Gericht | OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 29.05.2024 | |
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Aktenzeichen | 13 WF 72/24 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2024:0529.13WF72.24.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
I.
Die Gläubigerin betreibt die Vollstreckung aus einem mit dem Schuldner geschlossenen, gerichtlich bestätigten Vergleich, mit dem die Beteiligten sich wechselseitig unter anderem verpflichtet haben, keinerlei Kontakt zueinander aufzunehmen, auch nicht unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, wie z. B. Postkarten. Das Amtsgericht hat den Vergleich im Termin vom 29.2.2024 (Bl. 60 des Aktenimports, im Folgenden: AI) durch verkündeten Beschluss gerichtlich bestätigt und zugleich für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung die Verhängung von Ordnungsgeld bis zu 25.000 €, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten angedroht (Bl. 61 AI). Es hat dem Bevollmächtigten des Schuldners den Vermerk über den Termin am 15.3.2024 zugestellt (Bl. zu 62 AI).
Mit Schreiben vom 14.3.2024 und 15.3.2024 (Bl. 1 und 4 AI - Ordnungsgeld) hat die Gläubigerin mitgeteilt, der Schuldner habe gegen den Vergleich verstoßen. Sie habe am 8.3.2024 eine Postkarte von einem Bekannten des Schuldners mit bedrohendem und beleidigendem Text erhalten. Am 12.3.2024 und 15.3.2024 habe sie vom Schuldner selbst Postkarten erhalten. Sie bitte um Information, welche Konsequenzen sich hieraus für den Schuldner ergäben. Mit weiterem Schreiben vom 19.3.2024 (Bl. 9 AI-Ordnungsgeld) hat sie wegen der zuvor angezeigten Kontaktaufnahme die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen den Schuldner beantragt.
Das Amtsgericht hat dem Schuldner die Schreiben zugestellt (Bl. 8 AI-Ordnungsgeld). Mit Schriftsatz vom 25.3.2024 hat dieser erwidert, seinen Bruder, den Urheber der ersten Postkarte, nicht mit dem Versand eines solchen Schreibens beauftragt zu haben. Die weiteren Postkarten habe er am 11. und vermutlich am 12.3.2024 auf den Postweg gebracht. Jedenfalls seien sie damit vor der erst am 15.3.2024 bewirkten Zustellung des Vermerks vom 29.2.2024 und des bestätigenden Beschlusses und der Ordnungsgeldandrohung versendet worden. Der Schuldner habe seinem Anwalt nach nochmaligem ausdrücklichen Hinweis zugesichert, sich an den Vergleich zu halten.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht gegen den Schuldner wegen der Zuwiderhandlung gegen die vereinbarte Unterlassungspflicht durch das Übersenden der beiden Postkarten am 11.3.2024 ein Ordnungsgeld von 100 Euro festgesetzt (Bl. 12 AI-Ordnungsgeld).
Der hiergegen gerichteten Beschwerde des Schuldners hat das Amtsgericht nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Beschwerde des Schuldners ist begründet.
Die formalen Vollstreckungsvoraussetzungen lagen bei Begehung der Zuwiderhandlungen gegen die vereinbarten Unterlassungsverpflichtungen noch nicht vor.
Vollstreckungstitel nach dem Gewaltschutzgesetz werden nach den Regeln der ZPO vollstreckt, § 95 FamFG. Auch ein in einem Gewaltschutzverfahren - wie hier - ordnungsgemäß protokollierter gerichtlicher Vergleich stellt einen Vollstreckungstitel im Sinne des § 86 Abs. 1 Nr. 3 FamFG dar, der nicht der gerichtlichen Bestätigung nach § 214 a FamFG bedarf, um vollstreckbar zu sein. Die gerichtliche Bestätigung nach § 214a FamFG ist Voraussetzung allein für die Ahndung eines Verstoßes als Straftat gemäß § 4 GewSchG ist (vgl. OLG Hamburg, NZFam 2019, 730).
Eine Vollstreckungsklausel ist gemäß § 86 Abs. 3 FamFG entbehrlich (vgl. BeckOK/FamFG/Schlünder, 1.5.2024, § 86 Rn. 16, OLG Hamburg NZFam 2019, 730).
Die Vollstreckbarkeit eines im Gewaltschutzverfahren geschlossenen Vergleichs tritt aber gemäß §§ 87 Abs. 2, 95 Abs. 1 Nr. 4 FamFG, 794 Abs. 1 Nr. 1, 750 ZPO erst mit förmlicher Zustellung des schriftlichen Vergleichs sowie des Hinweises gemäß §§ 95 Abs. 1 Nr. 4 FamFG, 890 Abs. 2 ZPO ein, die vor Beginn der Zwangsvollstreckung oder gleichzeitig mit dieser erfolgen muss (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 21.05.2019, 13 WF 399/19, FamRZ 2019, 1947; Senat, Beschluss vom 15.12.2014, 13 WF 298/14, FamRZ 2015, 1224; Zöller/ Feskorn, 35. Aufl., § 87 FamFG, Rn. 4; OLG Hamburg, Beschluss vom 08.02.2019, 2 WF 19/19, Rn. 19, FamRZ 2019, 1449). Die Vorschrift § 87 Abs. 2 FamFG bezweckt nach ihrem Wortlaut, dass sich der Schuldner aufgrund des zugestellten Beschlusses über Anlass und Umfang der bevorstehenden Vollstreckung informieren kann. Die Zustellung dient damit der Gewährleistung rechtlichen Gehörs in der Zwangsvollstreckung (Sternal/Giers, 21. Aufl. 2023, § 87 FamFG Rn. 11; vgl. Heßler in MüKo/ ZPO, 6. Aufl. 2020, § 750 Rn. 9). Zwar spricht der Wortlaut des § 87 Abs. 2 FamFG nur von der Zustellung des "Beschlusses" und erwähnt den Vergleich als Vollstreckungstitel nicht. Der Wortlaut des § 87 Abs. 2 FamFG ist aber aufgrund eines gesetzgeberischen Versehens zu eng gefasst und die Norm daher analog auch auf gerichtlich protokollierte Vergleiche anzuwenden (vgl. OLG Hamburg, aaO, juris Rn. 20; Sternal/ Giers, a, a. O., § 87 FamFG Rn. 12; OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.11.2011, 5 WF 151/11; OLG Hamm, Beschluss vom 9. Januar 2024 – II-4 WF 156/23 –, Rn. 8).
An einer förmlichen Zustellung fehlte es vorliegend im Zeitpunkt der Zuwiderhandlungen. Ausweislich des bei der Hauptakte befindlichen Empfangsbekenntnisses ist der Vermerk vom 29.2.2024 dem Bevollmächtigten des Antragsgegners erst am 15.3.2024 zugestellt worden. Die hier in Rede stehenden Zuwiderhandlungen sind aber sämtlich zeitlich vor diesem Zeitpunkt erfolgt.
Über die fehlende Zustellung hilft es auch nicht hinweg, dass der Vergleich in Anwesenheit der Beteiligten wirksam geschlossen und damit wirksam geworden ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 9. Januar 2024 – II-4 WF 156/23 –, Rn. 10, juris). Die Wirksamkeit eines Vergleichsschlusses bietet - wie auch die Wirksamkeit anderer Vollstreckungstitel - keine gesetzliche Grundlage dafür, auf die förmliche Zustellung eines Titels als Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung verzichten zu können.
Die Zustellung dient als urkundlicher Nachweis, dass der Schuldner Gelegenheit hatte, den Inhalt der zu vollstreckenden Verpflichtung zu Kenntnis zu nehmen und sich über die Umstände der ggf. bevorstehenden Zwangsvollstreckung zu informieren. Dazu genügt es nicht, wenn der Schuldner in der mündlichen Verhandlung von dem Inhalt schon deshalb Kenntnis erlangt, weil er an einem Vergleichsschluss darüber beteiligt ist. Nur wenn ein Verpflichteter über den genauen Text der geschlossenen Vereinbarung verfügt, kann ihm wegen Zuwiderhandlungen gegen die eingegangenen, im Einzelnen nachzuvollziehenden Verpflichtungen auch noch nach einem gewissen Zeitablauf Kenntnis oder Kennenmüssen der Verpflichtung nachgewiesen werden, so dass es gerade auch der Gewährung rechtlichen Gehörs dient, wenn über eine Zustellung nachweisbar ist, dass sich der Beteiligte über den genauen Inhalt der gerichtlich geschlossenen Vereinbarung vergewissern kann. Denn nur dann ist er in der Lage, sein Verhalten darauf zu überprüfen, ob es von der Vereinbarung erfasst und damit strafbewehrt ist (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 9. Januar 2024 – II-4 WF 156/23 –, Rn. 10 - 11).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 20 Abs. 1 FamGKG, 87 Abs. 5, 81 Abs. 1 S. 1 FamFG. Einer Wertfestsetzung bedarf es nicht, weil eine Festgebühr entsteht (Nr. 1912 KV FamGKG).
Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§§ 87 Abs. 4 FamFG, 574 Abs. 2 und 3 ZPO), besteht nicht.