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Entscheidung 2 Ws 35/24 (S)


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Strafsenat Entscheidungsdatum 16.05.2024
Aktenzeichen 2 Ws 35/24 (S) ECLI ECLI:DE:OLGBB:2024:0516.2WS35.24S.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Nebenklägerin wird der Beschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 8. Februar 2024 aufgehoben.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) wirft dem Angeklagten mit ihrer Anklageschrift vom 7. November 2022 vor, im Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis 5. Januar 2009 sowie vom 14. März 2017 bis 24. Juni 2021 in zehn Fällen sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen, u. a. in sechs Fällen zu Lasten der Nebenklägerin, vor.

Auf die Mitteilung des Verteidigers, dass der Angeklagte aufgrund seiner schlechten körperlichen und geistigen Verfassung verhandlungsunfähig sei, holte die zuständige Jugendschutzkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) mit Beschluss vom 23. Mai 2023 ein rechtsmedizinisches Gutachten zu der Frage der Verhandlungsfähigkeit ein. Der Sachverständige („Name 01“) geht in seinem Gutachten vom 5. Januar 2024 von einer dauerhaften Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten aus. Dem Gutachten lagen mehrere von dem Angeklagten vorgelegte Arztbriefe, ein Gespräch mit dem Angeklagten am 1. November 2023 sowie eine am selben Tag durchgeführte Messung der Sauerstoffsättigung und des Blutdrucks mit durch den Angeklagten zur Verfügung gestellten Messinstrumenten zu Grunde.

Mit Beschluss vom 8. Februar 2024 hat das Landgericht Frankfurt (Oder) das Verfahren gemäß § 206a StPO eingestellt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Angeklagte unter mehreren schwerwiegenden Erkrankungen leide. Die Durchblutungsstörungen in den Beinen seien mit dauerhaften Schmerzen verbunden, die eine Interessenwahrnehmung in der Verhandlung erheblich erschweren würden. Die chronische Asthma-Erkrankung (COPD) führe aktuell zu einer stark eingeschränkten Sauerstoffversorgung. Es sei davon auszugehen, dass die mit einer Verhandlung verbundenen Belastungen und Aufregungen den Sauerstoffmangel verstärken und in Verbindung mit den Vorerkrankungen des Herzens und des Hirngefäßsystems zu lebensgefährlichen Zuständen führen würden. Aus medizinischer Sicht sei eine Verhandlungsfähigkeit nicht gegeben. Angesichts der chronisch fortschreitenden Erkrankungen sei nicht damit zu rechnen, dass der Angeklagte wieder verhandlungsfähig werde. Dem könne auch nicht durch andere Maßnahmen, beispielsweise zusätzliche Pausen oder kurze Verhandlungstage, begegnet werden, da diese nicht geeignet seien, die Belastungen für den Angeklagten zu reduzieren bzw. nicht umsetzbar seien.

Gegen den ihr am 18. Februar 2024 zugestellten Beschluss hat die Nebenklägerin unter dem 26. Februar 2024 sofortige Beschwerde erhoben.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg tritt der sofortigen Beschwerde bei und beantragt, den angegriffenen Beschluss mit der Maßgabe, die erneute Begutachtung des Angeklagten auf seine Verhandlungsfähigkeit durch einen in den betroffenen medizinischen Fachdisziplinen sachkundigen Gutachter zu veranlassen, aufzuheben.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

II.

Die sofortige Beschwerde der Nebenklägerin ist zulässig (§ 400 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 206 a Abs. 2 StPO) und auch in dieser Sache begründet.

Der angefochtene Beschluss entbehrt sowohl einer tragfähigen Tatsachengrundlage als auch einer umfassenden Würdigung der Rechtsfrage (vgl. Münchener Kommentar zur StPO/Wenske, 2. Auflage, § 205 Rn. 19) einer etwaigen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten.

Ein Angeklagter ist verhandlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Form zu führen, Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen (vgl. BVerfG NJW 1995, 1951; BGH NStZ-RR 2018, 320). Dabei sind die Anforderungen an die Verhandlungsfähigkeit je nach Verfahrensart und Verfahrenslage unterschiedlich, wobei diese in den Tatsacheninstanzen - so wie hier - nicht zu niedrig zu bemessen sind (vgl. OLG Stuttgart, NStZ-RR 2006, 313).

Eine Erkrankung eines Angeklagten kann zu einer Verhandlungsunfähigkeit führen. Maßgebend ist hierbei nicht allein die medizinische Schwere der Gesundheitsstörung, sondern vielmehr die von dem Ausmaß der Erkrankung ausgehende Beeinträchtigung der dem Angeklagten in der konkreten Verfahrenssituation zu gewährleistenden Mitwirkungsmöglichkeiten (vgl. OLG Stuttgart, a. a. O.; MüKo/Wenske, a. a. O., § 205 Rn. 32).

Eine Verhandlungsunfähigkeit kann auch dann vorliegen, wenn angesichts des Gesundheitszustands des Angeklagten die nahe liegende, konkrete Gefahr besteht, dass der Angeklagte bei Durchführung der Hauptverhandlung sein Leben einbüßen oder einen schwerwiegenden, irreparablen Schaden an seiner Gesundheit nehmen wird (BVerfG, NJW 2002, 51). Erforderlich ist ein spezifischer Wahrscheinlichkeitsgrad, der jedenfalls nicht unerheblich unterhalb einer mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit liegt (BVerfG, a. a. O.). Bei der Beurteilung dieser Frage hat der Richter alle für seine Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte - d.h. alle wesentlichen persönlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung eines den Normen und Prinzipien des Grundgesetzes Rechnung tragenden Maßstabs - gegeneinander abwägen, wobei dem unterschiedlichen Gewicht der einzelnen Abwägungselemente für das zu findende Ergebnis entscheidende Bedeutung zukommen kann (vgl. BVerfG, a. a. O.).

Diesen Anforderungen wird der angegriffene Beschluss nicht gerecht. Dieser stützt sich im Wesentlichen auf das Gutachten des Sachverständigen („Name 01“), welchem keine zureichenden tatsächlichen Anknüpfungstatsachen zu Grunde liegen. Insoweit hat die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 21. März 2024 wie folgt ausgeführt:

„Der Gutachter hat sich zur Beschaffung der für seine Ausführungen erforderlichen Tatsachengrundlagen darauf beschränkt, den Angeklagten am 1. November 2023 in seiner Häuslichkeit aufzusuchen, um ein Gespräch zu führen und ihm dort vom Angeklagten präsentierte Krankenunterlagen einzusehen […]. Eine den Fachstandards genügende Gutachtenerstellung erfordert hingegen die Nutzung aller vorhandener Befunderhebungsquellen, namentlich

  • objektive Befunde, die unabhängig von der Mitarbeit des Probanden erhoben werden (wie Muskelminderung, bildgebende Verfahren, Laborbefunde),
  • semiobjektive Befunde, die von der Mitarbeit des Probanden abhängen (wie Kraftminderungen, Gangbild, Beurteilung eines Belastungs-EKGs) sowie
  • subjektive Befunde, die sich allein aus den Angaben des Probanden oder seiner Angehörigen ergeben (wie Beschwerdeangaben, Schilderung von Schmerzen),

wobei Vorbefunde in diesem Zusammenhang im Wege eines kritischen Befundvergleichs einzubeziehen sind, diese Befunderhebungen jedoch nicht zu ersetzen vermögen (Diehl/Kreiner/Diehl, Sozialmedizin – Lehrbuch zu den Curricula der Bundesärztekammer, 2. Aufl. 2021, Kap. 6.1). Ein wesentlicher Teil, namentlich der Abschnitt III. des vorliegenden Gutachtens [= Untersuchungsbefunde, Anm. des Senats], beruht damit auf rein subjektiven Befunden, nämlich den Angaben des Probanden, welchen per se die schwächste Befundqualität zukommt, zumal ihm als Angeklagten zugleich ein überragendes Eigeninteresse an der Einstellung des Verfahrens zukommen dürfte. […]

Der Gutachter zieht unter Ziff. II. […] zehn Arztbriefe, einen Medikationsplan sowie einen Schwerbehindertenausweis des Angeklagten zur Gutachtenerstellung heran. Dabei handelt es sich […] um eine von dem Angeklagten getroffene Vorauswahl, was aufgrund der hierin möglichen Beeinflussung zu diskutieren gewesen wäre. Auch steht dieses Vorgehen in deutlichem Widerspruch zum Gutachtenauftrag, der dem Gutachter aufgegeben hat, er solle „die von ihm zur Klärung der Gutachtenfrage zweckmäßig erscheinenden ärztlichen Behandlungsunterlagen in eigener Zuständigkeit anfordern“, worunter ersichtlich die vorab vorzunehmende Korrespondenz des Gutachters mit den behandelnden Ärzten des Patienten zu verstehen ist. Überdies bezieht er bei der nicht näher dargelegten und begründeten „auszugsweise“ erfolgten Auswahl auch bis zu 15 Jahre alte Befunde und bis zu 23 Jahre zurückliegende Diagnosen mit ein, ohne im Diskussionsteil (Ziff. IV) darauf einzugehen, inwieweit diese für die Beurteilung des heutigen Zustandes sowie die Prognosebildung überhaupt noch aussagekräftig sind. Ob der umfangreiche, zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung über vier Monate alte Medikationsplan noch aktuell ist und der Angeklagte diesem entsprechend seine Medikamente einnimmt, wurde nicht erhoben, obgleich diesem Umstand erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Bewertung des aktuellen Zustandes sowie der Prognose zukommen, insbesondere im Hinblick auf die gerinnungshemmende Medikation […].

Eine angesichts der behaupteten schwersten Belastungen und Gesundheitsbeeinträchtigungen des Angeklagten zwingend erforderliche klinische Untersuchung ist ohne dargelegte oder sonst nachvollziehbare Gründe unterblieben, weshalb dem Gutachten die objektiven und semiobjektiven Befunderhebungsquellen vollständig fehlen. Von Bedeutung sind dabei vor allem:

  • eine detaillierte (Verhaltens-) Beobachtung, vorliegend insbesondere hinsichtlich der (Rest-) Mobilität,
  • die Erhebung von Messwerten,
  • stets die Erhebung des Ganzkörperstatus,
  • die Einbeziehung klinischer Funktionsuntersuchungen […].

Soweit unter Ziff. III des Gutachtens vereinzelte Untersuchungsbefunde in Form von jeweils eines Blutdruck-, eines Puls- und eines Sauerstoffsättigungswertes benannt werden, genügen diese […] nicht den fachlichen Mindeststandards zur Befunderhebung.

Dem dritten Absatz auf S. 6 d. SH GA ist zu entnehmen, dass sich der Gutachter zur Messung der Sauerstoffsättigung eines im Besitz des Patienten befindlichen, mithin ausschließlich für die Laienanwendung konstruierten und zugelassenen Pulsoxymeters bedient hat, was die Fachstandards zur Gewinnung objektiver Befunde (vgl. Diehl/Kreiner/Diehl, a.a.O.) eklatant unterläuft, zumal er weder das genutzte Gerät noch die zur Messung genutzte Körperstelle noch die verwendete Messart (transmissiv oder reflexiv) - welcher erheblicher Einfluss auf die Interpretation des gemessenen Wertes zukommen kann - offenlegt. […] [Auch] bei Nutzung eines für die klinische Messung zugelassenen und geeichten Gerätes wäre ein Rückschluss auf den tatsächlichen körperlichen Zustand des Patienten allein aus der Messung eines Einzelwertes nicht zu erlangen. Vielmehr ließen sich zureichende objektive Tatsachenfeststellungen für die gutachterliche Beurteilung der aktuellen Einschränkung der körperlichen Belastungsfähigkeit des Angeklagten durch die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) überhaupt erst durch eine Blutgasanalyse erlangen […]. Hinzu kommt, dass die körperliche Restleistungsfähigkeit des Angeklagten, bei dem sich um einen adaptierten COPD-Patienten und starken Raucher handelt, mittels weiterer spezifischer semiobjektiver Befunderhebungen, wie einen kardiopulmonalen Belastungstest, zu bestimmen gewesen wäre. Diese setzen jedoch ein klinisches Untersuchungssetting voraus […]

Diese Ungenauigkeit der Befunderhebung setzt sich in der Darstellung der Blutdruck- und Pulswerte fort. Es bleibt bereits unklar, ob die Messung durch den Gutachter oder durch den Patienten selbst vorgenommen wurde, welches Gerät verwendet und an welchem Arm bzw. Handgelenk die Messung vorgenommen worden ist (respektive weshalb eine seitenvergleichende Messung offensichtlich nicht erfolgte). […] Auch die für den Blutdruck und Puls bedeutsamen Umgebungsvariablen teilt der Gutachter nicht mit.“

Diesen zutreffenden Erwägungen tritt der Senat bei. Er bemerkt ergänzend, dass die Einholung aktueller ärztlicher Unterlagen insbesondere im Hinblick auf den Arztbrief von („Name 02“) vom 14. August 2023, nach dem eine Indikation zur Sauerstoff-Langzeit-Behandlung indiziert sei und diese ggf. in drei Monaten – d.h. im November 2023 – eingeleitet werde, zwingend erforderlich gewesen wäre.

Der angegriffene Beschluss lässt darüber hinaus eine umfassende Würdigung der Rechtsfrage des Vorliegens einer Verhandlungsunfähigkeit vermissen. Dem Beschluss lässt sich bereits nicht hinreichend deutlich entnehmen, ob die Kammer von einer Verhandlungsunfähigkeit infolge einer Einschränkung der Mitwirkungsmöglichkeiten des Angeklagten durch mögliche Ruheschmerzen in seinen Beinen oder von einer Unzumutbarkeit der Durchführung der Hauptverhandlung wegen einer damit einhergehenden konkreten Lebensgefahr für den Angeklagten ausgeht. Zudem beschränkt sich der Beschluss, der sich auch diesbezüglich auf das Gutachten des Sachverständigen („Name 01“) stützt, auf die Wiedergabe der einzelnen Erkrankungen des Angeklagten, ohne konkret darzulegen, in welchem Ausmaß diese den Angeklagten im Rahmen der Hauptverhandlung bei seinen Mitwirkungsmöglichkeiten einschränken würden. Zudem befasst sich der Beschluss nicht mit der Frage, ob im Hinblick auf die Ruheschmerzen in den Beinen Beeinträchtigungen der Mitwirkungsmöglichkeiten angesichts der ausweislich des Medikamentenplanes verordneten Schmerzmittel überhaupt zu erwarten sind.

Soweit die Kammer unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen („Name 01“) davon ausgeht, dass die Durchführung der Hauptverhandlung eine Lebensgefahr für den Angeklagten begründen würde, ist dies eine reine Behauptung, die durch belastbare Tatsachen nicht belegt wird. Insoweit hat die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg ausgeführt:

„Die zentrale Behauptung, die mit der Hauptverhandlung verbundenen Belastungen und Aufregungen würden den Sauerstoffmangel verstärken und in Verbindung mit den Vorerkrankungen des Herzens und des Hirngefäßsystems zu lebensgefährlichen Zuständen führen, ist weder näher belegt noch mit den gutachterlichen Feststellungen sowie dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnis zu vereinbaren.

Der Gutachter übergeht vollständig den Umstand, dass es sich bei dem Angeklagten um einen langjährig an COPD erkrankten und damit an die Minderversorgung mit Sauerstoff adaptierten Patienten handelt. Die Adaption geht dabei so weit, dass er sich bislang laut des auszugsweise zitierten Arztbriefes vom 14. August 2023 (S. 2 d. SH GA) einer Sauerstofftherapie noch nicht unterzogen hat, es jedoch vielmehr schafft, täglich die (bereits einen Gesunden deutlich in der Sauerstoffsättigung beeinträchtigende) erhebliche Anzahl von 10 bis 20 Zigaretten am Tag zu rauchen (S. 6 d. SH GA) und dabei zugleich noch die körperliche Anstrengung von Wegen innerhalb der Wohnung ebenso wie „mühevoll“ den Weg von der Wohnung im dritten Obergeschoss in das Erdgeschoss in einem Haus ohne Fahrstuhl bewältigen zu können (S. 5 d. SH GA). Die körperlichen Anstrengungen, die der Angeklagte derzeit von sich aus unternimmt, sind demzufolge deutlich höher als diejenigen, denen er im Zuge der Durchführung einer Hauptverhandlung ausgesetzt wäre, da das Gericht durch verfahrensrechtliche Hilfen […], wie beispielsweise einen Krankentransport im Tragestuhl […] ohne weiteres minimieren könnte. Darüber hinaus könnte einem etwaig gesteigertem Sauerstoffbedarf während des Transports ebenso wie während der Verhandlung unproblematisch über eine Sauerstoffinsufflation via sog. Nasenbrille, die viele andere COPD-Patienten in etwa handtaschengroßen Geräten tagtäglich mit sich führen, vorgebeugt werden. Ebenso wäre die Anordnung von Verhandlungspausen und Höchstdauerzeiten geeignet, die physischen und psychischen Auswirkungen auf den Angeklagten zu minimieren. Eine Diskussion dieses Umstands fehlt jedoch vollständig. […]

Hinzu kommt, dass der Gutachter den Pathomechanismus der behaupteten „lebensgefährlichen Zustände“ nicht näher darlegt. Es bleibt offen, worauf er abzielt, wenn er meint, diese könnten „in Verbindung mit den Vorerkrankungen des Herzens und des Hirngefäßsystems“ (S. 7 d. SH GA) auftreten. Soweit diese Ausführungen auf die im auszugsweise zitierten Arztbrief des („Name 03“) vom 17. März 2023 (S. 3 d. SH GA) bezeichneten Ereignisse von 2000 und 2002 (Herzinfarkt und Schlaganfall) bezogen sein sollten, würde es an jeglicher Diskussion dazu fehlen, dass der Angeklagte aufgrund der konsequent erfolgten Therapiemaßnahmen (Erhaltene Bypässe sowie aktuelle Einnahme von zwei thrombose- und embliehemmenden Medikamenten) offensichtlich seit über 20 Jahren kein derartiges Ereignis mehr zu verzeichnen hatte. Die medizinischen Feststellungen leiden an dieser zentralen Stelle mithin unter dem Widerspruch, dass dem Angeklagten ganz erhebliche Anstrengungen wie das Bewältigen von drei Stockwerken seines Treppenhauses möglich sein, das passive Verbringen in den Verhandlungssaal ebenso wie die im Sitzen erfolgende Teilnahme an der Hauptverhandlung hingegen zu lebensgefährlichen Zuständen führen soll. An einer fachlichen Einschätzung der Wahrscheinlichkeit des behaupteten Ereignisses fehlt es überdies vollständig.“

Auch diesen zutreffenden Erwägungen tritt der Senat bei.

Letztlich lässt der Beschluss in Bezug auf die Annahme von Verhandlungsunfähigkeit mit Blick auf die (behauptete) konkrete Lebensgefahr im Fall der Durchführung der Hauptverhandlung auch die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung aller relevanten Umstände, insbesondere des grundrechtlich geschützten Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit, jedoch auch der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates, eine wirksame Rechtspflege zu gewährleisten, vermissen. Insbesondere nimmt die Kammer nicht sämtliche Möglichkeiten zur Verhandlungsgestaltung - beispielsweise einen Krankentransport, die Verlegung der Hauptverhandlung an den Aufenthaltsort des Angeklagten, die Beschränkung des Prozessstoffes nach § 154 StPO, die Anordnung von Pausen sowie die Anwesenheit eines Arztes (vgl. hierzu auch MüKo/Wenske, a.a.O., § 205 Rn. 33; Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Auflage, § 205 Rn. 10 m.w.N.) - in den Blick.