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Entscheidung 1 OAus 19/24


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Strafsenat Entscheidungsdatum 17.05.2024
Aktenzeichen 1 OAus 19/24 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2024:0517.1OAUS19.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Auslieferung des Verfolgten S… an die Republik Polen zur Strafvollstreckung wegen der im Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts in Zielona Góra (Polen) vom 8. November 2023 (Az. II Kop 118/23) näher bezeichneten rechtskräftigen Verurteilung durch das Amtsgericht Zielona Góra vom 4. Juli 2022 (Az. VII K 78/22) wegen Beleidigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (Art. 224 § 1, 226 § 1 des polnischen Strafgesetzbuches) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten ist zulässig.

Die Entschließung der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg, die Auslieferung des Verfolgten S… an die Republik Polen zum Zwecke der Vollstreckung der Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten aus dem in dem vorgenannten Europäischen Haftbefehl aufgeführten rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Zielona Góra vom 4. Juli 2022 (Az. VII K 78/22) zu bewilligen, wird nach vollinhaltlicher Überprüfung gerichtlich bestätigt.

Der Grundsatz der Spezialität ist zu beachten.

Die Fortdauer der Auslieferungshaft gegen den Verfolgten S… wird angeordnet.

Gründe

I.

Die polnischen Justizbehörden ersuchen auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts in Zielona Góra (Polen) vom 8. November 2023 (Az. II Kop 118/23) um Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Vollstreckung der durch Urteil des Amtsgerichts Zielona Góra vom 4. Juli 2022 (Az. VII K 78/22) wegen Beleidigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (Art. 224 § 1, 226 § 1 des polnischen Strafgesetzbuches) verhängten, in Rechtskraft erwachsenen Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten. Die Freiheitsstrafe ist noch vollständig zu verbüßen.

Nach der deutschen Übersetzung der Sachverhaltsdarstellung in dem Europäischen Haftbefehl hatte der Verfolgte am 17. Dezember 2021 in Z____ Polizeibeamte, die seine Festnahme beabsichtigten, als „Schlampen, Huren“ und „Penner“ bezeichnet. Seiner Festnahme unter Anlegung von Hand- und Fußfesseln hatte er sich widersetzt, indem er sich u.a. auf den Boden gelegt, sich den Beamten entgegengestemmt und ihnen gegenüber geäußert hatte: „Wenn ich aus dem Gefängnis raus bin, finde ich dich und deine Familie, ich weiß, wo du wohnst und ich mach dich fertig, du bist am Arsch“ sowie: „Ich werde die Tage im Gefängnis zählen, wenn ich raus aus dem Gefängnis bin, finde ich euch Huren“.

2. Der Verfolgte wurde am 6. April 2024 im Stadtgebiet von P____ im Rahmen einer Verkehrskontrolle in alkoholisiertem Zustand festgenommen. Er befindet sich aufgrund der Festhalteanordnung des Amtsgerichts Neuruppin vom 6. April 2024 und des Auslieferungshaftbefehls des Senats vom 15. April 2024 in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg an der Havel.

Zu dem Europäischen Haftbefehl und dem damit verbundenen Auslieferungsersuchen ist der Verfolgte am 3. Mai 2024 gemäß §§ 28, 79 Abs. 2 S. 3 IRG vor dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel richterlich vernommen worden. Hierbei hat er sich - wie bereits im Rahmen seiner am 6. April 2024 vor dem Amtsgericht Neuruppin stattgefundenen richterlichen Vernehmung - nicht mit der Auslieferung im vereinfachten Verfahren einverstanden erklärt. Es bedarf mithin einer obergerichtlichen Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung. Auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes hat der Verfolgte ebenfalls nicht verzichtet. Zu seiner persönlichen Situation hat der Verfolgte vor Gericht angegeben, seit September 2022 in Deutschland zu leben. Seit Januar 2024 wohne seine Freundin, mit der er seit 16 Monaten verlobt sei, mit ihm in seiner Wohnung in G…. Er habe einen festen Arbeitsplatz als Kfz-Mechaniker bei einer Firma in der Nähe von T…. Er habe einen Sohn, der in Polen bei der Kindesmutter wohne und für den er Unterhalt zahle. Seine Eltern und Geschwister würden ebenfalls in Polen leben.

Im Falle der Zulässigkeit der Auslieferung beabsichtigt der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg als Bewilligungsbehörde, die Übergabe des Verfolgten an die polnischen Justizbehörden zu bewilligen und keine Bewilligungshindernisse nach § 83b IRG geltend zu machen.

Hierzu ist der Verfolgte bei der vorgenannten richterlichen Vernehmung vor dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel am 3. Mai 2024 gemäß § 79 Abs. 2 S. 3 Halbs. 2 IRG angehört worden. Insbesondere wurde ihm Gelegenheit gegeben, zu dem Wortlaut der nachfolgenden Absichtserklärung der Bewilligungsbehörde Stellung zu nehmen:

„Hinsichtlich der begehrten Auslieferung des Verfolgten nach Polen zum Zwecke der Vollstreckung einer durch Urteil des Amtsgerichts Zielona Góra vom 4. Juli 2022 (Az. VIIK 78/22) wegen Beleidigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (Art. 224 § 1, 226 § 1 des polnischen Strafgesetzbuches) verhängten, in Rechtskraft erwachsenen Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten beabsichtigt der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg, Bewilligungshindernisse nach § 83b IRG nicht geltend zu machen. Denn die in § 83b Abs. 1 Nr. 1 bis 4 IRG im Einzelnen aufgeführten Bewilligungshindernisse, die einer Auslieferung entgegenstehen würden, liegen beim Verfolgten nicht vor. Insbesondere sind die dem vorgenannten Urteil zugrunde liegenden Taten in Polen begangen worden und haben mithin ausschließlich Auslandsbezug. Auch sind Gründe für die Ablehnung der Bewilligung nach § 83b Abs. 2 Nr. 2 IRG nicht ersichtlich.

Nach alledem liegen aus Sicht der Bewilligungsbehörde nach Abwägung aller für und gegen den Verfolgten sprechenden Umstände keine Gründe vor, die einer Übergabe des Verfolgten an die polnischen Behörden zum Zwecke der Strafvollstreckung entgegenstehen.

Es steht dem Verfolgten frei, zu dieser Entschließung zu Protokoll Stellung zu nehmen. Für eine mögliche schriftliche Stellungnahme gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg wird eine Frist von einer Woche gesetzt."

Konkrete Einwände gegen die beabsichtigte Bewilligung hat der Verfolgte nicht erhoben; er hat vielmehr angekündigt, keine weitere Stellungnahme abzugeben, weil er die deutsche Sprache nicht beherrsche.

3. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat unter dem Datum des 10. Mai 2024, eingegangen beim Brandenburgischen Oberlandesgericht am 15. Mai 2024, beantragt, die Auslieferung des Verfolgten an Polen zur Strafvollstreckung wegen der im Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts in Zielona Góra vom 8. November 2023 (Az. II Kop 118/23) näher bezeichneten rechtskräftigen Verurteilungen für zulässig zu erklären, der seitens des Generalstaatsanwalts beabsichtigten Bewilligung der Auslieferung des Verfolgten an Polen zur Strafvollstreckung - unter Spezialitätsvorbehalt – zuzustimmen sowie die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen.

Dem Verfolgten ist über seinem Beistand der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft bekannt gegeben worden.

II.

Der Senat entscheidet entsprechend den Anträgen der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg; die gesetzlichen Voraussetzungen für die erstrebten Anordnungen liegen vor.

1.

Die Auslieferung des Verfolgten an die polnischen Justizbehörden zum Zwecke der Strafvollstreckung ist nach dem durch das EuHbG vom 20. Juli 2006 umgesetzten Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten sowie nach den maßgeblichen Bestimmungen des Achten Teils des IRG nicht unzulässig; Gründe, die einer Auslieferung entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.

a) Die Auslieferungsfähigkeit ist nach den §§ 3, 81 Nr. 2 IRG gegeben. Die dem Verfolgten vorgeworfenen Taten sind auch nach deutschem Recht als Beleidigung (§ 185 StGB) und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) strafbar (§ 3 Abs. 1 IRG). Zudem übersteigt das Maß der zu vollstreckenden Freiheitsstrafen das in § 81 Nr. 2 IRG genannte Mindestmaß von vier Monaten; die Strafvollstreckung verjährt in Polen nicht vor dem 12. Juli 2037.

Der übermittelte Europäische Haftbefehl des Bezirksgerichts Zielona Góra vom 8. November 2023 enthält die nach § 83a Abs. 1 Nrn. 1-6 IRG erforderlichen Angaben. Sie geben die Identität des Verfolgten an, enthalten Bezeichnung und Anschrift der ausstellenden Justizbehörde, nennen die Art und die rechtliche Würdigung der Straftaten einschließlich der gesetzlichen Bestimmungen sowie die verhängten Strafen und beschreiben die Umstände, unter denen die Taten begangen sein sollen, mit Angaben zu Tatzeit, Tatort und Tatmodalitäten ausreichend.

b) Der Zulässigkeit der Auslieferung steht insbesondere nicht entgegen, dass es sich bei dem, dem Europäischen Haftbefehlen zugrundeliegenden Urteil um ein Abwesenheitsurteil handelt. Die polnischen Behörden haben dazu mitgeteilt, dass sie entsprechend § 83 Abs. 2 Nr. 1. a) IRG verfahren sind; ein Zulässigkeitshindernis nach § 83 Abs. 1 Nr. 3 IRG besteht daher nicht.

2.

a) Hinsichtlich der avisierten Bewilligung der Auslieferung durch die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg ist infolge des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 24. November 2020 (Az. C-510/19) zum Begriff der „vollstreckenden Justizbehörde" nach Art. 6 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/JI) und der dadurch bedingten europarechtskonformen Auslegung von § 79 Abs. 2 IRG eine vollinhaltliche Überprüfung und Bestätigung durch den Senats veranlasst.

b) Die beabsichtigte Entschließung der Generalstaatsanwaltschaft, keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen, ist nach vollinhaltlicher Prüfung durch den Senat zu bestätigen.

aa) Die in § 83b Abs. 1 Nr. 1 bis 4 IRG im Einzelnen aufgeführten Bewilligungshindernisse, die einer Auslieferung entgegenstehen könnten, liegen beim Verfolgten nicht vor. Die dem Verfolgten von den polnischen Behörden zur Last gelegte Taten sind in Polen begangen worden und haben ausschließlich Auslandsbezug.

bb) Die im Anhörungstermin vor dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel am 3. Mai 2024 angekündigte Entschließung der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg, kein Bewilligungshindernis nach § 83b Abs. 2 Nr. 2 geltend zu machen, ist auf der Grundlage eines rechtsfehlerfrei ermittelten vollständigen Sachverhalts ermessensfehlerfrei getroffen worden. Bei dieser Überprüfung ist zu beachten, dass nach § 79 Abs. 1 IRG grundsätzlich eine Pflicht zur Bewilligung zulässiger Auslieferungsersuchen besteht und der Bewilligungsbehörde bei Vorliegen von Bewilligungshindernissen ein weites, gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbares Ermessen eingeräumt ist (ausf. bereits Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2010, (1) 53 AuslA 52/10 (26/10); siehe auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2008, 376; KG, Beschluss vom 23. März 2010, (4) AuslA 1252/09 (38/10); KG, Beschluss vom 30. November 2009, (4) AuslA 247/08 (78/08), jew. zit. nach juris). Unter Berücksichtigung dessen hat die Generalstaatsanwaltschaft ohne Rechtsfehler das Vorliegen eines überwiegenden schutzwürdigen Interesses des Verfolgten an einer Vollstreckung der Strafe im Inland verneint.

Insbesondere sind Gründe für die Ablehnung der Bewilligung nach § 83b Abs. 2 Nr. 2 IRG nicht ersichtlich. Ein überwiegendes, zu schützendes Interesse an einer Strafvollstreckung im Inland ist nicht zu erkennen. Eine hinreichende soziale Verwurzelung des Verfolgten in Deutschland ist nicht gegeben.

Vorliegend ist bereits zweifelhaft, ob der Verfolgte über einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland verfügt, da er nach seinen Angaben erst weniger als zwei Jahre in Deutschland lebt. Der Europäische Gerichtshof geht von einem gesicherten gewöhnlichen Aufenthalt erst ab einer Dauer von fünf Jahren aus (vgl. EuGH, Urteil vom 05. September 2012, C-42/11 - Lopes da Silva Jorge - in: NJW 2013, 141; EuGH, Urteil vom 06. Oktober 2009, C-123/08 - Wolzenburg - in: NJW 2010, 283; siehe auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 10. Mai 2016, 2 Ausl A 202/15, in: NStZ-RR 2016, 352 ff.).

Aber selbst wenn man annehmen mag, dass der Verfolgte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, kann er sich nicht auf ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an einer Strafvollstreckung im Inland berufen.

Denn der gewöhnliche Aufenthalt des Verfolgten in Deutschland genügt allein als Voraussetzung für die Geltendmachung des fakultativen Ablehnungsgrundes nicht. Für die Ermessensausübung ist – auch unter Beachtung des Gesichtspunkts des Schutzes von Ehe und Familie nach Art. 6 GG (vgl. OLG Karlsruhe NJW 2007, 2567, 2569) und der Gewährleistungen des Art. 8 MRK - von Bedeutung, in welchem Maße die beruflichen, wirtschaftlichen, familiären und sozialen Beziehungen des Verfolgten in Deutschland verfestigt sind (vgl. BT-Drucks 16/2015, S. 15). Hierbei ist zu bedenken, dass die Bindungen an Deutschland bei drohender Strafvollstreckung im Heimatstaat des Verfolgten besonderer Ausprägung bedürfen (siehe bereits Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2010, (1) 53 AuslA 52/10 (26/10); vgl. auch Schmidt StraFo 2007, 7, 10; zur Dauer des Aufenthalts vgl. insbesondere OLG Karlsruhe NJW 2007, 2567, 2569 m.w.N.). Die Bewilligungsbehörde darf beispielsweise die Situation eines nach langjährigem Aufenthalt beruflich und gesellschaftlich fest integrierten Verfolgten ohne Ermessensfehler anders beurteilen als diejenige eines Ausländers, der - und sei es auch als Freizügigkeit genießender EU-Bürger (vgl. dazu OLG Karlsruhe a.a.O.; OLG Stuttgart NJW 2007, 613) - erst kürzere Zeit mit geringerer sozialer und wirtschaftlicher Integration hier lebt. Entscheidungserheblich ist zudem, ob die Resozialisierungschancen des Verfolgten durch die im Falle einer Verurteilung drohende Verbüßung der Strafe im Inland erhöht werden können (vgl. EuGH NJW 2008, 3201, 3203 – Kozlowski-Urteil –, insbes. Rdnr. 45; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2009, 107, 108; KG, Beschluss vom 23. März 2010, (4) AuslA 1252/09 (38/10); KG, Beschluss vom 30. November 2009, (4) AuslA 247/08 (78/08), jew. zit. nach juris).

Dies hat der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg vorliegend ohne Ermessensfehler verneint. Der Verfolgte hat sich offenbar zu einer Zeit nach Deutschland begeben, als er mit der Strafvollstreckung in Polen rechnen musste. Dieser Umstand relativiert die Bedeutung der Bindungen des Verfolgten an Deutschland (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 20. März 2008 – Ausl 3/08 – zit. n. juris). Angesichts der persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Situation des Verfolgten kann nicht von einer bereits bestehenden Verwurzelung des Verfolgten in Deutschland ausgegangen werden. Nach eigenem Vorbringen wohnt er erst seit September 2022, dabei erst seit Januar 2024 mit seiner Verlobten in einer gemeinsamen Wohnung in G…, weitere vertiefte soziale Kontakte in Deutschland sind nicht ersichtlich, zumal enge Familienangehörige, wie beispielsweise seine Eltern und Geschwister sowie sein Sohn, bei der Kindesmutter in Polen wohnhaft sind.

Hinzu kommt, dass – wie oben erwähnt – eine merkliche Erhöhung der Resozialisierungschancen durch die Strafvollstreckung in Deutschland voraussetzt, dass der hiesige Strafvollzug seiner Aufgabe gerecht werden kann, einen Verurteilten zu einem künftigen Leben in sozialer Verantwortung ohne Straftaten zu befähigen (§ 2 Satz 1 StVollzG, Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2010, (1) 53 AuslA 52/10 (26/10); siehe auch EuGH NJW 2011, 285, 286; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2009, 107, 108, OLG Köln, Beschluss vom 31. August 2009, 6 AuslA 41/09, zit. n. juris). Grundlage hierfür ist, dass sich der Verfolgte in deutscher Sprache in einem Maße verständigen kann, das eine inhaltliche Auseinandersetzung mit seinen Straftaten etwa im Gespräch mit den im Strafvollzug behandelnden Personen ermöglicht (Senat a.a.O.; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2009, 107, 108: Der Verfolgte muss „der deutschen Sprache hinreichend mächtig“ sein; enger Böhm NJW 2008, 3184, der die „Beherrschung“ der Sprache verlangt). Über hinreichende deutsche Sprachkenntnisse verfügt der Verfolgte nicht. Zu seinen richterlichen Anhörungen am 6. April 2024 vor dem Amtsgericht Neuruppin und am 3. Mai 2024 vor dem Amtsgericht Brandenburg a.d.H. musste jeweils ein Dolmetscher herangezogen worden, was bei hinreichenden deutschen Sprachkenntnissen, die für einen erfolgreichen Behandlungsvollzug in Deutschland unabdingbar sind, entbehrlich gewesen wäre. Demgegenüber bestünden für einen resozialisierungsorientierten Strafvollzug in Polen - dem Heimatland des Verfolgten, in dem er den Großteil seines Lebens verbracht hat - keine Sprachhindernisse. Auch sind ihm die dortigen kulturellen und rechtlichen Gegebenheiten geläufig.

Unter Beachtung der vorstehend dargestellten Maßstäbe ist anzunehmen, dass die bestehenden Bindungen des Verfolgten im Bundesgebiet nicht geeignet sind, die Resozialisierungschancen im Falle einer Inlandsvollstreckung zu erhöhen.

Anhaltspunkte dafür, dass die Vollstreckung der Strafe in Polen für den mit den dortigen Lebensverhältnissen noch gut vertrauten Verfolgten aus sonstigen Gründen eine besondere Härte darstellen könnte, liegen nicht vor (vgl. KG, Beschluss vom 23. März 2010, Az. (4) AuslA 1252/09 (38/10), zit. n. juris).

3.

Der Vorbehalt der Spezialitätsbindung wird zu beachten sein.

4.

Die Fortdauer der Auslieferungshaft ist anzuordnen. Der Haftgrund der Fluchtgefahr besteht aus den im Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 14. April 2024 genannten Gründen fort. Weniger einschneidende Maßnahmen bieten nicht die nach § 25 Abs. 1 IRG erforderliche Gewähr, dass der Zweck der Auslieferungshaft auch durch sie erreicht werden könnte. Angesichts der Höhe der zu vollstreckenden Strafen ist die Fortdauer der Auslieferungshaft erforderlich und angemessen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht dem bei der gegebenen Sachlage nicht entgegen.