.02.2020 - XI ZR 648/18, Rn. 48, juris). Hierbei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, bei der das Gericht die mögliche Verfahrensverzögerung mit den Gesichtspunkten der Verfahrensökonomie und der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen abzuwägen hat (BGH a.a.O.). Danach liegen die Voraussetzungen für eine Aussetzung in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO hier vor.

Die Klägerin macht Zahlungsansprüche wegen Spielverlusten im Zusammenhang mit Online-Glücksspielen geltend. Wegen des zugrundeliegenden Sachverhalts wird auf den angefochtenen Beschluss des Landgerichts Bezug genommen. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte geht das Landgericht vorläufig davon aus, dass ein Anspruch der Klägerin nach § 812 BGB auf Rückzahlung von Spielverlusten in von der Beklagten ohne Erlaubnis deutscher Behörden angebotenen Online-Glücksspielen von der Rechtsfrage abhängt, ob das in § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 enthaltene Verbot des Veranstaltens und Vermittelns öffentlicher Glücksspiele im Internet mit Unionsrecht vereinbar ist. Mit dieser Frage steht und fällt zugleich die Entscheidung, ob die zwischen den Parteien zustande gekommenen Verträge wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB nichtig sind.

Sowohl die Vereinbarkeit des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 mit Unionsrecht als auch die generellen Wirkungen einer etwaigen Unionsrechtswidrigkeit sind Gegenstand im Verfahren C-440/23 vor dem EuGH. Soweit die Klägerin aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu § 4 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 GlüStV 2021 mit Beschluss vom 26.01.2023 – I ZR 148/22 – auf eine mangelnde Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen schließt, weil danach auch ein unionsrechtswidriges Verbot von Online-Glücksspielen nichts an der fehlenden Erlaubnis nach dem allgemeinen Erlaubnisvorbehalt und damit an dem Verbot des Glücksspiels ändere, vermag dies nicht zu überzeugen. Der dort zu entscheidende Sachverhalt betraf Fragen eines Werbeverbotes im Anwendungsbereich des GlüStV 2021 und nicht - wie hier - die Rückforderung von Spielverlusten.

Der Senat verkennt nicht, dass die Ausgangsfragen im Anwendungsbereich des Art. 56 AEUV in Bezug auf das Verbot von Online-Glücksspielen bereits mehrfach Gegenstand von Entscheidungen des EuGH waren und im Zuge dessen die grundlegenden rechtlichen Fragen bereits geklärt sind. Dies haben die Oberlandesgerichte Koblenz und Stuttgart in den hier in anderen Rechtsstreiten vorliegenden Entscheidungen deutlich herausgearbeitet. Im Zuge dessen wurde regelmäßig in obergerichtlichen Entscheidungen von der Konformität des § 4 Abs. 4 GlüStV mit Europarecht ausgegangen. Aus der ständigen Rechtsprechung des EuGH ergibt sich jedoch auch das Erfordernis der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer restriktiven Maßnahme im Bereich der Glücksspiele (vgl. nur EuGH, Beschluss vom 18. Mai 2021 – C-920/19 –, Rn. 46, juris). Wie der Gerichtshof ebenfalls bereits entschieden hat, obliegt es den nationalen Behörden, die dafür erforderlichen Beweise in jedem Einzelfall beizubringen. Die Rechtfertigungsgründe, auf die sich ein Mitgliedstaat berufen kann, müssen von einer Untersuchung zur Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der von diesem Mitgliedstaat erlassenen Maßnahme sowie von genauen Angaben zur Stützung seines Vorbringens begleitet sein (EuGH, Urteil vom 19. Oktober 2016 – C-148/15 –, Rn. 35, juris). Ob dies hier der Fall ist, ist ebenfalls Gegenstand der Vorlage im Verfahren C-440/23. Die Vorlagefragen sind weder offenkundig unzulässig, noch mit Blick auf die Vielzahl von Entscheidungen zum Glücksspielrecht durch den EuGH im Sinne eines acte clair derart offenkundig zu beantworten, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt. Auch wenn dies nur für das in letzter Instanz entscheidende einzelstaatliche Gericht unmittelbar Geltung erlangt, darf davon nur dann ausgegangen werden, wenn es überzeugt ist, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Gerichtshof die gleiche Gewissheit bestünde (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2021 – C-561/19 –, Rn. 40, juris; Greger, a.a.O.). An einer solchen Offenkundigkeit fehlt es bereits deshalb, weil der Bundesgerichtshof in zwei Verfahren - wenn auch ohne Begründung - die Aussetzung wegen Vorgreiflichkeit angeordnet hat (Beschluss vom 10.01.2024, Az. I ZR 53/23; Beschluss vom 07.03.2024, Az. I ZR 118/23).

Die Vorlage an den EuGH wird auch in den Blick zu nehmen sein bei Annahme eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 284 StGB, wobei hier noch die allgemeine Diskussion darüber, ob § 284 StGB überhaupt ein die Interessen des Spielers schützendes Schutzgesetz darstellt, hinzutritt. Denn die Frage der Strafbarkeit und jedenfalls die mit Anwendung des § 284 StGB als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB stehende Rückforderung von Spielverlusten darf nicht losgelöst von der verfassungsrechtlichen bzw. unionsrechtlichen Beurteilung der landesrechtlichen Gesamtregelung des Glücksspielrechts beantwortet werden (vgl. BGH, Urteil vom 16. August 2007 – 4 StR 62/07 –, Rn. 12 ff; EuGH, Urteil vom 4. Februar 2016 – C-336/14 –, Rn. 65, juris; a.A. OLG Bamberg, Urteil vom 27. Februar 2024 – 10 U 22/23 e –, juris).

Vor diesem Hintergrund tritt im Rahmen der gebotenen Ermessensausübung das Interesse der Klägerin an einer zügigen Entscheidung auch mit Blick auf ein ggf. bestehendes Insolvenzrisiko auf Seiten der Beklagten gegenüber der Vermeidung von widerstreitenden Entscheidungen und der Verfahrensökonomie zurück.

3.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da sowohl die Ausgangsentscheidung des Landgerichts über die Aussetzung des Verfahrens als auch das Beschwerdeverfahren Bestandteile des Hauptverfahrens darstellen (vgl. BGH, Beschl. v. 12.12.2005 - II ZB 30/04, juris Rn. 12).

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen der §§ 252, 574 ZPO nicht gegeben sind, nachdem sich der Bundesgerichtshof mit dieser Frage bereits - im Ergebnis wie hier - befasst hat.